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Kolumne von Senad Sakic

04.03.2023

«Wir müssen als Gesellschaft näher zusammenrücken»

Auf der Kantonsratsliste der Mitte im Wahlkreis Luzern-Stadt fällt ein Name auf: Senad Sakic. Er ist ein bosnischer Secondo, seit 23 Jahren Polizist, hat zwei Masterabschlüsse und ist Chef der Kriminalpolizei Nidwalden. Das Interview mit ihm stellt eine spannende Persönlichkeit vor. Bestens integriert, fadengerade und doch freundlich, ehrgeizig und erfolgreich, vor allem aber: gut geerdet.


Senad Sakic-Fanger (1979) ist Chef der Kriminalpolizei Nidwalden und stellvertretender Polizeikommandant. Er kandidiert am 2. April im Wahlkreis Luzern-Stadt für Die Mitte als Kantonsrat. Mehr über ihn unter «Links».

Herbert Fischer: Ihre Kandidatur als Kantonsrat fällt aus mehreren Gründen auf. Sie haben bosnische Wurzeln, sind ein sehr gut integrierter Secondo; zweitens haben sie zwei Mastertitel; drittens haben sie bei der Polizei Karriere gemacht. Und viertens: das alles reicht Ihnen offenbar nicht – jetzt wollen sie auch noch in die Politik einsteigen. Mehr Integration und mehr «Vorzeige-Jugo» geht also wohl kaum. Doch der Reihe nach. Vorab eine unvermeidliche Frage: Wurden sie als Kind und als Jugendlicher als «Jugo» gehänselt?

Senad Sakic: Auf Ihre Frage, ob mir das alles nicht reicht, kann ich Ihnen sagen, dass ich längst nicht der einzige Verantwortungsträger bin, der eine solche Zusatzaufgabe wahrnehmen möchte. Unser Milizsystem funktioniert nun mal so. Sie können mir aber glauben, dass ich mit meiner aktuellen Funktion in Stans durchaus mehr als gefordert bin. Trotzdem möchte ich in die Politik einsteigen, weil ich dadurch die Möglichkeit habe, mir die persönlichen Sorgen und Nöte der Menschen nicht nur anzuhören, sondern die Dinge für diese Menschen auch zu verbessern und ihnen eine Stimme zu geben.

Ihre Frage, ob ich als Kind und als Jugendlicher als «Jugo» gehänselt wurde, muss ich bejahen. Ich war in der Schule, in Vereinen sowie am Arbeitsplatz fast immer der Einzige mit Wurzeln aus Ex-Jugoslawien.

Daher bekam ich die Abneigung einiger Menschen gegen diese Bevölkerungsgruppe, vor allem früher, öfters zu spüren. Heute erfolgen solche Bezeichnungen mir gegenüber wahrscheinlich eher hinter meinem Rücken. Ich persönlich sehe das als Zeichen von Neid und Missgunst.

Aber das Wort «Jugo» ist nun einmal negativ besetzt.

Senad Sakic: «Jugo» heisst wörtlich übersetzt schlicht Süden. Es gab bereits viele Diskussionen darüber, ob «Jugo» heute noch immer ein Schimpfwort ist oder ob man die Ex-Jugoslawen der Einfachheit halber «Jugos» nennen darf. Meines Erachtens ist dieser Begriff ein No-Go. Dieses Attribut wird oft als Synonym für Kriminelle, Sozialbetrüger, Raser, Jugendliche mit Machogehabe und so weiter, verwendet. Mit solchen Zuschreibungen wird ein abwertendes Bild eines Volkes konstruiert, das nichts mit der Realität zu tun hat.

Selbst die Ex-Jugoslawen verinnerlichen diese Stereotype so, dass man sich manchmal unwohl fühlen muss, wenn man nach seiner Herkunft gefragt wird.

Die Art und Weise, wie Menschen südosteuropäischer Herkunft dargestellt und von gewissen Personen wahrgenommen werden, ist den Menschen aus Ex-Jugoslawien nicht egal und erschwert noch heute die Gestaltung ihres Lebens in der Schweiz. Die Verwendung des Begriffs «Jugo» wirkt sich nicht nur ausgrenzend, sondern auch für die Integration erschwerend aus. Ich persönlich empfinde solche Bezeichnungen als unnötig und respektlos.

Wie sind denn die Hänseleien bei Ihnen «angekommen», was haben bewirkt?

