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Kolumne der Redaktion

28.02.2013

Wie der Amoklauf von Menznau mehrere Medien schlichtweg überforderte

Was gestern und heute online, in Radio, TV und gedruckten Medien über das gestrige Drama am Napf berichtet worden ist, wirft teils Fragen auf.


Bild: Herbert Fischer

Der Umgang mit unvorhersehbaren Ereignissen - neudeutsch: deren «Handling» - gehört zu den anpruchsvollsten Herausforderungen im Tagesjournalismus. Umso unabdingbarer sind Sicherungen, die verhindern, dass berufsethische Grundsätze missachtet werden, dass Mitakteur der diabolischen Dynamik von derlei Dramen wird, wer sie doch eigentlich möglichst sachlich darstellen und beschreiben sollte. Denn selbst dann gilt, dass die Fakten heilig, die Kommentare jedoch frei sind. 

So lehren es seit Jahrzehnten die auch hierzulande - eigentlich - mehr oder weniger flächendeckend gehandhabten Basics der angelsächsischen Publizistik; gehandhabt mindestens durch jene Print-Titel, Radio- und TV-Stationen, die von der aufgeklärten Gesellschaft und ihren mündigen BürgerInnen ernst genommen werden wollen. 

Das heisst nicht, dass Betroffenheit aussen vor zu bleiben hat. Der professionelle Umgang mit einem Ereignis wie jenem von gestern im Luzerner Hinterland verbietet keineswegs, eigene Gefühle zu zeigen. Aber diese Betroffenheit darf nicht dazu führen, dass die Dimensionen in der Gewichtung der Berichterstattung explodieren, dass jedwelche Selbstreflexionen - falls denn überhaupt irgendwo vorhanden - ausgeschaltet werden. 

Ärgernis 1: Die «Neue LZ» verlor in der thematischen Gewichtung des Dramas von Menznau genau diese Proportionen. Ihre Seite 1 kommt heute ganzseitig schwarz daher, in der Mitte prangt ein hochemotionaler Text. Siehe dazu weiter unten auf dieser Seite unter «Dateien».

Nur: Medien, vor allem jene vor Ort, sollen, ja müssen ihre Mitbetroffenheit und ihr Mitgefühl zeigen, sonst handelten sie sich den Vorwurf der Gefühlskälte, ja gar der Abgebrühtheit ein. Doch bei aller Anteilnahme und Erschütterung ob dieser Bluttat: Was macht dieselbe Zeitung, wenn dereinst ein Verbrechen ganz anderer Dimensionen unsere Region erschüttert? Dies freilich ist nicht die Stunde, darüber zu spekulieren; und schon gar nicht, darüber zu witzeln.

Aufrichtiges Mitgefühl und tatkräftige Solidarität hängen nicht von der Grösse der Buchstaben und der möglichst emotionalisierenden Visualisierung, Personifizierung und Skandalisierung der Berichterstattung ab. Vielmehr gründen sie und entwickeln sie sich in den Köpfen und Herzen alle jener, die mitleiden und die es drängt, ihre Gedanken und Gefühle möglichst takt- und respektvoll zu zeigen. Solidarität ist also keine Frage der Lautstärke.

Ärgernis 2: Auf «facebook» verkündete gestern ein Redaktor der «Neuen Luzerner Zeitung» mit unverkennbarem Stolz wörtlich: «Medien aus der ganzen Welt wollen Interviews mit unseren Journis. Ausnahmezustand.» Na, und? 

Es ist das normalste in dieser Branche, dass «Journis», die sich vor Ort auskennen, KollegInnen von auswärts in solchen Fällen zumindest während der sogenannten Chaosphase behilflich sind, bis hin zum Abgeben von Statements vor laufenden Kameras und offenen Mikrofonen, falls dies gewünscht wird. Daraus aber so etwas wie einen Qualitätsbeweis für das eigene Produkt abzuleiten ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls geschmacklos. 

Ärgernis 3: In der ihm eigenen Stümperhaftigkeit fragte «Tele1», das ebenfalls dem Monopolkonzern an der Maihofstrasse 76 in Luzern gehört, den Gemeindepräsidenten von Menznau, «wie gross» denn «der Schock» in der Bevölkerung ob der Tat sei. Eine ziemlich hilflose, zudem rein rhetorische Frage, weil «der Schock» selbstredend enorm ist. Es fehlte nur noch, dass der Interviewer den Präsidenten darum gebeten hätte, für das Ausmass des Schocks «eine Skala von eins bis zehn» zu bemühen. Derselbe Interviewer verkündete in der Anmoderation eines Gesprächs mit Kripochef Daniel Bussmann, «aus ganz Europa» hätten sich TV-Stationen eingefunden. Wo aber - bitte sehr - waren denn die Norweger, wo die Spanier, wo die Griechen, wo die Polen, die Belgier, die Ukrainer, die Luxemburger? Ging es mit dieser übertriebenen Beschreibung nicht einfach darum, dem Ereignis, das für sich selbst ungeheuerlich genug ist, so etwas wie eine zusätzliche Bedeutung zu geben? 

