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Kolumne der Redaktion

03.09.2022

Professor erklärt, warum die Sichtbarkeit der LGBTQ-Szene so wichtig ist – mit Bildern von der Pride 2022 vor dem Theater

Erstmals nach 17 Jahren hat in Luzern wieder eine Pride stattgefunden, ein Event der LGBTQ-Bewegung. Sie startete mit einer Demo vor dem Theater, wo Stadtpräsident Beat Züsli und der Basler Psychologieprofessor Udo Rauchfleisch zu mehr als tausend Menschen sprachen.


Mehr als tausend Personen trafen am Samstagabend vor dem Theater ein, um beim Auftakt zur Pride dabei zu sein. Sie führte von hier aus zum «Bourbaki» wo eine Party stieg.

Stadtpräsident Beat Züsli zeigte sich stolz, dass Luzern als Austragungsort auserwählt worden ist. Er erinnerte daran, dass das Luzerner Stimmvolk gegenüber den LGBTQ-Anliegen positiv eingestellt ist. Links: Der emeritierte Basler Psychologieprofessor Dr. Udo Rauchfleisch. Er unterstrich in seiner Ansprache, wie wichtig die Sichtbarkeit der LGBTQ-Anliegen in der Oeffentlichkeit ist.

Schrill und schräg: Verkleidungen und Rollenspiele - mit dem eigenen wie auch mit dem anderen Geschlecht - gehören zu dieser Szene, aus der sich manche AktivistInnen auch gegenüber Medienschaffenden selbstbewusst und im Sinne ihrer Anliegen treffsicher auszudrücken wissen.

Bilder: Herbert Fischer

Stadtpräsident Beat Züsli zeigte sich erfreut, dass Luzern nach 17 Jahren wieder Gastgeberstadt der Pride sein darf. Er erinnerte: «Politisch ist viel passiert in den letzten Jahren zu den Themen der Gleichstellung oder dem Abbau von Diskriminierungen. Mit dem Ja zur "Ehe für alle" ist eine längst überfällige rechtliche Ungleichstellung im Schweizer Zivilrecht angepasst worden. 64 Prozent der an der Abstimmung teilgenommenen Schweizer Bevölkerung hat der Gesetzesänderung zugestimmt, in der Stadt Luzern waren es sogar 76 Prozent. Die "Ehe für alle" ist ein wichtiger Meilenstein in der Gleichstellung der Menschen, aber sicher nicht der Schlusspunkt.»

«Aufgabe unserer städtischen Politik», so Züsli weiter, sei es, «sich ständig mit möglichen Diskriminierungen auseinanderzusetzen und diese dann abzubauen. Einfluss nehmen können wir zum Beispiel bei der Bildung an unserer Volksschule. Hier sind wir aktiv mit Beizug von Fachorganisationen den Kindern das bunte, vielfältige Geschlechterspektrum zu vermitteln. Oder wir bauen die Infrastruktur schrittweise um, damit die Wahl der Garderoben und WC’s für alle kein Problem mehr ist. Es sind kleine, aber wichtige Schritte.»

Wenn wir uns mit anders denkenden, anders handelnden, anders fühlen-den, anders politisierenden Menschen auseinander setzten, werde oft der Begriff «Toleranz» gebraucht. Gemeint sei dass man die Andersartigkeit toleriere. Der vor ein paar Jahren verstorbene Basler Philosoph Hans Saner habe sich in seinem Aufsatz «Von der Toleranz zur Differenzverträglichkeit» kritisch mit dem Begriff «Toleranz» befasst. Wortgeschichtlich heisse «Toleranz» «Duldung», älter sogar «Erduldung».

Der Stadtpräsident dazu: «So gesehen toleriert man etwas, das man eigentlich ablehnt. Man erträgt es einfach. Toleranz reicht nicht. Wir müssen die anderen Menschen anerkennen. Wir müssen die Menschen respektieren. Saner sagt, wir müssen differenzverträglich werden. Ich sage: Wir sollten besser Differenzen nicht bloss ertragen, sondern uns daran freuen.»

