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Kolumne der Redaktion

05.11.2016

Paul Winiker sagt Offizieren, was er unter Führung, Verantwortung und Vorbildern versteht

Im Armee-Ausbildungszentrum (AAL) auf der Luzerner Allmend findet heute Samstag (5. November) eine Veranstaltung der «Chance Miliz» statt, einer Organisation von Milizoffizieren. Zur Eröffnung sprach soeben der Luzerner Sicherheits- und Justizdirektor, SVP-Regierungsrat Paul Winiker. Hier ist das Manuskript seiner Rede über Führung, Verantwortung und Vorbilder zu lesen.


Paul Winiker (Mitte) mit dem Ende Jahr abtretenden Chef der Armee, Korpskommandant André Blattmann (links), heute Samstagmittag auf der Luzerner Allmend. Rechts: Brigadier Daniel Keller, der ab 1. Januar 2017 Divisionär und Kommandant der Höheren Kaderausbildung der Armee wird (siehe unter «Links»).

Bild: Peter Soland

Geschätzte Gäste, meine Damen und Herren

Aus aktuellen Gründen beginne ich mein Referat mit Dank und Gratulation.

Am vergangenen Mittwoch hat der Bundesrat eine weitere wichtige Ernennung vorgenommen. Ab dem 1. Januar wird Brigadier Keller die Höhere Kaderausbildung der Armee (HKA) als Nachfolger von Divisionär Rebord übernehmen. Der Bundesrat hat Daniel Keller gleichzeitig zum Divisionär befördert. 

Daniel, im Namen des Regierungsrates des Kantons Luzern gratuliere ich dir ganz herzlich für diese Ernennung und Beförderung. Es ist für uns eine besondere Ehre, dass diese hohe Ausbildungsstätte erstmals von einem waschechten Luzerner geführt wird. 

Und es erfüllt mich mit besonderem Stolz, dass die HKA nun von meinem ehemaligen Chef und Lehrer in der Br 5 kommandiert wird. In den vergangenen Monaten durfte ich als Regierungsrat mit dir regelmässig ergebnisreiche Dialoge führen. Ich freue mich, diesen Gedankenaustausch weiterhin zu pflegen. Im Interesse der Armee und auch der zivilen Bildungseinrichtungen im Kanton Luzern. Daniel, ich freue mich und gratuliere dir.

«Wer nicht führt, der wird geführt.»

Es ist eine Eigenschaft unseres menschlichen Daseins, dass wir alle in Situationen, über die wir kein ausgeprägtes Wissen und keine Erfahrung verfügen, uns führen lassen. Sei es auch nur, wenn wir uns einen Rat einholen; bei einem Vorgesetzten, bei einem Untergebenen, im Freundes- oder Bekanntenkreis.

Dadurch, dass wir uns von einem anderen Menschen einen Rat einholen, schenken wir ihm unser Vertrauen. Wir setzen auch darauf, dass wir eine korrekte Antwort erhalten, dies als Gegenbeweis für unser Vertrauen.

Damit nimmt der Ratgeber in gewissem Sinn auch eine Führungsrolle ein. Er kann nämlich den Ratsuchenden beeinflussen, ihn in eine bestimmte Richtung lenken, oder eben auch führen. Der Ratgeber übernimmt damit auch Verantwortung.

Damit sind wir eigentlich bereits beim Kern des Begriffs Führung angelangt. Was heisst führen? Was ist die eigentliche Basis des Führens?

Es ist nicht die Befehlsgebung, auch nicht der Rang oder ein Gradabzeichen. Es ist schlicht und einfach das Vertrauen. Das Vertrauen in die Person, die führt – und auch das Vertrauen der Führungsperson in die Menschen, die ihr folgen.

Vertrauen basiert immer – ich betone: immer – auf Gegenseitigkeit. Zu Vertrauen gehören auch die Achtung und der Respekt des Gegenübers; ungeachtet, ob in einer Partnerschaft zweier Menschen, in der Führungsetage einer Firma, in einem Verein, als Kp Kdt, als Chef eines Verbandes oder in der Führung eines Kantons oder einer Nation.

Vertrauen kann man nicht kaufen, man kann Vertrauen auch nicht befehlen. Vertrauen muss immer erarbeitet werden. Durch offenes kommunizieren, das Einbeziehen anderer Überlegungen, anderer Fachkompetenzen, vor allem aber durch beispielhaftes Verhalten und Vorangehen. Das bedingt auch, die eigene Handlungsweise regelmässig einer selbstkritischen Überprüfung zu unterziehen. 

Ein alter preussischer Offizier würde hier nun vermutlich sagen, dass solche Aussagen über Führungsprinzipien ein Spiegel unserer «Softie-Gesellschaft» seien. Denn sein damaliges Führungsprinzip beruhte ausschliesslich auf Führung durch Macht und Kadavergehorsam.

Ich würde ihm antworten, dass eben starke Menschen führen, schwache Menschen dagegen diktieren.

Denn Führen durch beispielhaftes Verhalten, durch vertrauensbildende Massnahmen, ist weder neu noch modern, sondern vielmehr alt und bewährt.

