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Kolumne der Redaktion

23.01.2023

Politik- und Medienkenner: «Einen Grund für einen Rücktritt von Alain Berset kann ich nicht erkennen»

Wenn unsere französischsprachigen Mitbürgerinnen und Mitbürger seufzen: «Tant de bruit pour une omelette», heisst unser entsprechendes Sprichwort: «Viel Lärm um nichts». Damit könnte man auch das mediale Gezerre rund um die Kommunikationspraxis des Innenministeriums während der Pandemie kommentieren und dann zur Tagesordnung übergehen. So einfach ist es aber leider nicht.


Peter Graf (1945) wirkte zwischen 1973 und 2007 als akkreditierter Bundeshausredaktor der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA); als Chefredaktor der Nachrichtenagentur ddp Schweiz (Deutscher Depeschendienst); als Kommunikationsverantwortlicher der SP Schweiz; als Chefredaktor der wöchentlich erscheinenden SMUV-Zeitung und Kommunikationsverantwortlicher der Metall- und Uhrenarbeitergewerkschaft, heute UNIA; als Informationschef des Eidg. Finanzdepartementes sowie (später) der Schweizerischen Post-PTT in der Zeit vor der Trennung von Post und Telecom; danach als Verantwortlicher für Beziehungen der Post zu Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden sowie Wirtschafts- und Branchenverbänden (Public Affairs).


Bild: Boris Schafgans, Bonn

Bei der Frage, ob Gesundheitsminister Alain Berset und sein damaliger Kommunikationschef Peter Lauener Strafrecht verletzt haben, ist die Justiz auf der Suche nach einer juristisch haltbaren Antwort. Bis dazu ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, kann viel Zeit vergehen. So lange gilt aber auch die Unschuldsvermutung.

Diese Frage ist indessen auch gesellschaftspolitisch bedeutsam. Die Pandemie verlor erst kurz vor dem Jahreswechsel an medialer Bedeutung. Und schon wird sie im Vorfeld der Gesamterneuerungswahlen von Parlament und Regierung im Konkurrenzkampf der Parteien und Verbände instrumentalisiert.

Hinzu kommt, dass zwei grosse Zürcher Verlagshäuser, wie manche kleinere Verleger auch, in einem starken Konkurrenzkampf im Printmedienmarkt stehen. Und dass die einen den andern die Primeurs missgönnen; oder der einen oder anderen politischen Richtung verpflichtet sind (verbunden mit Druckaufträgen oder mit politischer Gesinnung).

Es sind eine schwierige Ausgangslage und eine der Weltlage unangemessene helvetische Rangelei aus Neid, Missgunst und um kommerziell oder politisch Verwertbares, die hier vorliegen.

Eine Pandemie ist eine schwere Krise. Sie ist kommunikativ gleich in mehrfacher Hinsicht eine äusserst heikle und schwierige Aufgabe. Ihr kann also beileibe nicht mit «Courant normal» begegnet werden. Sie ist mit geläufigen und häufig angewandten Krisenkommunikations-Strategien nicht zu bewältigen. Sie mit erfundenen Szenarien zu beüben, ist mangels Erfahrungen schwierig. Fiktive Übungsanlagen gehen oft an den wirklichen Verhältnissen vorbei. Die Übungsergebnisse sind deshalb von überschaubarer Brauchbarkeit.
Deshalb war bei der Bewältigung der Pandemie seit ihrem Beginn Innovation gefragt.

Leute, die mit eigenen Erfahrungen bei weltweit verbreiteten Pandemien hätten beraten können, gab es kaum. Weder Art noch Zeitpunkt jeder Pandemie sind lange genug vorhersehbar, damit man sich angemessen darauf vorbereiten kann.

Das Parlament hatte sich in einem frühen Zeitpunkt verabschiedet. Die Verantwortung für die Steuerung der Bekämpfung dieser weltweit wild wütenden Seuche wurde der Regierung überlassen. Dies, ohne kommunikationspolitisch Rahmenbedingungen zu diskutieren oder zu fordern.

