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Kolumne der Redaktion

09.06.2021

Dieses bürgerliche Referendum spielt mit dem Feuer

Am Sonntag entscheidet die Stadt Luzern über ein neues Parkplatzregime. Es geht aber um deutlich mehr als um die zwei Vorlagen in den Abstimmungsunterlagen. Es geht um eine Machtprobe, bei der für das bürgerliche Lager die Stunde der Wahrheit schlagen könnte. Die hätte es sich dann allerdings selbst eingebrockt.


Diese Grafik zeigt, wie die Stadt Luzern bei nationalen Vorlagen, die klar im «Links-rechts-Schema» positioniert werden können («1:12», Abschaffung der Wehrpflicht, Kampfflugzeuge), im Vergleich zum gesamtschweizerischen Durchschnitt abstimmte.

Beispiel: Am 30.11.2014 stimmten im Bund 40.8 Prozent für die Initiative zur Abschaffung der Pauschalbesteuerung, in der Stadt hingegen waren es 50,5 Prozent. Oder: Am 29. November 2020 erreichte die «Konzernverantwortungs-Initiative» national 50,7 Prozent Ja-Stimmen, in der Stadt jedoch 61,5 Prozent.

Betrachtet man die Differenz zwischen den einzelnen Resultaten auf Bundesebene mit jenen in der Stadt, so zeigen sich die Unterschiede in diesen Säulen. Die Linie mit den blauen Punkten zeigt, wie die Stadt, gemessen am nationalen Durchschnitt, je länger je «linker» abstimmt.

Diese Grafik zeigt, dass die Zustimmung zu linken Positionen in der Stadt Luzern in den letzten Jahren konstant gestiegen ist.

Die in den obigen drei Grafiken aufgezeigte Entwicklung bei den Sachabstimmungen spiegelt die Veränderungen auch bei den Kräfteverhältnissen der Parteien in der Stadt Luzern (dargestellt in dieser Grafik) wieder, die aber schon früher eingesetzt hat: CVP und FDP schwächeln in der Stadt seit 1995, als erstmals die SVP kandidierte. KR 1995 bedeutet: Kantonsratswahlen; NR: Nationalratswahlen; GrBR: Wahl Grosser Bürgerrat; GrStR: Wahl Grosser Stadtrat.

Vor 26 Jahren (also 1995) vereinigten SP und Grüne gemeinsam etwa ein Drittel der Stimmen. Inzwischen sind sie gleich stark wie sämtliche bürgerlichen Parteien (FDP, CVP, SVP und GLP) zusammen.

Wird die Entwicklung entlang der klassischen Einteilung von Links-Mitte-Rechts seit 1995 betrachtet, so zeigt sich deutlich, dass auch die Mitte klar an Kraft verloren hat.

Grafiken: lu-wahlen.ch / Salomon Weiss

Was ist passiert? Rot-grün – genau: «die SP und die Grünen» – vereinen im 48-köpfigen Luzerner Stadtparlament justament die Hälfte der Sitze, also deren 24. Wird das Ratspräsidium durch ein bürgerliches Mitglied besetzt, kommen die 13 SP- und die 11 Grünen-Sitze auf eine Mehrheit, weil die (oder der) Vorsitzende nur abstimmt, wenn eine Pattsituation entsteht, also bei Stimmengleichheit. Somit stehen in diesem Fall – wie jetzt, da die SVP-Vertreterin Lisa Zanolla den Rat präsidiert – 24 rot-grünen Sitzen bloss 23 bürgerliche Sitze gegenüber.

Mit anderen Worten: Wenns «drauf ankommt» und sie ihre Macht demonstrieren wollen, sagen im Grossen Stadtrat die SP und die Grünen, was Sache ist und wie der Hase zu laufen hat; vorausgesetzt, sie sind vollständig anwesend und das Ratspräsidium ist bürgerlich besetzt.

Nochmals: In diesem Fall vereinen FDP (9 Sitze), CVP (6 Sitze), GLP (4 Sitze), SVP (4 Sitze) mit dem Parteilosen Silvio Bonzanigo (vormals SVP) insgesamt zwar ebenfalls 24 Sitze. Ein Mitglied aus ihren Reihen – eben: zurzeit Lisa Zanolla – stimmt jedoch nicht ab; es sei denn, es sei ein Stichentscheid zu fällen.

