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Kolumne der Redaktion

25.09.2020

Was Peter Bodenmann zum Abschied von Helmut Hubacher im Basler Volkshaus sagt

Im Basler «Volkshaus» hat soeben die Abschiedsfeier für Helmut Hubacher begonnen. Es sprechen Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga, die frühere SP-Ständerätin Anita Fetz und der frühere SP-Nationalrat Peter Bodenmann. Hier ist das Manuskript seiner Rede zu lesen.


Vor und nach der heutigen Feier im Basler Volkshaus entstanden diese Bilder.

Peter Bodenmann war Walliser SP-National- und -Regierungsrat. Er folgte 1990 Helmut Hubacher als SP-Präsident. Heute führt er in Brig ein grosses Hotel.

Juristin Dr. Gret Haller vertrat die SP in der Stadtberner Exekutive und nachher im Nationalrat, den sie 1993 / 1994 auch präsidierte.

Historikerin Dr. Eva Herzog war als Basler SP-Regierungsrätin Finanzdirektorin. Seit 2019 vertritt sie ihren Kanton als Nachfolgerin von Anita Fetz im Ständerat.

Dr. Andrea Hämmerle, Rechtsanwalt und Biobauer, war SP-Nationalrat und einer der Gründer der «Alpen-Initiative».

Rechtsanwalt Dr. Claude Janiak war Baselbieter SP-National- und Ständerat.

Ökonom Dr. Ruedi Rechsteiner (links), früherer Basler SP-Nationalrat, gilt als einer der führenden Experten in der Sozialversicherungspolitik.

Jurist und Journalist Carl Miville, langjähriger Basler SP-National- und -Ständerat, ist mit Gret und Helmut Hubacher seit Jahrzehnten befreundet. Rechts: die frühere Baselbieter SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger-Oberholzer.

Historiker Jon Pult ist Bündner SP-Nationalrat und Präsident der «Alpen-Initiative».

Historiker Eduard Belser war Baselbieter SP-Ständerat.

Für eine stimmungsvolle Umrahmung der Abschiedsfeier im Basler Volkshaus sorgte das «Basler Sicherheitsorchester», unter anderem mit Melodien von Kurt Weill aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper.

Bilder: Herbert Fischer

Gret und Helmut Hubacher wurden 1926 geboren. Neun Jahre nach der erfolgreichen Revolution der Bolschewiki in Russland. Diese führte zur Spaltung der Linken. 1918, und somit ein Jahr später, endete der grosse Krieg, den wir im Rückblick den 1. Weltkrieg nennen. Als die Truppen Hitlers Polen überfielen, waren Gret und Helmut 13 Jahre alt. Beide wurden somit hineingeboren in das kurze und grausame Jahrhundert der Extreme.

Als Gret und Helmut siebzehn waren, kesselten die Truppen von Generalstabschef Schukow in Stalingrad die 6. Armee Hitlers ein. Am 2. Mai 1945 wehte die rote Fahne der Sowjetunion auf dem zerstörten Reichstagsgebäude in Berlin. Unter Stalin wurden Millionen Menschen umgebracht, unter ihnen viele aufrechte Sozialdemokraten, Trotzkisten und Bolschewiki. Trotzdem, oder genauer auch deswegen implodiere nach dem Fall der Berliner Mauer die einst so mächtig erscheinende Sowjetunion. Die vor 50 Jahren noch starken kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens verschluckte der Erdboden. Und die Sozialdemokratischen Parteien der uns umgebenden Länder sind auch nur mehr ein Schatten ihrer selbst.

Helmut wuchs bei seinen Grosseltern auf. Sein Grossvater brachte ihm Klassenstolz und Selbstbewusstsein bei. Helmut machte eine Lehre als Stationsbeamter bei den SBB. Die SBB waren und sind ein Stück zuverlässige Schweiz; Stationsbeamte, pünktlich wie Schweizer Uhren. Wer je mit dem Zug und Helmut unterwegs war, weiss: Der Hubacher war immer 10 Minuten vor der Abfahrt des Zuges auf dem Perron. Gelernt ist gelernt.

Helmut war, wie er es in einem seiner Bücher beschreibt, als junger Mann ein «Mister Schüch». Die früher gereifte, aktivere und zeitlebens etwas linkere Gret holte ihn ins Volkshaus, in die sozialdemokratische Arbeiterbewegung. Hier lernte er Carl Miville kennen. Dessen Vater hatte als Regierungsrat von der SP zur PdA gewechselt. Unter dem Einfluss von Marino Bodenmann, einem Wallisstämmigen.

