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Kolumne der Redaktion

01.04.2019

Wieviel «Ineichen» erträgt die CVP (noch)?

Die CVP, die stärkste Partei im Kanton Luzern, wird vom streitbaren Christian Ineichen geführt. Die einen halten ihn für umtriebig, jovial und volksverbunden, die anderen erkennen bei ihm weder strategisches noch taktisches Geschick. Zu letzteren zählt Silvio Bonzanigo, ehemaliger CVP-Co-Präsident der Stadt Luzern. Das CVP-Wahlergebnis in seinem Fazit.


Mit diesem Hintergrund, etwa der Mitwirkung in diversen OKs, empfahl sich Christian Ineichen (rechts) den Delegierten der CVP ...

... am 27. April 2017 in Hildisrieden als Kantonalpräsident.

Bild: Herbert Fischer

CVP-Präsident Christian Ineichen hat in den Kantonsratswahlen die Partei zu vier Sitzverlusten geführt. Seine Erklärungen dafür wechseln wie seine Meinungen je nach persönlicher Tagesform. Sein Wahlprogramm 2019 bildet ein Kabinett der Beliebigkeit. Trotzdem will Ineichen im Herbst unbedingt Nationalrat werden und düpiert dafür Kollegen. In der CVP rumort es, es wird bereits über Ineichens  Abgang nachgedacht.

Ein halbes Jahr bekniete Parteipräsident Ineichen an jeder CVP-Veranstaltung das Auditorium, ihn am 31. März zu glücklichsten Parteipräsidenten des Kantons zu machen, indem ihm zwei zusätzliche Sitze im Kantonsrat beschert würden. Doch am Wahlabend sah der Präsident der sogenannt «neuen CVP» ziemlich alt aus: Vier von 38 Sitzen waren verloren. Der zweite Wahlgang der Regierungsratswahlen wird die CVP erneut fordern: Nach vielfachen Kehrtwenden des Präsidenten in der «Schwerzmann-Frage» (siehe «LZ», 14. April 2015; zentralplus.ch vom 27. Dezember 2017; «LZ» vom 20 April 2018) wird er sich nun zur Grünen Korintha Bärtsch oder zum parteilosen Marcel Schwerzmann bekennen müssen.

Doch Ineichen kann es mit beiden nicht: «Ich werde alles tun, damit er nicht mehr gewählt wird.», sagt er über Schwerzmann, und urbane grüne Frauen sind ihm ein politischer Gräuel. Also betont Ineichen am Wahlabend lieber die angeblich herausragenden Resultate der beiden Regierungsräte Graf und Wyss. Angesichts der deutlich höheren Wahlbeteiligung hätten deren Resultate aber besser als 2015 ausfallen müssen. In Wahrheit schnitten beide schlechter ab.

Konfuses Wahlprogramm 2019

Fürs Wahljahr 2019 lancierte Ineichen ein politisches Programm, das einen «neuen Politikstil mit klaren, pointierten Aussagen und Positionen» versprach. Das liest sich in der Realität völlig anders: Bereich GESUNDHEIT UND SOZIALES: «Die CVP will eine gute Grundversorgung und steht für die Förderung der Allgemeinmedizin ein», hingegen ist sie «gegen ständig steigende Krankenkassenprämien». Im Bereich MOBILITÄT verlangt die CVP nach «kurzen Wegen und raschen Zügen», hingegen «lehnen wir teure Lösungen im Strassenbau ab.» Im Bereich UMWELT UND ENERGIE befürwortet die CVP den «Hochwasserschutz an der kleinen Emme», lehnt hingegen «den Verschleiss von Kulturland» ab. Dieses politische Profil ist pure Beliebigkeit, dafür fehlt jegliche Aussage zum «C», was dem Programm noch etwas Eigenständigkeit verliehen hätte. Mit diesem Programm nur vier Sitze einzubüssen, ist sogar erstaunlich.