Ich zitiere einen Satz einer Person, die Geisteswissenschaft und Physik studiert hatte, später als Ingenieur, Lehrer, Humanist und Staatsmitbegründer wirkte und zwischenzeitlich auch als General eine Armee führte.

Einen Satz, der genau heute vor 169 Jahren verfasst wurde.

In den Wirren des Sonderbundkrieges schieb General Henri Dufour in seinem Tagesbefehl vom 5. November 1847 an die Truppe unter anderem:

«Eure Führer werden die augenblicklichen Entbehrungen mit Euch teilen, hört auf ihre Stimme und folget dem Beispiele, das sie Euch geben werden.»

(...)

«Und folget dem Beispiele, das sie Euch geben werden»: 

Dieser Satz beinhaltet eine klare Forderung auch an die Offiziere, dass sie sich in jeder Beziehung beispielhaft, besonnen und vorbildlich zu verhalten haben.

Sie müssen mit korrektem Verhalten vorangehen, damit die Truppe auf sie schaut und ihnen vertrauensvoll folgt. Henri Dufour lebte das bis zu seinem Tode vor, nicht zuletzt auch als Mitbegründer des Roten Kreuzes.  

Sie werden mir beipflichten, dass der zitierte Satz aus dem Jahr 1847 in keiner Weise an Aktualität eingebüsst hat. Im Gegenteil: Wir alle stehen zunehmend im Spannungsfeld der modernen Mediengesellschaft. Internet und Facebook ermöglichen es, Informationen, ob wahr oder unwahr, rasch und zielsicher zu verbreiten. Oftmals gar anonym. Vor allem negativ behaftete Botschaften verbreiten sich rasend schnell, verbunden mit hämischen Kommentaren. Vielfach mit dem Ziel, die Glaubwürdigkeit einer Person oder Institution zu beschädigen. Und somit auch das Vertrauen die Führungskraft.

Wie begegnet man im Militär als Führungsperson solchen Situationen, vor allem dann, wenn man gleich selber im Fokus steht? 

Ein guter Sofortratgeber ist besonnenes und zurückhaltendes Verhalten, besonders im direkten Umfeld der anvertrauten und auch unterstellten Personen.

Der langfristige Ratgeber beginnt indessen lange Zeit vorher. Nämlich durch vorbildliches Verhalten, indem man in der RS, beim Abverdienen und in den WK’s die anvertrauten Armeeangehörigen immer als Mitbürgerinnen und Mitbürger in Uniform führt und durch beispielhaftes Verhalten vorangeht. 

Unwahrheit lässt sich nur mit Glaubwürdigkeit bekämpfen. 

Gewaltige PR-Maschinerien haben dagegen kurze Beine. Sie tragen meist nur zu noch distanzierterem Verhalten und somit zur Beeinträchtigung der noch bestehenden Glaubwürdigkeit bei.

Wie wichtig und wertvoll Glaubwürdigkeit bei der Führung ist, erlebe ich praktisch jeden Tag. Denn während die Armee den Ernstfall übt, stehen wir, insbesondere die Polizei, tagtäglich im Ernstfall. Das ist, wenn Sie so wollen, unser Tagesgeschäft.

Ob bei einer Verkehrskontrolle oder einem Ordnungsdienst-Einsatz an Grossveranstaltungen: unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen in direktem Kontakt mit der Bevölkerung. Dabei lässt es sich leider gelegentlich nicht vermeiden, dass gegen mutmassliche Delinquenten polizeiliche Mittel eingesetzt werden müssen.

Für die Polizistinnen und Polizisten an der Front sind gerade solche Ein- und Zugriffe alles andere als angenehm. Zumal sie sich selber zum Schutz der Bevölkerung Gefahrensituationen aussetzen.

Gerade bei solchen Einsätzen zeigt sich auf praktische Art, wie bedeutsam eine erfahrene und gut eingespielte Führungscrew ist, welche die Einsatzkräfte vor Ort führt. Oberstes Ziel ist es dabei, dass sich die Mitarbeiter an der Front auf einen klaren und verständlichen Auftrag stützen können. 

Allerdings lassen sich eine Situation und ein nachfolgender Ablauf nicht in jedem Detail planen und anordnen. Die Einsatzkräfte vor Ort sind daher gefordert, mehrdimensional zu denken und zu handeln. (Folie).

Das heisst, zum grundsätzlichen Auftrag, etwa die Gefahrenabwehr oder die Störungsbeseitigung, kommen auch der Schutz von Drittpersonen und auch der Eigenschutz hinzu.

Die Einsatzkräfte dürfen also nicht eindimensional denken. Sie müssen eine Situation regelmässig neu beurteilen und nach verhältnismässigen Lösung finden.

Bei Grosseinsätzen liegt die kontinuierliche Lagebeurteilung in den Händen eines Einsatzleiters. Er hat, vergleichbar mit einem Bat oder Kp Kdt, die einzelnen Züge zu führen. Hierzu muss er sich auf die Infos von der Front ebenso stützen können, wie auf die Einschätzungen von Beratern in seiner engsten Umgebung. Militärisch gesprochen also von Stabsoffizieren. 

