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Wie der Amoklauf von Menznau mehrere Medien schlichtweg überforderte
Was gestern und heute online, in Radio, TV und gedruckten Medien über das gestrige Drama am Napf berichtet worden ist, wirft teils Fragen auf.
 Bild: Herbert Fischer
Der Umgang mit unvorhersehbaren Ereignissen - neudeutsch: deren «Handling» - gehört zu den anpruchsvollsten Herausforderungen im Tagesjournalismus. Umso unabdingbarer sind Sicherungen, die verhindern, dass berufsethische Grundsätze missachtet werden, dass Mitakteur der diabolischen Dynamik von derlei Dramen wird, wer sie doch eigentlich möglichst sachlich darstellen und beschreiben sollte. Denn selbst dann gilt, dass die Fakten heilig, die Kommentare jedoch frei sind.
So lehren es seit Jahrzehnten die auch hierzulande - eigentlich - mehr oder weniger flächendeckend gehandhabten Basics der angelsächsischen Publizistik; gehandhabt mindestens durch jene Print-Titel, Radio- und TV-Stationen, die von der aufgeklärten Gesellschaft und ihren mündigen BürgerInnen ernst genommen werden wollen.
Das heisst nicht, dass Betroffenheit aussen vor zu bleiben hat. Der professionelle Umgang mit einem Ereignis wie jenem von gestern im Luzerner Hinterland verbietet keineswegs, eigene Gefühle zu zeigen. Aber diese Betroffenheit darf nicht dazu führen, dass die Dimensionen in der Gewichtung der Berichterstattung explodieren, dass jedwelche Selbstreflexionen - falls denn überhaupt irgendwo vorhanden - ausgeschaltet werden.
Ärgernis 1: Die «Neue LZ» verlor in der thematischen Gewichtung des Dramas von Menznau genau diese Proportionen. Ihre Seite 1 kommt heute ganzseitig schwarz daher, in der Mitte prangt ein hochemotionaler Text. Siehe dazu weiter unten auf dieser Seite unter «Dateien».
Nur: Medien, vor allem jene vor Ort, sollen, ja müssen ihre Mitbetroffenheit und ihr Mitgefühl zeigen, sonst handelten sie sich den Vorwurf der Gefühlskälte, ja gar der Abgebrühtheit ein. Doch bei aller Anteilnahme und Erschütterung ob dieser Bluttat: Was macht dieselbe Zeitung, wenn dereinst ein Verbrechen ganz anderer Dimensionen unsere Region erschüttert? Dies freilich ist nicht die Stunde, darüber zu spekulieren; und schon gar nicht, darüber zu witzeln.
Aufrichtiges Mitgefühl und tatkräftige Solidarität hängen nicht von der Grösse der Buchstaben und der möglichst emotionalisierenden Visualisierung, Personifizierung und Skandalisierung der Berichterstattung ab. Vielmehr gründen sie und entwickeln sie sich in den Köpfen und Herzen alle jener, die mitleiden und die es drängt, ihre Gedanken und Gefühle möglichst takt- und respektvoll zu zeigen. Solidarität ist also keine Frage der Lautstärke.
Ärgernis 2: Auf «facebook» verkündete gestern ein Redaktor der «Neuen Luzerner Zeitung» mit unverkennbarem Stolz wörtlich: «Medien aus der ganzen Welt wollen Interviews mit unseren Journis. Ausnahmezustand.» Na, und?
Es ist das normalste in dieser Branche, dass «Journis», die sich vor Ort auskennen, KollegInnen von auswärts in solchen Fällen zumindest während der sogenannten Chaosphase behilflich sind, bis hin zum Abgeben von Statements vor laufenden Kameras und offenen Mikrofonen, falls dies gewünscht wird. Daraus aber so etwas wie einen Qualitätsbeweis für das eigene Produkt abzuleiten ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls geschmacklos.
Ärgernis 3: In der ihm eigenen Stümperhaftigkeit fragte «Tele1», das ebenfalls dem Monopolkonzern an der Maihofstrasse 76 in Luzern gehört, den Gemeindepräsidenten von Menznau, «wie gross» denn «der Schock» in der Bevölkerung ob der Tat sei. Eine ziemlich hilflose, zudem rein rhetorische Frage, weil «der Schock» selbstredend enorm ist. Es fehlte nur noch, dass der Interviewer den Präsidenten darum gebeten hätte, für das Ausmass des Schocks «eine Skala von eins bis zehn» zu bemühen. Derselbe Interviewer verkündete in der Anmoderation eines Gesprächs mit Kripochef Daniel Bussmann, «aus ganz Europa» hätten sich TV-Stationen eingefunden. Wo aber - bitte sehr - waren denn die Norweger, wo die Spanier, wo die Griechen, wo die Polen, die Belgier, die Ukrainer, die Luxemburger? Ging es mit dieser übertriebenen Beschreibung nicht einfach darum, dem Ereignis, das für sich selbst ungeheuerlich genug ist, so etwas wie eine zusätzliche Bedeutung zu geben?