Senad Sakic: Persönlich kann ich mit solchen Bemerkungen sehr gut umgehen. Trotzdem gibt es Menschen, die aufgrund von Sprachbarrieren oder ihrer sozialen Stellung solchen negativen Fremdzuschreibungen ausgesetzt sind und sich nicht zu wehren getrauen. Klar gibt es auch andere Betroffene, die solche Äusserungen locker nehmen. Ich fände es trotzdem schön, wenn man in einer Gesellschaft mit dem Namen angesprochen wird und nicht mit abschätzigen, auf die Herkunft abzielenden Attributen.

Offenbar erlebten sie aber auch Unterstützung. Sie wurden Polizist und machten erst noch Karriere. Warum dieser Weg? Und: Welche Hindernisse erlebten Sie in dieser Beziehung?

Senad Sakic: Ich habe mich bereits als Kind für das Thema Gerechtigkeit interessiert und stets für Schwächere eingesetzt. Mit dem Polizeiberuf habe ich die Möglichkeit erhalten, Ungerechtigkeiten zu bekämpfen. Ich bin seit 23 Jahren Polizist aus tiefster Überzeugung und immer noch mit grosser Leidenschaft dabei. Ich war 11 Jahre bei der Luzerner Polizei in der Verkehrs-, Sicherheits- und Kriminalpolizei tätig. Danach wechselte ich zur Kantonspolizei Zürich in die Ermittlungsabteilung Wirtschaftskriminalität. Dort war ich anfangs als Ermittler tätig und durfte danach als Projektleiter, Dienstchef und stellvertretender Abteilungsleiter bei der strategischen, operativen und personellen Führung mitwirken.

Dennoch haben sie diesen Topjob in Zürich verlassen.

Senad Sakic: Genau. Im Januar 2022 übernahm ich die Leitung der Kriminalpolizei der Kantonspolizei Nidwalden und bin zudem seit dem 1. Januar 2023 stellvertretender Kommandant. Ich wollte eine Führungsposition, weil ich Verantwortung übernehmen und die Zukunft mitgestalten möchte sowie entscheidungsfreudig bin. Ich bin sehr loyal und mag den Kontakt mit verschiedenen Menschen. Meinen Weg habe ich meiner Erziehung, meinem Durchhaltewillen, meinem Ehrgeiz, meiner Leistung und Menschen zu verdanken, die an mich geglaubt und mich gefördert haben.

Vor allem ihre Eltern? Wer auch noch?

Senad Sakic: Vor allem meinen Eltern habe ich sehr viel zu verdanken. Sie haben sehr hart dafür gearbeitet, meiner Schwester und mir eine glückliche Kindheit zu ermöglichen. Sie haben uns Mut gemacht und uns immer unterstützt. Zudem gibt es andere Wegbegleiter wie beispielsweise meinen Lehrmeister, Lehrer, Arbeitskolleginnen und -kollegen sowie Vorgesetzte.

Wenn sie ihre Polizeikarriere und ihren heutigen Status (Kripochef und stv. Kommandant der Nidwaldner Polizei) anschauen: Was folgt daraus – vor ihrem eigenen Hintergrund – für junge Leute, die ebenfalls einen Migrationshintergrund haben, mit Blick auf ihre persönliche, berufliche und gesellschaftliche Zukunft?

Senad Sakic: Mir hat meine Ausbildung bei meinem sozialen Aufstieg sehr geholfen. Eine gute Ausbildung sichert eine bessere berufliche Zukunft und somit auch ein höheres ökonomisches Einkommen. Das war früher so und hat sich bis heute meines Erachtens nicht verändert. Früher begründeten Eltern mit Migrationshintergrund ihren tieferen sozialen Status oft mit fehlender Ausbildung. Dies ist auch der Grund, wieso sie ihre Kinder ermutigten, in der Schule Erfolg zu haben, was auch bei mir der Fall war. Es ist aber auch wichtig, sich aktiv in das Gesellschaftsleben zu integrieren. Für den Erfolg sind zudem der Freundeskreis, gute Vorgesetzte und ein breites Netzwerk entscheidend. Man braucht aber auch Selbstdisziplin und den Willen, ein schulisches oder berufliches Ziel zu verfolgen. Mein Motto war es immer, wie einst Hermann Hesse sagte: «Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen».

Der Polizeialltag in ihrem Tätigkeitsgebiet ist gewiss vor allem geprägt durch die Lage des Kantons an der A2. Nidwalden umfasst aber keine Ballungszentren wie Luzern. Was unterscheidet die Arbeit der Kripo in Nidwalden grundsätzlich von jener in Luzern?

