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Kolumne der Redaktion

14.12.2021

Als Jagdhund unterwegs: Erinnerungen an turbulente «Tagblatt-Zeiten»

Der Luzerner Fotograf und Herausgeber Emanuel Ammon wartet rechtzeitig zu Weihnachten mit einem neuen Buch auf. Es beleuchtet die Geschichte des «Luzerner Tagblatts», des einstigen Organs der Luzerner Liberalen. Hier folgt einer der zahlreichen, höchst lesenswerten Beiträge; einer von Karl Lüönd, der in den Sechzigerjahren an der Baselstrasse eine steile journalistische Karriere startete.


Diese Bilder stammen aus dem «Tagblatt-Buch», das - neben anderen - Texte von Karl Lüönd enthält.

Die Redaktion des Luzerner Tagblatts und die Buchdruckerei Keller waren an der Baselstrasse 11 /13 zuhause. Im Vordergrund des Bildes aus dem Jahr 1983 beginnt links die Bruchstrasse.

Drei Maschinensetzer - in den Dreissiger Jahren - an der «Monotype» an der Arbeit.

Die Metteure, welche aus den Blei-Zeilen - von den Manuskripten der Redaktion abgeschrieben durch die Maschinensetzer - die Zeitungsseiten gestalteten, mussten «Spiegelschrift» lesen können; alles war seitenverkehrt, weil davon nachher Matrizen entstanden, mit welchen mittels einer Blei-Zink-Legierung die Druckzylinder gegossen wurden. Sie druckten nachher auf der Rotationsmaschine die Zeitung.

Bilderseite zum Bahnhofbrand vom 5. Februar 1971 mit Aufnahmen von Ernst Scagnet, Bruno Voser, Hanspeter Bertschy, Hans Ries und einer Luftaufnahme der Agentur Comet.

So berichtete das «Tagblatt» über den Brand des Restaurants Dietschiberg am 26. April 1977.

Arbeitsplatz eines Tagblatt-Redaktors im Jahr 1937.

Bild aus dem Jahre 1981: Redaktorin und Kultur-Expertin Eva Roelli-Wolff in ihrem Büro im Dachstock. Sie galt bis zu ihrem Tod im Jahr 2020 als Grand Old Lady unter den Luzerner Medienschaffenden.

Ebenfalls eine Ikone war Redaktor Hans Peter Jaeger, den in seinem Text (links) Karl Lüönd als Lehrmeister würdigt.

Siehe dazu auf dieser Seite unter «In Verbindung stehende Artikel» den Beitrag vom 11. November 2016 von Herbert Fischer: Abschied von einem grossen Journalisten und Liberalen der alten, edlen Art.

Emanuel Ammon im Jahr 1980 (damals 29 jährig) unterwegs mit zwei klassischen (analogen) Nikon-Kameras. Auf Digitaltechnik stellte er erst 2005 um, stieg aber auf die (ebenfalls japanische) Marke Canon um.

Karl Lüönd, der Autor des nebenstehenden Artikels aus dem «Tagblatt»-Buch (*1945, aus Flüelen) startete in den Sechziger Jahren eine steile journalistische Karriere beim «Tagblatt». Er erinnert sich: «Hans-Peter Jaeger war ein leiser und genauer Lehrmeister. Er hat uns jungen Reportern jeden Tag beigebracht, die eigenen Geschichten mit Augenmass zu bearbeiten. Er hat mich überall hingeschickt, vom Mord bis zur Modeschau. Und er hat mich vor allem davor bewahrt, eine politische Karriere einzuschlagen. Sonst wäre am Ende noch aus dem Littauer Einwohnerrat ein Politiker hervorgegangen, was mit der journalistischen Mission nicht vereinbar gewesen wäre.»

Dieses Bild von Karl Lüönd entstand am 17. November 2016 nach der Abschiedsfeier für Hans Peter Jaeger vor der Matthäuskirche.