Ärgernis 4: Ringiers «Blick» - ja, auch er wirkte und wütete mit der ihm eigenen Hemmungs- und Zügellosigkeit - veröffentlichte bereits gestern Mittwoch auf seiner Website und ebenso heute Donnerstag in seiner Printausgabe ein Bild des mutmasslichen Täters. Dafür gibt es nicht den geringsten Grund! Denn der Mann ist nicht zur Fahndung ausgeschrieben, der Mann ist tot. Es besteht also keinerlei Anlass, ihn öffentlich optisch zu identifizieren; das Bild zeigt ihn zudem in einem Wohnzimmer zusammen mit seinen Kindern, deren Gesichter verpixelt sind. Möglicherweise, wenn nicht gar ziemlich sicher geht es hier einfach darum, ihn der Empörung der Vox populi zu offerieren, dem Publikum zu sagen: «Schaut her, das ist "die Bestie vom Napf!"». Das Wort Bestie ist in vergleichbaren Berichterstattungen durch den «Blick» bekanntlich auch schon verwendet worden. Wobei die Bewirtschaftung dieser Empörung einer eigenen Dramaturgie bedarf. Wetten also zumindest, dass von selbigem Imprimat bald thematisiert werden wird, «der Täter» sei ein «Papierli-Schweizer», weil «mit kosovarischem Migrationshintergrund»?
Ja, es stimmt: Es macht ob dieser bitteren Befunde momentan keine Freude, diesem Berufsstand anzugehören.
Herbert Fischer, Journalist BR Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch
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Lieber Dominik Thali
Zu Deiner ersten Frage, wie denn die «NLZ» meines Erachtens dieses Ereignis hätte gewichten sollen:
Zunächst einmal sicher nicht mir dieser Gestaltung der ersten Seite! Ein Aufmacher ist wohl gesetzt, ebenso ein Kommentar. Ich hätte allerdings einen Kommentar geschrieben, der mehr professionelle Distanz zum Ereignis erkennen lässt. Beispielsweise, indem wohl auf die enorme Erschütterung der Volksseele vor Ort hingewiesen, diese jedoch im Inneren des Blattes eigens thematisiert wird. Da hätten einzelne Passagen aus dem Frontseite-Kommentar durchaus Platz gehabt. So aber entsteht der Eindruck, der Autor sei Teil des örtlichen Umfeldes und somit des ganzen Elends im Luzerner Hinterland.
Damit macht er sich selber zum Akteur der ganzen Dramaturgie des Amoklaufs und seiner gesellschaftlichen und medialen Folgen vor Ort. Das halte ich für äusserst fragwürdig. Zu den bereits erwähnten Basics der angelsächsischen Publizistik, die ich in meinem Kommentar vom letzten Donnerstag («Wie der Amoklauf von Menznau mehrere Medien schlichtweg überforderte») beschwöre, gehört auch: «Dabei sein, aber nicht dazugehören». Genau darum geht’s.
Zum «Käsesockenradio»: lu-wahlen.ch zensuriert nicht! lu-wahlen.ch ist genau darum gegründet worden, weil die «NLZ» ihr unpassende Meinungen entweder überhaupt nicht abdruckt, wofür es ungezählte Beispiele gibt; oder aber, indem sie sie «entschärft», wie sie dies nennt. Dass der Erfinder des «Käsesockenradio» diesen Ausdruck braucht, ist Teil seiner bekannten Persönlichkeit und (zumindest mitunter brillanten) Rhetorik. Im Handling solcher Texte durch mich als Redaktor spielte es nie und nimmer eine Rolle, ob sie mir passen oder nicht! Solange nicht Ausdrücke wie «Idiot» oder gar Zitate aus Brehms Tierleben verwendet werden, schalte ich sie online. Ich schalte aber beispielsweise solche Sätze nicht online: «Das Schloss Schweiz ist auf Leichen gebaut», wie er einem Jungrevolutionär vom Land, der einfach nicht so recht der Pubertas praecox entwachsen will, abging; und wie ihn - zu meinem allergrössten Erstaunen - ausgerechnet und völlig widersprüchlicherweise die «NLZ» abgedruckt hat.
