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Warum Pfarrerin Ruth Brechbühl für die «NLZ» keine Kolumnen mehr schreibt
Die «Neue Luzerner Zeitung» hat sich geweigert, eine Kolumne von Pfarrerin Ruth Brechbühl abzudrucken, die am 21. Februar hätte erscheinen sollen. Darin befasste sich die Theologin mit dem Ergebnis der Abstimmung über die SVP-Initiative «gegen Masseneinwanderung». Dies macht jetzt der «Kirchenbote» öffentlich.
Das Organ der Reformierten im Kanton Luzern berichtet auf der ersten Seite seiner Ausgabe vom 4. April über diesen Vorgang und braucht dafür den Titel: «Maulkorb für Pfarrerin». Darin wird geschildert, wie der Zensurakt ablief. Die Redaktion habe angeboten, den Beitrag «zu entschärfen» oder als Leserbrief abzudrucken, nicht aber in der vorgesehenen Form der Kolumne.
Der Kirchenbote zitiert den zuständigen Redaktor der «NLZ», der gesagt haben soll, es sei «heikel, das Stimmvolk derart anzugreifen», zudem befürchte man «negative Leserreaktionen». Damit sich die LeserInnen des Kirchenboten selber ein Bild machen können, wird die Kolumne von Pfarrerin Ruth Brechbühl auf Seite 2 des Organs der Reformierten Kirche abgedruckt.
Ruth Brechbühl hat sich inzwischen aus dem Kreis der KolumnistInnen bei der «NLZ» verabschiedet.
Herbert Fischer, Redaktor www.lu-wahlen.ch - das ganze meinungsspektrum
--- Und hier folgt eine Abschrift dieses von der «NLZ» vorenthaltenen Kommentars von Pfarrerin Ruth Brechbühl aus Stansstad zum Abstimmungsergebnis vom 9. Februar 2014:
Willkommen
Reisen Sie auch gern? Ich selbst liebe es, Menschen in anderen Ländern und mir fremden Kulturen zu begegnen. Das schönste daran ist: fröhlich und freundlich willkommen geheissen zu werden. Ein gutes Erlebnis, denn es bereichert, öffnet neue Horizonte. Und selbstverständlich möchte ich diesen Menschen zurückgeben, was sie mir geschenkt haben. Selbstverständlich – nicht einfach, weil es in der Bibel geschrieben steht oder weil Jesus es gesagt hat: «Wie immer ihr wollt, dass die Leute mich umgehen, so geht auch mit ihnen um! Denn darin besteht das Gesetz und die Propheten.» (Mt 7,12)
Einleuchtend für alle Christinnen und Christen! So dachte ich bis vor knapp zwei Wochen, denn dieser Vers ist die elementare Basis für ein christliches Abendland. Doch nur etwa ein Drittel findet es selbstverständlich, ein gutes weiteres Drittel interessiert sich nicht für Werte, die uns Menschen friedlich mit- und beieinander leben lassen.
Ist diese Botschaft wertlos geworden? Weshalb? Haben wir als Christinnen und Christen es versäumt, diese Werte lebendig bleiben zu lassen? Es scheint so. Die Angst, keinen Platz mehr in der Welt zu haben, ist sichtbar grösser als die Einsicht, dass mir Platz angeboten wird, wenn ich ihn selbst auch anbiete: Denn darin besteht das befreiende des Evangeliums!
Zu Gefangenen im eigenen Land sind wir nun geworden. Ach, wo bleibt sie nur, die befreiende Botschaft des Evangeliums? Haben wir sie gleichzeitig mit den elementaren Werten beerdigt? Ich fürchte es. Aber wir lassen uns nicht gefangen nehmen. Wir stehen weiterhin sichtbar und spürbar ein für die goldene Regel, wie der Evangelist Matthäus sie uns überliefert hat, und wir sagen den Gästen in unserem Land fröhlich und freundlich: Willkommen!
Ruth Brechbühl, Pfarrerin, Stansstad
--- Siehe weiter unten: Kommentare von Philipp Federer und Pirmin Meier.
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Eine Frage an Herrn Meier. Warum soll dieser Beitrag umstritten sein?
Weitere Fragen an die Redaktion der Neuen LZ, die nur sie beantworten kann: Werden gewisse Meinungen im Meinungsblatt nicht gern gesehen? Ist das die gelobte Diskussionskultur? Warum schielt die «Neue LZ» auf die konservative, ländliche Bevölkerung und will sie sich nicht einmal mit einer urbanen Haltung und einer progressiven-christlichen Werthaltung auseinandersetzen?
«Neue LZ», Du enttäuscht immer wieder!
Philipp Federer, Luzern
Samstag, 29.03.2014, 09:20 ·
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Pfarrerin Brechbühl fehlt es wohl an langjähriger publizistischer Erfahrung. Das Angebot, einen umstrittenen Beitrag als Leserbrief zu bringen, ist Standard. Apropos Leserbrief und zurückgewiesene Artikel: In der «NZZ» ist es mir in den letzten zwei Jahren nie gelungen, einen Leserbrief zu platzieren, und von meinen Kolumnen bei Herbert Fischers www.lu-wahlen.ch finden sich nicht nur anderswo zurückgewiesene Artikel, oft auch wegen dem Umfang, sogar auch solche, zu denen ich beauftragt war, nämlich beisoielsweise seinerzeit eine Replik auf Urs Paul Engelers von Matt-Bashing in der «Weltwoche» zu verfassen, welche dann nicht gebracht wurde, dafür umso lieber - und «nicht unter meiner Würde» bei Herbert Fischer.
