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Kolumne der Redaktion

22.06.2020

Die bürgerlichen Parteien haben fast alles falsch gemacht, Links-Grün dagegen fast alles richtig

Am 29. März hat Silvio Bonzanigo für die SVP als Stadtrat kandidiert. Am 28. Juni tritt er auf der Liste «Chance Littau-Reussbühl» erneut an. Hier zieht er Bilanz und blickt auf den zweiten Wahlgang.


Bei den Parlamentswahlen hat die FDP mit einer aufwändigen und gewagten Mehrlisten-Strategie immerhin die Wahrung ihres Besitzstandes erreicht. Der mit erheblichen Finanzmitteln geführte und viel zu spät lancierte Angriff aufs Stadtpräsidium war allerdings ein eigentliches Debakel.

Martin Merki vermochte in keinem Augenblick die Notwendigkeit eines Wechsels im Stadtpräsidium zu vermitteln.

Sein Smartspider hätte schon vorgängig zu dieser Einsicht führen müssen. Stattdessen hätte die FDP mit Vorteil über eine Zweierkandidatur eine Person in Stellung gebracht für die Nachfolge von Martin Merki 2024. Als neu klar stärkste bürgerliche Partei erwarten die Partei zusätzliche Ansprüche.

Ihre ewige Weigerung zum bürgerlichen Schulterschluss büsste die CVP mit einem erneuten Sitzverlust (neu 6 Mandate; 2009 waren es noch 10!).

Gegen einen zusätzlichen Mandatsverlust half die auffällig qualitätsvolle Grossstadtratsliste. Franziska Bitzi muss trotz Leadership-Qualitäten jetzt einen zweiten Wahlgang bestehen. Die mangelnde Kooperationsbereitschaft der CVP mit SVP und FDP war auch hier hinderlich. Wirtschaftsvertreter erwarten künftig ein klar bürgerlicheres Bekenntnis der Partei. Parteipräsidentin Karin Stadelmann muss weitere Verluste verhindern, um den Konkordanzanspruch für den CVP-Sitz im Stadtrat zu wahren.

Klare Wahlverliererin ist die SVP. Sie wurde zur schwächsten bürgerlichen Partei und verlor einen Drittel ihrer Wählerschaft.

Der Instant-Stadtratskandidatur Silvio Bonzanigo war die Partei einen Wahlkampf lang nicht gewachsen und von Strategie, Tempo und Ansprüchen des Kandidaten überfordert. Querelen bestimmten bis zum Schluss die Aussenwahrnehmung der Partei, das Zerwürfnis zwischen Partei und dem Exekutivkandidaten war absehbar. Mit ungenügender Grossstadtratsliste schlitterte die SVP im Parlament zu 2 (beziehungsweise 3: Bonzanigo ist gewählt, aber nicht Fraktionsmitglied) Sitzverlusten (bisher 7). Von der organisatorischen Schwäche der SVP zeugt, dass sie keine «Junge Liste» zustande brachte. Ein Erfolg in den Stadtwahlen 2024 ist auszuschliessen.

Im Gegensatz zu anderen Landesteilen hat die SP mandatsmässig kaum eingebüsst zugunsten der Grünen. Beat Züsli verteidigte das Stadtpräsidium souverän trotz zahlreicher Kritik.

Stadtratskandidatin Judith Dörflinger, einzig mit dem Thema «Familie» unterwegs, erzielte im ersten Wahlgang ein beachtliches Resultat. Die JUSO sind klar schwächer aufgestellt als die Jungen Grünen, ihr Sitzverlust (-1) unter den Jungwählern ist deshalb folgerichtig. Den JUSO-Vertreter auch für den zweiten Wahlgang zu nominieren, war taktisch richtig. So erhält Dörflinger den maximalen Sukkurs, und die SP macht damit deutlich, dass sie den dritten linken Sitz im Stadtrat über Dörflinger beansprucht.  

Klare Wahlsieger sind mit vier Sitzgewinnen im Parlament die Grünen. Adrian Borgula wurde trotz regelmässiger Kritik an dessen (Velo-)Mobilitätsstrategie im ersten Wahlgang sehr gut gewählt.

