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Kolumne von Herbert Widmer

10.03.2011

Im Gesundheitswesen läuft vieles falsch

Über wenige Themen wird in letzter Zeit soviel geschrieben wie über das Gesundheitswesen. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass in einem Artikel ein entsprechender Bereich beleuchtet wird. Ist Ihnen schon aufgefallen, dass dies immer nur Puzzleteilchen des Gesundheitswesens sind? Haben Sie schon einmal einen Artikel gefunden, welcher die wichtigen Zusammenhänge aufzeigt? Kaum!


Dr. med. Herbert Widmer (1946) führt seit 1980 an der Morgartenstrasse in Luzern eine Praxis als Internist (Hausarzt). Er sagt: «Trotz aller Probleme im Umfeld ist es ein wunderbarer, mit vielen schönen Begegnungen verbundener Beruf.»

Dr. med. Herbert Widmer (1946) führt seit 1980 an der Morgartenstrasse in Luzern eine Praxis als Internist (Hausarzt). Er sagt: «Trotz aller Probleme im Umfeld ist es ein wunderbarer, mit vielen schönen Begegnungen verbundener Beruf.»

Wenn ich nun versuche, einige Wechselbeziehungen aufzuzeigen, gestatte ich mir dies nur unter den folgenden Vorbemerkungen: Der Beruf des Arztes ist ein wunderbarer, erfüllender, wenn auch meist recht anstrengender Beruf. Niemand darf behaupten, dass er das Gesundheitswesen ganz übersehe und alles wisse. Wer kritisiert, kann rasch als Nörgler bezeichnet werden; wer aber nicht kritisiert und nicht auf Fehler aufmerksam macht, erreicht nichts.  

Ziel der Gesundheitspolitik muss es unter anderem sein, die Prämien für die Krankenkassen tragbar zu halten, allerdings mit einer konzeptionellen Politik, nicht mit «Pflästerli», welche schlussendlich zu höheren Kosten führen! Versuchen wir doch, einige Aspekte zu beleuchten. 

Es werden in den Medien zurzeit unter anderen die folgenden Bereiche diskutiert: Die Vertrauenskrise am Universitätsspital Zürich, der Kostenanstieg im Gesundheitswesen, die fehlenden Schweizer Ärztinnen und Ärzte. Vor einigen Tagen wurde gemeldet, dass der Kostenanstieg im Gesundheitswesen (Krankenkassen) im Jahre 2010 1.8 % betrug, das ist einiges weniger als in den Jahren zuvor. Die Gesamtausgaben der Krankenkassen machten 24.315 Mia CHF aus. 

In einzelnen Bereichen betrug der Anstieg: Spitäler stationär 0.7 %, Medikamente – 0.7 %, praktizierende Ärzte 2.8 %, Spitäler ambulant 6.5 % und Physiotherapie 5.2 %. Mit keinem Wort wird berichtet, dass in jedem Bereich 1 % Kostenanstieg auf die Zunahme an Versicherten fällt, dass es Fortschritte und Entwicklungen gibt, welche zwar auch Kosten verursachen, aber durch kürzere Behandlungsdauer - stationär und ambulant - und durch kürzere Arbeitsausfälle zu wesentlichen gesamtwirtschaftlichen Einsparungen führen.

Diese Betrachtungsweise bräuchte allerdings einen erheblich grösseren Aufwand als die reine Zahlenjongliererei. Heute ist der durchschnittliche Spitalaufenthalt um einige Tage kürzer als noch vor zwanzig Jahren, ein grösserer Teil der Nachbehandlung wird in der Praxis geleistet, was ebenfalls zu Kosten führt, gesamtwirtschaftlich aber sinnvoll ist. Weit über 420 000 Personen arbeiten in der Schweiz im Gesundheitsbereich, deutlich mehr als noch vor zehn Jahren!

Preisüberwacher Stefan Meierhans will bei den Margen für die Medikamentenabgabe zuschlagen. Eine im vergangenen Jahr vorgenommene Analyse habe gezeigt, «dass die Margen aus betriebswirtschaftlichen Gründen in allen Vertriebskanälen markant gesenkt werden müssen». Nach den Berechnungen des Preisüberwachers könnten sie bei den Apotheken von bisher 12 auf 4.5 und bei den Ärzten gar auf 3.9 Prozent gesenkt werden. Die Berechnungen mögen rein theoretisch stimmen, praktisch sind sie aber untauglich und beweisen eine geringe Übersicht über das System unseres Gesundheitswesens. Ein Preisabschlag von 50 % für einen Mantel im Ausverkauf bedeutet auch nicht, dass die Marge um 50 % gesenkt werden könnte. Denn der Inhaber des Kleidergeschäfts hat auch enorme Auslagen wie Lokalmiete, Löhne, laufende Unkosten etc.  – und wohl auch das Recht auf einen eigenen Lohn. 

