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Kolumne von Hermann Suter

08.04.2011

Proporzsystem: Seit Generationen bewährt oder Auslaufmodell?

Am Luzerner Wahlsonntag 10. April 201 geht es auch um die Frage, ob ein politisches System weitergeführt oder abgeschafft wird: der Proporz.


Seit der Gründung des Bundesstaates im Jahre 1848 und insbesondere seit der Einführung des Nationalratsproporzes nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, gehört das Proporzsystem zur politischen Kultur der direkten Demokratie schweizerischer Prägung. Das System hat sich bewährt. Es hat Land und Volk eine weltweit selten gesehene politische Stabilität beschert. Damit wurden wichtige Voraussetzungen für das «Erfolgsmodell Schweiz» geschaffen. Im Zuge der Polarisierungstendenzen zwischen den sogenannten Mitteparteien und den «Rechts- und Linkskräften» gerät das Proporzsystem zunehmend unter Druck. Wird das Proporzsystem zum Auslaufmodell? Steigt die Polarisierung zum Schaden von Land und Volk weiter?

Worum ging und geht es eigentlich?

Die Schweiz war kulturell, gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch stets ein Land der Vielfalt und vor allem ein Land der Minderheiten. Das Proporzsystem in der Politik (lateinisch: Proportionen=Ebenmass, Verhältnis. Von proportional=verhältnismässig. Proportionalität=Verhältnismässigkeit, richtiges Verhältnis. Proporz=Verkürzter Ausdruck für Proportion und Proportionalwahl=Verhältniswahl) bietet gute Möglichkeiten, einen gewissen Ausgleich (und damit auch eine proportionale Teilung der politischen Machtausübung) zwischen den Minderheiten zu ermöglichen. 

Mit dem Proporzsystem können die politisch relevanten Kräfte (also jene, die einen einigermassen «behäbigen» Wähleranteil ausweisen können) die Machtausübung nicht nur in Legislativbehörden, sondern auch in Justiz- und vor allem auch in Exekutivbehörden verhältnismässig und damit einigermassen gerecht untereinander aufteilen. Statt dass eine einzige Partei an den Schlüsselstellen der Macht sitzt (wie etwa in den USA Demokraten versus Republikaner oder in Grossbritannien Konservative Tories versus Sozialistische Labourparty), werden eben diese Schlüsselstellen proportional (verhältnismässig) unter den Minderheiten verteilt. Zweifellos wird dadurch der demokratische Gedanke gestärkt. 

Anlässlich der Regierungsratswahlen im Jahre 2007 im Kanton Luzern hat sich punkto Wähleranteile folgendes Bild gezeigt: CVP 37,3%, FDP 23,05%, SVP 19,03%, SP/GB 18,01%. Dies ergibt für eine proportionale Verteilung der 5 Regierungsratssitze: 2 CVP, 1 FDP, 1 SVP, 1 SP/GB. Damit ist man bei der Formel 2-1-1-1, bezuehungsweise. beim Komitee 2-1-1-1, welches sich auch bei den diesjährigen Regierungsratswahlen für eine solche Sitz-Zuteilung einsetzt.

Hier die absolute Mehrheit - dort die Parteilosigkeit

Während mehr als hundert Jahren regierte die CVP (früher Katholisch-Konservative Volkspartei) den Kanton Luzern mit absoluter Mehrheit. Im siebenköpfigen Regierungsrat beanspruchte die CVP stets vier Sitze. Mit der Reduktion der Anzahl Sitze auf fünf trat sie einen Sitz freiwillig ab und beanspruchte noch deren zwei. Allerdings tritt sie im diesjährigen Wahlkampf mit 3 Kandidaten (zwei Männer, eine Frau) an, obwohl sie weiss, dass ihr rein proporzmässig gar kein dritter Sitz zusteht. Die lange Zeit der absoluten Mehrheit der CVP hat der Entwicklung des Kantons Luzern mehr geschadet als genützt.

Auf der anderen Seite hat die SVP den mit Daniel Bühlmann eroberten Regierungsratssitz im Jahre 2007 an den parteilosen Marcel Schwerzmann verloren. Seither ist die SVP – bei einem Wähleranteil von fast 20% - in der fünfköpfigen Regierung nicht mehr vertreten. Im Wahlkampf 2011 erhebt die SVP nun wiederum Anspruch und schickt Urs Dickerhof ins Rennen. Der parteilose Schwerzmann argumentiert, dass Regierungsratswahlen in erster Linie Majorz-, beziehungsweise Persönlichkeitswahlen seien und deshalb der Proporzgedanke nicht oberste Priorität habe. Ausserdem vertrete er als Parteiloser jene 70% Bürgerinnen und Bürger, die sich  gar keiner (etablierten) Partei zuteilen lassen wollen.

