das gesamte meinungsspektrum lu-wahlen.ch - Die Internet-Plattform für Wahlen und Abstimmungen im Kanton Luzern

Spenden für Verein lu-wahlen.ch

Diese Website gefällt mir! Um weitere Beiträge darauf zu ermöglichen, unterstütze ich lu-wahlen.ch gerne mit einem Betrag ab CHF 10.-

 

 

Kolumne der Redaktion

08.02.2023

«Hans Graber hatte grossartige Fähigkeiten» (2)

Am Freitagabend ist im Spital in Stans Hans Graber gestorben, ein Luzerner Journalist von aussergewöhnlichem Format, Profil und Gewicht. Einer, der mit ihm in den Achtziger-Jahren für die «Luzerner Neusten Nachrichten» (LNN) eng zusammengearbeitet hat, ist der Dokufilmer Beat Bieri. Er erinnert sich auf Einladung der Redaktion von lu-wahlen.ch an jene Jahre. Und an Grabers Kolumnen in der «LZ».


5. Mai 1996. Hans Graber im Gespräch mit Urs W. Studer, der soeben erstmals zum Stadtpräsidenten gewählt worden ist, der er bis 2012 blieb.

Bild: Emanuel Ammon / AURA

Der Luzerner Dokumentarfilmer Beat Bieri arbeitete in den Achtziger Jahrren mit Hans Graber bei den «Luzerner Neusten Nachrichten» eng zusammen. Mehr über Beat Bieri unter «Links».

Die Mail am Samstagmorgen von Herbert Fischer, Redaktor von lu-wahlen.ch, war sehr schmerzlich, deprimierend, sehr traurig: die Nachricht von Hans Grabers Tod. Hans und ich haben uns in den letzten Jahren nicht mehr oft gesehen, nachdem ich schon vor Jahrzehnten beruflich Richtung Zürich weggezogen bin.

Vor rund 40 Jahren haben wir im gleichen Büro – es war der provisorische Redaktionssitz an der Zürichstrasse 16 – für die «Luzerner Neusten Nachrichten» gearbeitet; Hans als Chef des (damals) neuen «LNN-Magazins», ich als Schreiber über diverse Belange. Es war für mich eine sehr anregende Zusammenarbeit, denn Hans war äusserst inspirierend, schon damals ein Vorbild des hintergründigen, (selbst-)ironischen, doch leichtfüssigen Schreibstils: Er widerstand stromlinienförmiger Gefälligkeit; war nicht unbedingt der Anreger gruppendynamischer Prozesse; misstraute der üblichen Neigung vieler JournalistInnen, sich mit ihren Werken in den eigenen Kreisen Applaus zu holen; er war ein Unikat, ein sehr angenehmes, liebenswürdiges; ganz selten mal etwas cholerisch.

Unser damaliges Büro, heute als Alterswohnung genutzt, war belebt von wirklich eigenwilligen Journalisten-Originalen, wie sie heute in einem durchgetakteten, optimierten Redaktionsalltag völlig unvorstellbar sind. Und Hans installierte ein Ritual, das die alltägliche Trübnis mildern sollte.

Er, hinter der Schreibmaschine sitzend, fragte mitunter, unvermittelt ins allgemeine Nachdenken platzend: «Wie findest du mich eigentlich?». Ich (oder ein anderer Kollege) hatte jeweils zu antworten: «Schön, intelligent und weltoffen». Der Wortwechsel konnte auch in umgekehrter Richtung verlaufen, nur die Wortwahl war fix. Nun, allzu lange hielt die Wirkung dieser gegenseitigen Selbstvergewisserung jeweils nicht an.

Hans war, wie gesagt, der Chef des «LNN-Magazins», wo auch längere Texte untergebracht werden konnten. Das kam mir sehr gelegen, denn ich neigte zugegebenermassen zu etwas «Überlänge» in meinen Beiträgen. Doch selbst Hans waren meine Texte oft zu lang, weshalb er den Begriff prägte «1 Bieri», was bedeutete: ein viel zu langer Text. Wie musste dann wohl ein «2 Bieri»-Text dahergekommen sein? Wie mir gesagt wurde, haben diese journalistischen Längenbezeichnungen noch einige Jahre nach meinem Abgang von der LNN-Redaktion überlebt. Ich habe diese Bezeichnung jedoch nie in mein Vokabular aufgenommen, denn damit war ja leider nicht gerade eine qualitative Aussage verbunden. Meriten liessen sich so jedenfalls nicht holen.

Der Höhepunkt unserer Zusammenarbeit in jenen Achtziger-Jahren waren die sommerlichen Serien, «LNN-Reisli» genannt. Jeweils morgens suchten wir ein Thema, das wir gemeinsam bearbeiten wollten und dann schwärmten wir zur Recherche aus in die hintersten Ecken der Zentralschweiz. Am gleichen Abend wurde das so Erlebte zu Papier gebracht. Jeder tippte einen Teil, wobei ich mir sehr grosse Mühe geben musste, dass die Schnittstellen zwischen seinen und meinen Texten nicht zu offenkundig (und für mich peinlich) waren. Instant-writing, ruckzuck, und am drauffolgenden Tag waren der Bericht und die Bilder über unser «Reisli» als halbseitiges Gemeinschaftswerk im Blatt.

Eine unserer journalistischen Erkundungen ging beispielsweise der Frage nach, in welcher Seebadi die längsten Nussgipfel erhältlich waren. Eine andere Recherche führte uns in eine Landbeiz oberhalb von Alpnach, einen Ort – sagen wir es so – der dosierten Sünde. Dort schwamm die Serviertochter jede Stunde im Bikini durch einen gläsernen Wasserkanal an der Decke. In jenen Jahren – also weit vor dem Internet und seinen heutigen, massenhaften Frivolitäten – waren das für die brave Bevölkerung eigentliche Abenteuer in Griffweite.

Gewiss, die Themen unserer «Reisli» waren allesamt meist banal, im besten Fall skurril. Doch Hans vermochte durch seine Art der verschmitzten Betrachtung selbst der offenkundigsten Banalität, der abgründigsten Trivialität etwas Allgemeingültiges, Nachdenkenswertes zu verleihen; und wenn nicht, so war zumindest ein Schmunzeln garantiert. Eine grossartige Fähigkeit, welche Hans bis zuletzt in seinen wunderbaren Kolumnen in der «LZ» kultivierte.

Marianne und den zwei Söhnen und ihren Familien wünsche ich viel Kraft, diese traurige Zeit durchzustehen.

Beat Bieri, Redaktionskollege von Hans Graber in den Achtziger-Jahren bei den «Luzerner Neusten Nachrichten», Luzern

---
Unter «Dateien»: eine erste, kleine Auswahl von Graber-Kolumnen («Schnee von gestern») in der «Luzerner Zeitung».


Teilen & empfehlen:
Share    
Kommentare:

Keine Einträge

Kommentar verfassen:

Ins Gästebuch eintragen
CAPTCHA-Bild zum Spam-Schutz  

Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


treten Sie mit lu-wahlen.ch in Kontakt

1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/