Was Deinen Vorwurf des «NLZ»-Bashings betrifft: Es gibt die «NLZ» seit anfangs 1996. Sie hätte seither also Zeit zuhauf gehabt zu beweisen, dass sie eine über alle Zweifell erhabene Forums-Zeitung sein will; dass sie mit Ihrer Macht umzugehen weiss, statt Machtarroganz zu zelebrieren; dass sie handwerkliche Basics beherrscht und täglich praktiziert; dass sie den Mächtigen auf die Finger schaut und allenfalls klopft, statt vor ihnen immerfort zu Kreuze kriechen; dass sich ihr Engagement für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft nicht auf eine - fraglos hochwohllöbliche - Weihnachtsaktion beschränkt.
Um in diesen für sie besonders peinlichen Punkten nicht noch ausführlicher zu werden, nur ein Beispiel: Hast Du am Freitag (1. März 2013) das «Interview» mit dem Leiter des Care-Teams in der Causa Menznau in der «NLZ» gelesen? Er wird unter anderem gefragt, wie lange denn sich die Mitarbeitenden nach dem Amoklauf noch auf dem Kronospan-Gelände befunden hätten (ist das wichtig?). Oder wie es den «Angehörigen des Täters» gehe. Seine Antwort: «Das können Sie sich ja vorstellen». Im Lead desselbigen «Interviews» heisst es aber, der Care-Team-Leiter wisse, wie es diesen Angehörigen gehe. Mit keinem einzigen Wort berichtet der Beitrag, was denn die Care-Team-Leute mit den zu Betreuenden genau machen, das würde nun doch weiss Gott am meisten interessieren. Siehe dazu dieses Interview auf dieser Seite unter «Dateien».
Mit Verlaub: das ist Stümperei! Unverkennbar hat die Autorin hier einfach einen Fragenkatalog, den sie zuvor aufgeschrieben hatte - unter wessen Assistenz auch immer, vermutlich ist sie ohnehin eine Praktikantin (für Fr. 628.35 pro Monat) -, heruntergebetet. Nirgends aber hakt sie nach. So geht das nicht.
Zurück zum Vorwurf des «NLZ»-Bashings:
Du glaubts nicht, lieber Dominik Thali, wieviele Leute «es denen an der Maihofstrasse 76 gerne einmal öffentlich sagen würden», was meint: ihrem täglich Ärger endlich mal tüchtig Luft machen würden. Aber sie getrauen sich nicht!
Sie getrauen sich nicht, weil sie befürchten, vom Monopolblatt fortan gemieden - sprich: nicht mehr zitiert - zu werden; die meisten von ihnen sind Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und demzufolge darauf angewiesen, wenigstens ab und an in der «NLZ» aufzuscheinen.
Du glaubst auch nicht, lieber Dominik Thali, welchen «Führungsstil» der Hauptschriftleiter der «NLZ» praktiziert: «Es herrschen Angst und Schrecken», schrieb der sehr renommierte Journalist Hanns Fuchs - ein sehr genauer Kenner der Luzerner Medienszene seit 50 Jahren - in einem grossen Beitrag im «Kulturmagazin» bereits anfangs 2006 zum zehnjährigen Bestehen des Tageszeitungsmonopols. Ich weiss aus mehreren Quellen, dass das heute nicht anders ist. Eine Stimmung aber, in der sich die Mitarbeitenden vor ihrem Chef fürchten, ist definitiv keine gute Ausgangslage, um eine kritische, mitunter auch freche, vor allem aber unbestechliche Zeitung zu machen. Ich kann diesbezüglich als Vorbilder ur-liberaler und motivierender Chefs Christian Müller von den «LNN» und Andreas Zgraggen von der «Berner Zeitung» nur loben; unter beiden habe ich gearbeitet. Neckischerweise ist ausgerechnet Andreas Zgraggen heute «Ombudsmann» der «Neuen LZ»...
Das nachhaltigste, massivste, effektivste und somit penetranteste «NLZ»-Bashing betreibt die «NLZ» übrigens selbst. Und zwar tagtäglich.
Wer also mit Macht umgeht, wie die «NLZ» und ihr Hauptschriftleiter, muss sich öffentliche Kritik gefallen lassen! Würden sich mehr Leute getrauen, sich mit ihrer wahren Meinung über die «NLZ» endlich zu outen, entstünde ein - gelinde gesagt - vernichtendes Bild. Ich kenne übrigens Leute, welche die «Aktion tausend "NLZ"-Abos abbestellen!» aufzubauen versuchen... Ich rate ihnen davon ab, weil Repressionen mit meinem Verständnis von einer liberalen Medien-Demokratie unvereinbar sind; wobei «liberal» hier selbstredend nicht «marktradikal» oder «wirtschaftsliberal», sondern «gesellschaftsliberal» meint.