Während der Hinweis auf das Majorzwahlverfahren rein wahltechnisch durchaus richtig ist, gibt es berechtigte Zweifel zur Beurteilung der Parteilosigkeit. Es ist eine Tatsache, dass die weitaus grosse Mehrheit der «Parteilosen» selten bis gar nie an Wahlkämpfen teilnimmt. Ausserdem – das ist meine Überzeugung – gibt es eine wirkliche Parteilosigkeit gar nicht! Wer nicht Mitglied einer klassischen politischen Partei oder einer neu gegründeten Partei ist, existiert natürlich als Staatsbürgerin/als Staatsbürger trotzdem und vertritt damit – trotz vermeintlichen Abseitsstehens – eben auch eine politische Position. Nur ist diese Position nicht wirklich fassbar. Der parteilose Kandidat wird damit zu einer Art «Neutrum». 

Die richtige Formel für die Luzerner Regierung: 2 - 1 - 1 - 1

Was ist seine Grundhaltung? Wo steht er wirklich? Welches sind seine Positionen? Kann/will/muss er seine Grundeinstellung situativ ändern? Ganz anders jene Kandidatin (nehmen wir als Beispiel die SP-Kandidatin Yvonne Schärli), welche sich klar als Mitglied der SP zu erkennen gibt und das SP-Parteiprogramm dementsprechend unterstützt. Für die Wählerschaft ist diese Kandidatin eindeutig fassbar. Wer sie wählt weiss, dass für sie etwa die Förderung der Schweizerischen Milizarmee nicht das allerwichtigste Anliegen ist – ihre eigene Partei, die SP will nämlich die Armee abschaffen. Vor dem Hintergrund dieser Betrachtungsweise ist es mir lieber, wenn ich die Parteizugehörigkeit der Exekutivmitglieder kenne, beziehungsweise. wenn sich diese zu einer Partei bekennen. Parteilosigkeit ist keine politische Heimat, genausowenig wie die vielzitierte «Mitte» nicht wirklich eine politische Heimat ist. Das Komitee 2-1-1-1 hält vor allem aus diesen Überlegungen heraus den Anspruch der SVP auf einen Sitz im fünfköpfigen Regierungsrat nicht nur für berechtigt, sondern im Interesse des geschilderten Proporzgedankens für richtig und wichtig.

Missbrauchter Proporz: Schatten auf dem Luzerner Kantonsparlament

Wie erwähnt, hat es sich im schweizerischen Polit-System bewährt, dass auch allerhand Behörden, Komissionen, Organisationen undsoweiter nach dem (politischen) Proporzsystem zusammengesetzt werden. Damit bekommen auch Minderheiten (und es gibt nur Minderheiten in diesem Lande!) eine Chance, beispielsweise einen der Ihren in ein Kantonsgericht oder gar ins Bundesgericht zu bringen. Dank dem gelebten Proporzsystem wird es möglich, dass auch eine kleinere Partei eine Vertretung in eine Spezialkommission zu delegieren vermag. Die kürzlich stattgehabte Wahl von Sibylle Ueberschlag aus Kriens zur Jugendanwältin, wirft einen grossen Schatten auf die politische Proporzkultur des Luzerner Kantonsrates. 

Die SVP-Kandidatin musste zur Kenntnis nehmen, dass von den 110 eingelegten Stimmzetteln 50 leer (!) blieben und nur gerade 50 auf Frau Ueberschlag fielen. Damit wird klar, dass wohl die vereinigte Linksgrüne Allianz plus noch einige Vertreterinnen/-er des bürgerlichen Lagers den Proporzgedanken regelrecht pulverisiert haben. Dass zeugt nicht gerade von hoher politischer Kultur und schon gar nicht von politischer Fairness und Redlichkeit. Im Gegenteil! Dieser Vorgang wirft einen grossen Schatten auf Teile des Kantonsrates. Dieses Verhalten ist unklug und schadet der Gemeinschaft insgesamt nachhaltig, denn dadurch wird die Polarisierung angeheizt und diese wiederum erschwert konstruktive und prospektive Lösungsversuche schwer. Letztlich gibt es aus solchem Verhalten heraus nur Verlierer. Und dieser Verlierer heisst: Volk des Kantons Luzern! 

Man kann nur hoffen, dass die Wählerschaft am kommenden Sonntag, 10. April 2011 Persönlichkeiten wählt, die über solchen Ränkespielen zu stehen vermögen. 


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Über Hermann Suter:

Dr. phil. Hermann Suter (Greppen) ist Historiker, war Rektor des Lehrerseminars der Stadt Luzern, Zivilschutzchef des Kantons Luzern, städtischer FDP-Präsident und -Grossrat.

Er kommandierte eine Fallschirmgrenadierkompanie und war in seiner aktiven Dienstzeit zuletzt als Oberstleutnant Chef des Truppeninformationsdienstes der Felddivision 8. Hermann Suter präsidiert die «Widerstandsgruppe GIARDINO»: http://gruppe-giardino.ch