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Kolumne der Redaktion

28.10.2012

Kulturpreis 2012 (2): Otti Gmür strahlt die Aura des Weisen und Gelassenen aus

Im Theater Luzern wird soeben Otti Gmür mit dem Kunst- und Kulturpreis 2012 der Stadt Luzern ausgezeichnet. Die Laudatio hielt soeben die Architektin und Stadtplanerin Regula Lüscher, Honorarprofessorin an der Universität der Künste Berlin und daselbst Staatssekretärin in der Senatsbaudirektion. lu-wahlen.ch stellt ihr Redemanuskript online. Siehe dazu auch weiter unten auf dieser Seite unter «In Verbindung stehende Artikel».


Staatssekretärin und Städtebau-Professorin Regula Lüscher (Berlin) hielt die Laudatio auf Leben und Wirken Otti Gmürs und erntete dafür im vollbesetzten Luzerner Theater begeisterten Applaus.

Bilder: Herbert Fischer

Altstadtpräsident Urs W. Studer im Gespräch mit dem Journalisten Pirmin Bossart.

Da sitzt er nun also dieser Otti Gmür, Träger des diesjährigen Kunst- und Kulturpreises Luzern. Sein verschmitztes Lächeln auf dem Gesicht inzwischen nicht mehr überrumpelt, sondern längst gefasst und das Ganze scheinbar aus einer ihm eigenen Distanz, beobachtend.

Otti und Preisträger, so was ginge in der Stadt, in der ich im Moment lebe, gar nicht.

Preisträger haben etwas Würdevolles und Staatstragendes und schon gar nicht etwas Verniedlichendes. Aber erstens bin ich hier in Luzern, in dem das lebenslange – i - am Schluss Programm ist und zweitens versteckt unser Preisträger hinter seinem - i - vielleicht ein bewusstes Understatement, ein «ich bin doch einer von Euch», aber Achtung, bescheiden ist dieser Otti Gmür keineswegs. Da sitzt nämlich einer, der ruhig, leise in langsamen Bewegungen und bedachter Sprache nicht weniger als die Welt verändern wollte, der ausgebrochen ist, der einer vielleicht scheinbaren Enge entfliehen wollte. Er ist rebellisch und talentiert und ehrgeizig. 

Als junge Architektin habe ich Otti Gmür in privatem Zusammenhang als angehende Schwiegertochter kennengelernt. Bruchstückhaft habe ich aus Erzählungen erfahren, dass er als junger Mann ausbrechen wollte aus seinem familiären Umfeld und fast bilderbuchmäßig verkörperte er für mich zuerst mal dieses Heroische, was Architekten insbesondere Männern dieser Berufsgattung anhängt. Worin hat sich dieses Heroische gezeigt? Natürlich in seinem Frühwerk dem wunderbaren corbusianischen Doppelhaus in Adlingswill. 

Ich war dort oft zu Gast, im Haus, in dem sein Sohn, übrigens auch ein guter Architekt, aufgewachsen ist. Dieses Haus, das am Puls der Zeit war und alle Themen der klassischen Moderne entspannt und gekonnt vorträgt; die Maßkette des Modulors in Grundriss und Aufriss umgesetzt.

Den Raumplan, die Galerie mit doppelgeschossigen Raumhöhen, der kleine Höhenversatz vom Eingangsbereich zum erhöhten sich nach unten zum Garten hin öffnende Wohnbereich, die betonierte Sitzbank an der Fensterfront, die Stütze als Scheibe, der beton brut als tragendes Skelett und die nichttragenden Raumteiler aus Holz, minimale Zimmer mit großen gemeinsamen Spielbereichen. 

Ein Lehrstück und gleichzeitig ein kleines Meisterwerk, das viel von der Beziehung von Gebautem mit der Natur, vom Zusammenleben und von Nachbarschaft erzählt. Ein robustes Haus, das Raum, Licht, Schatten inszeniert und große Gesellschaften, üppige Ausstattung und Möblierung, Bilder, Nippes, aus unzähligen Stilepochen nicht nur aushält, sondern erst zusammenhält. Ein Haus das Vielen und Vielen Heimat bietet.

