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Kolumne der Redaktion

10.11.2018

Mehr Sport!

Er sorgte für einigen Wirbel, der Beitrag über «E-Sport» in der «Tagesschau». E-Sport, so liess ein Schulleiter verlauten, sei durchaus mit normalem Sport zu vergleichen. Ist er das wirklich?


Flavio Serino ist Primarlehrer, Sportwissenschaftler und Anglist. Er wirkt als Dozent für Bewegung und Sport an der Pädagogischen Hochschule Luzern und ist dort Koordinator der Forschungsgruppe Bewegung & Sport. Weiter ist er Fachberater für den Sportunterricht im Kanton Luzern, Vorstandsmitglied im Luzerner Verband für Sport in der Schule (LVSS), Weiterbildungsverantwortlicher «Bewegen im Freien» für den Schweizer Verband für Sport in der Schule (SVSS) sowie Lehrmittel-Autor beim Ingold Verlag in Herzogenbuchsee. Seine Dissertation befasst sich mit Bewegungsbeurteilungen im Sportunterricht.

Bild: Jesco Tscholitsch

Stephan Zopfi ist Primarlehrer, Sportwissenschaftler und Geograf. Er wirkt als Leiter der Sportlehrerausbildung Sek1 an der PH Luzern, ist Mitglied der Forschungsgruppe Bewegung & Sport an der PH Luzern und war von 2001 bis 2010 Mitglied der Schulpflege der Stadt Luzern. Weiter ist er Gründungspräsident des Luzerner Verbandes für Sport in der Schule, Leichtathletiktrainer und Mitglied der Geschäftsleitung von Spitzen Leichtathletik Luzern. Stephan Zopfi hat mehrere Bücher und Fachartikel zum «Bewegten Lernen» geschrieben. Seine Dissertation behandelt die tägliche Sport- und Bewegungsstunde an der Primarschule.

Bild: Herbert Fischer

Der Schulleiter aus St. Gallen erwähnte dabei als Vergleichsmomente den professionellen Betrieb, das regelmässige Training und die Fortschritte, die man erzielen müsse. Alles Dinge, die mit jedem anderen Schulfach, mit der Arbeit oder einem Hobby vergleichbar wären (siehe unter «Links»). 

Diese Gegenüberstellung klammert aber aus, was den Sport, im Speziellen den Sportunterricht an Schulen einzigartig macht. Nur im guten Sportunterricht lernen die Kinder und Jugendlichen wirklich, tiefgreifende Verantwortung zu übernehmen. Kein anderes Schulfach – und schon gar nicht E-Sport – bieten ähnliche Chancen.

Beim Helfen und Sichern an Geräten oder an der Kletterwand, beim Kämpfen und Spielen übernehmen Kinder und Jugendliche die Verantwortung für das körperliche Wohl ihrer Kolleginnen und Kollegen. 

Sie lernen auch, den Anderen zu vertrauen und müssen die Verantwortung für Ihre Gesundheit an Kolleginnen und Kollegen abgeben. Nirgendwo sonst gehört eine solche zentrale pädagogische Dimension zum Schulalltag. Diese Interaktion zwischen Menschen ist denn auch ein zentrales Element des Sports. Auch wenn in der Mannigfaltigkeit der einschlägigen Definitionen zum Begriff Sport nicht alle darauf eingehen, so findet man doch bei Einigen dieses interaktionistische Prinzip des Sports: Im Sport bewegen sich Menschen mit, neben oder gegen zumindest einen anderen Menschen. Dabei müssen diese Bewegungen mit dem eigenen Körper ausgeübt werden. Und «...es gibt keine Möglichkeit der Vertretung» (Zitat Rudolf Stichweh, Rektor der Uni Luzern von 2006 bis 2010). Dies sind Prämissen, die der sogenannte E-Sport nicht erfüllt!   

Dass zudem beim Schulsport zum Beispiel entscheidende Aspekte zur Integration, zur Entwicklung der Sozialkompetenz und zur Förderung der vom Lehrplan 21 geforderten überfachlichen Kompetenzen gelebt werden, sei der Vollständigkeit halber auch noch erwähnt.

Notabene ohne kostenintensive Projekte mit externen Fachleuten, die nach einem Tag oder einer Woche verschwinden und die Themen wieder den einzelnen Schulen überlassen. Dies in den allermeisten Fällen ohne Wirkungsnachweis.