Der Stadtratskandidat der Jungen Grünen, Jona Studhalter, erreichte zusätzlich ein beachtliches Resultat. Die Jungen Grünen erzielten rekordverdächtige 20,7 Prozent der Listenstimmen der Mutterpartei (Juso/SP 7,5 Prozent). Die Grünen sind bestens organisiert und schnell: Als andere Parteien die letzten Listenkandidaten rekrutierten, steckte die Wahlzeitung der Grünen bereits in den Briefkästen. Will Korintha Bärtsch die Nachfolge von Adrian Borgula antreten, wird die Stadtratswahl 2024 für die Grünen zur Chance, eine aussichtsreiche Doppelkandidatur zu lancieren, falls 2020 Dörflinger nicht gewählt wird.

Programmatisch sollte die GLP zwischen den politischen Hauptrichtungen agieren. Das war aber durch den 2016 mit der SP eingegangen (Exekutiv-)Knebelvertrag eine Legislatur lang in Frage gestellt.

Der Souverän goutierte dies nicht und verhinderte einen Parlaments-Sitzgewinn. Die Abwahl von Stadträtin Manuela Jost im zweiten Wahlgang ist realistisch: Willfährig gegenüber politischer Zuneigung, ungenügend in der Direktionsführung, katastrophal im Projektmanagement. Zentrale Projekte im gemeinnützigen Wohnungsbau sind seit Jahren überfällig, private Bauträger werden behindert.

FDP- und SVP-Wählerinnen und -wähler werden sich am zweiten Wahlgang schwach beteiligen, weil Martin Merki (FDP) gewählt ist und die SVP gar keine Liste eingereicht hat. Die Wahlgänger der CVP werden im Interesse ihrer eigenen Kandidatin Franziska Bitzi kaum die Konkurrenzkandidatur Manuela Jost unterstützen. Die breite, von Wirtschaftskreisen getragene «Kontinuitäts»-Kampagne ignoriert diese Sachverhalte.

Die Dämonisierung der politisch wenig bekannten Judith Dörflinger wirkt unglaubwürdig; ich unterstütze diese Kampagne nicht. Weil die GLP auch keinen Konkordanzanspruch gelten machen kann, wird es kaum möglich sein, diesen Sitz erfolgreich zu verteidigen.  

Es fehlte den Bürgerlichen eine klare Strategie, um die Mehrheit im Stadtrat zu erobern (1 Sitz für die FDP, 1 CVP, 1 SVP gegen 1 SP, 1 Grüne). Zu vieles hätte optimal zueinander passen müssen, damit das Ziel erreichbar gewesen wäre. In Tat und Wahrheit summierten sich auf bürgerlicher Seite strategische Fehleinschätzungen, taktisches Unvermögen, falsche Kampagnenschwerpunkte, interne Wirren und ungenügende Koordination.

Links-Grün mobilisierte hingegen früh und massiv, war den Bürgerlichen in vielen Belangen immer einen Schritt voraus und fand in Judith Dörflinger die passende Alternative zu Manuela Jost. Dem Linksrutsch im Parlament würde eine neue echt Links-Grüne Mehrheit im Stadtrat entsprechen. Hier liegen SP und Grüne mit einem Anspruch von 2,67 Sitzen klar vor den bürgerlichen FDP, CVP und SVP mit einem Anspruch von 2,25 Sitzen (berechnet unter Ausschluss des GLP-Elektorats, das keinem Lager zuzurechnen ist).

Ein bürgerlicher Rückgewinn des umstrittenen dritten Sitzes 2024 wäre eine Sensation.

Auf bürgerlicher Seite hat sich die FDP klar in den Lead geschoben, während die Grünen im Parlament fast gleichauf mit der SP sind und deshalb selbständiger operieren werden. Die geringste Änderung würde sich im Stadtrat zutragen: Dörflingers Politik würde von jener Josts der letzten vier Jahre unter SP-Knebelvertrag («Geheimvertrag») nicht zu unterscheiden sein. Im Fall ihrer Wahl erhält Dörflinger die Chance, eine Direktion ergebnisorientiert, effizient und kostenbewusst zu führen. Für viele Bürgerinnen und Bürgerinnen überwiegt diese Qualität die politische Zugehörigkeit einer Stadträtin sogar.

Silvio Bonzanigo, Stadtratskandidat «Chance Littau-Reussbühl», Luzern


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/