Bild: Herbert Fischer

Der Medienwandel ist ein grosses Thema dieser Zeit. Luzern und die Innerschweiz gehörten bis vor dreissig Jahren zu den turbulentesten Medienplätzen der Schweiz. Bis 1969 erschienen hier vier voll ausgebaute Tageszeitungen. Das «Luzerner Tagblatt» war eine von ihnen. Karl Lüönd hat von 1965 bis 1973 als Lokalreporter dort gearbeitet. In seinen persönlichen Erinnerungen spiegeln sich die Probleme, die zu den grossen Zusammenschlüssen und zur Pressekonzentration geführt haben.

Das Sprachrohr des Luzerner Freisinns siedelte an einer für eine bürgerliche Zeitung fast unanständigen Lage: am Anfang der Baselstrasse, dort, wo Luzern auch heute noch am proletarischsten ist und wo damals in Beizen, die «Metzgerhalle» oder «St. Jakob» hiessen, auch Prostituierte verkehrten. Der graue Steinkoloss war zusammengebaut mit dem Kino Madeleine, das vor allem bei der ländlichen Kundschaft beliebt war für sein preiswertes Doppelprogramm: ein Western und ein Sexfilm (oder was man damals dafür hielt). Mein Büro lag im dritten Stock, nur durch eine Wand vom Kinosaal getrennt. Ab 15 Uhr bekam ich abwechselnd die Schüsse und das Stöhnen mit.

Heute weiss man, dass das «Luzerner Tagblatt» nie rentiert hat und während vieler Jahre von der Publicitas durchgefüttert wurde. Ausserdem waren die Preise für Drucksachen durch ein wasserdichtes Kartell geschützt; diese Erträge wurden zur Quersubventionierung der Zeitung benützt.

Mit Hermann Heller im Regen

Zum «Luzerner Tagblatt» kam ich an einem regnerischen Samstag in Lugano. Als Volontär im damaligen Pressebüro ANB von Alfred N. Becker, der später Landesring-Grossrat wurde und beim Aufbau des Messeplatzes Luzern eine wichtige Rolle spielte, wurde ich zur Eröffnung eines Feriendorfs der Schweizerischen Reisekasse (Reka) geschickt, wahrscheinlich für eine der Zeitungen, deren Innerschweizer Korrespondenten wir waren («Tages-Anzeiger», «National-Zeitung», «Bund»). Nach dem Mittagessen setzte ich mich in der Monte-Bré-Bahn neben Dr. Hermann Heller, der an diesem Anlass das «Luzerner Tagblatt» vertrat. Wir kamen ins Gespräch; er prüfte offenkundig meine journalistischen Reflexe. Wir spazierten dann im strömenden Regen die ganze Luganer Seebucht entlang. Heller wollte genau wissen, was ich denn mit meinem jungen Leben anfangen wolle. In Paradiso waren wir handelseinig.

In der folgenden Woche unterschrieb ich bei einem Mittagessen im Wirtshaus zum Galliker am Kasernenplatz den Vertrag auf der Rückseite einer Speisekarte. Darin hiess es, Lüönd werde als «Jagdhund» angestellt; immerhin war das Wort in Anführungszeichen gesetzt. Heller setzte auf aktive Nachrichtenbeschaffung im Lokalbereich. Dafür brauchte er Reporter.

Die monatliche Minimalgarantie betrug 600 Franken – zu wenig zum Leben. «Aber Sie können doch Ihre Texte auswärtigen Zeitungen verkaufen», riet mir Dr. Heller. Ich wurde also zum Konkurrenten meines früheren Chefs Becker, der meinen Abgang sportlich nahm. Der «Tages-Anzeiger» wurde fortan ausserhalb Luzerns mein wichtigster Abnehmer. Dazu kamen nach und nach «Bund», «St. Galler Tagblatt» und neu die «Basler Nachrichten», weil die «National-Zeitung» an Becker festhielt. Dieser «Bauchladen» ernährte mich fortan ganz anständig.