Ärgernis 4: Ringiers «Blick» - ja, auch er wirkte und wütete mit der ihm eigenen Hemmungs- und Zügellosigkeit - veröffentlichte bereits gestern Mittwoch auf seiner Website und ebenso heute Donnerstag in seiner Printausgabe ein Bild des mutmasslichen Täters. Dafür gibt es nicht den geringsten Grund! Denn der Mann ist nicht zur Fahndung ausgeschrieben, der Mann ist tot. Es besteht also keinerlei Anlass, ihn öffentlich optisch zu identifizieren; das Bild zeigt ihn zudem in einem Wohnzimmer zusammen mit seinen Kindern, deren Gesichter verpixelt sind. Möglicherweise, wenn nicht gar ziemlich sicher geht es hier einfach darum, ihn der Empörung der Vox populi zu offerieren, dem Publikum zu sagen: «Schaut her, das ist "die Bestie vom Napf!"». Das Wort Bestie ist in vergleichbaren Berichterstattungen durch den «Blick» bekanntlich auch schon verwendet worden. Wobei die Bewirtschaftung dieser Empörung einer eigenen Dramaturgie bedarf. Wetten also zumindest, dass von selbigem Imprimat bald thematisiert werden wird, «der Täter» sei ein «Papierli-Schweizer», weil «mit kosovarischem Migrationshintergrund»?

Ja, es stimmt: Es macht ob dieser bitteren Befunde momentan keine Freude, diesem Berufsstand anzugehören.

Herbert Fischer, Journalist BR
Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch
 


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Christian Berner aus Sursee

Donnerstag, 28.02.2013, 19:45 · Mail

Herbert, Du regst Dich auf, dass LZ-Journis sich damit brüsten, von ausländischen Kollegen interviewt zu werden. Und ich wundere mich, dass Du das Ereignis nutzt, um Dich über die Bereichterstattung Deiner Berufskollegen auszulassen.

Schade, arbeitest Du als freier Journalist. Ich wäre gespannt gewesen, wie Du das tragische Ereignis unter grossem Zeitdruck so abgehandelt hättest, dass jede und jeder zufrieden gewesen wäre.

Christian Berner, «Tele1», Luzern

Kommentar:

Lieber Kollege Christian Berner, genau so, wie Du es beschreibst ist, ist es ja nicht.

Der Kollege der «NLZ», dessen Namen ich übrigens nicht genannt habe (!!!), war ja offensichtlich nicht «vor Ort», sondern er sonnte (bzw. ergötzte) sich ob der Aufmerksamkeit über «sein Produkt». Wäre er nämlich tatsächlich vor Ort gewesen, hätte er anderes zu tun gehabt, als sich sich coram publico so zu äussern.

Zweitens: Ich habe mehrfach solche Einsätze geleistet und weiss deshalb relativ gut, worauf es ankommt:
. Februar 1973: Flugzeugabsturz in Hochwald («Basler AZ»).
. Irgendwann zwischen 1984 und 1986: Mordfall Agapito im Baumeisterzentrum in Sursee: damals war ich Redaktor der «LNN».
. Amoklauf Tschanun (1986): damals war ich Redaktor der «LNN».
. Attentat von Zug (27. September 2011), damals war ich bei der «Zuger Presse»: Ich zeige Dir gerne, was «Tagi» und «NZZ» über unsere seinerzeitigen Leistungen berichtet haben.

Drittens: Ich habe mehrmals im Stab eines Grossen Verbandes der Schweizer Armee bei der Ausarbeitung von Dramaturgien sogenannter «Kata-Übungen» mitgewirkt. Dabei ging es immer auch um die Arbeit der Medien (genau darum war auch ich dabei).

Du kannst also jederzeit gerne bei mir vorsprechen über die Frage, wie ich das damals genau gehandhabt habe. Ich erwarte Deine Kontaktnahme!

Liebe Grüsse, Herbert Fischer

 
 
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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/