Senad Sakic: Kriminalität kommt auch in Nidwalden genau wie in Luzern in der gesamten Bandbreite vor. Da wir in Nidwalden weniger Personalressourcen haben, decken die Mitarbeitenden mehrere Bereiche ab. Dies eröffnet den Polizistinnen und Polizisten die Möglichkeit, in verschiedenen Deliktskategorien tätig zu sein. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfinden das als sehr positiv und abwechslungsreich. Wegen des entsprechend niedrigeren Spezialisierungsrads sind wir aber auch auf eine enge Zusammenarbeit mit anderen Polizeikorps angewiesen. Es ist klar, dass die Polizei gerade in Luzern mit den Ballungszentren viel mehr mit Gewaltdelikten und dem Sex- und Drogenmilieu konfrontiert ist. Handkehrum haben wir im Vergleich zu Luzern keine zusätzlichen Belastungen durch sehr personalintensive Sondereinsätze an Fussballspielen und Demonstrationen.

«Corona», Putins Krieg, zwei Hitze-Sommer und weitere Stressfaktoren haben in der Gesellschaft viel Verunsicherung, Ängste, auch enorme Aggressionen verursacht. Wie erleben sie die Gesellschaft diesbezüglich?

Senad Sakic: Die Gesellschaft ist durch die Krisen verunsichert und blickt zurzeit mit wenig Zuversicht in die Zukunft. Aktuell überlagern sich mehrere Krisen, ohne dass nur eine davon bereits wirklich ausgestanden ist. Gerade die Pandemie hat die Gesellschaft gespalten. Anlaufstellen und Vereine haben sich aus der Gesellschaft zurückgezogen und die entstandenen Leerstellen haben Extremisten zu füllen gewusst. So wurden beispielsweise die Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie durch Gruppierungen in politische Akte einer Diktatur umgedeutet, gegen die man sich wehren müsse. Es gab mehr destruktive als konstruktive Diskussionen und Fehlinformationen beherrschten oft die politische Meinungsbildung. Man hat in dieser Zeit gemerkt, dass Staats- und Demokratie-Feindlichkeiten zugenommen haben.

Daraus folgt?

Senad Sakic: Wir müssen als Gesellschaft wieder näher zusammenrücken und das wiederfinden, was unter den Abstandsregeln (wegen «Corona») gelitten hat. Es geht darum, bei der Bevölkerung wieder Vertrauen aufzubauen, auch in die staatlichen Institutionen. Die Bevölkerung muss darauf vertrauen können, dass sie als Teil der Gesellschaft in Krisen nicht im Stich gelassen wird. Wenn dieses Vertrauen fehlt, verlieren die Menschen den gesellschaftlichen Zusammenhalt und einige von ihnen finden sich zu einer Flucht in Parallelwelten und Extreme zusammen.

Hat dies die Polizeiarbeit verändert?  

Senad Sakic: Die Polizeiarbeit hat sich vor allem während der Pandemie verändert. Zum grundsätzlichen Auftrag, Schutz und Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten, ist die Umsetzung der «Corona»-Bestimmungen gekommen. So mussten unter anderem Schutzkonzepte kontrolliert werden. Als Folge der Pandemie verbrachten viele Menschen gezwungenermassen mehr Zeit in den eigenen vier Wänden. Das verstärkte das Potenzial von häuslicher Gewalt und Familienstreitigkeiten, aber auch eine gewisse Sozialkontrolle untereinander. Auch die Freizeitgestaltung veränderte sich durch die zeitweise Schliessung von Clubs, Bars und vielen Grossveranstaltungen.

Zudem stellte man ein gestiegenes Aggressionspotenzial, sowohl im digitalen Raum als auch im Alltag fest. Die Kriminalitäts-Entwicklung erwies sich in dieser Zeit als atypisch gegenüber den Vorjahren. Die Polizeiarbeit hat sich aber auch unabhängig von den Krisen klar verändert.

Inwiefern?

Senad Sakic: Wir haben mit neuen Kriminalitäts-Phänomenen, völlig veränderten Verbrechensmustern aufgrund von grenzüberschreitenden Straftaten, dem internationalen Terror, dem organisierten Verbrechen sowie neuartigen Tatbegehungsweisen, wie beispielsweise der Cyberkriminalität, zu tun. Gerade die Digitalisierung der Gesellschaft und die technologische Entwicklung haben massive Auswirkungen auf die Polizeiarbeit; deren Komplexität hat zugenommen und wird weiter zunehmen. Dies führt dazu, dass sich die Mittel, Methoden und Verfahrensweisen der Ermittlungen, respektive der Strafuntersuchung und der Kriminalprävention verändert haben. Die Polizeiarbeit wird immer komplexer, die Belastung und die Anforderungen an Polizistinnen und Polizisten steigen.

Auch die Digitalisierung hat die Polizei verändert.

