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Kolumne der Redaktion

04.11.2017

Wie FDP-Kantonsräte rechnen und mit Fakten umgehen, wenn es um die Verteidigung der Tiefsteuerstrategie geht

Hat die Luzerner Tiefsteuerstrategie tatsächlich 8000 Arbeitsplätze geschaffen, wie es Kantonsräte der FDP insinuieren? Die Antwort zeigt, wie frei Freisinnige mit Fakten umgehen.


Am 8. September fand in Luzern der Aktionstag gegen das kantonale Abbauprogramm bei Bildung, Sicherheit, Sozialem, Integration und Kultur statt. Am gleichen Tag erschienen in der «Luzerner Zeitung» vier assortierte Leserbriefe von Kantonsräten der FDP (siehe unter «Dateien»). Die vier freisinnigen Herren betonten alle, wie gut die Tiefsteuerstrategie des parteilosen Finanzdirektors Marcel Schwerzmann doch funktioniere. Am 12. September stimmte auch die FDP dem Abbaubudget für 2017 zu, genauso wie die CVP und die SVP.  

Ein Argument, das in der Leserbriefaktion mehrmals angeführt wurde, war dieses: «Viele Unternehmen kamen nach Luzern und brachten Arbeitsplätze», so Kantonsrat Franz Räber (Emmenbrücke). Und Georg Dubach (Triengen) ergänzte: «Die Aussage, die Steuerstrategie funktioniere nicht, überrascht mich immer wieder. (...) Es entstanden 8000 neue Vollzeitstellen.» Und siehe da, die Zahl war sogar abgerundet: Zwischen 2011, dem Jahr, als die Tiefsteuerstrategie beschlossen wurde, und 2014 nahm die Zahl der Vollzeitstellen im Kanton Luzern um 4,6 Prozent oder 8081 Stellen zu. Quelle: Lustat Statistik Luzern. 

Ist die Tiefsteuerstrategie also tatsächlich eine Erfolgsgeschichte, zumindest, was die Schaffung von Arbeitsplätzen betrifft? Ein tieferer Blick in die Statistik zeigt, dass dem nicht so ist: Schon zwischen 2008 und 2011 war die Zahl der Vollzeitstellen in Luzern um 4,4 Prozent gewachsen – und das ganz ohne Tiefsteuerstrategie, und obwohl die Wirtschaft damals noch mit den Folgen der Finanzkrise kämpfte. Das gleiche Bild in der statistischen Periode zuvor: 2008 gab es sogar 6,3 Prozent mehr Jobs als 2005.  

Als der «Tages-Anzeiger» vor zwei Jahren das Luzerner Wirtschaftsdepartement fragte, welche grossen Arbeitgeber mit wievielen Arbeitsplätzen seit 2011 in den Kanton gezogen seien, erhielt er die Antwort: Es waren 15 Firmen mit 790 Arbeitsplätzen. Dafür waren allein 2013, im ersten Jahr der Tiefsteuerstrategie, nicht weniger als 724 Briefkastenfirmen nach Luzern gekommen – also Unternehmen, die keine Arbeitsplätze schaffen, die die Steuerabgaben (und die ihrer Kunden) offshore optimieren, die dafür der Luzerner Staatsanwaltschaft einen «massiv höheren Aufwand» wegen Wirtschaftsdelikten bescherten, wie der Oberstaatsanwalt damals erklärte. 

Selbst angenommen, alle 15 zugezogenen Firmen seien ausschliesslich wegen den tiefen Steuern nach Luzern gekommen: Die Arbeitsplätze, die sie mitbrachten, trugen nur zu knapp einem Zehntel zum Beschäftigungswachstum in Luzern bei.

Neun Zehntel der neuen Arbeitsplätze wurden von ansässigen Firmen geschaffen, wozu die tiefen Unternehmenssteuern als einer von vielen Faktoren beigetragen haben dürften. Die Statistik weist auf einen anderen Faktor hin, der deutlich wichtiger ist: Das Wachstum der Beschäftigung konzentrierte sich auf die Zentren und die Hauptverkehrsachsen von Luzern in Richtung Zug/Zürich und Bern/Basel. Eine zentrale Lage und eine gute Erschliessung durch Strasse und Schiene sind offenbar das wirksamere Mittel, um Arbeitsplätze zu schaffen, als es rekordtiefe Unternehmenssteuern sind.

Blättert man im statistischen Jahrbuch zudem nach, in welchen Branchen die Zahl der Arbeitsplätze besonders stark gewachsen sind, stösst man auf zwei Bereiche: Der eine ist der Immobiliensektor, wo sich im Baugewerbe und im Grundstückshandel ein grosser Jobzuwachs zeigte. Der andere ist der öffentliche Sektor, wo im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich fast 3000 neue Stellen entstanden sind.

Auf tieferem Niveau erzielte der Kultur- und Eventbereich übrigens ein noch höheres Wachstum: Hier nahm die Zahl der Vollzeitjobs zwischen 2011 und 2014 um 305 oder um 14 Prozent zu. 

Den FDP-Kantonsräten ist in ihren Leserbriefen also ein ganz besonderes Kunststück gelungen: Sie haben für die Steuerstrategie mit Arbeitsplätzen geworben, die sie im Grunde genommen eigentlich lieber abbauen möchten. 

Christoph Fellmann, Luzern

Dieser Beitrag ist zuerst in der November-Ausgabe des «Kulturmagazin 041» erschienen.


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
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Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
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