Wie findest Du, lieber Dominik Thali, übrigens die Tatsache, dass die «NLZ» im Frühjahr 2011 mittels wasserdichter Belege davon gewusst hatte, dass sich der damalige Sekretär der SVP Stadt Luzern und Grossstadtrat Urs Wollenmann auf seiner Website mit dem Titel lic. rer. pol. zierte, den er aber gar nicht besass. Auf Weisung «von oben» erschien darüber kein Wort. Bis es dem Informanten «ablöschte» und er diesen Hinweis dem Tagesanzeiger-Korrespondenten Erwin Haas gab, der daraus prompt eine Geschichte machte. Tags darauf zitierte die «NLZ» in dieser Sache den «Tagi»...
So arbeitet die «NLZ», solche Beispiel gibt’s zuhauf. Ich garantiere Dir: lu-wahlen.ch bleibt dran.
Liebe Grüsse, Herbert Fischer
Gründer und Redaktor lu-wahlen.ch
Lieber Herbert
Ich gehe mit Dir weitgehend einig, was die Facebook-Einträge anbelangt, die «Tele-1-Frage» und die offenbar mittlerweile akzeptierte Boulevard-Unart, alles und jedes ins Bild zu setzen, auch wenn es dafür keinen triftigen Grund gibt. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass der «Böttu» diese seine Herkules-Aufgabe sehr gut gelöst hat.
Deine Antwort an Dominik Galliker befriedigt mich jedoch nicht. Man kann die schwarze Titelseite in Frage stellen, sie aber ebenso gut eine mutige Entscheidung finden. Für beide Meinungen lassen sich Gründe finden. Insofern geht mir das ständige «NLZ»-Bashing hier ebenso auf die Nerven wie die Bezeichnung «Käsesockenradio» für das Regi im Kommentator von Peter Bitterli. Wohl verstanden: Die «NLZ» ist beileibe nicht mein Leibblatt. Aber ich möchte denn nun doch konkret wissen, wie «NLZ» Deines Erachtens das Drama auf der Frontseite (und auf den Innenseiten) hätte gewichten, beziehungsweise, wie sie darüber hätte berichten sollen.
Ansonsten, aus dem heutigen «NLZ»-Frontkommentar:
«Für die trauernde und noch immer geschockte Belegschaft der Kronospan, aber auch für die Bevölkerung von Menznau und der ganzen Umgebung wäre eine rasche Aufarbeitung der Tat, insbesondere Antworten nach dem «Warum?», hilfreich im Heilungsprozess der seelischen Wunden.»
Sätze wie diesen im heutigen Frontkommentar finde selbstredend auch ich einerseits dümmlich, anderseits einen Affront, weil Polizei und Staatsanwaltschaft das Geforderte seit Mittwoch unter Aufbietung aller Kräfte ja tun.
Dominik Thali, Hochdorf
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Lieber Dominik, gerne antworte ich Dir heute; lass mir dafür bitte noch etwas Zeit.
Liebe Grüsse, Herbert Fischer
Freitag, 01.03.2013, 19:43 ·
Mail
Frage an den Autor: Sie kritisieren die «NLZ» für ihre Frontseite. Sie ist schwarz, monothematisch, hochemotional.
Und sie loben den «Willisauer Boten» für für seine Seite 1. Sie ist schwarz-weiss, monothematisch, hochemotional.
Wie bringt man das unter einen Hut?
Dominik Galliker, Menznau
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Lieber Dominik Galliker
Ich habe erwartet, dass diese Frage auftauchen wird.
Die Antwort ist denkbar einfach. Der «Böttu» ist eine - übrigens hervorragend gemachte! - Lokalzeitung (mit einem scheusslichen Layout allerdings), zu deren engstem Einzugsgebiet Menznau gehört. Die «NLZ» hingegen hat eine Frontseite, die nicht allein den Kanton Luzern abdeckt, sondern ebenso das Muotatal, das Schächental, das Maderanertal, das Melchtal, Greppen, Sörenberg, Ausserschwyz und weiss der Geier was sonst noch. Ihre Auflage beträgt angeblich 130 000 Exemplare und sie erscheint in sechs Regionalausgaben. Voilà!
