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Kolumne der Redaktion

15.08.2021

200 Jahre Löwendenkmal: Ein Buch wird zum Ereignis

Fast könnte er den Einheimischen abhandenkommen, der berühmte Löwe, bei einem Besuch von jährlich mehr als einer Million Menschen aus aller Welt. Ein Team von Historikerinnen und Historikern sorgt nun für zahlreiche neue Zugänge zum edlen Tier – mit einem Buch. Eine löwenstarke Leistung.


Das Cover des vom Luzerner Historiker Dr. Jürg Stadelmann initiierten Buches, herausgegeben zum Jubiläum 200 Jahre Löwendenkmal.

Details dazu als Fussnote am Schluss des Beitrages von Kurt Messmer.

Professor Kurt Messmer hat das Buch genau studiert und den nebenstehenden Beitrag darüber eigens für lu-wahlen.ch verfasst.

Siehe auch unter «Links».

Wenn ein Denkmal-Löwe seit zweihundert Jahren in jedem einzelnen Moment stirbt, muss er auf den Umschlag, wenigstens als Ausschnitt. Doch er kommt auf die Rückseite. Das Bild auf der Vorderseite zeigt den Stollengang hinter dem Denkmal. Eine perfekte Ansage. 2021 wird der Löwe mit aktuellen Fragestellungen nochmals aus der Vergangenheit herausgehauen und neu vermessen. «Wir suchen nicht eine oder die Wahrheit», heisst es dazu im Prolog, «wir folgen unseren Fragen.» Vier Koordinaten zu diesem Wurf:

Historisches Handwerk

«In die Höhle des Löwen», so der Titel, ist ein 336 Seiten starker Sammelband, der nicht nur vom Buchrücken zusammengehalten wird, sondern vom Vermittlungskonzept. Das Erfolgsrezept heisst: konsequente Sachanalyse und Leserorientierung. Das Ergebnis ist ein beispielhaft perspektivischer Zugriff auf eine komplexe Thematik.

Eine «Nah-Reise» mit zehn Fotografien von Susanne Stauss wird zur atmosphärischen Einstimmung, wunderbar. Auf den sachdienlichen «Prolog» von Jürg Stadelmann folgen grundsolide Basics. Alain-Jacques Tornare blendet auf den Sommer 1792 zurück. Anschliessend legen Cécile Huber und Philippe Rogger dar, wie die Söldner angeworben, ausgebildet, entlöhnt wurden und wie die Soldunternehmer ihr Geschäft betrieben. Aktuelle Forschung, konkret, klar, differenziert. Beide Autoren kommen aus dem Team um André Holenstein an der Universität Bern, wo man den Solddienst nicht mehr bloss pauschal mit Armut begründet («Armutsfalle»), sondern auf die Tradition vieler Familien hinweist, für die der Solddienst teils über Generationen hinweg die Existenzgrundlage bildete. – Was ist weiter nützlich, um sich historisch zurechtzufinden? Ein Zeitstrahl. Wird geliefert, gleich auf 9 Seiten. Start 1497, Ende 2021.

An der Reihe ist nun «Der Mann hinter dem Löwendenkmal», Carl Pfyffer von Altishofen, dazu die «Kunst gewordene Trauerarbeit», das Löwendenkmal als Gesamtprojekt, samt denkwürdiger Einweihung 1821. Dafür konnten Heidi Bossard-Borner und Claudia Hermann gewonnen werden, zwei ausgewiesene Spezialistinnen. Ihre facettenreichen Schlüsselthemen sind das Startzeichen für den Beitrag «Sterbender Löwe, florierender Tourismus». Prädestiniert für diese Aufgabe: Andreas Bürgi.

Erinnerungskultur, wo, wenn nicht bei diesem Thema. Milka Lehner berichtet über das «Reanimieren eines monumentalen Historiengemäldes» von 1889, Silvia Hess über den «Löwen in Serie», Nachahmungen während zweihundert Jahren, Stefan Ragaz über «Das Löwendenkmal als Kulisse». Ihre Erfahrungen von 2017 reflektieren Noëmi Parlevliet und Pia Fleischlin, als sie mithalfen, mit jenem Historiengemälde die Erinnerung an den Tuileriensturm wachzuhalten. Durchwegs spannende Einblicke.

Ein Buch über die Vergangenheit, das von Jürg Stadelmann initiiert wird, führt stets bis in die Gegenwart, mit Ausblick in die Zukunft – 2121. Das belegen der Beitrag «Vom Umgang mit der vornehmen Herkunft» von Giulia Schiess, Jürg Stadelmann und Ruedi Meier, ferner das Sinnieren Marcus Castelbergs als patrizischer Nachkomme sowie die Erfahrungen von fünf Menschen mit dem Löwen, aufgezeichnet von Claudio Birnstiel. Den fulminanten Schlusspunkt setzt Manuel Menrath, indem er den beiden Grundfragen nachgeht: «Wie stellen wir uns heute zum Löwendenkmal? Und hat die imposante Skulptur allenfalls einen metahistorischen Kern, der sich dem Zeitwandel entzieht?» – Nach der nunmehr dritten «Nah-Reise» von Susanne Stauss sichern Jürg Stadelmann und Giulia Schiess im Epilog die Ergebnisse. Womit? Wie könnte es anders sein, mit Fragen, sechzehn an der Zahl.

