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Kolumne der Redaktion

11.08.2021

Der Löwe wird vor allem als Sehenswürdigkeit wahrgenommen und nicht als Denkmal

Gestern Dienstag (10. August) feierte das «offizielle Luzern» den 200. Geburtstag des umstrittenen Löwendenkmals. Unter den RednerInnen: Historikerin Dr. Silvia Hess von der Uni Luzern und vom Historischen Museum Luzern. Ihr kritischer Blick auf das Denkmal, seinen historischen Hintergrund und seine Entstehung vermittelt Wissen, das in Luzern - eigentlich - breit bekannt sein sollte. Hier ist ihre Rede im Wortlaut zu lesen.


Historikerin Silvia Hess hielt am gestrigen Jubiläum für das 200-jährige Löwendenkmal eine Rede, deren Lektüre sich lohnt.

Einer der besten Kenner dieser Materie ist der Luzerner Historiker Jürg Stadelmann. Siehe dazu auch unter «Links» und «In Verbindung stehende Artikel».

Bild: Herbert Fischer

«Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler», schrieb der Schriftsteller Robert Musil 1935. Denkmäler würden zwar «aufgestellt, um gesehen zu werden, ja geradezu, um Aufmerksamkeit zu erregen», aber sie würden – kaum errichtet – zur Strassenkulisse gehören und unsichtbar werden. Ausnahme seien die «energischen Denkmäler», die «der Mensch mit dem Bädecker in der Hand suchen geht», was «eben ein ganz besonderes Verhalten» sei.

Das Luzerner Löwendenkmal erhielt in seiner zweihundertjährigen Geschichte viel Aufmerksamkeit, man kann sagen: Es war auf energische Weise sichtbar.

Dennoch bleibt der Gehalt des Denkmals, also das, woran es erinnern soll, merkwürdig unsichtbar; der Löwe wird vor allem als Sehenswürdigkeit wahrgenommen und nicht als Denkmal.

Das Jubiläum ist nun Anlass, sich mit dem Denkmal auseinanderzusetzen. Welche Sicht auf die Vergangenheit wurde vor 200 Jahren in den Sandstein gemeisselt? Was zeigt das Löwendenkmal und was zeigt es nicht?

Sie haben es bereits gehört: Das Denkmal erinnert an den Tod der Schweizergardisten, die 1792 in Paris starben – im Kampf gegen die Revolutionäre und Revolutionärinnen, die der französischen Monarchie ein Ende bereiten wollten. In der Inschrift wird dies nur lückenhaft erklärt; unerwähnt bleibt, warum gegen wen gekämpft wurde und warum eigentlich «Helvetier» als Leibwächter für die französische Königsfamilie dienten.

Der Initiant des Denkmals war Carl Pfyffer von Altishofen, ein standesbewusster Patrizier. Die Pfyffer waren als Militärunternehmer in den vorangegangenen dreihundert Jahren sehr reich und mächtig geworden.

Carl Pfyffer trat als 16-Jähriger den gut bezahlten Posten eines Unterleutnants der Schweizergarde in Paris an. Zum Zeitpunkt des Tuilerien-Sturms befand er sich in seiner Heimatstadt in den Ferien.

Anschliessend zog Pfyffer in österreichische und sardinische Dienste. Nach dem Scheitern der Helvetischen Republik amtete Pfyffer als Ratsherr in Luzern und führte eine Brauerei mit Bierwirtschaft im «Freienhof» neben der Jesuitenkirche, wo er mit seiner Familie auch wohnte.

Pfyffer startete 1818 eine Spendensammlung, um ein Denkmal für die Gefallenen von 1792 zu errichten. Dabei erhielt er Unterstützung von Freunden. Pfyffer trieb das Denkmalprojekt jedoch als Einzelperson voran – und so sollte es auch nicht auf öffentlichem Boden zu stehen kommen, sondern in einem ehemaligem Steinbruch im Wey, den Pfyffer seit einigen Jahren von der Stadt Luzern gepachtet hatte.

Das Denkmal war schon während seiner Planung äusserst umstritten.
Am Einweihungstag wanderten dann ungefähr dreissig Gymnasiasten der Luzerner Sektion der liberalen Studentenverbindung «Zofingia» in einer Gegenveranstaltung zur Hohlen Gasse in Küssnacht, um am historischen Ort Tell zu ehren, der in ihren Augen viel eher ein Denkmal verdient hätte, als in fremden Diensten gefallene Söldner. Einen Monat später kursierte in konservativen Zeitungen das Gerücht, liberale Studenten hätten versucht, dem Löwen die Vordertatze abzuschlagen.

Viele liberal und national gesinnte Zeitgenossen – und damit auch einige Patrizierinnen und Patrizier – standen dem Denkmalprojekt kritisch gegenüber. Das Denkmal wurde als politische Manifestation der Aristokratie verstanden, die sich selbst feiern wolle und ihren Machtanspruch zum Ausdruck bringe.

Das Löwendenkmal galt also den Zeitgenossen als konservatives ausgerichtetes Denkmal.

Es zeigt auch offen das Selbstverständnis von Pfyffer als Patrizier: Die Inschrift unter dem Löwen listet die Namen der Offiziere – der gefallenen und der überlebenden – auf. Die Namen der gewöhnlichen Söldner erfährt man nicht, ihre Zahl wird nur ungefähr und viel zu hoch angegeben.
 
