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Kolumne der Redaktion21.06.2020 Horrorszenario für die Bürgerlichen wäre die Wahl des Duos Jost und DörflingerFakten, Fragen und Vermutungen zum zweiten Wahlgang der Luzerner Stadtratswahlen am 28. Juni 2020 (Folge 4).Am 29. März 2020 verpasste die bisherige CVP-Stadträtin und Finanzdirektorin Franziska Bitzi ihre Wiederwahl um 329 Stimmen; sie erreichte zwar 9544 Stimmen, das absolute Mehr aber, die unerbittliche Gouillotine aller ersten Wahlgänge, hatte bei 9873 Stimmen gelegen. Konkret ergab dieser erste Wahlgang folgende Rangliste: Für den zweiten Wahlgang vom 28. Juni ergibt sich eine Ausgangslage, die allein nichts darüber aussagt, welche Reihenfolge zu erwarten ist, wenn heute in einer Woche, am Sonntag, 28. Juni im Stadthaus um 13:30h dessen Resultate verkündet werden. So gut wie sicher ist bislang bloss: Die beiden noch zu vergebenden Sitze werden zwei Frauen einnehmen. Entweder die beiden Bisherigen Franziska Bitzi und Manuela Jost; oder die Bisherige Bitzi zusammen mit Judith Dörflinger (neu); oder Jost zusammen mit Dörflinger. Letztere Variante ist für die Bürgerlichen ein Horrorszenario, das aber keineswegs ausgeschlossen ist. Warum? GLP und Jost sind sehr spezielle Akteure in der Stadtluzerner Politik Manuela Jost und ihre Partei, die Grünliberalen, sind – sagen wir es so – etwas spezielle Akteure im politischen Leben dieser Stadt. Rückblende. Für die Gesamterneuerungswahlen 2012 nominierten die Grünliberalen Manuela Jost zum ersten Mal als Stadträtin. Versuche, zusammen mit der CVP und der FDP, also mit Stefan Roth und Martin Merki, bereits für den ersten Wahlgang eine gemeinsame Liste zustande zu bringen, scheiterten damals. Der Grund: Manuela Jost war – weil grünliberal – den Hardlinern in diesen beiden Parteien, vereinfacht gesagt, «zu grün» und «zu links». Also trat Jost im ersten Wahlgang solo an, wurde aber nicht gewählt (im Gegensatz zu Roth und Merki). 2016 scharf verurteilter «Geheimvertrag» ist merkwürdigerweise kein Thema mehr Es ist nicht wirklich erstaunlich, dass die CVP und die FDP nur darauf gewartet haben, 2020 die GLP und Jost wieder auf ihre Seite ziehen zu können (eben: wie bereits 2012). Erstaunlich ist vielmehr, dass sie grosszügig unter den Tisch wischen, was von ihrer Seite 2016 über Manuela Jost und die GLP verbreitet worden ist, weil sie mit der SP und den Grünen paktierten und dafür diesen «Geheimvertrag» abschlossen; sie übergossen sie in Medienmitteilungen und Leserbriefen wegen ihrer Flexibilität mit Hohn und Spott. Erst auf Druck der bürgerlichen Parteien war die GLP bereit, den Inhalt des mysteriösen Komplotts öffentlich zu machen, wogegen sich die SP übrigens nicht wehrte. Gelohnt aber hat sich der Deal. Jost wurde 2016 im zweiten Wahlgang wieder gewählt. Zanolla über Jost: «Diese Frau ist keine Bürgerliche, diese Frau ist eine Linke» Unterstützt werden Bitzi und Jost neckischerweise auch von der SVP; nicht mit einer eigenen Liste allerdings, sondern bloss mittels einer Parole. Über Manuela Jost übrigens hatte Lisa Zanolla, die bald für die SVP Präsidentin des Grossen Stadtrates werden soll, 2012 lautstark verbreitet: «Diese Frau ist keine Bürgerliche, diese Frau ist eine Linke». Man sieht: die Zeiten ändern sich und mit ihnen die SVP. Und FDP-Präsident Fabian Reinhard schrieb am 31. Mai 2016 auf lu-wahlen.ch wörtlich über die GLP: «Eine Partei am Gängelband gehört nicht in den Stadtrat.» Siehe dazu unter «In Verbindung stehende Artikel». Diese etwas langfädige Vorgeschichte zu kennen ist unabdingbar, um die Argumente zu verstehen, die heute für und gegen eine Wiederwahl von Manuela Jost sprechen. Jost wird nicht unterstützt, weil sie der CVP, der FDP und der SVP nun plötzlich (wieder) bürgerlich genug ist; ihre Unterstützung erfolgt einzig, weil diese Kreise glauben, nur mit ihrer Wahl lasse sich ein zweiter SP-Sitz verhindern: Jetzt in Gestalt von Judith Dörflinger, 2012 von Beat Züsli, der 2016 dann aber