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Kolumne der Redaktion

22.05.2021

Vom Bauernsohn in Schlierbach und Banklehrling in Triengen zum respektierten linken Publizisten in Bundesbern

In Köniz ist 92-jährig der Publizist Ferdinand Troxler gestorben, während Jahrzehnten eine herausragende Figur der Schweizer Gewerkschaftsbewegung. Diese Karriere war ihm nicht in die Wiege gelegt. Denn er war einer Bauernfamilie im luzernischen Schlierbach entsprossen und absolvierte zuerst ein Lehre bei der Sparbank Triengen. Eigens für lu-wahlen.ch würdigt sein Freund Peter Graf den Verstorbenen.


Dr. Ferdinand Troxler (1929) ist in Schlier-bach LU als Bauernbub aufgewachsen. Er absolvierte zuerst in der seinerzeitigen Sparbank Triengen eine Banklehre, eher er die Maturität erreichte und eine akademi-sche Ausbildung startete. Troxler war während Jahrzehnten einer der Vordenker der Gewerkschaftsbewegung in der Schweiz und gilt als hochgeachteter und respektierter Publizist.

Peter Graf (1945) war Bundeshausredaktor der Depeschenagentur, Informationschef der SP Schweiz und später der Gewerkschaft SMUV. Er wirkte nachher als persönlicher Mitarbeiter von Bundesrat Otto Stich und als Informationschef des Finanzdepartements.

Ferdi Troxler hat mir vor einigen Jahren in einem Brief geschrieben: «Ich möchte, dass Du dereinst an der Abschiedsfeier in der katholischen Kirche Köniz auf mein Wirken innerhalb der Gewerkschaftsbewegung und der SP sowie als Journalist und Publizist eingehst.»

Der Anlass in der Kirche findet infolge «Corona» im engen Familien- und Freundeskreis statt und soll vor allem kirchlichen Trost und Erinnerungen aus den privaten Umständen gewidmet sein. Im Folgenden geht es um den gewerkschaftlich und politisch engagierten Menschen und Staatsbürger Dr. Ferdinand Troxler, und seinen Bildungs- und beruflichen Lebensweg vom Bauernsohn zum Journalisten, Redaktor, Kommunikator und religiösen Sozialisten.

Jugend im Geiste der Zeit der Staatsgründung

Mit Ferdis Tod geht ein überaus reiches publizistisches, gewerkschaftliches, politisches und familiäres Leben zu Ende. Blickt man in seine frühe Jugend ins Elternhaus im luzernischen Schlierbach zurück, kann man nicht sagen, der Sozialismus sei ihm in die Wiege gelegt worden. Sein Vater war ein liberaler, aber sozial gesinnter Bauer in der Tradition des luzernischen Freisinns, dessen Mitglieder sich damals noch «die Radikalen» nannten. Der junge Ferdinand Troxler hat diesem politischen Gedankengut damals viel abgewinnen können, so viel, dass er sich 1948 – erst 19jährig – an einer FDP-Feier zum 100-jährigen Bestehen der modernen Schweiz in die Gruppe des Freischärler-Zugs seiner Wohngemeinde einordnete. Ferdis Mutter stammte aus einer katholisch-konservativen Familie.

Ein Suchender

Nicht nur sein politisches Weltbild verlief in wundersamen Wendungen. Auch seine berufliche Laufbahn nahm unerwartete Richtungen ein, bis sie zur eigentlichen Bestimmung gelangte.  Ferdi hätte ursprünglich Bauer werden sollen und können. Vom erfolgreichen Wirtschaften verstand er schon als Heranwachsender etwas, als er mit oft über 100 Kaninchen einen regen «Chüngeli-Handel» betrieb und damit so viel Geld verdiente, dass er von Zeit zu Zeit seine Schulfreunde zu einem «Z’nacht» einladen konnte.

Geld oder Geist?

Ferdi wurde nicht Bauer, er machte eine Banklehre. Die Kardinalfrage - Geld oder Geist? - kam erst später, als ihn sein Arbeitgeber, der Leiter einer Grossbankfiliale in Montreux, an die Londoner Börse schicken wollte. Seine Skepsis gegenüber dem Casino-Kapitalismus wuchs in der ihm gewährten Bedenkzeit. Ich zitiere Ferdi: «In einer Welt des Materialismus entdeckte ich ganz neu die Werte des Christentums. Mit dem Gedanken, Priester zu werden, verabschiedete ich mich von der Finanzwelt», heisst es in einem von ihm formulierten Lebenslauf.