. Die Angst in Grenzen halten;

. Panikausbrüche verhindern;

. den Zusammenhalt des Landes sicherstellen;

. Wissenschaft und Politik zusammen denken und zeitgerecht handeln lassen;

. die Koordination zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen handhaben und die Kommunikation nach innen und aussen bestimmen – all das war Aufgabe der vom Parlament ermächtigten Regierung.

Auch die Antizipierung möglicher Ereignisse und die Entwicklung von Kommunikationsstrategien – entlang dem sichtbaren, ahnbaren oder auch nur gemutmassten Verlauf – gehörten zu den Aufgaben der Regierung, vorab des Gesundheitsministeriums unter Bundesrat Alain Bersets Leitung und seiner Kommunikationsabteilung mit Peter Lauener. Dass dabei auch börsenrelevante Informationen eine Rolle spielen könnten, gehörte zu den vielen, aber nicht gerade häufig vorkommenden Knacknüssen in diesem Kommunikationsgeschehen.

Was hier folgt, ist ein Szenario mit einem Wahrscheinlichkeitsgehalt, der einerseits nicht von A bis Z faktenbasiert ist, der andererseits aber auch nicht unmöglich sein muss.

Bersets Mediendienstleiter Peter Lauener hatte eine Idee. Er fragte:

. Wie liessen sich die zielgruppengerechten Inhalte über die ständig ändernde Fakten- und Informationslage effizient, wahrhaftig und schnell an die mannigfaltigen Zielgruppen bringen? Dies mit dem Ziel, eine möglichst breite Unterstützung für die von der Regierung empfohlenen und verordneten Handlungsanweisungen zu erlangen.

. Wie liessen sich die Verunsicherung und die Ängste der Bevölkerung mindern? Eine in normalen Zeiten immer wieder vorkommende Kakophonie mit nicht absehbaren Risiken musste dieses Mal  verhindert werden.

Der Chef von Ringier (Marc Walder) hatte früh konzernintern durchblicken lassen, wie er sich die Brückenfunktion zwischen dem Informationsbedarf der Bevölkerung und der Informationstätigkeit der Regierung vorstellte und welche Rolle sein Verlag dabei spielen solle. Auch er war innovativ. Das kam – beabsichtigt oder nicht – an die Öffentlichkeit. Ein journalistischer Sturm der Entrüstung war die Folge. Verständlich, aber wohl nicht in allen Fällen nur berufsethisch begründet. Von industriell produzierten Indiskretionen zu schwadronieren, ist ohne Kenntnis der einschlägigen Kommunikation zwischen Verlagschef (Walder) und Kommunikationschef (Lauener) im jetzigen Zeitpunkt der vielen Ungewissheiten eine Frechheit.

Als Medien konsumierender, politisch interessierter Bürger kam ich mit einer respektablen Mehrheit der Bevölkerung zur Überzeugung, dass die Regierung, die Verwaltung und die Kantone ihre Sache insgesamt gut gemacht haben. Einen Anlass für einen Rücktritt von Gesundheitsminister Alain Berset kann ich nicht erkennen.

Dass die leitenden Kommunikatoren und ihr «Steuermann» Lauener im Hintergrund ein positives Ranking erzielten, ist normal, wie bei anderen Influencer:innen (mit weit weniger Verantwortung allerdings) auch. Warum gerade die Partei, deren abtretender Finanzminister Ueli Maurer  mit populistischen Anbiederungen bei den Impfgegnern Punkte für die SVP sammelte, nun fordert, der immer noch populäre Innenminister  Alain Berset (derzeit auch Bundespräsident) solle zurücktreten, ist ebenfalls eine Anmassung, die ihr nicht zusteht.

Sicher ist heute schon eines: Regierung und Parlament, aber auch die Bevölkerung haben noch etwas Zeit, sich ihr Verhalten in Pandemie-Zeiten gut zu überlegen. Wenn das Land diese vernachlässigte Seite des Zusammenlebens von politischen Institutionen, Medien und Bevölkerung nicht rasch überarbeitet und ordnet, dann kann es gefährlich werden, wenn aus dem regionalen ein kontinentaler Krieg entstehen würde. Von wem auch immer das Diktum stammt: «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben – oder die Geschichte».

Das gilt auch in diesem Zusammenhang.

Peter Graf, Bern


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/