doch als Stadtrat und zudem als Stadtpräsident gewählt worden ist. Komitee mit eigenartigen Behauptungen Wie unglaubwürdig diese Unterstützung ist, kommt auch in den Aktivitäten eines Komitees zum Ausdruck, das sich um Rechtsanwalt Jost Schumacher gebildet hat und bislang vor allem durch peinliche Behauptungen aufgefallen ist. So kolportierte diese Gruppe unter anderem allen Ernstes, die Stadt Luzern werde «seit vier Jahren rot-grün» regiert, was am 28. Juni gefälligst beendet werden müsse. Wahr ist aber: die parteipolitische Zusammensetzung ist seit acht Jahren genau die gleiche. Nämlich je ein Sitz für SP, Grüne, FDP.Die Liberalen, CVP und Grünliberale. Würden Bitzi und Jost wiedergewählt, so würde diese Zusammensetzung auch in der nächsten Legislatur fortgesetzt; in jener Zusammensetzung notabene, die dieses Komitee einerseits vehement kritisiert, zugleich aber weiterhin will. Siehe über dieses Komitee auch unter «In Verbindung stehende Artikel»: Ein unglaublicher Flyer. Die Wiederwahlchancen von Manuela Jost sind allerdings ebenso schwierig einzuschätzen wie jene von Franziska Bitzi. Sie sind bei beiden Damen einerseits zwar durchaus intakt, anderseits aber ebenso fragil. Und zwar, weil die Ausgangslage eine komplett andere ist als im ersten Wahlgang. Bellen und beissen statt jammern und kuschen Zwischenspiel. Dies ist der ergiebige Nährboden für Gedankenspiele und Spekulationen. Mit Verlaub: Was wäre Politik ohne derlei Wichtigtuereien? Wer könnte mitreden und mitspekulieren, wenn andere nicht vorangingen und ihre gesammelten Weisheiten – sowohl die «seriösen» wie auch jene ohne «Händ ond Füess» – kundtäten? Wer sich darüber empört, sei daran erinnert: Die städtischen Wahlen 2020 sind wie schon jene 2016 und jene 2012 geprägt von einer erschreckenden thematischen Leere. Wirkliche Debatten fehlen weit und breit. Wer dies beklagt, und da ist lu-wahlen.ch nicht allein, tut also gut daran, selber Diskussionen zu lancieren und zu befeuern, statt bloss zu bellen, ohne zu beissen. So einfach ist das! Zurück zum eigentlichen Thema. Zwei Sitze im Stadtrat sind also noch zu besetzen. Mindestens die Elektorate von SP und Grünen haben im ersten Wahlgang Beat Züsli und Adrian Borgula fadengerade wieder gewählt; ihre Resultate deuten sogar darauf hin, dass sie darüber hinaus unterstützt worden sind. Judith Dörflinger (SP) erreichte Platz drei der Nichtgewählten. Allerdings nur mit 190 Stimmen weniger als Jost (GLP), die ihrerseits 537 Stimmen hinter Bitzi (CVP) lag. SP und Grüne nominierten für den zweiten Wahlgang wieder Dörflinger. Weil aber zwei Sitze zu besetzen sind, wären auf ihren Listen je eine Linie leer geblieben, falls sie diese nicht verwenden würden. Zwei Jungs als Listenfüller Das ist der Grund, warum Jona Studhalter (24) von den Jungen Grünen (im ersten Wahlgang 7545 Stimmen) und Skandar Khan (21) von den JUSO (7308 Stimmen) ihre Kandidaturen aufrecht erhalten und somit jetzt auf der SP-Liste (Dörflinger und Khan), beziehungsweise auf der Grünen Liste (Dörflinger und Studhalter) aufscheinen. Ihre beiden doch recht erstaunlich hohen Stimmenzahlen dürften mit grosser Wahrscheinlichkeit am 28. Juni im rot-grünen Lager bleiben, also Dörflinger nützen – und somit Bitzi und Jost fehlen. Letztlich aber sind Studhalter und Khan «Alibi-Kandidaturen»; eben, um die leeren Listen zu füllen und zu verhindern, dass dort die Namen Bitzi oder Jost (oder von sonst wem) von Hand aufgeschrieben würden. Allerdings, und das sollte nicht unterschätzt werden: Aus diesen Kreisen – also von SP und Grünen – werden sowohl Bitzi wie auch Jost Stimmen erhalten. Und zwar aus ganz einfachen Gründen, sprich aus strategischen Überlegungen. SP und CVP haben Schnittmengen Bitzi, weil die CVP auch fortan einen Sitz im fünfköpfigen Stadtrat belegen soll. Und auch, weil die CVP in gewissen Fragen (zum Beispiel in der Sozialpolitik, oder teilweise in der Kulturpolitik) ein potentieller Verbündeter der SP ist; dies – mindestens in der