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Kolumne der Redaktion

13.09.2019

Gerade die Klimapolitik zeigt, wohin die oft beschworene «Eigenverantwortung» geführt hat

Wenn ein SP-ler, der für ein politisches Amt kandidiert, in die Flugzeugferien geht, war für mein Mami immer klar: Ihn kann ihn nicht wählen – er ist nicht glaubwürdig. Jetzt bin ich diesen Sommer in die USA geflogen. Warum mich mein Mami im März trotzdem in den Kantonsrat wählen sollte.


Elias Studer (1995) aus Oberarth studiert in Basel Recht und Geschlechterforschung. Er ist einer der Urheber der sogenannten Transparenz-Initiative, die 2018 im Kanton Schwyz vom Volk überraschend angenommen worden ist. Zurzeit amtiert er für die SP des Kantons Schwyz als Leiter des Wahlkampfes für die Eidgenössischen Wahlen vom 20. Oktober 2019.

Bild: Herbert Fischer

Siehe auch unter «Links» und «Dateien».

Im eher neoliberal geprägten Wirtschaftsunterricht am «Kollegi» in Schwyz hatte ich selten das Gefühl, viel zu lernen. Doch etwas sehr Wichtiges habe ich dort gelernt: Was ein Marktversagen ist und was die Spieltheorie damit zu tun hat.

Die Spieltheorie beschäftigt sich mit der Frage, für welches Verhalten sich Individuen in bestimmten sozialen Situationen entscheiden und was das Verhalten aller im Ergebnis für die Gesellschaft bedeutet. Ein klassisches Beispiel ist die Überfischung der Meere.

Egal, wie sich alle anderen verhalten: Für die einzelne Fischereiunternehmerin macht es in einer unregulierten Marktwirtschaft immer am meisten Sinn, so viel wie möglich zu fischen. Fischen alle anderen rücksichtslos zu viel, dann nützt es ihr nichts, nachhaltig zu fischen – unter den negativen Folgen (dem Verschwinden der Bestände) leidet sie sowieso. Also macht es für sie mehr Sinn, immerhin für den Moment den Ertrag zu steigern. Fischen hingegen alle anderen nachhaltig, dann gibt es sowieso keine negativen Folgen, egal, wie sie als Einzelne sich verhält – und darum macht es für sie Sinn, nicht nachhaltig zu fischen und damit ihren Ertrag zu steigern.

Im Ergebnis bedeutet das: Niemand fischt nachhaltig, die Bestände verschwinden. Obwohl es eigentlich für alle besser wäre, wenn alle nachhaltig fischen würden, werden die meisten Individuen in einem unregulierten Markt nicht freiwillig sich selber einschränken und erzeugen damit ein Kollektivverhalten, das ihnen selber schadet. Das nennt man dann Marktversagen – der freie Markt ist nicht fähig, das menschliche Verhalten nachhaltig produktiv zu steuern und der Staat muss regulierend eingreifen.

Genauso verhält es sich bei der Klimafrage. Auch hier entsteht der durch das individuelle Verhalten verursachte Schaden extern, also nicht beim verursachenden Individuum selber – der Markt versagt, weil die Verursacher von Kosten diese nicht selber tragen müssen.

Für die Tickets Zürich - New York - San Francisco - Zürich habe ich 800 Franken bezahlt. Von Basel nach Berlin und zurück käme ich mit dem Flugzeug für 50 Franken. Hier auf Konsumpolitik (also die Idee, dass die Menschen durch ihren individuellen Konsum Einfluss auf die wirtschaftliche Produktion nehmen sollten) zu setzen und von den Leuten zu verlangen, sich selbst einzuschränken, finde ich schwierig. Im Wissen darum, dass ich sowieso unter dem schädlichen Verhalten der Mehrheit und den negativen Folgen des Klimawandels leiden werde – wenn auch viel weniger stark, als weniger privilegierte Menschen – bin ich nicht wirklich bereit, selbst rücksichtsvoller zu leben. Das schädliche Verhalten ist zu günstig, zu naheliegend, zu einfach.

Ist das jetzt unglaubwürdig? Die Erkenntnis, dass hier ein Marktversagen vorliegt, dass sich das Problem eben genau nicht über den freiwilligen Konsum («Eigenverantwortung!») lösen lässt, bringt uns als Linke ja genau dazu, staatliche Regulierungen zu fordern. Zum Beispiel Lenkungsabgaben, die dafür sorgen, dass das schädliche Verhalten eben nicht mehr günstig und einfach ist, sondern dass es sich nicht mehr lohnt. Genau aus der Erkenntnis heraus, dass Eigenverantwortung nicht die Lösung, sondern das Problem ist, fordern wir – wo nötig – auch Verbote.

Uns für diese kohärente Haltung Unglaubwürdigkeit vorzuwerfen («die predigen Wasser und trinken Wein!») ist unehrlich. Unglaubwürdig ist genau die entgegengesetzte Position: Zu behaupten, das Problem lasse sich über Eigenverantwortung lösen, obwohl wir eben genug lange beobachten konnten, dass das nicht funktioniert.

Das Wasser soll eben nicht (konsumpolitisch) moralistisch gepredigt werden – es soll die einzig mögliche Option sein, von der Allgemeinheit für sich selbst als Schutz vorgeschrieben.

Ich werde jedenfalls bei Wahlentscheidungen weiterhin vor allem darauf schauen, wie jemand im Parlament abstimmt und die politische Arbeit macht, und nicht, wie sich die Person persönlich verhält. Und bleibe jenen, die auf ihren Konsum achten, sehr dankbar.

Elias Studer, Oberarth


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/