Er sei «nicht nur erfreut, Teil dieses regenbogenbunten Fests hier zu sein. Ich bin auch stolz, hier zu sein. Ich bin anders als du und du, als sie, als er. Und doch fühle ich mich euch verbunden. Das seid ihr alle auch untereinander. Die Pride ist darum euer Fest, das ist eure Demo. Euch allen wünsche, ich gehört zu werden und dann ein ausgelassenes Fest. Unserer Gesellschaft wünsche ich viele Freude an allen Differenzen und an der Buntheit.»

Mit Spannung erwartete das Publikum den Auftritt des emeritierten Basler Psychologieprofessors Udo Rauchfleisch, einer der prominentesten Aktivisten in der Gay-Community der Schweiz. Er fragte einleitend: «Braucht es Prides an verschiedenen Orten der Schweiz?» Und antwortete: «Ja, unbedingt! Es geht darum, dass queere Menschen an verschiedenen Orten immer wieder sichtbar werden. Es geht darum, sich nicht zu verstecken, sondern sichtbar zu sein. Denn sich zu verstecken, erzeugt Verheimlichungsstress, eine der am schwersten zu ertragenden Stressarten mit fatalen Folgen wie Ängsten, depressiven Entwicklungen, psychosomatischen Störungen und Suizidalität.»

Warum aber ist Sichtbarkeit für die Menschen und ihre Szene wichtig? Dazu Udo Rauchfleisch:

«Erstens erleichtert sie queeren Heranwachsenden das Coming Out, das – wie viele Studien zeigten – nach wie vor schwierig für sie ist: «So leiden queere Jugendliche gegenüber anderen Jugendlichen deutlich vermehrt unter Ängsten, Depressionen, psychosomatischen Störungen und Suizidalität.»

Zweitens sei Sichtbarkeit für die queere Community wichtig, weil sie queeren Menschen zeigt und bewusst macht, dass sie nicht allein sind, sondern Teil einer grösseren Gemeinschaft («Family»): «Dies stärkt ihr Identitätsgefühl“, so Rauchfleisch.

Und drittens nehme die Mehrheitsgesellschaft wahr, dass es eine grosse Zahl queerer Menschen gibt, die in ihrer Mitte leben: «Um die Sichtbarkeit älterer queerer Menschen zu erhöhen, haben wir in Basel den Verein „queerAltern Region Basel“ gegründet, in dessen Vorstand ich mitwirke.»

Udo Rauchfleisch weiter: «Sichtbarkeit queerer Menschen führt auf der einen Seite zu mehr Akzeptanz. Sie kann aber auch zu Aggression und Hass ihnen gegenüber führen. Dies geschieht vor allem dann, wenn eine Gruppe verstärkt in der Öffentlichkeit sichtbar wird und Rechte für sich einfordert. Hass und Ausgrenzung richten sich in jüngster Zeit vor allem gegen trans* Menschen. Dies hängt wohl in erster Linie damit zusammen, dass trans* Menschen nach extremer Fremdbestimmung in ihrem Leben endlich – seit dem 1. Januar 2022 – in der Schweiz wenigstens in einer Hinsicht freier geworden sind, nämlich dass sie nun ohne Vorlegen von Gutachten beim Zivilstandsamt die Änderung ihres Vornamens und ihres Geschlechtseintrags beantragen können“.

Wie die Gewalt gegen queere Menschen zeigt, müssen mit der grösseren Sichtbarkeit aber auch mehr staatliche Sicherheitsvorkehrungen und Schutz vor Diskriminierungen garantiert werden.»

Der achtzigjährige, emeritierte Psychologieprofessor formulierte einen Wunsch an die Community: «Der Regenbogen ist ein Symbol für die Vielfalt, Hinweis darauf, dass in der queeren Community eine Vielzahl verschiedener Menschen zusammenlebt. Lasst die gegenseitige Akzeptanz in der Community grösser werden und lasst uns die „Grabenkämpfe“, die zum Teil immer noch bestehen, beenden. Wenn wir uns zusammenschliessen, sind wir stark. Möge die Pride Zentralschweiz dazu beitragen!»

(hrf)


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/