Der «Galliker» als Nachrichtenbörse

Im Wirtshaus Galliker (Luzerner sagen «der Galliker») war zweimal die Woche schon morgens Hochbetrieb, wenn hinten, auf der Bruchstrasse, der Viehmarkt stattfand. Zwischen neun und zehn Uhr strömten die hungrigen Bauern herbei. Sie waren um vier Uhr oder noch früher aufgestanden und hatten jetzt Lust auf Kesselfleisch, das es im «Galliker» immer am Dienstag, am Donnerstag und am Samstag gibt, auch heute noch, da der Viehmarkt längst aus der Bruchstrasse verschwunden ist. Jeden Dienstagvormittag hielten wir im hinteren Stübli die wöchentliche Redaktionskonferenz ab. Wenn die Fenster offen waren, wurde unser Kaffee gewürzt durch den Duft des Kuhdungs, den die Männer vom Strasseninspektorat nach Ende des Viehmarktes mit scharfem Wasserstrahl von der Strasse entfernten. Ich bin sicher, der schlaue Fuchs Heller wollte uns vorführen, für welches Publikum wir unsere Zeitung machten. Den Kaffee bezahlte übrigens der Verlag. In kleinen Dingen waren sie grosszügig. Im Übrigen herrschten strenge Sitten.

Wer ins Ausland telefonieren wollte, musste den Chef fragen

Hermann Heller war de facto Chefredaktor und Verlagsleiter in einer Person, während der Direktor des Gesamtunternehmens meist unsichtbar blieb und sich wohl um das Druckgeschäft kümmerte, mit dessen Gewinnen die Zeitung notdürftig gefüttert wurde. Heller brach am laufenden Band Aktionen vom Zaun. Er schickte uns junge Reporter kreuz und quer durch die Geografie. Ich erinnere mich an den kauzigen, originellen Alfred R. Wepf, an den blendenden Fotografen Werner P. Wyler, an den gewandten Markus Köchli und, wenige Jahre später, auch an einen Kantonsschüler namens Urs Heller. Er war Hermanns einziger Sohn und galt als Fachmann für Damenhandball. Er kam später durch meine Vermittlung zum «Blick», statt das väterlicherseits vorgesehene Jura-Studium in Angriff zu nehmen, worauf mich Hermann Heller zwei Jahre lang schnitt. Später, als Urs bei Ringier eine eindrückliche Karriere machte, wurden wir Freunde.

Hermann Hellers Marketing-Kampagnen gingen so: Er knöpfte sich einen Amtsbezirk und eine Gemeinde um die andere vor. Zuerst das Entlebuch, denn dort sass Nationalrat Alfred Ackermann, der Mann, der immer wieder die Finanzlöcher des Tagblatts mit den reichlichen Erträgen seines Textilversands stopfte. Wir jungen «Jagdhunde» durchstreiften das ganze Amt, von Wolhusen bis an die Berner Grenze bei Wiggen und Marbach, und schnüffelten nach brauchbaren Geschichten. Gleichzeitig machte Heller Streuversände und warb Neuabonnenten ein. Zu den Höhepunkten meiner damaligen Tätigkeiten gehörte eine Artikelfolge über das Entlebucher Operettentheater («Die Försterchristl») sowie eine Bilderseite über den Empfang eines an Olympia erfolgreichen Skilangläufers mit dem Titel «Hoch das Glas für Seppi Haas!».

Alles unter einem Dach, aber veraltet

Das «Tagblatt»-Haus spiegelte geradezu idealtypisch die damaligen Produktionsverhältnisse. Im Erdgeschoss war das Kundenbüro der Druckerei mit einem mächtigen Schalter. Dahinter ratterte, wenn sie nicht gerade kaputt war, die alte Rotationsmaschine. Im ersten Stock waren Setzerei, Mettage, Stereotypie und Lithografie untergebracht. Produziert wurde im Blei, die Clichés für die Bilder wurden im Haus hergestellt. Stereotypie hiess die Abteilung, in der mächtige Pressen feuchte Kartonplatten auf die Seitenschiffe drückten. Anschliessend wurde der im Ofen getrocknete Karton zum Halbrund gebogen und mit glühend heisser Blei-Zink-Legierung ausgegossen, sodass Halbzylinder entstanden, welche als Druckplatten auf die Rotationsmaschine passten. Die meisten Maschinen und Geräte sahen alt aus, es fehlte offensichtlich das Geld für die Abschreibungen und damit für Neuinvestitionen.