Sozialpolitik – im Gegensatz zur mitunter bürgerlich agierenden GLP. Und Jost handkehrum könnte aus dem rotgrünen Lager Stimmen holen, weil sie in ökologischen Themen gleich tickt wie die SP; dies im Gegensatz zur CVP, die diesbezüglich insgesamt gesehen eher zögerlich agiert. Vordergründige FDP- und CVP-Unterstützung für Bitzi richtet sich effektiv gegen Dörflinger Bei weitem nicht alle Wählerinnen und Wähler von CVP und FDP werden die wendige Frau Jost unterstützen und einzig Bitzi wählen. Sie nehmen damit zwar in Kauf, dass die SP einen zweiten Sitz holt. Aber ihnen graut davor, letztlich einen Stadtrat mit Jost und Dörflinger, also ohne Bitzi zu riskieren. Dieses Szenario (also die Wahl von Jost und Dörflinger) würde dazu führen, dass im Stadtrat für die Jahre 2020 bis 2024 Martin Merki, der einzige «bürgerliche Stadtrat» wäre. Dies wollen sie auch darum nicht, weil sich Merki ausdrücklich immer wieder als Sozialliberaler und damit «links» vom rechtsfreisinnigen Kurs seiner Partei, der FDP der Stadt Luzern, positioniert. Mit anderen Worten: Wer so argumentiert und wählt, nimmt die Abwahl von Manuela Jost in Kauf (oder unterstützt dieses Szenario sogar), um den CVP-Sitz zu retten. Nach dem Motto: Lieber einen zweiten Sitz für die «Sozis» und damit eine rot-grüne Mehrheit, allerdings auch mit zwei bürgerlichen Sitze (je einen für CVP und FDP) – als einen Stadtrat ohne CVP, aber weiterhin mit der GLP. Wie stark ist Rot-grün in einer Majorzwahl? Diese Überlegung wird auch gestützt durch die These, Dörflinger werde angesichts der rot-grünen Macht in dieser Stadt ohnehin gewählt, es gehe auf der bürgerlichen Seite letztlich um Schadensbegrenzung. Und dazu gehöre nun halt einmal, die Kröte eines zweiten SP-Sitzes (Dörflinger) und damit eine rot-grüne Mehrheit zu schlucken, um den CVP-Sitz zu retten und dafür Jost zu opfern. Für, beziehungsweise gegen die Wahl von CVP-Bitzi und GLP-Jost spricht ein – sagen wir es so – «feinstofflicher Faktor». Bitzi gilt zwar als fachkompetent, aber nicht überall als besonders beliebt und sympathisch. Jost hingegen hat nach übereinstimmenden Urteilen aus allen politischen Lagern ihre Baudirektion auch nach acht Jahren noch immer nicht im Griff. Sie kommt allerdings dank ihrer Persönlichkeit ausgesprochen sympathisch rüber. Man sieht: der Varianten sind viele, wenn die Ausgangslage möglichst breit und tief ausgelotet wird. Klar sind Exekutivwahlen vorab Persönlichkeitswahlen. Ihre Konsequenzen aber können gravierende Folgen haben, was manche Wählerinnen und Wähler durchaus zu berücksichtigen wissen. Dritter Sitz für Rot-grün erfordert mehr Loyalität zum Stadtrat Dazu zwei Beispiele. SP und Grüne sind beides Parteien, die ihre Kampagnenfähigkeit auch in dieser Stadt mehrfach unter Beweis gestellt haben. Würden sie im Stadtrat stärker eingebunden, sind von ihnen weniger Referenden und Initiativen zu erwarten. Bleibt es für sie aber bei zwei Stadtratssitzen, so sind sie diesbezüglich ohne jedwelche Loyalitätsverpflichtungen und können direktdemokratisch wirken, wie es sie gerade juckt und zuckt. Und so mit Blick auf die Wahlen 2024 weiter erstarken. Auch das macht manchen Bürgerlichen schlicht und ergreifend Angst. CVP ohne Stadtratssitz müsste renitent werden, um überhaupt gehört zu werden Eine CVP hingegen, die aus der Exekutive abgewählt würde, müsste sich fortan renitent geben, um überhaupt gehört zu werden, vor allem seitens der Medien. Das jedoch wäre gegenüber heute ein klassischer Stilbruch, der wohl kaum mehrheitsfähig wäre in dieser Partei. Auch dies sind Argumente, die zu einem differenzierten und somit aussagekräftigen Lagebild beitragen. Herbert Fischer, Redaktor lu-wahlen.ch, Luzern Teilen & empfehlen:Kommentare:Keine EinträgeKommentar verfassen:Letzte Beiträge von Herbert Fischer:Über Herbert Fischer:Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.
1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer: Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer: |