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Kolumne der Redaktion01.12.2022 Wie ihr Sohn Thomas und ihre Töchter Irene und Nicole in der Hofkirche Annemarie Kurzmeyer-Christ würdigtenEtwa 300 Personen haben am Montagmittag (28. November) an der Trauerfeier für Annemarie Kurzmeyer-Christ in der Hofkirche teilgenommen; darunter Stadtpräsident Beat Züsli (SP) und die Stadträte Martin Merki (FDP) und Adrian Borgula (Grüne); ebenfalls mehrere Altstadträte wie Franz Müller, Die Mitte), Ruedi Meier (Grüne), Kurt Bieder (FDP) sowie Urs W. Studer (parteilos), von 1996 bis 2002 direkter Nachfolger von Franz Kurzmeyer (Stapi von 1984 bis 1996).Der Sohn des Ehepaars Kurzmeyer, Thomas Kurzmeyer, würdigte Leben und Wirken seiner Mutter in einer eindrücklichen Rede, die er zusammen mit seinen Schwestern Irene und Nicol verfasst hatte. Dieser Text dürfte über den Kreis der Trauergäste vom Montag hinaus interessieren. Die Würdigung unterstreicht, was so vielen Leuten in dieser Stadt immer wieder aufgefallen ist und was wohl auch die Persönlichkeit von Franz Kurzmeyer entscheidend prägte und über Jahrzehnte begleitete: Annemarie und Franz Kurzmeyer waren ein Paar, das für einander geschaffen war. Thomas Kurzmeyer hat lu-wahlen.ch das Manuskript freundlicherweise zur Verfügung gestellt. (hrf) --- Sie war eines der wenigen Mädchen ihres Jahrgangs, das die Matura gemacht hat. Dafür musste sie nach Luzern reisen. Früh aufstehen war allerdings als Jugendliche nicht ihr Ding und der Buschauffeur wartete auf dem Dorfplatz mitunter noch ein bisschen, weil er wusste, dass «Christs Annemarie» eventuell auch noch anzurennen kommt. Das Mädchengymnasium bot aber keine Matura an und deshalb mussten die Mädchen für die letzten zwei Jahre ans Bubengymnasium. Ob es wirklich ein Müssen war, sei mal dahingestellt, aber jedenfalls stand Mami dort am ersten Tag mit einigen Kolleginnen etwas nervös vor der Türe. Und es war der galante Franz Kurzmeyer, schon damals ganz Gentleman, der sie ihnen öffnete und die jungen Frauen in der Klasse willkommen hiess. In der Klasse nannte man sie «Christkindli» und wohl nicht nur, weil sie Christ hiess, sondern weil der Name auch sonst passte. Gemäss ihrer Freundin und Klassenkameradin Iris war sie damals so etwas wie die Seele der Klasse und auch später hartnäckig dafür besorgt, dass diese bis heute einen engen Zusammenhalt behalten hat. Unser Mami wiederum dachte sich damals: «Der Kurzmeyer ist auch noch interessant und sieht auch gut aus – wenn er nur nicht so dünn wäre.» Beide haben dann beziehungsmässig jedoch erstmal andere Optionen wahrgenommen, möglicherweise mehr als eine – gewisse Sachen muss man ja als Kind auch nicht so genau wissen. Mami nutzte die Zeit nach der Matura aber auch, um sich zur Lehrerin ausbilden zu lassen und erste Berufserfahrungen zu sammeln. Unser Papi studierte unterdessen Jus und legte Gewicht zu. Irgendwann kreuzten sich ihre Wege wieder und er kam zur Erkenntnis: «Eigentlich sollte ich eine Frau wie das Christkindli haben.» Und tatsächlich, irgendwie schaffte er das, wie so vieles, das er sich im Leben vorgenommen hat. Im September 1960 heirateten die beiden und im März 1961 kam ich zur Welt. An ihrem zwöften Hochzeitstag verfügte ich dann über genug Grundkenntnisse in Mathematik und Biologie, um spontan zu fragen, ob ich ein «7-Monats-Kind» gewesen sei. Der Antwort durfte ich entnehmen, dass ich selbst auch schon früh einen Beitrag zu dieser ausgezeichneten Ehe geleistet habe. Wir wohnten damals in Stans, in Mamis Elternhaus, und für mich war das genial. Ich hatte mein eigenes kleines Wäldchen im Garten und brachte mir autodidaktisch bei, immer höher gelegene Äste zu erklimmen. Mami war diesbezüglich gelassen wie wohl nur wenige Mütter. Für sie waren meine Klettertouren ganz normal, aber als mal eine Freundin zu Besuch war und ich den beiden als etwa Fünfjähriger auf Höhe des zweiten Stocks vom Baum vis-a-vis zuwinkte, hat mich fast der Schlag getroffen. Heute würde man mich wohl der KESB melden, aber dass ich bis heute selbst auf eher schmalen Bergwegen ziemlich entspannt unterwegs bin, habe ich sicher zu einem guten Teil meiner Mutter zu verdanken. Meine Schwester Irene kam 1965 zur Welt und bald nach ihrer Geburt übersiedelten wir nach Luzern, weil unser Vater eine Stelle am Obergericht antreten konnte. Dort komplettierte 1968 Nicole die Familie. Und