Dabei sind Pfarrpersonen, das erlaube ich mir anzumerken, bei politischen Predigten Widerspruch nicht gewohnt. Diese Erfahrung habe ich selber mehrfach gemacht.
Ich erlaube mir zu sagen, dass Frau Pfarrerin Brechbühls Anmerkungen zur Abstimmung vom 9. Februar dürftigen Gutmenschen-Fundamentalismus abbilden und frei von historischer, soziologischer, volkskundlicher, politischer und theologischer Analyse sind. Die Bibel ist bekanntlich ein brutales Buch, nach Meinung gewisser Kritiker ist sie sogar jugendgefährdend.
Das wichtigste Bibelzitat in der Geschichte des Kantons Luzerns stammt von Jakob Robert Steiger, dem liberalen Revolutionär, Aufheber des Klosters St. Urban und Einführer der Religionsfreiheit im Kanton Luzern. Ihm verdankt also Frau Brechbühl indirekt nicht nur, dass sie predigen darf, sondern sogar, dass sie, wie es die Muslime auch gern hätten, vom feudal-mittelalterlichen Kirchensteuerprivileg profitiert. Das Zitat aus dem Sonderbundskrieg aus Jesus Sirach, aus Steigers Briefe an das Luzerner Volk, lautet:
«So du einen Fremden zu dir aufnimmst, so wird er dir Unruhe machen, und dich aus deinem Eigenthum vertreiben! Hüte dich vor solchen Buben, sie haben nichts Gutes im Sinn, auf dass sie dir nicht eine ewige Schande anhängen.»
Es ging Steiger dabei gegen den eingebürgerten Deutschen Konstantin Sigwart Müller, dessen schwäbischer Akzent von den Liberalen regelmässig polemisch nachgeäfft wurde. Das ist natürlich schon nicht gleich ein Ruhmesblatt, aber man sieht dabei immerhin, wozu die Bibel auch noch herhalten muss.
Soziologisch klar ist, dass in jenen ländlichen Gemeinden, die noch den besten Anteil an Kirchgängern haben, weil man einander noch kennt, miteinander per Du ist und sich also trifft am Sonntag, also im Entlebuch, im Hinterland oder im freiburgischen Jaun, der Heimstätte der Fusspilger nach Einsiedeln, wo der Anteil der Ja-Stimmen am 9. Februar überdurchschnittlich hoch war. In Jaun stimmten nämlich 75 Prozent Ja, ähnlich wie sonst im welschen Greyerzerland, etwa in jenen Gemeinden, wo die letzten Spuren des Vampirismus in der Schweiz auszumachen sind.
Umgekehrt gab es in abgelegenen ländlich-katholischen Gegenden ein einhelliges Ja zur Initiative, die Erschwerung der Abtreibung betreffend, man sah nicht einmal ein, dass die Erschwerung der Abtreibung für Wenigverdienende eine Diskriminierung ist, diese haben es auch schwerer beim Steuernhinterziehen und beim Halten von Nebenfrauen, beziehungsweise von Nebenpartnern. Es ist übrigens nicht so, dass sich die Abtreibungsgegner bis jetzt gegen das Abstimmungsresultat aufgelehnt hätten.
Wie man bei der Personenfreizügigkeit, beim Mindestlohn, bei der Flugzeugbeschaffung, undsoweiter stimmen soll, ergibt sich in keiner Weise aus der Bibel, ausser dass etwa, ebenfalls nach Jesus Sirach, Wucherer und Ausbeuter aus der Gemeinde auszuschliessen wären. Von diesen wollen allerdings die Protestanten und Katholiken in Zürich, selbst wenn es Muslime und Juden wären, Kirchensteuer, so gemäss einer Abstimmung vom 18. Mai, wo sogar die Freisinnige Doris Fiala für Kirchensteuer für Kebab-Budenbesitzer eintritt. Das ist zwar gemäss Bibel nicht verboten, aber noch viel weniger ein Gebot der christlichen Nächstenliebe.
Politik ist sehr oft die Wahl zwischen zwei Übeln. Hauptmann von Flüe musste sich am 25. Mai 1443 in Greifensee entscheiden, ob die Besatzung von Greifensee geköpft oder verbrannt werden müsse. Die Urner und Schwyzer stimmten für Verbrennen, die Obwaldner und Luzerner dank Klaus von Flüe für Milde, also für Köpfen.
Frau Brechbühl nimmt in ihrer Kolumne, bei welcher sie glaubt, die Meinung des Evangeliums zu kennen, einseitig Stellung gegen die Metzgerburschen und dafür für die Metzgermeister, welche an billigen Ausländern aus dem Osten interessiert sind. Das war zum Beispiel die Ausgangslage für den Metzgerburschen N.M. aus Schenkon, als er am 9. Februar Ja stimmte, während die Metzgermeister ihre Interessen mit einem Nein besser bedient sahen.
In einer solchen Situation sollte man mit pseudobiblischem Moralisieren Zurückhaltung üben. Der Kommentar von Frau Pfarrerin Brechbühl war nicht das Gelbe vom Ei. Klaus von Flüe entwickelte mit der Zeit einen Ekel gegen Entscheidungen zwischen Köpfen und Verbrennen. Darum zog er sich aus der Politik zurück. Es wäre nicht möglich gewesen, ihm oder Jesus Christus eine Parole zum 9. Februar zu entlocken.
Wir müssen die Politik, die wir machen, unsere Irrtümer, selber verantworten.
Pirmin Meier, Rickenbach
Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.
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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer: http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus
Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer: www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/ |