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Kolumne der Redaktion

02.02.2022

Warum eigentlich redet niemand in diesem Abstimmungskampf von den «Staatsbauern»?

Seit Wochen beschallt ein rechtsbürgerliches Komitee das Land mit dem Reizwort Staatsmedien. Es verkündet in Inseraten, auf Plakaten und in anderlei Werbemitteln lautstark, «Medien-Millionäre» würden mit «Steuer-Milliarden übergossen, falls am 13. Februar das sogenannte Medienpaket angenommen werde.


So wettert das Referendumskomitee gegen die Medienförderung, wie sie am 13. Februar 2022 vors Volk kommt. Das Plakat zeigt (von links) die drei Grossverleger Michael Ringier, Pietro Supino (Tamedia) und Peter Wanner (CH Media) und bezeichnet sie als «Medien-Millionäre». Es unterstellt, sie erhielten «Steuermilliarden», falls die Vorlage angenommen würde.

Das ist sachlich absolut falsch! Und höchst erstaunlich, denn das NEIN-Komitee besteht nicht aus Leuten, die bislang gegen die Interessen des Grosskapitals gekämpft haben.

Zeitungsständer im Luzerner Bahnhof, aufgenommen im Mai 2011. «Die Region», vormals «Heimat» (am rechten Bildrand oben), gibts bereits nicht mehr. Lokale und regionale Zeitungen sind allerdings entscheidende Voraussetzungen, dass sich die BürgerInnen eigene Meinungen und so bei Wahlen und Abstimmungen miteintscheiden können.

Universitäten und Hochschulen werden zwar vom Staat geführt und finanziert, sind aber auf Zuwendungen privater Sponsoren geradezu angewiesen. Sie deklarieren aber klar, dass die Freiheit von Lehre und Forschung nicht gefährdet sein darf. Dennoch kommt es deswegen immer wieder zu Konflikten.

Siehe dazu unter «In Verbindung stehende Artikel».

Im Dunklen ist gut munkeln: Beim neu und auf privater Ebene gegründeten Institut für Wirtschaftspolitik (IWP), das eng mit der Uni Luzern zusammenarbeitet (im Bild), ist nicht bei allen Geldgebern klar, wer sie sind; Transparenz geht anders.

Professor Alfred Richli war der Gründungsrektor der Uni Luzern. Er machte sich auch als Beschaffer sogenannter «Drittmittel» (Spenden Privater) an die Uni einen Namen. Dabei legte er zwar Wert auf Transparenz. Es gelang ihm aber nicht immer.

Siehe dazu unter «Links».

Die Subventionen an die Landwirtschaft sind an klare Bedingungen geknüpft. Haben wir deswegen «Staatsbauern»?

Bund, Kantone und Gemeinden pumpen Millionen in den Tourismus, vor allem in die Bewerbung von Zielgruppen in ausländischen Märkten. Haben wir deswegen «Staatshoteliers» und «Staatsbeizer»?

Bildkommentare und Bilder: Herbert Fischer

Nicht alle der dreisten und verunglimpfenden Behauptungen der Leute, die besagtes Medienpaket mittels Referendum nun zu Fall bringen wollen, haben die Ehre einer Replik verdient. Weil es aber im laufenden Abstimmungskampf offensichtlich besonders «verfängt», ist das Wort Staatsmedien hier eine nähere Betrachtung (und Entzauberung) wert. Das Referendums-Komitee behauptet nämlich mehr oder weniger unverhohlen, indem der Staat Medien subventioniere, wolle er auf deren Inhalte Einfluss nehmen; er strebe also «Staatsmedien» an.

Tatsache ist: Der Staat subventioniert – bezüglich der inkriminierten «Medien-Millionäre» Michael Ringier, Pietro Supino und Peter Wanner (siehe Bild rechts) – die Zustellungskosten ihrer Printprodukte («Indirekte Presseförderung»). Und das tut er seit 170 Jahren. Nie, aber auch gar nie, ist seither irgendwann, irgendwo oder irgendwie die Klage erschallt, er erwarte deswegen irgendwelche journalistischen Gegenleistungen; etwa die besonders pflegliche Behandlung dieser oder jener politischen Position von Regierung und (beziehungsweise oder) Parlament.

Aus Gründen, die – hier auf lu-wahlen.ch ebenso wie anderswo – längst hinreichend kommuniziert worden sind, rechnet sich das Geschäftsmodell Print, also Herstellung und Vertrieb gedruckter Medien, seit Jahren nicht mehr richtig.

Die Stichworte dazu (neben anderen): Verheerender Inserate-Einbruch als Folge des Abflusses von LeserInnen an ausländische Konzerne wie Google und Facebook; immense Einbrüche bei den Auflagen der Zeitungen und Zeitschriften; «Gratis-Kultur» («20 Minuten», «nau», Online-Angebote); generell ein verändertes Medienkonsum-Verhalten. Die Folgen sind bekannt: Landauf landab sind Blätter fusioniert, redimensioniert, mit anderen eng vernetzt (und teils in sie integriert) oder sogar eingestellt worden (siehe unter «In Verbindung stehende Artikel» und unter «Dateien»).

Auf der Ausgabenseite sind die Vertriebskosten für Printprodukte ein enormer Posten.

Konkret sind – falls das «Medienpaket» angenommen wird – für die Zustellung abonnierter Zeitungen 20 Millionen Franken mehr als bisher (30 Mio.) vorgesehen. Die Medien von Vereinen und Verbänden erhielten 10 Millionen mehr als bisher für ihre Zustellungskosten (bisher 20 Mio.). Neu flössen 40 Millionen in die Unterstützung für die Kosten von Frühzustellungen (vor allem Sonntagszeitungen), die heute gar nichts erhalten. Für Onlinemedien würden (unter bestimmten Voraussetzungen) neu 30 Millionen Unterstützungsbeiträge zur Verfügung stehen (heute: keine Unterstützung). Siehe dazu auch unter «In Verbindung stehende Artikel».