Dank dieser machtpolitischen Konstellation ist es Rot-grün heuer am 4. März gelungen, das sogenannte Parkplatz-Regime zu verschärfen, das zuvor in einer «milderen» als der nun zur Abstimmung gelangenden Version vorgelegen hatte. Die Bürgerlichen reagierten auf diese Niederlage empört und brachten – unter Absingen wüster Lieder – ein konstruktives Referendum zustande. Darum stimmt die Stadt am 13. Juni darüber ab. Diese etwas komplizierte Vorgeschichte muss kennen, wer die folgenden Überlegungen und Gedankenspiele mitverfolgen will.

Die nun vorliegende Vorlage, wie sie von Rot-grün verschärft worden ist, hat gute Chancen, am 13. Juni vom Volk angenommen zu werden.

Dafür gibt es - mindestens - drei Begründungen.

Erstens: Luzern wird immer roter und immer grüner. Dies zeigen rechts die (von oben betrachtet) vierte, fünfte und sechste Grafik, welche die Entwicklung der Wahlresultate der Stadtluzerner Parteien und ihrer Kräfte seit 1995 visualisieren.

Zweitens: Eine Auflistung der Resultate von verkehrspolitischen Vorlagen der letzten acht Jahre unterstreicht diese Feststellung; Vorlagen, die (als Initiativen) von SP, Grünen oder JungsozialistInnen stammten, hatten stets gute Chancen, angenommen zu werden. Beispiele: die Initiative für das carfreie Inseli, die autofreie Bahnhofstrasse oder jene gegen die Spange Nord.

Nur zwei der hier folgenden Beispiele seit November 2012 stützen diese These nicht. Zum einen die JUSO-Initiative gegen den Südzubringer, die am 25. November 2012 mit 47,88 % Ja-Stimmen jedoch nur knapp gescheitert ist; zum anderen die Vorlage Cheerstrasse (beim Bahnhof Littau), die am 24. September 2017 allerdings bloss 50,56 % Zustimmung erreichte. Hier sagte die SP zwar offiziell Nein, machte aber nicht wirklich eine Kampagne dagegen, weil sie sich angesichts ihrer Ressourcen auf die gleichentags stattfindende Abstimmung über die «Inseli-Initiative» fokussierte. Das muss sie hinterher «gewurmt» haben, denn diese Abstimmung hätte sie rückblickend mit bescheidenem Aufwand fraglos (auch) gewinnen können; wie jene über die «Inseli-Initiative».

Die folgende Auflistung zeigt die Resultate von verkehrspolitischen Vorlagen, die auf dem Links-rechts-Schema positioniert werden können; die also dem klassischen «Beuteschema» von Rot-grün entsprechen. Und zwar – nochmals – eben, weil sie entweder aus diesem Lager stammen (als Initiativen). Oder weil sie vom Grossen Stadtrat, in dem SP und Grüne eine De-facto-Mehrheit haben, entscheidend mitgestaltet und beschlossen worden sind und die in diesem Lager somit gewissermassen «offene Türen» vorfinden. Beispiel: die Velostation Bahnhofstrasse und der Velotunnel Bahnhof.

Verkehrspolitische Abstimmungsvorlagen in der Stadt Luzern seit 2012

20. Oktober 2020 – Projektkredit Velotunnel Bahnhof:
JA: 15776 (61,66%) / NEIN: 9809 (38,34%).

27. September 2020 – Initiative «Spange Nord stoppen»:
JA: 22368 (72,65%) / NEIN: 8419 (27,35%)

9. Februar 2020 – Bürgerliche Initiative für das Parkhaus Metro im Musegghügel:
JA: 9744 (40,67%) / NEIN: 14216 (59,33%).