Ferdi holte die Matura nach und studierte Philosophie, Theologie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Das Studium schloss er an der Uni Bern mit einer Doktorarbeit ab zum Thema «Die Lehre vom Eigentum bei Thomas von Aquin und Karl Marx – eine Konfrontation.» Diese Arbeit erschien auch in Buchform.

Eine Klammerbemerkung

Das Thema liess ihn nie mehr los. In seinem 84-sten Altersjahr versammelte er einen reichhaltigen Schatz von Artikeln aus mehreren Jahrzehnten und seine in einem langen Leben gewonnenen Erkenntnisse zu seinem Dissertationsthema erneut in Buchform. Ferdi war auch da auf dem neusten Stand: das Buch erschien als e-book im deutschen Sprachraum, aber auch in USA.

Prägende Einflüsse durch Karl Marx und Nell Breuning

Zurück zur Studienzeit: Sein neu erwachtes Interesse an christlichen Werten vertiefte er an einem zweijährigen Seminar bei den französischen Arbeiterpriestern, den prêtres ouvriers. In den Seminarferien arbeitete er mit am Neubau einer Kirche im Armenviertel von Grenoble. Kontakte zum kommunistischen und atheistischen Vorarbeiter scheute er keineswegs. Das war Mitte der Fünfzigerjahre nicht selbstverständlich, als in seiner Heimat und auch anderswo in Europa der Kalte Krieg herrschte. Denn seine Studien der Schriften von Karl Marx liessen ihn später sagen: «Seither bin ich auf Marx abonniert.»

Eine andere Gestalt, die neben einigen bedeutenden französischen katholischen Sozialethikern Einfluss auf Ferdis Weltbild ausübte, war einer der Begründer und später als Nestor der modernen katholischen Soziallehre bekannte deutsche Jesuit Oswald von Nell-Breuning, der übrigens in Trier das gleiche Gymnasium besucht hatte, wie im Jahrhundert zuvor Karl Marx.

Auch Willy Brandt hat Nell-Breuning zuweilen in Reden zitiert oder im Gespräch auf ihn verwiesen. Nell-Breuning war zudem als Berater für den Deutschen Gewerkschaftsbund und in verschiedenen wissenschaftlichen Beiräten deutscher Ministerien tätig. Kein Wunder: Nell Breuning hatte schon in den frühen 30-er-Jahren an einer Sozialenzyklika mitgewirkt. In dieser Enzyklika von Papst Pius XI. wurden unter anderem die kirchliche Kritik an der kapitalistischen Klassengesellschaft, die Gleichwertigkeit von Lohnarbeit und Kapital, die Sozialbindung des Eigentums und das Ziel einer «neuen Gesellschaftsordnung» sowie das Subsidiaritätsprinzip festgeschrieben. Und auch kein Wunder: In der Zeit des Nationalsozialismus hatte Nell-Breuning von 1936 bis 1945 Schreib- und Publikationsverbot.

Ferdis Grundüberzeugungen

Auch bei Ferdi Troxler kann man nachlesen, dass der Mensch nicht nur auf Eigennutz aus sei, wie es die herrschende Ökonomie weismachen will. Der Mensch sei auch fähig zur Solidarität. Deshalb müsse der Kapitalismus überwunden werden. Das Kapital habe eine dienende, nicht eine beherrschende, ausbeuterische Rolle zu spielen.

Auf parallelen Bahnen im Bundeshaus

Ferdi und ich lernten uns als akkreditierte Bundeshausjournalisten kennen, fast 20 Jahre versahen wir zur gleichen Zeit anspruchsvolle journalistische Aufgaben, davon fünf in der Gewerkschaftsbewegung zur gleichen Zeit, und ich darüber hinaus mehr als ein Dutzend Jahre als Pressesekretär der Sozialdemokratischen Partei und als Bundeshausredaktor zweier Nachrichtenagenturen. Wir waren beide auch Mitglieder der Geschäftsleitungen dieser Organisationen; er der gewerkschaftlichen Dachorganisation SGB, ich als Chefredaktor der SMUV-Zeitung, der Vorgängerin der heutigen Verbandszeitung der UNIA. Mein dortiger Chef, Nationalrat Fritz Reimann, war gleichzeitig Ferdis Chef, da er auch den Gewerkschaftsbund leitete.