Zugleich war das Löwendenkmal in seiner Form etwas Neuartiges. Für das Schlachtgedenken in der Alten Eidgenossenschaft dienten nämlich Kapellen mit Beinhäusern, bei denen mit kirchlichen Feiern den Gefallenen gedacht wurde.

Carl Pfyffer liess zwar eine mittelalterliche Kapelle in den Denkmalpark verschieben und neu ausstatten; er gab aber vor allem bei einem der bekanntesten Bildhauer Europas jener Zeit ein Kunstwerk in Auftrag. Der in Rom lebende dänische Künstler Bertel Thorvaldsen entwarf den kolossalen, verletzten Löwen. Als ergreifendes Kunstwerk erhielt die Skulptur denn auch einstimmige Bewunderung.

Was zeigt das Löwendenkmal nicht? Die Zeit der Sold-Dienste ging 1821 auf ein Ende zu, trotzdem stellte sie Pfyffer in einem positiven Licht dar.

Die militärische Arbeitsmigration führte seit dem Mittelalter hunderttausende Männer und auch Frauen in den Diensten europäischer Machthaber auf die Schlachtfelder. Risiko und Gewinn waren dabei ungleich verteilt. Von den gewöhnlichen Söldnern kehrte ungefähr ein Drittel nicht zurück.  

Dennoch: Der Sold-Dienst brachte neben viel Leid, viel Geld und einer Machtkonzentration beim städtischen Patriziat auch Bildung, Können und Wissen in die Eidgenossenschaft. So hätte Pfyffer ohne seinen Aufenthalt in Paris und Versailles wohl kaum die Idee zu einem solchen Denkmal gehabt.

Im 18. Jahrhundert war der Sold-Dienst nicht mehr lukrativ. Das Soldatenleben in dauerhaften Regimentern – mit Drill und ohne Erlaubnis zur Plünderung – wirkte wenig anziehend. Am längsten hielten die Innerschweizer Orte sowie Bern an dem umstrittenen Verlustgeschäft fest, 1859 wurden die Solddienste per Bundesgesetz endgültig verboten.

Als Pfyffer das Löwendenkmal plante, war die Schweizergarde-Einheit jedoch für wenige Jahre neu gebildet worden. Man kann das Löwendenkmal vor diesem Hintergrund auch als Werbung für den Sold-Dienst verstehen, sozusagen als Visitenkarte, auf der die Vorzüge der eidgenössischen Söldner präsentiert wurden.

Das Löwendenkmal verschweigt, dass sich bei weitem nicht alle Söldner der französischen Königsfamilie gegenüber zu übermässiger Treue verpflichtet fühlten. Wie die neue Forschung zeigt, desertierten in den Jahren der Revolution nicht wenige Söldner in Frankreich – sei es aus Sympathie für die revolutionären Ideen, sei es aus Vorsicht oder aus anderen Gründen.  

Auch war die 300 Jahre dauernde Beziehung des Sold-Patriziats mit der französischen Monarchie nicht immer so harmonisch, wie es das Denkmal glauben lässt  – so war der König bei den Eidgenossen zeitweise hoch verschuldet –, aber einer Fortsetzung der Geschäftsbeziehung stand das Denkmal auf jeden Fall nicht im Wege.

Nun, zur Ironie der Geschichte: Das Löwendenkmal – errichtet als Symbol für eine alte Zeit – wurde wertvoll für eine neue Zeit. In der aufstrebenden Touristenstadt Luzern galt es umgehend als Hauptsehenswürdigkeit.

Der Erfolg des Löwen lockte Tourismus-Unternehmerinnen und -unternehmer ins noch unbebaute, sumpfige Wey-Quartier. Eine Museumsmeile entstand. Hotels und Wirtschaften eröffneten, und die Löwenstrasse wurde in den Dimensionen eines Pariser Boulevards angelegt.

Denkmäler werden nicht erst in der jüngeren Gegenwart kritisiert, sie werden seit der Antike kommentiert, umgestaltet und auf eine ganz andere Weise genutzt, als es sich ihre Stifter vorgestellt hatten. Die Geschichte des Löwendenkmals zeigt, wie vergänglich in Stein gemeisselte Denkmalbotschaften meist sind.  

Die energische Karriere des Löwendenkmals basiert gerade auf seinen Ambivalenzen und darauf, dass nicht auf Anhieb erkennbar ist, wofür es steht.  

So war der Löwe für unterschiedlichste Projektionen brauchbar, was für die spätere touristische Nutzung und auch für die politische Instrumentalisierung von Vorteil war. Die politische Botschaft lässt sich umso besser ausblenden, als Carl Pfyffer sie nie eindeutig festlegte. «Denkmäler zeigen, indem sie verschweigen», schrieb der Historiker Reinhart Koselleck gerade in Bezug auf Gefallenendenkmäler.

Schauen wir die Denkmäler also genau an, diskutieren wir über sie – auch darüber, was sie nicht zeigen.

Silvia Hess, Luzern

Siehe auch unter «Dateien»: das Redemanuskript als PDF mit allen Fussnoten und Quellenangaben.


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/