Die Nähe der Technik lehrte uns Disziplin. Von den Typografen im ersten Stock konnte man viel lernen, wenn man sich zu ihnen bemühte und die Manuskripte nicht bloss durch den Schalter schob. Herr de Boni, Herr Fratt und Herr Willi waren die Metteure: fabelhafte Berufsleute, die in hoher Geschwindigkeit den aus der Setzerei in spaltenbreiten Blechen angelieferten Bleisatz mit den Bildern und den Titeln zu einer Zeitungsseite zusammenfügten, die dann im «Schiff» erst zur Korrektur, dann zum Visum in die Redaktion und schliesslich – siehe oben – samt den inzwischen angefertigten Clichés in die Stereotypie verabschiedet wurden.

Nicht alle Redaktoren lieferten auch nur eine Schmierskizze «ihrer» Seiten. Die Metteure bügelten – meist stillschweigend, manchmal unwillig brummend – alle unsere Unterlassungen und Fehler aus. Für sie, überwiegend Sozialdemokraten und Gewerkschafter, muss es eine tägliche Pein gewesen sein, das Gedankengut des Klassenfeinds druckreif machen zu müssen. Aber sie taten es hoch professionell. Jeder von ihnen konnte Spiegelschrift lesen, und vom Inhalt verstanden sie mehr als mancher Redaktor. Ich erfuhr das einmal, als ich in letzter Minute noch einen aktuellen Text über irgendeinen politischen Vorgang brachte.

Herr Willi, ein Bär von einem Mann, überflog das Manuskript und urteilte:
«Isch scho rächt, Herr Redakter, aber das verstaaht imfall kei Sau!». Ich las meinen Text nochmals durch und musste mir eingestehen: Herr Willi hatte recht. Ich zog das Manuskript zurück und schrieb den Text neu; er erschien einen Tag später. Seit diesem Tag grüssten sie mich im ersten Stock freundlicher als zuvor. Ich hatte ihnen den gebührenden Respekt erwiesen und mich ausserdem mit einem Kasten Bier bedankt. Dass man dennoch beim distanzierten Sie blieb, war selbstverständlich.

Die ganze Welt auf einer Seite

Schon nach kurzer Zeit bot mich Dr. Heller auch zum Frühdienst auf. Das hiess um 3 Uhr morgens antreten, den Redaktionsbriefkasten leeren, die über Nacht eingelaufenen Fernschreibermeldungen sortieren, die mit Bildfunk übermittelten Fotos sichten und aus dem Ganzen eine Seite komponieren: «Letzte Meldungen». Das war eine enorm gute Schule. Im Morgengrauen verschwammen die Ressortgrenzen, die tagsüber so scharf gezogen waren. Die ganze Welt auf einer Seite: Du musstest unter Zeitdruck urteilen, gewichten, entscheiden, eine bekömmliche Mischung herstellen – und vor allem Nein sagen und wegwerfen lernen.

Um 5.30 Uhr begann die Rotationsmaschine zu rattern, wie an der Zürichstrasse («Luzerner Neueste Nachrichten») und an der Maihofstrasse («Vaterland») auch. Dann setzte ich mich mit den druckfrischen Blättern ins Café Höfli an der Pfistergasse zum Konkurrenzvergleich. Wenn andere noch schliefen, hatte der «Jagdhund» schon fast ein halbes Tagewerk verrichtet und das enorme Honorar von 50 Franken verdient.