Gegenprogramm zum Anforderungsprofil

Kaum als Präsident installiert, lancierte Ineichen einen ersten vermeintlichen Coup: Er verlangte den Abtausch der Departemente zwischen Finanzdirektor Schwerzmann und Justizdirektor Winiker. Doch der Einfall interessierte weder die Kantonsratsfraktion, noch den Regierungsrat, noch die Öffentlichkeit. Es war der schnelle Beginn einer Entfremdung zwischen Präsidium und Fraktion. Statt zu integrieren und «überzeugend durch Sozialkompetenz und Persönlichkeit zu wirken», wie es die Findungskommission unter alt Kantonsrat Franz Wüest vom künftigen Präsidium verlangt hatte, wirkte Ineichen von Beginn weg stark polarisierend und eigenbrötlerisch mit kruden Leserbriefen. Er bildet das eigentliche Gegenprogramm zum Anforderungsprofil. Wiederholt gibt sich Ineichen für Medien unerreichbar («Das Präsidium ist zeitlich flexibel und erreichbar.»), Ineichen äussert sich zu nationalen Themen, was Parteipräsident Gerhard Pfister vorbehalten wäre («Das Präsidium hat ein ausgeprägtes politisches Gespür.»), Ineichen lancierte eine Twitter-Kampagne gegen eine «Ehe für alle», die ihm  schweizweit  Spott eintrug («Das Präsidium verfügt über gutes diplomatisches Gespür.»), Ineichen lud auf dem Flyer zum Wahlprogramm 2019 dazu ein, ihn selbst bei den Nationalratswahlen zu bevorteilen, Mitkonkurrenten auf der CVP-Liste dagegen zu streichen («Das Präsidium stellt nicht sich, sondern die Sache in den Vordergrund.»). Doch Ineichen zeigt sich stets uneinsichtig und rühmt vor allem sich selbst: «Ich habe den Leuten gezeigt, dass ich das Handwerk verstehe.» («Surseer Woche» vom 21. März 2018)

Lustenbergers Präsidenten-Deal

Obwohl erst seit zwei Jahren Präsident, ist Ineichens Liste der Versäumnisse und Misstritte lang. Das erstaunt wenig, da Ineichen ohne jegliche politische Erfahrung in Exekutiven oder Legislativen startete und auch über keinerlei berufliche Führungserfahrung verfügt. Mehr als Herzblut für die CVP und ein grotesk übersteigertes Ego waren nicht auszumachen. Irritierend ist zudem sein berufliches Selbstverständnis: Als Mitarbeiter der Unesco-Biosphäre Entlebuch rangiert Umweltschutz gemäss Smartspyder auf dem hintersten Platz seiner politischen Agenda. Die CVP-Präsidentschaft verdankt Ineichen vor allem seinem Entlebucher Ziehvater, alt Kantonalpräsident Ruedi Lustenberger. Dieser hatte sich schon 2012 für Ineichen als Präsidenten ins Zeug gelegt. Gegen die Zusicherung, nicht gegen Pirmin Jung anzutreten, arrangierte die CVP 2017 nach dessen Rücktritt für Ineichen ein glattes Durchmarschieren. 

Der erfolgreiche Erneuerungsprozess, den die CVP unter Präsident Martin Schwegler vollzogen hatte, liegt bereits 15 Jahre zurück. Unter Christian Ineichen stagniert die Partei. So wurde weder die Wertedebatte – von Gerhard Pfister angeschoben – aufgenommen, noch ist eine überfällige Reform des schwerfälligen Parteiapparats absehbar. Vorschläge, die behäbigen Delegiertenversammlungen für die Basis demokratischer und für Jungmitglieder attraktiver zu gestalten, lehnt Ineichen konsequent ab, dafür hält er eisern am rund 120-köpfigen, diskussionsuntauglichen Kantonalvorstand fest.

Unter Chargierten wie an der Basis der CVP wird zunehmend über eine Zukunft jenseits von Ineichen nachgedacht. Ein eben wiedergewähltes Mitglied des CVP-Kantonsratsfraktion bringt es ungeschminkt auf den Punkt: «Ich wünsche Christian Ineichen eine krachende Niederlage bei den Nationalratswahlen. Das müsste ihm Anlass zur Demission als Kantonalpräsident sein.» Genau umgekehrt argumentiert ein CVP-Gemeinderat aus dem Entlebuch, der empfiehlt, Ineichen als Nationalrat nach Bern zu wählen: «Dann wären wir ihn los.»

Silvio Bonzanigo, Luzern


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/