In zwei Städten war die PdA elektoral eine Bedrohung für die SP: in Basel und in Genf. Das prägt die lokale Linke bis heute. Die beiden sozialdemokratischen Jungspunde Carl Miville und Helmut Hubacher schlichen sich inkognito in eine PdA-Versammlung. Enttarnt ergriffen sie die Flucht. Carl Miville nahm aus seiner Aktentasche eine Pistole und schoss in den Basler Nachthimmel. Eine wahre Anekdote, die aufzeigt, wie gespannt das Verhältnis zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten damals war.

In Basel wurde aus dem Stationsbeamten Hubacher ein Gewerkschafter und wenig später ein angriffiger Journalist. Der Angriffige und Angegriffene wurde immer wieder mit Klagen eingedeckt. Die allermeisten Prozesse gewann Helmut.

Hubacher brachte es bis zum Chefredaktor des sozialdemokratischen «AZ-Rings». Dieser war dem Untergang geweiht, wie alle Schweizer Tageszeitungen der Parteien. Lebenslänglich schreiben wurde trotzdem, oder deswegen fester Bestandteil von Helmuts Leben. Er schrieb 9 Bücher mit mehr als 2000 Seiten. Dazu vorsichtig geschätzt 5000 Kolumnen. Unter anderem jene unter dem Pseudonym Rosa Berner in der Berner «Tagwacht».

Drei rote Fäden zogen sich durch sein publizistisches Schaffen. Helmut Hubacher schrieb so, dass ihn alle verstehen konnten. Er arbeitete an und mit der Sprache. Er versuchte Begriffe zu prägen. Oft erfolgreich. Und er war der Erzähler einprägsamer Geschichten. Der grösste und erfolgreichste politische Story-Teller der Schweiz, bevor jemand das Wort auch nur kannte. Stimmten jeweils die Fakten? Fast immer.

Die drei wichtigsten Quellen waren und blieben für ihn:

Erstens sein schwarzes Notizbuch, in das er alles eintrug, was ihm politisch wichtig schien. So etwa 1988 unseren gemeinsamen Besuch – zusammen mit Ursula Mauch und André Daguet – bei Janos Kadar. Der Gulasch-Kommunist verstand damals nicht, warum der real nie existierende Sozialismus gerade implodierte.

Zweitens las Helmut Hubacher sieben Tageszeitungen, viele periodische Zeitschriften und Bücher. Als einer der wenigen liess er sich auch immer wieder Berichte des deutschen Bundestages zu unterschiedlichsten Themen zustellen.

Und drittens hörte er den Menschen zu. Und erzählte deren Sorgen weiter. Für einige zu wenig sortiert und gefiltert. Er war ein wandelndes Meinungsforschungs-Institut, noch bevor diese wie Pilze aus dem Boden schossen und begannen, die Politik zu beraten. Zuhören war eine seiner grossen Stärken.

Wir alle haben auch ein paar dunkle Schatten auf unseren politischen Lungen. Willy Brandt setzte in Deutschland das Berufsverbot für DKP-Lehrerinnen und -Lehrer durch. Ein Fehler. Helmut Hubacher hat in den Gewerkschaften ein Funktionärsverbot für PdA-Mitglieder unterstützt. Beides verständlich, wenn man ihre Lebensgeschichten kennt. Und trotzdem falsch.

Hubacher hatte immer etwas Spielerisches an sich. Er konnte austeilen und kassieren. Nach seiner Nichtwahl als Regierungsrat reiste Peter Bichsel nach Basel, um Helmut zu trösten. Und fand ihn schon wieder fast vergnügt im «Maxim» bei Gret. Helmut Hubacher war ein Steh-auf-Mann. Niederlagen warfen ihn nicht aus der Bahn. Sie schienen ihn unabhängiger und stärker zu machen.

Anders war sein Vorvorgänger Walther Bringolf gewesen. Bringolf hatte nie verdauen können, dass die Vereinigte Bundesversammlung nicht ihn gewählt hatte, sondern den «Tschudeli». In jeder Tischrede kam er früher oder später auf diesen seinen Frust zu sprechen.

Helmut war anders. Er wehrte sich nicht einmal dagegen, als ihn die Bürgerlichen als Stiefellecker der Kommunisten verleumdeten. Ausgerechnet ihn, den nachweislich strammen Antikommunisten. Helmut war ein Rotes Tuch und nahm dies verdammt gelassen. Ab und zu genoss er es sogar etwas, der Böse zu sein, der er nicht war.