Die Redaktion – eine Art Kloster

Nun ist es aber höchste Zeit, in den zweiten Stock emporzusteigen, in die Redaktion. Man muss sie sich vorstellen wie ein Kloster: ein nicht sehr breiter, mit Zeitungsstapeln zugeschütteter Gang, und zur Fensterseite hin die «Mönchszellen», schön hierarchisch sortiert von vorne nach hinten. Da war das Büro von Dr. Hans Bachmann, der den Titel eines Chefredaktors trug, aber selten da war und noch seltener etwas schrieb. Aber er gehörte zum erlauchten Kreis der Hauptaktionäre. Er bekleidete viele Ämter im Zeitungsverlegerverband und war zeitweise auch dessen Präsident: ein freundlicher, jovialer Herr, gehärtet in hunderten von Sitzungen. Bachmann war einer der Erfinder des wohl skurrilsten Deals in der Schweizer Mediengeschichte.

Um zu verhindern, dass die SRG Fernsehwerbung ausstrahlte, versprach der Verlegerverband, ihr jedes Jahr zwei Millionen Franken zu überweisen, bis das Fernsehen 180  000 Konzessionäre haben würde und von den Gebührengeldern leben konnte, ohne die Werbeerlöse zu benötigen. Der Vertrag wurde abgeschlossen, kam aber nie richtig zum Tragen, weil alle Beteiligten das Wachstumstempo des neuen Mediums unterschätzt hatten. Auf der Redaktion des Luzerner Tagblatts wurde übrigens erst 1969, kurz vor der Mondlandung, ein Fernsehempfänger installiert.

Der nächste «Mönch» im «Klostergang» war Dr. Hermann Heller, ein liberaler Feuerkopf, Grossrat, Artillerieoberst und Zeitungsmann durch und durch. Er hatte das, was die Amerikaner «story sense» nennen, und trieb uns an, auch unangenehme und delikate Stoffe zu recherchieren. Einmal entfesselte das «Tagblatt» einen veritablen Skandal, als ich über eine Polizeirazzia in einem als Therapieeinrichtung getarnten Sex-Massagesalon berichtete und mehr als nur andeutete, dass dort prominente Kunden – Ärzte, Beamte usw. – verkehrten. Alfred Ackermann intervenierte persönlich mit hochrotem Kopf, aber Heller blieb standhaft und hielt mir den Rücken frei.

Persönlich folgte er dann – nach mühsamen Jahren mit nachweisbaren, aber letztlich doch ungenügenden Fortschritten – der Regel, dass man es im Journalismus weit bringen kann, vorausgesetzt, man verlässt ihn rechtzeitig. Hermann Heller wurde Liegenschaftenverwalter der mächtigen Bürgergemeinde Luzern. Er verwertete deren Landreserven und beschaffte damit die Mittel, mit denen die Bürgergemeinde die Stadt vor allem im Sozialwesen entlastete und das Kinderheim Utenberg, die beispielhafte Alterssiedlung Eichhof und viele andere gute Werke finanzierte.

Nebenher noch die Dampfer gerettet

Als Kopf und Seele des Tagblatts hatte Hermann Heller fast im Alleingang die Dampferflotte auf dem Vierwaldstättersee gerettet, eine Aktion, die schliesslich in der Übernahme der Firma durch die Dampferfreunde gipfelte. Er kandidierte mehrmals ohne Erfolg für den Nationalrat, was seinen Parteifreund und Intimfeind Hans Rudolf Meyer, Milizbrigadier und späterer Stadtpräsident von Luzern, diebisch freute. Diesen nannten wir wegen seines betont militärischen Sprechstils  «Zack-Meyer».

Mein häufigster Ansprechpartner und Lehrmeister war der Lokalredaktor Hans Peter Jaeger, ein hünenhafter Bündner, ein glänzender Stilist, passionierter Fotograf und offen für alle Ideen. Er brachte mir und den anderen «Jagdhunden» bei, wie man Geschichten findet. Sein legendärer Spruch lautete: «Wenn nichts los ist, müssen Sie etwas losmachen!»