Das nächste, was mir unter die Augen kam, war dann sein Buch: «Stadt als Heimat», die Stadt, in der wir leben möchten. Damals, noch studierend, habe ich sofort die Parallele zu Mitscherlich und seiner «Unwirtlichkeit der Städte» gezogen. Und mir schien, dass sich da einer vielleicht erneut gegen seine Vorbilder und Lehrer aufbäumte?: Kill your Darling, Neuanfang, Besinnung, aber auch offenkundige Hinwendung zur Zeichnung, zur Sprache nicht als Medium fürs Bauen, sondern als Medium des vernehmlichen Denkens und Mahnens. Und dieser Aspekt, nämlich des Hinterfragens, der Kritik, des Investigativen und des Philosophierens durchaus auch Moralisierens ist mein zweiter und wohl ebenso prägender Eindruck von Otti Gmür. Unbequem wollte er sein, in keiner Weise bescheiden. Als junge Architektin musste ich akzeptieren, dass dieser so heroisch gestartete Architekt, - dazu ist zu sagen: wir wollten natürlich unsere Vorbilder bewundern wegen ihres Talents und der Reinheit ihres Gestaltungswillens, dieser heroisch gestartete Architekt reißt nun einfach plötzlich die großen Herren vom Sockel, spricht über die Stadt als geradezu lieblicher Ort und hinterfragt uns Junge ebenso wie viele Kollegen. 

Irritiert war ich durch die Handskizzen im Buch, die mir damals unarchitektonisch schienen. Am Schluss des Buches habe ich viel über die Stadt, über öffentlich und privat, über Nachbarschaften, Proportionen, Straßen als Lebensraum und die Rückeroberung der Stadt gelernt. Suspekt blieb mir dieser Otti dennoch, denn mir fehlte die unverkennbare architektonische Handschrift der Anfangsjahre bis ich Jahre später verstanden habe, dass weniger das Bild als vielmehr die Gestaltung von Lebenswelten Ottis Thema wurde. Er liebte je länger je mehr kleine Eingriffe, Umbauten, kluge Ergänzungen. Der Gebrauch, die Schaffung von Heimat im besten Sinne ohne dies mit Kitsch oder Heimatstil zu verwechseln, blieb sein Thema. Die Postmoderne überlagerte seine modernistischen Anfänge und im Spätwerk fand er zu einer «reflektierten Moderne». 

Und das führt mich zur meiner dritten Begegnung. «Spaziergänge durch Raum und Zeit». Dieses wunderbare Taschenbuch, - denn auch die Form ist Programm, es passt nämlich in die Jackentasche als Wegweiser und Begleiter auf ausgedehnten Spaziergängen durch Luzern -, ist die Abrundung der kritischen Auseinandersetzung mit Stadt und Architektur und ich glaube, es ist auch eine Versöhnung und Liebeserklärung an sein Luzern, an Ottis Luzern und nicht Otto’s Luzern. 

Mir ist wenig bewusst, dass ich irgendetwas zur Entstehung dieses Architekturführers beigetragen habe, obwohl dies im Nachwort so steht. Ich weiß nur, dass ich besonders die Idee der stadtgeschichtlichen, stadtstrukturellen und somit auch morphologischen Herangehensweise sehr befürwortet habe. Das Buch enthält nicht eine Aneinanderreihung von guten Bauten, sondern es ist ein Stadtführer und jeder Spaziergang ist einer bestimmten Phase der Stadtentwicklung gewidmet. Der Laie lernt Stadt begreifen, Bauten der Kollegen erhalten eine Einordnung und Datierung, eine Verortung in Raum und Zeit. Ein Geschenk an neugierige Stadtwanderer als auch an die porträtierten Bauten und ihre Schöpfer. Das Buch ist die Quintessenz der langjährigen publizistischen Arbeit von Otti Gmür. Er hat nie den Bezug zum Zeitgenössischen und aktuellen Architekturgeschehen verloren, aber wie Wenige hat er diese «Tagesaktualität» aus seinem reichen Schatz an historischer Recherche und unzähligen Reisen und Exkursionen kritisch in Beziehung gesetzt.

Otti Gmür ist einer, der gern bescheiden auftritt. In Wahrheit hört er nicht auf, sich einzumischen und kaum ein Wortwechsel bleibt belanglos. Otti philosophiert und scheut auch nicht in gewagte Behauptungen und Verknüpfungen abzugleiten. In seinen Gesprächen ist die Hypothese der Ausgangspunkt für intensive Diskussionen. Er strahlt die Aura des Weisen und Gelassenen aus. 

Wie oft beobachte ich, wie er Gefühlsausbrüchen und der offenkundigen Empörung seines Gegenübers mit einem Lachen und einem beschwichtigendem Herunterspielen begegnet. Meine nicht bewiesene Vermutung zielt aber dahin, dass vielleicht er derjenige ist, der sich am meisten empören kann und seine explosive Kraft bändigt, indem er sich hinsetzt und schreibt, kommentiert, philosophiert und statt bescheiden, uns überlegen erscheint. 

In diesem Sinn gratuliere ich der Stadt Luzern zu ihrer Wahl und Otti Gmür von Herzen zu seiner Auszeichnung und Ehrung.

Regula Lüscher, Berlin


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/