Unverständlich dagegen waren für ihn die Dreckeleien jener, die es besser wussten.

Für die Rechte in der Schweiz galt: Die Schweiz hat keine Armee, die Schweiz ist eine Armee. Obwohl wir den Zweiten Weltkrieg nicht wegen der Armee unzerstört überlebt haben, sondern weil wir uns anpassten. Noch 1989 liess der Legenden-Kaspar Villiger trotzdem die Generation Gamelle antreten.

Weil die Armee eine heilige Kuh war, nahm fast niemand deren Beschaffungsskandale unter die Lupe. Helmut holte Nicolas Hayek in sein Boot, um mit ihm aufzuzeigen, wie die Obersten das Geld zum Fenster hinauswarfen. Etwa bei der Beschaffung des Leopard-Panzers. Leider hat sich an dieser Geldverschleuderung wenig geändert.     

Willy Brandt war der Vater der Ostpolitik. Olof Palme stand für internationale Solidarität und die Kritik am Vietnamkrieg. Bruno Kreisky war der klügste Kopf und suchte eine Versöhnung mit den Palästinensern. Helmut Hubacher war einer von ihnen, deren Denken und Handeln wirtschaftspolitisch im traditionellen Keynesianismus verankert blieb. Lieber mehr Schulden als mehr Arbeitslose. In der Logik der Modern Money Theorie.

Politik, Politikerinnen und Politiker leben immer von und in Milieus. Basel war lange Zeit ein einmaliges Biotop, wo sich der Fussball mit Helmut Benthaus, die Kultur mit Werner Düggelin und die Politik mit Helmut Hubacher gegenseitig verbanden.

In Bundesbern mochte Helmut Hubacher an den damals noch freien und somit stressfeien Parlaments-Nachmittagen nicht Jassen gehen. Er diskutierte lieber mit Lilian Uchtenhagen, Walter Renschler und Andreas Gerwig die grossen Fragen ihrer Zeit. Frei und ungebunden. Man nannte sie die Viererbande. Andere hätten daran keine Freude gehabt. Anders Helmut Hubacher, er war stolz auf seine Viererbande, die so anders tickte als die Mehrheit der real existierenden und jassenden Sozialdemokratie.

Bundesräte werden immer von den anderen Parteien gewählt. Und ab und zu auch wieder abgewählt, – wie wir inzwischen wissen. Am Morgen jeder Bundesratswahl schauen die meisten Mitglieder der Vereinigten Bundesversammlung in den Spiegel und denken sich, das wäre eigentlich der oder die Richtige. Helmut Hubacher setzte mit viel Druck auf die Wahl von Lilian Uchtenhagen zur Bundesrätin. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Rechten im letzten Moment Otto Stich aus dem Hut zaubern würden. Und er hatte auch nicht damit gerechnet, dass Stich seine Wahl gegen den Willen von Fraktion und Partei annehmen würde.

Helmut Hubacher forderte als Antwort auf diese Provokation den Austritt der Partei aus dem Bundesrat. Die Delegierten sollten es entscheiden und beschliessen. Im Kursaal marschierte der Berner SP-Landsturm auf und beliess Otto Stich in der Regierung. Mit im Boot der parteiinternen Intriganten sass Hubachers eigener Zentralsekretär, der für ihn nicht länger tragbar war. Wegen Illoyalität. Und zur Strafe Präsident der Naturfreunde werden durfte.

Ruedi Strahm wollte in seinem Buch «Vom Wechseln der Räder am fahrenden Zug» aufzeigen, wie die Partei sich neu rechter und erfolgreicher hätte aufstellen sollen. Mit den Rädern war Helmut Hubacher gemeint. Der Autor hatte übersehen, dass der 1 Meter 90 grosse Präsident der Lokführer war. Die Partei liebte ihn, weil er irgendwie Opposition und Aufbruch verkörperte. Sie wollte aber deswegen das warme Nest des Bundesrates dennoch nicht verlassen. Opposition tat der linken Seele gut, aber etwas Macht ermöglichte vielen Fähigen den Aufstieg in den Machtapparaten.  

Auch die Zeit konnte das zerbrochene Geschirr zwischen Helmut Hubacher und Otto Stich nicht kitten. Im besten Fall herrschte zwischen den beiden so etwas wie friedliche Koexistenz. Obwohl sich Otto Stich aus linker Sicht im Bundesrat besser entwickelte als befürchtet. Gret grüsste Otto Stich nach dessen Wahl nicht mehr, wenn sie ihm im Baumarkt begegnete. Frauen sind halt häufig konsequenter als Männer.