Multiperspektivität

«Audiatur et altera pars – Man höre auch die andere Seite». Gilt seit zweitausend Jahren und kennt kein Ablaufdatum. In der Geschichtsvermittlung spricht man von Multiperspektivität. Davon gibt es in diesem Buch so weit das Auge reicht. Ein Kapitel ist überschrieben «Frankreich und die Schweiz: Zwei unterschiedliche Perspektiven». Erinnert wird folgerichtig auch an jene 376 Aufständischen, die am 10. August 1792 auf französischer Seite für die Revolution ihr Leben liessen. Der Blick sei «auf beide Seiten des Jura» zu richten, heisst es dazu.

Multiperspektivität hat vielfältige Ausprägungen, so etwa, wenn Soldunternehmer und Söldner thematisiert werden, oder wenn im Beitrag von Mathias Steinmann und Adeline Zumstein die Luzerner Denkmalpflegerin, eine Landschaftsarchitektin, ein Steinrestaurator und der Stadtgärtner befragt werden, die je spezifisch starke Akzente setzen.

Teil der Multiperspektivität sind zudem unterschiedliche Orte. In den Beiträgen von Elionore Haldimann und Alain-Jacques Tornare geht es nach Paris, in die Chapelle expiatoire, in jene Sühnekapelle, die nicht nur Gedenkstätte für Monarchen ist. Hier wurden vermutlich auch «Rotröcke» (Schweizer Söldner) nackt in ein Massengrab geworfen. In die Schweiz zurück führt ein weiterer Beitrag von Stefan Ragaz: «Wie der ‹Löwe von Paris› nach Stans kam». In Luzern selber geht es vom Löwendenkmal zum Casino der Herren zu Schützen – und so fort.

Besonders sachdienlich und attraktiv zeigt sich der multiperspektivische Ansatz schliesslich punkto Quellengattungen. Den Bildquellen kommt in diesem Buch zentrale Bedeutung zu. Was hier an Anschaulichkeit geboten wird, empfiehlt sich zur Nachahmung.

Ästhetik

Ein Buch soll Erkenntnisgewinn und Lesevergnügen bieten – und Ästhetik. In der «Höhle des Löwen» treffen sich Geschichte, Kunst und Vermittlung. Form und Inhalt auf Augenhöhe. Das führt bis zum Schrifttyp des Buches, der den Inschriften des Löwendenkmals nachempfunden ist. Soigner les détails. Gestaltung und Satz vom Feinsten: meierkolb, André Meier und Franziska Kolb.

Teamleistung

Wie kein zweiter versteht Jürg Stadelmann zu animieren, ein Team mitzureissen. Das war zuletzt der Fall beim Vorlaufprojekt «1792/2017 Warum der Löwe? Denk mal – wir erzählen!» Auch beim aktuellen Buch macht die spannende Lektüre, die immer neue thematische Fenster öffnet, rasch klar: ohne starkes Team nicht möglich. Ganz vorn dabei im Leitungsteam Giulia Schiess, Daniela Walker, Stefan Ragaz, Claudia Hermann, Ruedi Meier und Theres Schilter-Oberli. Mit ihnen teilen den Löwenanteil am Löwenbuch 21 Historiker*innen – einundzwanzig, Cracks und Newcomers. Ein Hoch auf die vereinten Kräfte.

Bilanz

Was Bauleute an der Nordfassade des Berner Münsters in Stein meisselten, könnten gemeinsam alle Beteiligten auch in dieses Buch schreiben: «mach’s na». Mit Marc Bloch (1886–1944) ist festzuhalten: «Die Vergangenheit ist definitionsgemäss etwas Vorgegebenes, das nicht mehr verändert werden kann. Das Wissen um sie macht jedoch Fortschritte, verändert und vervollständigt sich andauernd.» Das Stadtarchiv macht dem Namen seiner Reihe «Luzern im Wandel der Zeiten» mit dem Heft 19, Neue Folge, alle Ehre. Dasselbe gilt für den Verlag – «PRO LIBRO».

Kurt Messmer, Emmen

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In die Höhle des Löwen. 200 Jahre Löwendenkmal Luzern. Büro für Geschichte, Kultur und Zeitgeschehen Luzern / Stadt Luzern / Verlag Pro Libro. Luzern 2021. ISBN 978-3-952334-99-7 und 978-3-905927-64-1. Im Buchhandel erhältlich für 48 Franken.


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/