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Kolumne der Redaktion

24.01.2013

Mundwasser für eidgenössische politische Hygiene

Warum die Abzocker-Initiative zumal aus bürgerlicher Sicht unbedingte Zustimmung verdient.


Dr. phil. Pirmin Meier (*1947) ist Forscher und Schriftsteller. Zu seinen bekanntesten Themen gehören Werke über Niklaus von der Flüe und Paracelsus. Bis letzten Som-mer unterrichtete er am Gymnasium Bero-münster. 2008 ist er mit dem Inner-schweizer Kulturpreis ausgezeichnet worden.

In der Schweiz der letzten 20 Jahre gehört meines Erachtens die Abzocker-Initiative des Schaffhauser Unternehmers Thomas Minder zu den wichtigsten Vorschlägen aus dem Geiste der direkten Demokratie. Es handelt sich um einen verfassungsrechtlichen Regelungsimpuls für wirtschaftsethisches Verhalten. Dem Projekt kann keine Ideologie unterschoben werden. Auch nicht eine sozialistische, die in Sachen öffentlich vernehmbarer Wirtschaftsethik den uralten Verdacht von Nietzsche und Scheler zu bestätigen scheint, dass nämlich der Hintergrund der Moral das Ressentiment sei.

Entsprechend bekennen sich ideologische Linke und Hypermoralisten wie die «WoZ» und der dogmatisch-schweizkritische Wirtschaftsideologe Ulrich Thielemann, für den Aktionärsversammlungen lediglich «Folklore» sind, ebenso gegen Minder wie die herkömmlichen widerwärtigen und vollgefressenen Verteidiger des Geldegoismus. 

Nicht zu vergessen kapitalistische Vulgärmaterialisten. Diese glauben im Ernst, ohne Entschädigungen und Boni unter zwei Millionen Franken jährlich sei heute kein konkurrenzfähiges Führungspersonal mehr zu rekrutieren. Das ist Unsinn und in keiner Weise beweisbar. Selbst wenn man, wie dieser Tage die «NZZ», einer Führungspersönlichkeit wie Daniel Vasella erhebliche Verdienste und überdurchschnittliche Fähigkeiten zuschreiben mag, bleibt dennoch niemals ausgeschlossen, dass jemand, der weniger als eine Million jährlich verdient hätte, dieselbe Leistung nicht ebenso gut erbringen könnte. Mutmasslich ist Vasella wohl leichter zu ersetzen als ein exzellent guter Schweizer Historiker, wie sein Vater Oscar Vasella einer war. Dieser hat an der am schlechtesten bezahlenden Universität der Schweiz, Fribourg, mehr geleistet als zum Beispiel die meisten seiner besser bepfründeten Zürcher Kollegen. 

Überschätzte Grossverdiener

In der freiheitlich-sozialen Marktwirtschaft, in der gemäss Wilhelm Röpke zu ihrem Weiterbestehen Werte «jenseits von Angebot und Nachfrage» von unbedingter systemerhaltender Bedeutung sind und gelebt werden müssen, ist es eine dumme Illusion zu glauben, die wirklich unentbehrlichen Leistungen würden hauptsächlich von Grossverdienern erbracht. Auf diese ist die Menschheit weit weniger angewiesen als den Kindern reicher Leute von ihren nicht übertrieben gebildeten Eltern regelmässig erzählt wird. Die wesentlichen Leistungen, etwa von Isaak Newton oder Albert Einstein, Leonardo da Vinci oder Thomas Alva Edison, wurden nicht des Geldes wegen erbracht, und sogar für Pioniere der Automatisierung von Arbeitsvorgängen, von Henri Ford bis Bill Gates und Steve Jobs reicht das Geld als Antriebsmotor für die Würdigung ihrer historischen Verdienste nicht aus, wiewohl sie in Sachen Bezahlung kaum Kostverächter waren und auch ein Genie wie Mozart für seine Leistungen gewiss gern mehr bekommen hätte. 

Zu dieser Thematik muss weder der Gleichmacherei noch der sogenannten läppischen Neidkultur das Wort geredet werden. Natürlich wäre es unverhältnismässig, wenn ein Roger Federer nur maximal das Zwölffache eines Hauswarts oder einer Putzperson der Wimbledon-Arena verdienen würde; er darf sogar für das Interesse, das seine sehenswerten Darbietungen erwecken, mehr als das Zwölffache eines durchschnittlichen Tennisprofis einnehmen; da wäre zum Beispiel eine Nivellierung des Einkommens auch im Vergleich zum tausendfach höheren Interesse, das Federers Leistungen beim Publikum finden, mit dem Argument der «Gerechtigkeit» in keiner Weise zu rechtfertigen. Ich vermute, dass ein Sportsmann wie Federer seine Leistungen auch erbracht hätte, wenn er statt Tennisspieler nur der weltbeste Orientierungsläufer mit entsprechend massiv kleinerem Einkommen geworden wäre.

Von Selbstbedienungsmentalität zur Kontrolle

Zurück zu den Anliegen der Minder-Initiative: Auch an den Spitzen börsenkotierter Unternehmungen und in deren Verwaltungsräten wünschen wir uns Leistungen, die Weltspitze repräsentieren. Im Gegensatz zum Sport sind sie aber weniger messbar. Einer wohlvorbereiteten Versammlung von Aktionären ist indes zuzutrauen, solche Erwartungen und entsprechende Leistungen auf eigenes Risiko realistisch einzuschätzen. Dabei sollte die ethische Qualität einer solchen Entscheidung nicht überbewertet werden. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre, dass im Vergleich zur bisher üblichen  Selbstbedienungsmentalität eine Kontrolle installiert und ein Mass gesetzt würde. 