19. Mai 2019 – Sonderkredit für die Velostation Bahnhofplatz:
JA: 13324 (54,42%) / NEIN: 11159 (45,58%)

24. September 2017 – «Inseli-Initiative» der JungsozialistInnen:
JA: 13840 (51,61%) / NEIN: 12976 (48,39%)

24. September 2017 – Erweiterung Cheerstrasse (beim Bahnhof Littau):
JA: 12603 (50,56%) / NEIN: 12321 (49,44%)

15. November 2015 – SVP-Initiative «für einen flüssigen Verkehr»:
JA: 6563 (31,91%) / NEIN: 14003 (68,9%).

22. September 2013 – SP-Initiative «autofreie Bahnhofstrasse»:
JA: 13615 (55,79%) / NEIN: 10787 (44,21%)

25. November 2012 – JUSO-Initiative gegen den «Südzubringer»:
JA: 8160 (47,88%) / NEIN: 8881 (52,12%)

Drittens: Beide oben eben erklärten Entwicklungen zeigen, dass es sich dabei keineswegs um zufällige Verläufe handelt. Das bestätigen Resultate aus der Stadt Luzern zu eidgenössischen Abstimmungen. Und zwar wiederum bei Vorlagen, die sich im Links-rechts-Schema positionieren lassen. Beispiel: Die «Konzernverantwortungs-Initiative» ist am 29. November 2020 in Luzern mit 61,5 % Ja-Stimmen angenommen worden, gesamtschweizerisch jedoch nur mit 50,7 %. Oder die Initiative zur Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht (22. September 2013), die aus der Küche der ultralinken «Gruppe Schweiz ohne Armee» stammt. Sie erreichte gesamtschweizerisch schwache 26,8 % Ja-Stimmen, in Luzern jedoch immerhin 33,7 %. Apropos Armee: Die Vorlage zur Beschaffung neuer Kampfflugzeuge (27. November 2020) brachte es gesamtschweizerisch zwar auf (brandgefährliche) 50,1 % Ja-Stimmen (hätte also abstürzen können), in Luzern jedoch bloss auf 41,6 %, ist hierwärts somit abgelehnt worden. Siehe dazu rechts: die erste, die zweite und die dritte Grafik.

Daraus folgt: In verkehrspolitischen Fragen funktioniert in Luzern eine seit mehreren Jahren unverkennbar erstarkende Koalition aus «Rot und Grün». Die Grünliberalen brauchts dafür inzwischen nicht mehr, weil seit 2020 SP und Grüne 24 der 48 Sitze im Stadtparlament besetzen.

Demgegenüber steckt das deswegen seit Jahren grollende und schmollende bürgerliche Lager in einer ebenso unverkennbaren Defensive. Die versucht es nun mit seinem Referendum gegen das sogenannte Parkplatzregime aufzubrechen. Stimmt die Stadt aber am 13. Juni im Sinne von SP und Grünen ab, ist dies eine brutale Quittung, welche eine solide rot-grüne Mehrheit offenbart; eine Ohrfeige für FDP, CVP, SVP und GLP, verabreicht notabene vom Souverän, von dem sie sich doch eigentlich genau das Gegenteil erhofft hatten.

Gewinnen jedoch handkehrum die Bürgerlichen diese Abstimmung, so hat Rot-grün rein gar nichts zu befürchten, weil sich an den Machtverhältnissen im Stadtparlament rein gar nichts ändert. Und die nächste verkehrspolitische Vorlage kommt so sicher wie das Amen in der Kirche und dann beginnt das Spiel von vorne; inklusive bürgerlichem Widerstand, falls es Rot-grün zu bunt treibt; sprich: erneut radikale Lösungen durchboxt. SP und Grüne strotzen nämlich vor Tatendrang und Selbstbewusstsein angesichts der bekannten und vor allem soliden politischen Entwicklung in der Stadt Luzern zugunsten ihrer Wirkungsmacht und Durchschlagskraft (siehe dazu rechts die zweitunterste und die unterste Grafik).

Tatendrang und Selbstbewusstsein? Manche Bürgerliche reden von «linker Arroganz».

Mit anderen Worten. Das bürgerliche Referendum gegen das im Grossen Stadtrat mit rot-grüner Mehrheit beschlossene Parkplatzregime könnte für die Bürgerlichen zum Rohrkrepierer werden. Dieses Referendum ist ein Spiel mit dem Feuer. Eine bessere Sanktionierung als die Mehrheit des Volkes zu erreichen, gibts bekanntlich definitiv nicht.

Die Botschaft würde lauten: In der Stadt Luzern macht Rot-grün die Verkehrpolitik, bürgerlicher Widerstand erweist sich am 13. Juni 2021 - einmal mehr! - als chancenlos.

Oder um Schillers «Lied der Glocke» zu zitieren: Gefährlich ists, den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn. 

Das gilt allerdings «in beide Richtungen». Mit ihren Verschärfungen der beiden Parkplatz-Vorlagen im Grossen Stadtrat könnten SP und Grüne ihrerseits potenziell bürgerlich denkende LuzernerInnen mobilisiert haben, sich jetzt dagegen zu wehren, «dass dieses Fuder überladen ist»; Leute, die sonst nicht abstimmen. Dann müsste Rot-grün ein Eigentor kassieren. Eines jedoch, das die Machtposition im Parlament nicht schwächt. Denn der Grosse Stadtrat bleibt bis 2024 so zusammengesetzt.

Herbert Fischer, Redaktor lu-wahlen.ch, Luzern

Siehe auch unter «Links».


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/