28 Millionen gingen zusätzlich an lokale und regionale Radio- und TV-Stationen, die bisher bereits 81 Millionen aus den Radio- und TV-Gebühren erhalten.

Und mit 23 Millionen – immer: falls das Medienpaket am 13. Februar die Gnade des Souveräns findet – förderte der Bund fortan die Aus- und Weiterbildung von Medienschaffenden, die Nachrichten- und Bildagentur Keystone-SDA sowie die Arbeit des Presserates, des Ethik-Gremiums der Schweizer Medien (bisher für all das zusammen 5 Mio.).

Indem er all diese Leistungen erbringen will, drückt der Staat sein (berechtigtes) Interesse an einer vielfältigen, unabhängigen und lebensfähigen Medienlandschaft aus; also an einer elementaren Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie.

Diese Medienlandschaft, so ausgedünnt sie in den letzten Jahren auch sein mag, erbringt nämlich jenen Service, der es den BürgerInnen erst ermöglicht, sich als mündige Persönlichkeiten unabhängig eigene Meinungen zu bilden, um bei Wahlen und Abstimmungen mitzuwirken; sie bilden das soziale, kulturelle und sportliche Leben ab und tragen so zum Zusammenhalt der Gesellschaft bei; sie sind unerlässlich, damit sich die Wirtschaft in all ihren Varianten präsentieren und ihre Leistungen und Produkte anbieten kann; und und, und.

Warum bloss wird «der Staat» hier derart hemdsärmelig und faktenfrei als Feindbild vorgeführt, der die Medien unterjochen wolle, um ihnen befehlen zu können, worüber und wie sie zu berichten hätten?

Merkwürdigerweise ist im Vorfeld dieser Abstimmung allerdings so gut wie nichts darüber zu lesen, mit welch immensen Beträgen selbiger Staat die Landwirtschaft subventioniert. Sind die Empfänger dieser Subventionen deswegen «Staatsbauern», ihre Betriebe somit LPG, landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften? Kommunismus pur?

Merke: Medien beziehen Subventionen vom Staat, also sind sie Staatsmedien – Bauern beziehen Subventionen vom Staat, also sind sie Staatsbauern. So einfach wäre dies, falls die Rundumschläge dieses Referendumskomitees betreffs «Staatsmedien» so etwas wie Wahrheit enthielten. So ganz nebenbei: «Der Staat» knüpft seine Subventionen an die Landwirtschaft an ziemlich restriktive Bedingungen.

Man lese, was nur schon die Voraussetzungen für Direktzahlungen sind:
2019.agrarbericht.ch/de/politik/direktzahlungen/anforderungen-fuer-direktzahlungen

Oder wie ist das eigentlich genau mit der Forschung? Lässt sie sich «von Bern» vorschreiben, was sie gefälligst zu erforschen hat (und was nicht)? Dies als Gegenleistung für die -zig Milliarden, die sie jahrein jahraus «vom Staat», dem schrecklichen, erhält?

Oder wie ist das eigentlich genau mit dem Tourismus? Wie viele Millionen pushen Bund, Kantone und Gemeinden in dessen Institutionen rund um den Erdball, damit sie dort bestimmte Märkte bewerben können? Falls potentielle Gäste dort Gefallen finden an der Schweiz: Logieren sie dann in unseren «Staatshotels», verköstigt durch unsere «Staatswirte», «Staatsköche» und «StaatskellnerInnen»?

Oder wie ist das eigentlich genau beim Sport? Sind SportlerInnen, die dank staatlicher Förderung Höchstleistungen erbringen und unser Land gar an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen vertreten deswegen «Staatsamateure» wie weiland die Stars aus der DDR und der Sowjetunion?

Oder, oder, oder …

Man sieht: Die Beschimpfung als «Staatsmedien» trägt zwar nicht dazu bei, deren Wirken als Dienst an der Allgemeinheit – ihren Service public also – zukunftsfähig zu machen. Aber sie eignet sich zwecks Befeuerung populistischer Feindbilder.

Immerhin vermittelt uns das Referendumskomitee mit seiner Kampagne gegen das Medienpaket auch so etwas wie Hoffnung. Wenn es sich in dieser Thematik sosehr um Abhängigkeiten als Folge von finanziellen Zuwendungen sorgt (eben: von wegen «Staatsmedien»), wird es sicher bald an vorderster Front für die «Transparenz-Initiative» kämpfen; zum Beispiel. Und sich, anderes Beispiel, wie wild dagegen wehren, dass noch mehr Gratisblätter von Grossgönnern wie Christoph Blocher abhängig sind (siehe dazu Beiträge unter «In Verbindung stehende Artikel»). Neue Zeiten brechen an!

Neckisch: Einer, der am lautesten gegen das Medienpaket bellt, ist der Zürcher SVP-Nationalrat Roger Köppel, Verleger und Chefredaktor der «Weltwoche». Allein sie hat vom Oktober 2020 bis September 2021 vom Bund sagenhafte 355 000 Franken zur Unterstützung der Vertriebskosten (voilà: «Indirekte Presseförderung») erhalten. Somit ist die «Weltwoche» – in der Logik Köppels und seiner Mitstreiter – fraglos ein «Staatsmedium» (siehe unter «In Verbindung stehende Artikel»: Eintrag vom 2. Januar 2022).

Herbert Fischer, Gründer und Redaktor lu-wahlen.ch, Mit-Unterzeichner des Abstimmungsaufrufs des Luzerner Komitees für das Medienpaket, Luzern


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/