Das Problem der sogenannten Heuschrecken

Vorläufig ungelöst bleibt dabei das Problem der «Heuschrecken», nämlich von Aktionären, die zum Beispiel eine «unfreundliche Übernahme» einer Unternehmung ins Auge fassen, was gemäss Minder-Initiative wegen dem Zwang zur alljährlichen Neuwahl von Geschäftsleitung und Verwaltungsrat in Zukunft als Nebenwirkung der Initiative noch leichter möglich werden könnte. Hier gilt es für die Politik noch «dranzubleiben» und nicht etwa zu glauben, mit der Annahme der Initiative sei das Problem gelöst.

Sodann wird das richtige Mass von Entschädigungen auch in Zukunft schwer zu objektivieren sein: der sogenannte «gerechte Lohn», dessen Nichtentrichtung der Bibel gemäss wie der gemeine Mord, der sodomitische sexuelle Missbrauch und die Unterdrückung des Volkes zu den «himmelschreienden Sünden»  gerechnet wird. Grundsätzlich scheinen mir gewisse Entschädigungen, zum Beispiel Abgangsentschädigungen für Versager und Gauner, nicht zu vergessen überverhältnismässige Boni und Löhne, nicht weit vom biblischen Tatbestand des «Wuchers» einschätzbar zu sein. 

Der Wucher, lateinisch «usura» genannt, zählt nach der Meinung sämtlicher Weltreligionen und besonders der Bibel und des Korans zu den verruchtesten und schändlichsten Missetaten. Selbst wenn ich heute weit davon entfernt bin, die Massstäbe der Religionen als für alle Menschen schlechthin verbindlich zu erachten, so bleibt für mich aus der Perspektive einer rein philosophischen Ethik und des gesunden Menschenverstandes die Neigung zum «Wucher» eine der schlimmsten Fehlhaltungen in der menschlichen Zivilisation zu sein. Dies darf und muss in unsere Gesetzgebung eingehen. 

Ein politischer Durchbruch

Nicht nur, wer mit 200 Kilometern auf der Autobahn fährt (ist übrigens in der Bundesrepublik Deutschland im Gegensatz zu Steuerhinterziehung oder Besitz von Kinderpornographie kein Verbrechen), sondern auch, wer nicht bereit ist, in Sachen Geldgier sich gewissen Regeln zu unterstellen, gehört notfalls mit Gefängnis nicht unter einigen Jahren bestraft. Dass dieser Grundsatz bei der Minder-Initiative nun in der Schweiz Verfassungsrang erhält, scheint mir ein politischer Durchbruch. Bruder Klaus und Paracelsus, für mich die ethisch eindrucksvollsten Urschweizer der Geschichte, betrachteten den «Eigennutz» als die grösste Gefahr für den Bund der Eidgenossen. Gegen den Eigennutz und die «schiere Hurerei und Käuflichkeit» sei dieser Bund gegründet worden. Kehre dieser Eigennutz zurück, so komme der Teufel siebenfach zurück, warnte Paracelsus.

Ständerat Thomas Minder verdient umso mehr Unterstützung, als er wie keine zweite Persönlichkeit im Schweizer Parlamentarismus der letzten 20 Jahre in der Kleinen Kammer den «Gottesdienst» der angepassten Gleichsinnigkeit noch und noch gestört hat und generationenlangen verknöcherten Ritualen eine Absage erteilte. 

Ein Akt politischer Hygiene

Die Annahme der Minder-Initiative wäre für mich auch ein Bekenntnis dafür, dass im Schweizer System und im schweizerischen Parlamentarismus einschliesslich der einmaligen Volksrechte die Stimme eines redlichen Einzelnen noch Gehör finden und Gesetzesrang erlangen kann. Im Vergleich dazu wäre es nachgerade absurd, in irgendein Parlament innerhalb der Europäischen Union einen Parteilosen abordnen zu wollen. Es käme ihm keinerlei politisches Gewicht zu. Die Stimme dieses Parteilosen aus Schaffhausen, den man deswegen nicht zum Tugendbold zu erheben braucht, ist für mich ein Anzeichen für den Rang und die Bedeutung, welche das Gewissen in der schweizerischen Politik noch haben kann. 

Für mich mit ein Grund, dass ich mich erstmals seit zwanzig Jahren wieder einmal einem politischen Komitee angeschlossen habe. Aus der Sicht der politischen Hygiene wäre die Annahme der Minder-Initiative, welche moralisch die richtigen Zeichen setzt, eine wünschbare Mundspülung für die hoffentlich noch nicht allzu schlimm gealterte Dame Helvetia.

Dr. phil. Pirmin Meier, Historischer Autor, Rickenbach

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Am 28. Februar erscheint im Unionsverlag Zürich die 6. Auflage des Hauptwerkes von Pirmin Meier, «Paracelsus, Arzt und Prophet» (bisher Ammann-Verlag), mit dem er vor 20 Jahren den Durchbruch als historischer Schriftsteller geschafft hat. 

Gewidmet ist die sechste Auflage dieses Buches dem Andenken von Bundesrat Otto Stich, der es schon 1993 öffentlich zu würdigen wusste. Derzeit arbeitet der Autor an einem Projekt über Mystik und Kapitalismus wie speziell Mystik in der Schweiz. 


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/