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Kolumne der Redaktion

13.06.2018

Eine kleine Störung zum WM-Auftakt

Man hört es vor jedem umstrittenen Sportanlass: Politik und Sport soll man nicht vermischen. Doch wer heute dazu nickt, ist bestenfalls naiv.


Manuel Bamert (1989) ist Germanist. Er studierte Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie an den Universitäten Zürich und Hamburg. Derzeit promoviert er an der Professur für Literatur- und Kulturwissenschaft der ETH Zürich. Bamert ist im Kanton Schwyz aufgewachsen und wohnhaft in der Stadt Luzern.

Die Idee ist verlockend. Alle paar Jahre gönnt sich die Welt ein grosses Fest, während dem die Politik hinten anstehen muss. Fernseher ein: kickende Männer, feiernde Menschen. Simple Unterhaltung, wie jeder andere Fernsehabend, nur dass man ihn während der WM gemeinsam mit Freunden verbringt, biertrinkend oder vor Freude bierverschüttend. Spannung, die das Volk entspannt. Was ist unpolitischer, als Menschen beim Spielen zuzuschauen?

Die Vorstellung vom unpolitischen Fussballfest ist vielleicht sympathisch. Aber sie zielt an der Realität vorbei. Die Fussball-WM ist nicht unpolitisch – und sich von ihr unterhalten zu lassen, auch nicht.

Schon die Teambildung für die WM funktioniert ja strikt nach politischen Kategorien: Entscheidend ist die Staatszugehörigkeit.

Auch «unsere» Nati ist die Mannschaft eines politischen Gebildes. Und das hat, so banal es klingt, weitreichende Konsequenzen. Über national strukturierte Sportanlässe vergewissern sich Länder und Bevölkerungen ihrer Zusammengehörigkeit. Dabei verhandeln sie stets von neuem, wer dazugehört und wie man sich verhalten soll, wenn man dazugehören will. Özil und Gündogan mögen Erdogan? Inakzeptabel, finden die Deutschen. Aber inakzeptabel, weil die beiden Fussballer damit das Feld der Politik betreten? Nein, weil Erdogan der falsche Politiker ist. Entschuldigen müssen sich die beiden schliesslich bei Bundespräsident Steinmeier – dem höchsten Politiker Deutschlands. Oder der Fall Granit Xhaka. Jahrelang verweigerte er sich, doch rechtzeitig zur WM meldet der «Blick» (inklusive Videobeweis): «Xhaka singt die Nationalhymne!» Diese Botschaft! Ein Secondo im «Schweizerliibli» singt den Schweizerpsalm. Mehr Symbolpolitik geht gar nicht. Jetzt wird Xhaka, so mutmasst der «Blick», vielleicht bald Captain. Dank Hymnensingen vom Schweizer zum Eidgenossen, gewissermassen.

Nun muss man in solchen Identitätsdebatten gar nicht per se ein Problem sehen. Und als Fan ist man im Gegensatz zu den Spielern auch nicht an Staatszugehörigkeiten gebunden (wie viele waren vor zwei Jahren plötzlich Islandfans).

Aber unpolitisch ist das Feiern von Nationalitäten sicher auch nicht.

Nie wirkt die Forderung vom unpolitischen Sport jedoch lächerlicher, als wenn sie direkt aus der Politik kommt. Man solle Politik und Sport nicht vermischen, forderte der russische Präsident vor den Olympischen Spielen in Sotschi. Meinte er die Politik, die die Kandidaturen für die Grossanlässe vorbereitet? Die Politik, die den Bau der Infrastruktur koordiniert? Oder die Politik, die – jeweils ganz offiziell – zu Eröffnungsfeiern und Wettkämpfen reist? Die Schweiz schickt heuer Bundespräsident Berset und Sportminister Parmelin…

Der Widerspruch ist offensichtlich. Besonders in Russland ist der Sport aufs Engste mit der Politik verbunden. Stichwort Staatsdoping, Stichwort Korruption, Stichwort Machtpolitik.

«Nach Sotschi kam die Krimkrise – was folgt auf die WM?», fragt der Schriftsteller Michail Schischkin. Man braucht nicht ganz so pessimistisch zu sein, um zu erkennen, dass Putin auch mit diesem Sportanlass in erster Linie von der Politik ablenken will – und gerade damit Politik macht.

Wer einfach nur Männern beim Spielen zusehen will, ist mit internationalem Fussball schlecht bedient. Man muss die WM deswegen nicht zwingend boykottieren. Ich freue mich sogar ein wenig auf die Spiele.

Aber Freude ist noch lange kein Grund, unkritisch zu werden. Sportanlässe dieser Grösse haben immer eine politische Dimension. Und diese WM ganz besonders. Das zu ignorieren, ist nicht unpolitisch. Es stützt bloss die Politik derjenigen, die das immer wieder behaupten.

PS: Die Bauarbeiten für die WM 2022 in Katar sind schon in vollem Gang. Seit Jahren weisen internationale Organisationen dabei vergeblich auf die menschenunwürdige Arbeits- und Lebenssituation der dortigen Bauarbeiter hin. Heute wurde bekannt, dass die WM 2026 gemeinschaftlich von den USA, Mexiko und Kanada ausgetragen werden soll. Trump hat im Voraus allen Staaten, die gegen diese Allianz stimmen, wirtschaftliche Konsequenzen angekündigt.

Manuel Bamert, Luzern


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/