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Kolumne der Redaktion

22.04.2014

Unter einer wirklichen Debatte über den «Gripen» stelle ich mir etwas anderes vor

Die Geräusche dumpfen Geflüsters, kratzender Bleistifte und die Stimme des Lehrers quälen sich durch meinen Gehörgang. Ich, verträumt an einem Flyer herumbastelnd, bin gedanklich ganz wo anders. Ich schweife frei umher, vom letzten Wochenende bis hin zur nächsten Fasnacht – die Schule habe ich längst vergessen.


Valentin Schroeteler steckt bald in den Maturaprüfungen.

Plötzlich teilt sich die Luft und ich werde durch ein gewaltiges Dröhnen aus meinen Gedanken gerissen. Für einen Moment steht die Welt still. Der Lehrer unterbricht den Unterricht, die Gespräche verstummen und ich bin endgültig aus meinen Gedanken aufgeschreckt. Sogar die Vögel vor dem Fenster schweigen. 

Es ist ein «F/A-18». Ein Kampfjet, der für unsere Sicherheit sorgen soll, absolviert einen Testflug. Mit enormer Geschwindigkeit überfliegt er Häuser, Wälder und eben auch Schulen. Wenn er fliegt, wird alles überdröhnt, alles wird unmöglich.

Die Stunde geht weiter. Ich bin sehr verblüfft, dass der Lehrer das eben vorbeigeflogene Objekt zum Schulstoff macht. Erbost wettert er gegen die Beschaffung der neuen Kampfjets vom Typ Gripen E. Die Schüler und Schülerinnen diskutieren mit, stellen Gegenfragen und bringen Argumente dafür und dagegen vor. 

Kann der schweizerische Luftraum ohne «Gripen» weiterhin gesichert werden? Ergibt sich nicht ein Verteidigungsdefizit, wenn wir nur noch den «F/A-18» haben?  Ist die «Gripen»- Beschaffung nicht und vor allem eine Aufwertung der schweizerischen Wirtschaft? 

Der Lehrer gerät ins Stocken. Er hat nicht mit soviel Gegenwind gerechnet. Mit einer genauen und sachkundigen Argumentation aber widerlegt er im weiteren Verlauf der hitzigen Diskussion die Pro-Argumente der Schüler und Schülerinnen.

Der schweizerische Luftraum kann weiterhin gesichert werden, selbst mit den verbleibenden Flugzeugen. Die F/A-18-Flotte reicht problemlos aus und im weiteren kann die Schweiz auf  andere Abwehrmöglichkeiten zählen. Als Beispiele nennt er die Bodentruppen und die Verträge mit den Nachbarländern. Ein Ereignis, das noch nicht lange zurückliegt, zeigt diese Möglichkeit auf – das nach Genf entführte Flugzeug aus Äthiopien. 

Die Förderung der schweizerischen Wirtschaft entlarvt der Lehrer als eine Illusion. Die Klasse ist verstummt. Der Lehrer holt weiter aus und erklärt uns anhand verschiedener Zahlen, dass die Beschaffung des «Gripen E» letzlich sehr viel mehr kosten wird, als der jetzt offiziell genannte Kaufpreis von 3,3 Milliarden Franken. Wartung und etliche weitere Kosten eingerechnet, kommt die Beschaffung dieser neuen Flugzeuge auf rund zehn Milliarden Franken. Kosten, die auf die Schultern der Schweizer Steuerzahlenden abgewälzt werden.

Ein mutiger Schüler streckt die Hand. Der Schüler ist begeistert vom «Gripen E». Es soll das geeignete Flugzeug sein für die Schweiz, Testergebnisse hätten dies gezeigt. Der Lehrer schmunzelt und fragt den Schüler, welchen Test er denn meine. Testflüge des neuen «Gripen E» habe es nämlich noch gar nicht gegeben, da der Flieger nur auf dem Papier existiere. Das Flugzeugmodell Gripen E sei das schlechteste, das es gibt, sagt er weiter. Dann macht der Lehrer eine Anmerkung, die meine Meinung stark beeinflusst. Er sei kein genereller Gegner von neuen Flugzeugen, aber der «Gripen E» sei der schlechteste im Vergleich zu anderen Flugzeugtypen («Eurofighter», etcetera), daher lehne er den Kauf ab. 

Ich schaue auf mein Pullt und entdecke den Papierflieger, den zu falten ich begonnen habe.  Ich bastle weiter drauf los und bekomme den Rest der Diskussion nicht mehr mit. Es dringen nur noch Wortfetzen an mein Ohr – «... grössere CO2-Emissionen...» und «... mehr Fluglärm ...» sind die einzigen, die ich wörtlich verstehe.  

Als ich wieder aufblicke, merke ich, dass der normale Unterricht wieder im Gang ist. Wir stecken mitten im Thema Zweiter Weltkrieg. Deutschland wird gerade bombardiert, viele unschuldige Menschen verlieren ihr Leben. 

Die Pausenglocke erklingt, die Klasse erhebt sich und verlässt das Zimmer. Ich wende mich zum Fenster und lasse meinen Papierflieger in die Luft steigen. Ich blicke ihm lange nach und entscheide mich, am 18. Mai Nein zu stimmen. Die Stichhaltigkeit der  Gegenargumente des Lehrers hat mich voll und ganz überzeugt.

Die Geschichte mit dem Lehrer ist frei erfunden. Wahr hingegen ist, dass unsere Schule und deren unmittelbares Umfeld laufend von der Militärfliegerei beschallt werden und das nicht zu knapp. Wahr ist auch, dass ich Nein stimmen werde. 

Vielleicht erwarte ich von der Schule etwas zuviel Geschichtsunterricht mit spannenden Bezügen zur Gegenwart. Im Sinne etwa von, wie eben fantasiert, dass der Geschichtslehrer den Fluglärm zum Thema nähme, mit uns eine spannende Diskussion zu führen; eine Diskussion, in der auch er selbst Stellung bezieht, in welche Richtung auch immer. Und in der er seinerseits auch unsere - unterschiedlich gelagerten - Meinungen als Schülerinnen und Schüler zur Kenntnis nimmt.

Denn zur Demokratie gehört aus meiner Sicht nicht allein, über die insgesamt 10 Milliarden Franken Gesamtkosten für den «Gripen E», abzustimmen. Dazu gehört für mich auch, darüber vorgängig eine Debatte zu führen, die diesen Namen verdient.

Eine, die sich nicht darin erschöpft, dass «die Armee ein Dach braucht» (die Luftwaffe) und dass die Schweizer mit der schwedischen Wirtschaft ergiebige Gegengeschäfte machen werde, falls die Mehrheit am 18. Mai an der Urne Ja sagt.

Valentin Schroeteler, Luzern 


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/