Dass der «Willisauer Bote» das Drama von Menznau anders gewichtet, als es die «NLZ» meines - und nicht nur meines Erachtens - auf der Frontseite hätte gewichten sollen, liegt somit völlig auf der Hand.
Glauben Sie mir: Auch ich versuche, den Schmerz zu teilen, der das Luzerner Hinterland zurzeit lähmt; auch meine Gefühle sind bei den Opfern, ihren Nächsten und Liebsten. Aber sie sind auch bei den Nächsten und Liebsten des Täters, die jetzt ganz besonders Hilfe und Nähe - ja: vor allem Wärme und Liebe - brauchen.
Und ich weiss, dass ich damit keinen Blumentopf gewinnen kann. Aber ich frage mich trotzdem hier und heute: Wie kommt ein Mensch soweit, sowas zu machen? Entschuldigen lässt sich dies unter keinem Titel, vielleicht aber erklären.
Wenn wir alle dazu beitragen wollen, dass Solches nicht wieder geschieht - verhindern wird uns nie gelingen, aber das Risiko lässt sich minimieren – sollten wir zum Beispiel offener sein für andere Menschen und ihre Probleme.
Ich habe am 27. September 2001 das Attentat von Zug aus nächster Nähe miterlebt, ein Katastrophe ganz anderer Dimensionen. Ich habe erfahren, welch beispielhafte Solidarität damals den ganzen Kanton umklammert hat; einen Kanton, der aus höchst unterschiedlichen Menschen und Interessen besteht. Ich habe nach dem Attentat in der «Zuger Presse» geschrieben: «Es eint uns mehr, als uns trennt». Ich vermute, dass dieser Befund nicht falsch war.
Das wünsche ich allen Direkt- und Indirektbetroffenen im Hinterland, das wünsche ich uns allen jetzt und heute. Wir sollten füreinander offener sein, mehr merken, wenn es «Anderen» schlecht geht, wenn was brodelt und glimmt in ihrem Innersten, wenn eine Zeitbombe tickt.
Ich grüsse Sie, lieber Dominik Galliker, und das Luzerner Hinterland in dieser schmerzvollen Zeit sehr herzlich. Ich wünsche Ihnen viel Kraft, Zuversicht, Mut und Hoffnung. Und ich wünsche Ihnen allen viel Solidarität.
Herbert Fischer
Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch
Freitag, 01.03.2013, 10:44 ·
Mail
Völlig richtig, Herbert.
Zur Ergänzung: Das Innerschweizer Käsesockenradio schickt die Partnerin des Redaktors von «zentral+» vor Ort, wo diese wahrscheinlich das erste mal im Leben etwas von der Kronospan hört, und jedenfalls in den Mittagsnachrichten von Radio SFRSFSSR zu berichten weiss, dass jetzt «noch zwei Polizeiautos» sich vor Ort befänden und «wir Journalisten» alle auf die Pressekonferenz um 14.00 Uhr warten.
Also mal ab ins »Rössli». Oder war's der «Hirschen»?
Peter Bitterli, Luzern
Donnerstag, 28.02.2013, 20:58 ·
Mail
Kollege H.F. hat natürlich völlig recht mit seiner Analyse. Der «Zeitdruck» darf eben gerade nicht Erklärung sein für Fehlgewichtungen dieser Art.
Es entsteht bei derartigen Tonlagen der Berichterstattung immer wieder mal der Verdacht, dass sich Journalisten selber als Teil eines grossen, bewegenden Ereignisses verstehen. Sind sie aber nicht, ist nicht ihre Aufgabe. Sie sind am Schauplatz, allein um frei von eigenen Emotionen Sachverhalte zu rapportieren.
Gespannt, wie sich H.F. journalistisch commited hätte in so einem Fall?
Eine absurde Fragestellung vor dem Hintergrund der Bluttat von Menznau. Derart tragische Gewaltereignisse sind eben gerade KEIN LABOR FÜR JOURNALISTISCHE FINGERÜBUNGEN.
Was hingegen Herberts «Leistungsausweis» in dieser berufsspezifischen Frage in der Vergangenheit anbetrifft: Da garantiere ich für ihn, wir hatten in den 80-ern zusammen gearbeitet bei den «LNN»: Herbert ist extrem frei von einer derartig peinlichen Eitelkeit, sich selber in den Mittelpunkt eines tragischen Ereignisses zu stellen. Das gilt auch für all jene Texte, die er in den letzten Jahren verfasst hatte. Auch unter Zeitdruck.
Daniel Blickenstorfer, Journalist, Zürich
Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.
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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer: http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus
Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer: www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/ |