Recht ähnlich verhält es sich im Gesundheitswesen. Ein Arzt, welcher Medikamente abgeben darf, gleicht damit in etwa den Betrag aus, welcher ein Kollege in einem Kanton ohne Medikamentenabgabe für die gleiche Leistung mehr erhält (Tarmed). Der Ausgleich der unterschiedlichen Taxpunktwerte würde soviel kosten wie durch die Margensenkung gespart werden könnte! Wenn die Marge gemäss Willen des Preisüberwachers bei den Apotheken gesenkt würde, würden viele unter ihnen in enorme Existenznöte kommen und müssten zum Teil schliessen. Die Apotheken haben auch bei uns eine wichtige Aufgabe. Bei den Ärzten hat man die Entschädigung für Laboranalysen so stark gesenkt, dass die meisten Praxislabor-Betreiber einen Teil der Kosten für die Analysen selbst tragen müssen. Eine Alternative dafür wäre das Schliessen des Praxislabors, was zu enormen gesamtwirtschaftlichen Kosten führen würde, einberechnet auch den daraus entstehenden Zeitverlust für die Patientinnen und Patienten.

Die Vertrauenskrise am Universitätsspital Zürich (USZ) ist für viele unter uns keine grosse Überraschung. Beschränken wir uns bei der Betrachtung auf den Kanton Zürich. Zu Recht wurden in den letzten Jahren gerade in den grossen Spitälern die Chefärzte von den Führungsaufgaben entlastet. Dass man sie dabei auch vielerorts praktisch völlig entmachtet hat, ist falsch. An ihre Stellen wurden ein Spitaldirektor und ein Spitalrat eingesetzt, welche oft wenig Kenntnisse über das Gesundheits- und Spitalwesen haben. Gewisse Unterschiede in der Führung eines grossen Spitals und eines industriellen Unternehmens bestehen bei aller heute üblichen Gleichmacherei. Die Antworten der USZ-Spitaldirektion auf die Kritik der Kaderärzte zeugen von wenig Verständnis für deren Probleme und Anliegen.

Seit vielen Jahren sagen wir Ärzte voraus, dass wir in naher Zukunft in der Schweiz zu wenige «einheimische» Ärzte haben werden. Diese Feststellung wurde vom allzu früh verstorbenen ehemaligen FMH-Präsidenten Hans Heinrich Brunner (Vitznau) kritisiert. Und der ehemalige Direktor der Krankenkasse Helsana, Manfred Manser, erklärte 2006, dass man ohne weiteres auf einen Drittel der Schweizer Ärzte verzichten könnte. Heute fehlen uns Ärztinnen und Ärzte an allen Ecken und Enden. Vor allem Hausärzte finden keine Nachfolger mehr, aus diesem und anderen Gründen werden die Hausärzte weitgehend verschwinden, die Kosten werden entsprechend steigen. An den Spitälern fehlen rund 4000 Schweizer Ärzte, für Stellen, die durch ausländische Ärzte besetzt werden müssen (früher aus Deutschland, heute aus Osteuropa, morgen ….). In einem erschreckend schwachen Interview im Radio DRS erklärte der Interviewer, dass heute halt die jungen Ärzte aus den Spitälern in die Praxis gingen, da sie die hohe Arbeitsbelastung in den Spitälern fürchteten. Der gute Mann hat keine Ahnung von einem Praxisalltag. Seine Ahnungslosigkeit gipfelte in der Frage: «Warum müssen wir denn überhaupt mehr Schweizer Ärzte ausbilden, wenn wir die Lücken doch durch ausgebildete Ärzte aus dem Osten füllen können?». 

Früher bildeten wir im eigenen Land 950 Ärzte pro Jahr aus, heute noch 600 (als Vollzeitstellen berechnet), die Spitäler würden jedoch 1200 pro Jahr benötigen. Von allen jungen Schweizerinnen und Schweizern, welche gerne diesen Beruf ergreifen würden, erhält gerade jeder und jede sechste diese Chance. 

Viel Kritik? Ja, aber wahr! Wenn wir nicht endlich den Weg finden, ein tiefgreifendes und bezahlbares Konzept  für unser Gesundheitswesen zu finden, wird dessen sehr hohe Qualität rapide sinken, zum Nachteil der Patientinnen und Patienten! Senken wir die Gesundheitskosten, aber bitte mit Konzept!


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Über Herbert Widmer:

Dr. med. Herbert Widmer (*1946) führt in Luzern eine Praxis für Innere Medizin und ist FDP-Kantonsrat.

http://www.herbert-widmer.ch