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Kolumne der Redaktion

04.09.2021

Erinnerungen an den Journalisten und Schriftsteller Erich Hirtler

Der Luzerner Journalist und Schriftsteller Erich Hirtler ist am 20. Juni im Tessin bei einer Wanderung zu Tode gekommen. Bei der Abdankungsfeier im Luzerner Friedental am 9. Juli sprach sein Kollege Pirmin Bossart. Erst jetzt ist es lu-wahlen.ch gelungen, dessen Manuskript zu erhalten, das hier zu lesen ist.


Erich Hirtler (*1958) starb im Juni während einer Wanderung im Tessin.

Pirmin Bossart (*1956), hier vor dem Richard Wagner Museum im Gespräch mit Altstadtpräsident Franz Kurzmeyer, sprach an der Abschiedsfeier für Erich Hirtler.

Bild: Herbert Fischer

Liebe Familienangehörige, liebe Freunde, Freundinnen und Bekannte von Erich,

Sie alle wissen es so gut wie ich: Erich war ein feiner Mensch. Ein suchender Geist, sensibel, mit einem trockenen Humor, ein guter Zuhörer, manchmal grüblerisch, immer liebenswürdig, spitzbübisch auch.

Ganz selbstverständlich las Erich Bücher in französisch, englisch, spanisch und italienisch

Ich mochte seine Eigenart. Er war sehr belesen, kulturell interessiert und enorm sprachenbegabt. Ganz selbstverständlich hat er Bücher auf französisch, englisch, spanisch oder italienisch gelesen. Auch polnisch hat er einmal gelernt, weil es ihn interessierte. Bei Gesprächen konnte er pointiert und bissig den politischen Betrieb kommentieren. Manchmal wirkte er verschlossen, gab nicht viel preis, umso geheimnisvoller wirkte dann sein Lächeln. Sein Lächeln. Es war oft ein wohlwollendes, verschmitztes. Es sagte einem: Ich weiss schon, ich verstehe das.

Souvenirs aus anderen Kulturen

Erich ist am 27. Januar 1958 in Vevey zur Welt gekommen. Er war das mittlere Kind, zwei Jahre jünger als sein Bruder Christof und acht Jahre älter als Philipp. Seine Mutter Rosmarie Hirtler, geborene Lustenberger, war ausgebildete Zahnarztgehilfin. Sein Vater Erno Hirtler war als Lebensmittelingenieur bei der Nestlé in Vevey tätig und dadurch beruflich oft in Nord- und Südamerika unterwegs. Von dort brachte er exotische Souvenirs mit nach Hause, die Erich sehr faszinierten. Auch das Geflüster, die Urgrossmutter des Vaters sei eine Zigeunerin, eine Roma, gewesen, interessierte Erich sehr.

Die Primarschule interessierte ihn nicht wirklich

Als Erich sechs Jahre alt war, zog die Familie nach Hergiswil in Nidwalden, weil Vater Erno die Geschäftsführung der Firma Lustenberger Transporte übernahm, die seinem Schwiegervater gehörte. Erich besuchte die Primarschule in Hergiswil, wo es ihm nicht wirklich gefiel. Er vermisste Vevey und die französische Sprache. Nach der Primarschule trat er ins Gymnasium St. Fidelis in Stans ein. Aus dem verspielten Kind wurde ein ernsthafter Gymnasiast. Er zog sich oft in sein Zimmer zurück und las sehr viel, seine Freunde waren die Bücher und die Musik.

Als Kind war Erich ein grosser Beatles Fan. Sein Bruder Philipp erinnert sich: «Stundenlang haben wir auf einem tragbaren Plattenspieler mit integrierten Boxen immer die gleichen vier Singles der Beatles gehört: “Lady Madonna“, “I Am The Walrus“, “Strawberry Fields Forever“ und “Back in the U.S.S.R“. Als Jugendlicher hörte er progressive Rockmusik (Frank Zappa, Mahavishnu Orchestra). Zeitgemäss und modisch gekleidet in braunen Manchester Schlaghosen hat er richtig gut ausgesehen.»

Erich liebte die Ruhe, die Berge, die Täler und die Flüsse

Zu Erichs Wesen gehört seine Naturverbundenheit. Er liebte die Ruhe und die Abgeschiedenheit der Berge, der Täler und der Flüsse. Mit seinem Vater ging er schon früh auf Bergtouren, von wo sie oft Kristalle mit nach Hause brachten. Mit 18 wollte Erich Strahler werden. So erstaunt es nicht, dass er in Neuchâtel ein Studium der Geologie begann. Er hat es jedoch nach einem Semester abgebrochen hat und sich für Germanistik entschieden. Zwei Sommer verbrachte er auf einer Alp, einmal im Wallis mit zwei Kollegen, das zweite Mal alleine auf einer Alp bei Fribourg. Ihm gefiel dieses einfache und asketische Leben sehr.