Was heisst das nun alles für die Schule? Es kann wohl kaum darum gehen, den bisherigen Sportunterricht (auch nur punktuell) mit E-Sport-Lektionen zu ersetzen. Im Gegenteil: in der heutigen Zeit müsste dem Sportunterricht mehr Beachtung zuteil werden und er müsste ausgebaut werden. 

Die tägliche Sportstunde in der Stadt Luzern war eines der erfolgreichsten Schulprogramme der letzten Jahrzehnte.

Das städtische Parlament hat am 25. Oktober auf Antrag des Stadtrates einen Bevölkerungsantrag bachab geschickt und das Programm – letztlich auf Antrag des Rektorats der Volksschule der Stadt Luzern – definitiv für beendet erklärt. Seit September hat Österreich die tägliche Sportstunde landesweit eingeführt, notabene eng am Luzerner Modell orientiert.

Den Kindern hat das tägliche Sportprogramm gefallen. Die befragten Oberstufen-Schüler/innen im eingangs zitierten Tagesschaubeitrag äusserten sich (alle sitzend!) dahingehend, dass E-Sport eine Abwechslung zum normalen Sportunterricht wäre, etwas Neues sei und es erfordere weniger Anstrengung und mache deshalb mehr Spass.

Und wir diskutieren endlos über die immer höher steigenden Gesundheitskosten, investieren zunehmend in Intervention statt Prävention. 

In Südkorea ist E-Sport die klare Nummer 1 unter den Freizeitbeschäftigungen der Jugendlichen. Wettkämpfe finden in Stadien vor mehreren tausend Zuschauern statt und werden live übertragen, die Spieler sind Stars mit Millioneneinkommen. Im «work-life-balance-Index» der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, findet man das Land bezüglich der Faktoren Gesundheit, Gemeinsinn, Lebenszufriedenheit auf den hintersten Rängen der 38 verglichenen Länder. Ein Schelm, der in Zusammenhang mit E-Sport und der dabei fehlenden Bewegung und Interaktion zwischen Menschen Böses denkt…

Gemäss der neuesten Ausgabe von «Enter» (Ratgeber für digitale Medien der Swisscom AG) beträgt der weltweite Umsatz mit Games – das erfolgreichste ist übrigens mit «Fifa» ein Spiel, das zum Bereich E-Sport gehört – im Jahr 2018 sagenhafte 137,8 Milliarden US-Dollars. Der Umsatz mit E-Sport ist dabei in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr um 38,2 Prozent auf fast eine Milliarde US-Dollars gestiegen. 57,4 Prozent der Schweizer/innen über 14 Jahre spielen digitale Games.

43 Millionen Menschen sahen sich 2016 die League of Legends World Championship Finals an und rund 380 Millionen Menschen interessieren sich für E-Sport. Während Roger Federer 2017 in Wimbledon 2,9 Millionen US-Dollar Preisgeld kassierte, holte im letzten Jahr das Team Liquid als Sieger im Game Dota 2 am E-Sport-Turnier in Seattle 10.9 Millionen ab. 

Die Zahlen zeigen die Dimension dieser digitalen Welle auf. Es geht in erster Linie um Geld, um sehr viel Geld. Es geht mitnichten um Sport im herkömmlichen Sinn.  

Dazu fehlen wie zuvor erwähnt eine ausgeprägte physische Aktivität des Athleten im Kontext mit anderen Athleten, und somit eine Interaktion zwischen menschlichen Wesen, die sich zweckfrei (und somit nicht zu kommerziellen Zwecken) bewegen.

Es bleibt zu hoffen, dass E-Sport in der Schweiz auch in Zukunft nicht als offizielle Sportart anerkannt wird, denn so würde er noch zusätzlich in den Genuss von Sportfördergeldern des Bundes kommen. Und wenn es um soviel Geld geht, dann wird es nicht mehr lange dauern, bis E-Sport ins olympische Programm aufgenommen wird. Wetten, dass...? 

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass E-Sport mit Sport – entgegen der Aussage des Schulleiters im erwähnten Tagesschau-Beitrag – etwa gleich viel zu tun hat wie eine Kuh mit einem Gletscher. Auch ein Gletscher kann kalben und der Schnee auf der Gletscheroberfläche ist auch weiss wie die Milch der Kuh…

Stephan Zopfi und Flavio Serino, Sportpädagogen, Luzern  


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/