Die eben genannten Grundüberzeugungen bekamen alle zu hören, die Ferdi näher kennen lernten und mit ihm im Gespräch waren: An den Pressekonferenzen nach den Bundesratssitzungen musste Dr. Zwicky von der NZZ ebenso wie Heiri Studer vom kommunistischen «Vorwärts» seinen Fragen und Kommentaren zuhören. Ferdi liess auch den Vizekanzler für Information - damals der uns politisch nahe stehende Dr. Walter Buser - der die Bundesratsbeschlüsse vortrug, nicht so rasch wieder aus dem Journalistenzimmer verschwinden. Er hatte zu fast jedem Beschluss des Bundesrats zur Wirtschafts- und Sozialpolitik Fragen zu stellen. Und er nutzte die Fragestunde oft, um den Entscheid auch gerade noch zu kommentieren, was manchen eingefleischten bürgerlichen Berichterstattern auf die Nerven ging.

Vom Konsumentenschutz zum Gewerkschaftsbund

Nochmals zurück zum beruflichen Lebensweg unseres verstorbenen Freundes: Der Weg zu seiner lebensbestimmenden beruflichen Tätigkeit nach Abschluss des Doktorates und bis zu seiner Pensionierung war nun auf einmal sehr kurz. Er arbeitete nach einem kurzen Zwischenspiel beim Konsumentenschutz bis zu seiner Pensionierung als Redaktor des Pressedienstes des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes und war Leiter und Koordinator von unzähligen Abstimmungskampagnen. Er wurde der Nachfolger des legendären Eugen Hug; auch er, wie Ferdi ein Mann mit reicher humanistischer Bildung, der seinen Lebensabend mit der Pflege seiner schwer behinderten Frau verbrachte, sowie dem Studium der Vorsokratiker wie Aristoteles, Theophrastes und anderer.

Nicht Priester, aber Botschafter

Priester wurde Ferdi zwar nie. Aber er war ein Botschafter für die Interessen der Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungs-Arbeitnehmerschaft in der Schweiz. Und diese Interessenlage erläuterte Ferdi den einflussreichen Kommentatoren der bürgerlichen Presse ebenso eindringlich und überzeugend mit grossem Sachverstand wie gewerkschaftlichen Kursteilnehmern oder der Leserschaft der sozialdemokratischen Tagespresse - ja, es gab sie damals noch, - oder der gewerkschaftlichen Verbandspresse und vielen anderen politisch interessierten Kreisen in Vorträgen und Podiumsgesprächen. Wichtige Themen waren für ihn schon früh die Arbeitnehmer-Mitbestimmung und der behutsame Umgang mit unseren Ressourcen.

Bis ins hohe Alter blieb Ferdi auch in der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz und in seiner SP-Sektion Köniz zusammen mit seiner Frau Elsbeth aktiv.

An einem seiner letzten Auftritte vor einem schweizerischen Kongress der SPS stritt er 2010 und 2012 erfolgreich für einen Antrag einer Subkommission für den «visionären Teil» des neuen Parteiprogramms der SP Schweiz. Das Parteiprogramm dürfe nicht nur den «demokratischen Sozialismus» wollen, sondern müsse für eine «sozial-ökologische Wirtschaftsdemokratie» einstehen, forderte er am Rednerpult des Kongresses von den Mitgliedern. So lautet jetzt auch der Titel des heute geltenden Parteiprogramms. Das war Jahre vor der klimakritischen Schülerin Greta Thunberg. Ferdi war auch im hohen Alter weltoffen, visionär und jung geblieben.

Engagement bei den religiösen Sozialisten

Denn: Schon 2003 sprach Ferdi Troxler an einem Kongress der Internationalen Liga religiöser Sozialistinnen und Sozialisten unter dem Thema «Perspektiven einer global solidarischen Gesellschaft». Eine der im Referat von Ferdi Troxler vertretenen Thesen lautete: «Eine sozial-ökologische Wirtschaftsdemokratie ist eine real mögliche Alternative zum kapitalistischen Wirtschaftssystem.» Der Kreis hatte sich geschlossen. Seine Arbeit an der Zeitschrift «Neue Wege» ist auch eine Art Vermächtnis seines Denkens.

Mit Ferdi Troxler hat die Gewerkschaftsbewegung einen herausragenden Publizisten und weit voraus schauenden und denkenden Verfechter der Ideale des demokratischen Sozialismus und der schweizerischen Gewerkschaftsbewegung verloren.

Peter Graf, Bern


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/