Das ermutigte mich zu journalistischen Unternehmungen, die es so in Luzern bis anhin nicht gegeben hatte. Im Kantonsparlament, wo ich manchmal den handschriftlichen Protokollbericht verfasste, forderte ein besonders frommer Konservativer die Regierung auf, die Abgabe von Antibabypillen in den Apotheken schärfer zu kontrollieren. Da dieser Parlamentarier von Beruf selbstständiger Apotheker war, machte ich einen Test. Ich bat meine damalige Freundin, das Versuchskaninchen zu spielen. Sie trat in mehreren Apotheken auf, immer mit der gleichen Legende: Rezept abgelaufen, Arzt in den Ferien, Bedarf dringend. Dann wies sie noch eine leere Packung vor. Interessant war, dass sie praktisch überall Erfolg hatte, wenn sie als elegante junge Dame im geliehenen Persianermantel auftrat. Wenn sie ein paar Tage später in Jeans und Pulli wiederkam, war die Pille bedeutend weniger leicht erhältlich. Wir brachten die Geschichte mit der Reproduktion aller Kassenzettel – und mit der schadenfreudigen Pointe, dass unsere Versuchsperson ausgerechnet im Laden des frommen Apothekers und Volksvertreters problemlos und gegen bar zur Pille gekommen war. Ganz Luzern lachte über diese Story.

Für die autofreie Altstadt, gegen die Filmzensur

Hans Peter Jaeger liebte solche Ideen und stärkte uns sogar den Rücken, als wir eines Tages ohne Rückfrage bei oberen Instanzen die «Aktion autofreie Altstadt» ausriefen und Tausende von Unterschriften sammelten. Das Tagblatt kämpfte damals auch gegen die Filmzensur und lockerte die protokollartige Berichterstattung über die Verhandlungen des Kantons- und des Stadtparlaments auf, unter anderem mit dem «Kopf des Tages» und der Rubrik «Was du ned seisch...». Dort erschienen die in den Ratsverhandlungen geäusserten Stilblüten.

Schnell entbrannte unter den Ratsherren so etwas wie ein Wettbewerb um den lustigsten Spruch. Am häufigsten schaffte es der nachmalige Bundesrat Alphons Egli in die Rubrik, ein grosser Spötter und brillanter Verseschmied. Als Fraktionschef der damals noch mehrheitsfähigen «KaKa» (Katholisch-Konservative, später umgetauft in CVP) weibelte er durch die Bankreihen, wenn bei einer Kampfabstimmung die Mehrheit, auch «die schwarze Wand» genannt, in Gefahr schien. Einmal sagte Dr. iur. Egli: «Dieses Gesetz muss nicht nur für Juristen, sondern auch für anständige Bürger verständlich sein.»

An guten Tagen reimte Alphons Egli seine berühmt-berüchtigten Zwei- und Vierzeiler, die dann auf einem Zettelchen durch die Sitzreihen wanderten und allgemeines Glucksen und Grinsen verursachten. Der berühmteste war auf den ebenso oppositionellen wie grob polternden Landesring-Politiker Bruno Heutschy gemünzt und lautete:

«Der Hund geht zum Laternenpfahl. Herr Heutschy macht’s im Grossratssaal.»

Zu meinen Pflichten gehörte auch die Berichterstattung aus den Gemeindeparlamenten von Emmen, Kriens und Littau. Hier konnte man die Feinmechanik der praktischen Demokratie studieren. Und hier entging ich um Haaresbreite der Versuchung, selbst in die Politik einzusteigen. Ich wohnte, jung verheiratet, in Reussbühl (Gemeinde Littau). Dort suchten die Liberalen (so nannten sich die Freisinnigen damals) noch nach Listenfüllern. Ich wurde angefragt und sagte nach kurzer Bedenkzeit ab. Den Ausschlag gab Hans Peter Jaeger, der mich auf das unausweichliche Risiko von Interessen- und Loyalitätskonflikten aufmerksam machte. Ich bin froh, dass ich damals seinem Rat gefolgt bin.

Karl Lüönd, Winterthur

Mehr über das Buch, ein ideales Weihnachtsgeschenk:
http://www.aurabooks.ch/product-page/luzerner-tagblatt-eine-mediengeschichte


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch

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Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:

www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/