als die Jüngste dann alt genug für den Kindergarten war, kehrte Mami als Fachlehrerin für Englisch in den Beruf zurück. Bis zum Amtsantritt von Papi als Stadtpräsident unterrichtete sie an der Sekundarschule und das mit viel Freude und Engagement. Vermutlich auch mit Erfolg – das könnte Nicole vielleicht am besten bestätigen, da sie jeweils beim Ausrechnen der Noten helfen durfte. Wahrscheinlich wurde dabei auch der Grundstein dafür gelegt, dass beide Töchter selbst Lehrerinnen wurden. Unsere Eltern führten eine über 60-jährige Ehe und sie machten dabei, da sind wir Kinder uns einig, und sorry, dass ich das auch in der Kirche so formuliert habe, einen verdammt guten Job. Sie haben sich gegenseitig respektiert, ausgezeichnet ergänzt, viel zusammen unternommen und beiden war es wohl in der Gesellschaft des anderen. Sie sagte immer: «Also ein langweiliger Mann, das wäre für mich nie in Frage gekommen.» Langweilig war Papi als Ehemann ganz bestimmt nie. Seine starke Persönlichkeit, seine lebendige, temperamentvolle Art ergänzte sich perfekt mit ihrem ruhigen, eher rationalen Wesen. Seine Intelligenz und sein umfangreiches Wissen faszinierte sie und in unserem Elternhaus waren spannende Diskussionen über Politik, Geschichte, gesellschaftliche Fragen und vieles andere an der Tagesordnung. Sie hat ihn auch beruflich auf alle nur denkbaren Arten unterstützt. Familienintern legendär sind Episoden wie der Aufbruch zur Saisoneröffnung im KKL: Unsere Mutter schon lange parat, unser Vater halb angezogen – nach diversen Kleidungsstücken suchend – seine unmittelbar bevorstehende Rede diktierend, die sie parallel dazu auf der Schreibmaschine eintippte. Sie waren ebenbürtige, gleichwertige Partner und ein partnerschaftlicher Erfolgsfaktor war die Fähigkeit unserer Mutter, sich gut abgrenzen zu können. Wenn ihr etwas wirklich wichtig war, machte sie kaum Kompromisse. Der wöchentliche Ballettunterricht beispielsweise war während Jahrzehnten sakrosankt und man kann vermutlich an einer Hand abzählen, wie oft sie dort fehlte. Gleichermassen engagiert war sie später in ihrem englischen Literaturzirkel. Sie las immer extrem gerne, aber noch wichtiger war ihr die Musik. Sie spielte ausgezeichnet Klavier, nahm bis über 80 auch noch regelmässig Klavierstunden und in einem anderen Leben wäre sie vielleicht Pianistin geworden. Beim Klavierspielen vergass sie manchmal alles um sich herum. Spaghetti beispielsweise, die sie einmal beim Proben einer besonders schwierigen Passage nicht einfach verkochen, sondern verbrennen liess. Man darf an dieser Stelle auch anfügen, dass die Kulinarik ursprünglich nicht zu ihren ganz zentralen Interessen zählte. Angefangen beim Salat: Damit ich als Kind wenn schon kein Gemüse, dann wenigstens etwas Grünes essen würde, hat sie ihn mit reichlich Zucker überstreut. Davon profitiert meine Zahnärztin bis heute. Unvergesslich bleibt mir auch Irene, die als etwa Fünfzehnjährige von einer Einladung bei Ihrer Freundin Claudia nach Hause kam und nachdenklich für sich resümierte, dass sie gar nicht gewusst habe, dass man zuhause so gut essen könne wie in einem Restaurant. Dass Mami gewisse Freiräume brauchte, die zu akzeptieren waren, lernten auch wir Kinder schnell. Zum Beispiel Ihre Teestunde am Mittag. Schon als wir klein waren, zog sie sich dann ins Wohnzimmer zurück, mit ihrem geliebten Schwarztee und der Zeitung. Die Türe wurde zugesperrt und während einer Stunde liess sie sich von nichts und niemandem stören. Dieses Ritual zog sie bis ins hohe Alter durch, auch wenn die Türe irgendwann nicht mehr verschlossen wurde. Aber wenn wir sie brauchten, dann war sie für uns da. Beratend, unterstützend oder auch mal intervenierend, wenn wir alleine nicht weiterkamen. Davon könnten diverse Handarbeits-, Zeichen- und KlassenlehrerInnen aller Kinder Zeugnis ablegen, an deren Namen wir uns heute nur noch erinnern, weil Mami ihre Empörung über deren Versagen bis heute noch ab und zu kundtat. So wurde ich beispielsweise davor bewahrt, als sowieso schon grösster Kindskopf der Klasse noch eine weitere zu überspringen. Und Nicole verdankt es auch Mamis Hartnäckigkeit, dass sich ihr Traum vom Lehrerberuf nach Anfangsschwierigkeiten doch noch erfüllte. Und als wir selbst Eltern wurden, wurde Mami zu einem unverzichtbaren, grossartigen Grosmami. Zuerst 1996 mit Jan, und als dann im Jahresrhythmus Till, Liam, Nils