Politik ist Häuserkampf. Parteien müssen ihre Ränder befestigen und sichern. Personell und inhaltlich. Und sich in diesem Prozess immer wieder neu erfinden. Sonst gehen sie früher oder später unter. Helmut Hubacher hielt seine Hand immer schützend über parteiinterne Dissidenten wie Jean Ziegler, Arthur Villard, Hansjörg Braunschweig und andere. Dies im Gegensatz zu anderen sogenannten Sozialdemokraten, die für die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Jean Ziegler stimmten.

Die Sozialdemokratie war fortschrittsgläubig und deshalb für die Atomenergie. Lange, fast zu lange wollte Helmut Hubacher nicht wahrhaben und nicht wahrnehmen, was sich im Brennpunkt der Anti-AKW-Bewegung in Kaiseraugst abspielte. Gret und seine Tochter mussten ihn zwingen, mit auf das besetzte Gelände zu kommen. Und innert weniger Stunden hatte Helmut Hubacher emotional begriffen, dass hier ein neues Zeitalter begonnen hatte.

Nur dank dieser stupenden Fähigkeit zur schnellen Kurskorrektur war er in der Lage, die Partei zu einer Art neuen Heimat für all jene zu machen, die nach dem Scheitern des Schweizer Grüppli-Kommunismus politisch nicht resignierten wollten.

Parteiprogramme waren für Hubacher in diesem Prozess Sterne am Nachthimmel. Sie spendeten Trost sowie Hoffnung, aber leuchteten mit ihrem Licht nicht jene Ecken aus, in denen die Schweizer Sozialdemokratie in kleinen Schritten und dank vielen Kompromissen unser Land etwas sozialer, umweltfreundlicher und toleranter zu machen versuchte.

Frank A. Meyer war in der Nachkriegszeit des letzten Jahrhunderts der wichtigste politische Influencer der Schweiz. Er residierte in einer Suite des Berner Nobelhotels Bellevue und zog in drei Departementen ab und zu die Fäden. Der gelernte Typograph und Sohn eines Uhrmachers war damals sozial, liberal und quicklebendig. Meyer hat auch immer wieder Helmut Hubacher inspiriert. Und dieser stand offen dazu. Im Gegensatz zu anderen. Es gäbe keinen Grund sich dafür zu schämen, sagte er.

Seit Frank A. Meyer in Berlin residiert, warnt er uns unablässig vor den Gefahren des Islams. Und regt sich auf seinem Marsch nach rechts über Feministinnen auf. Als ob diese nächstens in allen Vorzimmern der Macht sitzen würden. Helmut Hubacher war und wurde nie islamophob. Und auch der Gender-Tam-Tam hat ihn nicht verschreckt. Er war ein Gelassener. Er war kein Aufgeregter.

In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts holte das Schweizer Kapital mit Duldung der Gewerkschaften viele rechtlose ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter ins Land. Sie lebten in Baracken. Sie  mussten ihre Kinder verstecken. Und sie durften während der ersten 5 Jahre die Arbeitsstelle nicht wechseln.

Damals gab es noch keine flankierenden Massnahmen. Sondern nur das Saisonnierstatut. Es machte, dass die Löhne der einheimischen Arbeiterinnen und Arbeiter unter Druck kamen. Für Max Frisch galt: «Wir riefen Arbeiter, und es kamen Menschen.» Für links von der SP galt: «Alle Arbeiter sind Fremdarbeiter.» Beides ist zu kurz gegriffen.

James Schwarzenbach war für Helmut Hubacher ein Faschist. Ein verwöhnter, arbeitsscheuer Fabrikantensohn. Verglichen mit Schwarzenbachs erster Initiative, serviert uns die SVP seit 30 Jahren nur schwer verständliche und deshalb nicht umsetzbare Buchstabensuppen. James Schwarzenbach hingegen war glasklar: Er wollte die Zahl der ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter Knall auf Fall auf 10 Prozent senken. In allen Kantonen gleichzeitig, mit Ausnahme von Genf.

Wer im Sommer 1970 auf dem Bau arbeitete, spürte die Spannungen und den Fremdenhass. Die Stimmung zwischen den schweizerischen und ausländischen Bauarbeitern war gehässig bis feindlich. Es gab damals noch keine unsozialen Medien – und trotzdem stimmten 46 Prozent der Schweizer Männer für Schwarzenbach. Darunter die Mehrheit der Gewerkschafter. Die Spitzen von SP und Gewerkschaften erlebten ihr Marignano.