Berater oder eben Stabsoffiziere müssen klar ihrer eigenen Linie folgen, müssen also eindimensional zu denken. Das ist ihre Pflicht. Der Einsatzleiter dagegen muss gestützt auf unterschiedliche Indikatoren zusammenhängend, also mehrdimensional denken. Daher darf der Entscheid des Einsatzleiters oder Kommandanten nicht durch das Veto eines Beraters durchkreuzt werden. 

Sie haben vermutlich bemerkt, dass ich indirekt den Polizeieinsatz von Malters im Frühling dieses Jahres angesprochen habe, während dessen Verlauf eine Person Suizid begangen hatte.

Gewisse Medien werfen der Polizei vor, sie sei nicht dem Hinweis eines Beraters gefolgt. Dabei wird wissentlich oder unwissentlich ausgeblendet, dass die Gesamtsituation noch von ganz anderen Elementen geprägt war. Oder anders formuliert, die Medien informieren eindimensional nur über einen einzelnen Aspekt, während die Einsatzleitung damals für die Entschlussfassung mehrdimensional denken musste. Und dies erst noch unter grossem Zeitdruck während eines Einsatz, der rund 16 Stunden dauerte, ein Teil davon in der Nacht.   

Und auch im Wissen, dass sich an der Front Polizistinnen und Polizisten befinden, die einer Selbstgefährdung ausgesetzt sind. Gerade dieser Punkt erfordert wiederum ein grosses Vertrauen der Menschen an der Front gegenüber der Führungscrew. Denn sie legen nicht zuletzt auch ihre körperliche Unversehrtheit in die Hände ihrer Chefs.

Aus diesem Grund verlange ich von allen Mitarbeitenden der Luzerner Polizei wie auch von allen anderen Dienststellen unseres Departementes – und ganz besonders von Führungspersonen – jederzeit ein ehrliches und vorbildliches Verhalten innerhalb des Hauses und gegenüber unserer Bevölkerung. 

Deshalb ist für mich der Satz von General Dufour von grösster Bedeutung: «Folget dem Beispiele, das sie Euch geben werden». 

Auf die Armee umgesetzt heisst dies, dass ab der ersten Stunde einer RS oder eines WK’s vertrauensbildende Massnahmen einzuleiten sind. 

Es dürfen an die Bürgerinnen und Bürger in Uniform nur Befehle und Aufträge erteilt werden, die sich jederzeit logisch und verständlich begründen lassen. Ein Befehl, der sich nicht begründen lässt, ist kein Befehl, sondern eine Schikane. Schikanen sind in unserer Milizarmee, in unserem Staat, unehrenhaft.

Zudem gilt ein Befehl immer für alle. Also nicht nur für die Unterstellten, sondern auch für den Befehlsgeber.

Als junger Leutnant habe ich Durchläufe auf der Kampfbahn nicht nur befohlen, sondern bin gleich als erster vorangegangen. Ich sage ihnen offen: damit habe ich immer wieder gute Erfahrungen sammeln können, auch punkto Vertrauen.

Führen in unserer modernen Gesellschaft heisst also, mit dem guten Beispiel vorangehen. Modern führen heisst auch, dass Befehle und Weisungen immer begründet werden können.

Natürlich kann man im Einsatz oder auf dem Gefechtsübungsfeld nicht gleich jeden Befehl an Ort und Stelle begründen. Da muss oft unter Zeitdruck kurz und knapp kommandiert werden. Doch gerade diese Art der Befehlsgebung beruht immer auf dem Vertrauen zwischen Befehlsgeber und Befehlsempfänger. Doch dieses Vertrauen muss frühzeitig hergestellt werden; und nicht erst auf dem Weg ins Feld.

Ich wünsche Ihnen daher in Ihrer militärischen und auch zivilen Laufbahn sowohl Vorgesetzte als auch zugeteilte Menschen, denen Sie vertrauen können, und die auch Ihnen ihr Vertrauen schenken.

Im Namen der Luzerner Kantonsregierung wünsche ich Ihnen nun einen vertrauensvollen und vertrauensbildenden Tag.

Ich danke Ihnen.

Regierungsrat Paul Winiker, Sicherheits- und Justizdirektor des Kantons Luzern 

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Das Zitat von General Henri Dufour wurde aus «vortragstechnischen Gründen» komprimiert. Die originalen Sätze aus dem Tagesbefehl vom 5. November 1847 lauten in der deutschen Übersetzung:

«Ihr werdet Euch auf den Feldern vor unnützen Verwüstungen hüten, und die augenblicklichen Entbehrungen, die die Jahreszeit trotz allen Eifers, mit dem für Eure Verpflegung gesorgt werden wird, mit sich bringen kann, leicht zu ertragen wissen. Eure Führer werden sie mit Euch teilen, hört auf ihre Stimme und folget dem Beispiele, das sie Euch geben werden.»

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Unter «Links»: das Programm dieser Veranstaltung von «Chance Miliz» im Detail.


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/