und Flynn dazukamen, war sie glücklich und stolz auf diese Enkelschar. Und sie entlastete zusammen mit Opa sowohl Karen und mich wie auch Nicole und Christoph ungemein: Einmal pro Woche war «Grosmamitag», mit «Büechli» vorlesen, «Guetzli» backen, Spielzeuge zusammenbauen, Waldspaziergänge unternehmen, Lieblingsmenüs kochen, Zeit im Lido verbringen und so weiter. Ab und zu durften die Jungs sogar bei den Grosseltern übernachten. Alle Enkel sind sich deshalb sicher, dass sie die weltbeste Grosmutter hatten. Umgekehrt hatte Grosmami auch perfekte Enkel. Die konnten in ihren Augen nichts falsch machen, und Fehler hatten sie sowieso keine. Unser Mami war eine intelligente, vielseitig begabte Frau. Sie führte die Finanzen des Haushalts und füllte die Steuererklärungen aus. Sie kompensierte auch die spektakuläre handwerkliche Unfähigkeit der kurzmeyerschen Seite der Familie, ersetzte Glühbirnen, hängte Bilder auf, strich Kommoden an, setzte Ikeamöbel zusammen. Im Chalet im Wirzweli, das sie 1975 zusammen mit ihrer Schwester Margret erwarb, und wo wir zusammen mit der Familie Blättler viele coole Winterferien verbrachten, war es auch meistens sie, die bei Minus 7 Grad im Haus das elende Geschwür von einem Ölofen irgendwie doch noch in Gang brachte. Sie blieb neuen Technologien gegenüber immer aufgeschlossen, nutzte fleissig ihr «iPhone», kommunizierte per E-Mail und in «Whatsapp»-Gruppen und las ihre Bücher nach dem 80. Geburtstag fast nur noch auf dem «Kindle». Irene erwähnte in diesem Zusammenhang, dass ihr die Mutter die absolute Sicherheit mitgegeben habe, dass Frauen das alles auch könnten. Zumindest im Prinzip, da ihr selbst diese Fähigkeiten leider nicht in die Wiege gelegt worden seien. Unsere Eltern haben miteinander für uns ein wunderbares Zuhause geschaffen. Wir konnten geliebt, geschätzt und gefördert aufwachsen – immer in der absoluten Sicherheit, dass wir zu 100 Prozent auf sie zählen konnten, wenn wir mal ein echtes Problem hatten. Und unsere Mutter blieb nicht nur für unseren Vater, sondern für uns alle der ruhende Pol und die Seele der Familie. Sie war auch bis zuletzt quasi unser News-Channel: Sie wusste immer, wer ihrer Kinder und Enkel was macht, und hielt uns so alle auf dem Laufenden. Und so haben wir uns in unserem Elternhaus auch stets zuhause und willkommen gefühlt. Wenn sie denn dort waren. Spontanbesuche waren nämlich oft vergebene Liebesmüh. Bis «Corona» kam, stand ich in ungefähr 50 Prozent der Zeit vor verschlossenen Türen, wenn ich abends auf einer Joggingrunde oder auf der Heimfahrt von Zürich beschloss, noch rasch vorbeizuschauen. Während des Lucerne Festivals sogar eher in 100 Prozent der Fälle. Die beiden blieben bis ins hohe Alter wunderbar aktiv, haben sich kulturell und gesellschaftlich engagiert und immer noch viel zusammen unternommen. So haben sie uns jahrzehntelang eine tolle Beziehung vorgelebt, auf dem Fundament grosser Liebe und tiefen Vertrauens zueinander. Bis zuletzt, in der «Sonnmatt», wo es Mami ausgezeichnet gefallen hat und wo mit einer aufmerksamen, guten Betreuung dafür gesorgt wurde, dass sie weiterhin genug Kraft und Energie hatte, um in so vielem für Papi da zu sein. Das Mami, das Grosmami zu verlieren ist hart für uns alle. Es tröstet ein bisschen zu wissen, dass sie zu gehen bereit war. Sie konnte sich mit ihrer positiven Lebenseinstellung zwar immer wieder aufraffen, doch der langsame Verlust ihrer Fähigkeiten und die Einschränkungen ihrer Selbstständigkeit machten ihr zu schaffen. Mehr als einmal sagte sie: «Es längt, ich könnte jetzt eigentlich gehen.» Als sie das Nicole gegenüber zum ersten Mal so äusserte, antwortete die etwas betroffen: «Aber Mami, das geht nicht, ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen». Und sie erwartete eine tröstende, beruhigende Antwort. Doch Mami sagte in ihrer typischen, trockenen Art: «Das muesch denn halt!» Ja, das müssen wir nun halt. Dass das so schwierig ist, beweist aber auch, wie dankbar wir sein müssen, dass wir sie alle so lange mit uns haben durften. Teilen & empfehlen:Kommentare:Keine EinträgeKommentar verfassen:Letzte Beiträge von Herbert Fischer:
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Über Herbert Fischer:Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.
1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer: Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer: |