Nervöses Zucken und verschmitztes Lächeln

Nach dem Studium der Germanistik und Geschichte in Bern begann er, als Journalist für verschiedene Luzerner Zeitungen zu schreiben. In dieser Zeit lernte ich Erich kennen. Wir haben uns immer wieder getroffen. Im «Neustädtli». Im «Parterre». Oder unten im Bahnhof. Haben Bier getrunken und vorsichtig unsere Befindlichkeiten und Träume auf den Tisch gelegt. Diskutiert. Die Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft, die politischen Ränkespiele. Wir redeten über das Schreiben, den Journalismus, über Bücher, Musik, Filme. Dahinter stand immer wieder die Frage nach einem befreiten Leben, das mehr bieten sollte als die übliche Karriereleiter, die Zwänge der Bürgerlichkeit, das Abtraben im Hamsterrad. Oft legte sich ein nervöses Zucken über seine Stirn, wenn ihn emotional etwas berührte. Oder es löste sich in diesem verschmitzten Lächeln auf.

Engagiert für Bürgerrechte wie die Rede- und Pressesfreiheit

Erich verabscheute Institutionen und Autoritäten. Es war ihm ein Anliegen, auf Missstände hinzuweisen und sie aufzudecken. Vor allem, wenn es um den Schutz der Rede- und Pressefreiheit, der Demokratie und der Bürgerrechte ging. Immer wieder witterte er Missstände und Machenschaften, die unter dem Deckel gehalten wurden. Was von oben verordnet wurde, war ihm grundsätzlich suspekt. Das erklärt auch sein jüngstes Engagement: Mit der Corona-Pandemie sah er die Rede- und Pressefreiheit gefährdet und engagierte sich gegen die verordneten Einschränkungen. Er schloss sich der «Vereinigung/Netzwerk Gemeinsam Schweiz» an, wo er Gleichgesinnte fand.

Schon nach der Matura hatte er sich in der GSoA (Gruppe Schweiz ohne Armee) engagiert. Etwas später schloss er sich dem Widerstand gegen den projektierten Waffenplatz in Rothenthurm und gegen die Zerstörung des Hochmoors an. Beim Film von Edwin Beeler «Rothenthurm – bei uns regiert noch das Volk» wirkte Erich als Tonmann mit und war sehr erfreut über die Annahme der «Volksinitiative zum Schutz der Moore» (1987).

Autor mehrerer Bücher, die ihn spürbar machen

Nach seinen ambivalenten Erfahrungen mit dem Journalismus, der ihm im engen Luzerner Milieu zu unehrlich und zu obrigkeitstreu war, setzte er auf das freie Schreiben. Es folgte eine unerhört produktive Phase. Davon zeugen seine Bücher, die innerhalb von wenigen Jahren entstanden sind. Zwischen 2005 und 2010 schrieb er die Trilogie «Leben in der Schweiz÷ mit den Romanen «Das kriegen wir hin! Ein Schweizer Alptraum», «Die mittlere Freiheit. Notizen aus der Syphilisation» sowie das Langgedicht «Reise durch die Gebärmutter und die Wüste. Ein katholisches Roulette.» Allen seinen Büchern liegen eigene Erfahrungen zugrunde, die er unverblümt, aber auch sprachlich gekonnt und literarisch verfremdet, erlebbar machen konnte. An der Vernissage seines Buches «Die mittlere Freiheit» sagte er «Ich schreibe, was ich kenne, was mich erregt, woran ich leide. Ohne Lust, ohne Leiden und auch Leidensbereitschaft geht nichts.»

Nach der Schweizer-Trilogie fokussierte sich Hirtler auf die weitere Welt. Im Buch «Aus der Versenkung. Zwei Berichte» verarbeitete er seine Erlebnisse einer langen Reise durch Südamerika. Das Buch «Unrasiertes Ungemach» (2015) war ein Sammelsurium von Texten mit der unheimlichen Erzählung «Der Besuch», die in einer Anthologie der besten Schweizer Erzählungen nicht fehlen dürfte. Das letzte Werk «Die Abartigen. Zwei Ausfechtungen» erschien 2016, mit zwei Erzählungen über dissidente Abweichler, die 1992 und 2030 spielen.

Er war ein Einzelkämpfer

Im offiziellen Literaturbetrieb ist das Werk von Erich bis jetzt kaum zur Kenntnis genommen worden. Die Qualitäten seiner Sprache und seiner Imaginationskraft bleiben davon unberührt. Seine Bücher sind in der Literaturschweiz zweifellos markant und eigenständig. Sie machen einen Urheber spürbar, der einem etwas entgegensetzt und dessen Inhalte Widerstände bieten. Als Schriftsteller hat er sich nie gross aufgespielt, das Getue und Schultergeklopfe im Kulturkuchen-Establishment war ihm fremd. Er war ein Einzelkämpfer, der schrieb, weil er aus einer inneren Dringlichkeit heraus schreiben musste, um seine persönlichen Emotionen und Gedankenturbulenzen zu bündeln, indem er ihnen Ausdruck gab. 

Ich freue mich jetzt schon, wenn ich dann wieder mal ein Buch von ihm in die Hände nehme und darin zu lesen beginne. Es wird ein anderes Lesen sein, jetzt, da der Autor nicht mehr da ist. Am 20. Juni hat er auf einer Wanderung im Tessin im Flusstal der Lisora bei Sessa einen Herzstillstand erlitten und ist abgestürzt. Sein Bruder Philipp hat es schön gesagt: «Er ist dort von uns gegangen, wo es ihn immer hingezogen hatte, in die Natur, an die Flüsse, an den Ursprung.»

Ich bin glücklich, dass mir nicht nur die Bücher von Erich bleiben, sondern vor allem, dass ich ihn «live» erleben durfte.

Pirmin Bossart, Journalist, Luzern


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/