Übrigens: Die Frauen hatten damals noch kein Stimmrecht, obwohl die Linke dieses schon im Generalstreik von 1918 ultimativ gefordert hatte.

Dieses Schwarzenbach-Debakel hat Helmut Hubacher geprägt. Immer wieder forderte er seither, man müsse die Überfremdungsängste der Leute ernst nehmen. Er hat - anders als andere - jedoch nie eine Initiative der Fremdenfeinde unterstützt. Umgekehrt verteidigte er auch nie offensiv die Logik der flankierenden Massnahmen als einzig gangbaren Weg der Reregulierung.

Die Schweiz ist in Sachen Integration ein Erfolgsmodell. In zwei Tagen würde sich Helmut Hubacher über krachende Niederlage der SVP und ihrer Kündigungsinitiative freuen. Und würde trotzdem vorsichtig bleiben. Weil die Glut des Fremdenhasses immer wieder zu neuen Feuern führen wird.

Der Neoliberalismus hat die politischen Landschaften national und international links und rechts verändert. Innerhalb der Rechten kapern vordergründig Irre wie Trump, Johnson, Bolsonaro, Salvini & Co. bestehende Parteien. Oder sie gründen erfolgreich neue Parteien. Sie definieren soziale Ungleichheit als Kampf der Eliten gegen das Volk. Und sie schüren den Hass auf das Fremde und die Fremden, um dem Kapital Steuergeschenke machen zu können.

Innerhalb der europäischen Linken haben sich ebenfalls die Neoliberalen durchgesetzt. International führend waren Tony Blair und Gerhard Schröder. Nie hätte Helmut Kohl Hartz-4-Reformen angefasst und durchgesetzt. Schon gar nicht mit dem Herz-Jesu-Marxisten Norbert Blüm als Arbeitsminister. In der Schweiz verschwand das Gurten-Manifest sang- und klanglos in den Schubladen der Bedeutungslosigkeit. Es war inhaltlich baugleich mit der Politik von Tony Blair und Gerhard Schröder.

Einer der Gründe war unter anderen Helmut Hubacher. Er lag wirtschaftspolitisch immer auf der Linie von Oskar Lafontaine. Und nicht auf jener von Gerhard Schröder. Es gibt folgerichtig in meiner Erinnerung keine sozialpolitisch relevante Abstimmung, bei der Helmut nicht auf der Seite des sozialen Fortschritts gestanden hätte. Ausser bei der AHV-Volksinitiative der PdA.

Im Oktober 2019 wählte die Schweiz ein neues Parlament. Der Rückenwind für das rotgrüne Lager war gut, sehr gut sogar. Die SP-Wählerinnen und -Wähler waren mobilisiert. Die Themen der SVP hatten für einmal keine Konjunktur. Und trotzdem machte die SP das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte, seit der Einführung des Proporzes. Die Partei verlor einen Viertel ihrer Wählerinnen und Wähler. Diese wanderten vorab zu den Grünen. Das hat Helmut Hubacher umgetrieben. Er, der immer sagte: Rot sei das schönere grün. Er, der immer mit der Partei litt. Und sich immer mit ihr freute.

Die grösste Leistung von Helmut Hubacher war die Öffnung der Partei für neue Themen und die Integration der 68-er-Generation in die Partei. Genauer der inzwischen mehrheitlich zur 68 plus gereiften Generation. Zu dieser 68-er-Generation gehören die junge Anita Fetz am rechten – und ich am anderen Rand des Spektrums der Linken. Dass ausgerechnet wir beide heute auf seinen Wunsch hin hier reden, entspricht der von ihm vertretenen Logik: Eine Partei braucht zwei Flügel, wenn sie fliegen will.

Helmut Hubacher nahm seine Krankheits-Diagnose ohne Gejammer zur Kenntnis und verabschiedete sich gelassen von dieser Welt. Eine andere gab es für ihn nie. Und dies obwohl er noch gerne einige Jahre schreibend und politisierend mit Gret gelebt hätte.

Peter Bodenmann, Brig

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Siehe unter «In Verbindung stehende Artikel»: was Anita Fetz zum Abschied von Helmut Hubacher im Basler Volkshaus sagt.

Und unter «Links»: die Rede von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga.

Und unter «Dateien»: so berichten «BAZ», «bz basel» und «Walliser Bote».


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/