Senad Sakic: Eindeutig. Polizistinnen und Polizisten – sowohl an der Front wie im Support – sind mit digitalen Geräten konfrontiert, bei fast jedem Unfall oder Delikt werden digitale Spuren gesichert und nachher ausgewertet. Deshalb ist es wichtig, zukünftig noch mehr in Kompetenzen der Mitarbeitenden, aber auch in notwendige Infrastruktur für den Umgang mit digitalen Herausforderungen zu investieren.

Mal abgesehen von ihrem Kernauftrag «Prävention, Intervention, Repression»:  Wie umschreiben sie die Erwartungen der Bevölkerung an die Polizei?

Senad Sakic: Durch die steigende Anzahl älterer Menschen an der gesamten Bevölkerung erhöht sich auch deren allgemeine Verletzlichkeit. Wir spüren auch eine Zunahme der Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit, was nicht nur die Polizei, sondern auch die psychiatrischen Einrichtungen stark belastet. Wir haben zudem wachsende soziale Unterschiede. Sie beeinträchtigen das Vertrauen der Menschen in die Gesellschaft und Institutionen. Auch das Bevölkerungswachstum führt zu mehr Arbeit für die Polizei. Die Polizeidichte ist jedoch im Vergleich zur starken Zunahme der Wohnbevölkerung nur minimal angestiegen. Die Polizei kann die Bedürfnisse und Erwartungen der Bevölkerung ohne entsprechende Ressourcen zukünftig kaum noch zeitgerecht und in der geforderten Qualität erfüllen.

Das liest man immer wieder: Die Polizei erhält immer mehr Aufgaben, aber nicht das dafür erforderliche zusätzliche Personal.

Senad Sakic: Tatsächlich! Da wir nicht mehr alle zur Anzeige gebrachten Straftaten bearbeiten können, sind wir gezwungen, zu priorisieren und eine Verzichtplanung zu machen. Gleichzeitig sollten wir die Grundversorgung und damit die sichtbare Polizeipräsenz, aber auch die Prävention verstärken, damit wir die Begehung weiterer Delikte verhindern, respektive die Anzahl zu bearbeitender Fälle verringern können. Nebst dem steigenden Fahrzeug- und Verkehrsaufkommen hat zudem die Zahl der Grossveranstaltungen, bei denen für die Sicherheit des Publikums eine starke polizeiliche Präsenz benötigt wird, deutlich zugenommen.

Landauf landab ertönt aus Polizeikorps immer wieder die Klage, der Respekt in der Bevölkerung gegenüber PolizistInnen sinke, sie würde teils sogar angespuckt. Ist es wirklich so schlimm?

Senad Sakic: Wir stellen in der Gesellschaft sicherlich einen gewissen Autoritätsverlust von Polizistinnen und Polizisten fest, was sich zumindest teilweise auch in der Häufigkeit von Gewalt und Drohungen gegenüber Beamten widerspiegelt. Das Aggressionspotenzial gegenüber der Polizei hat vor allem in Städten zugenommen. Wir haben mittlerweile eine 24-Stunden-Gesellschaft und die Polizei muss allzeit präsent sein. Das ist mit dem aktuellen Personalkörper zum Teil nicht mehr zu stemmen. Der Druck wächst ständig und je öfter Polizistinnen und Polizisten belastenden Situationen ausgesetzt sind, desto höher wird auch der psychische Druck und umso seltener gibt es die Gelegenheit, sich zu erholen und das Erlebte zu verarbeiten.

Die Einsätze sind heute intensiver und benötigen entsprechend mehr Personal. Beispielweise müssen immer häufiger sogar Rettungssanitäter bei Einsätzen von der Polizei geschützt werden.

Sollten sie als Kantonsrat gewählt werden: Wo setzen sie bei diesem Thema an?

Senad Sakic: Die wichtigste aller Staatsaufgaben ist die Sicherheit der Einwohnerinnen und Einwohner. Ich bin überzeugt, dass die Lebensqualität für die Mitmenschen ohne das Gefühl von Sicherheit leidet. Menschen wollen sich sicher fühlen, und zwar in ihrer eigenen Wohnung, auf öffentlichen Plätzen, bei Tag und in der Nacht. Zudem ist Sicherheit eine der wichtigsten Grundlagen für ein freiheitliches und demokratisches Zusammenleben der Bevölkerung. Aufgrund des Personalmangels versucht man aktuell innerhalb der Polizeikorps die Organisation, Aufgaben und die Abläufe zu optimieren und ihre Wirkung zu überprüfen. Es wurde diesbezüglich bereits sehr viel unternommen. Trotzdem ist es wichtig, nebst der laufenden Optimierungen nach weiteren Lösungsmöglichkeiten zu suchen.

Das Verhältnis zwischen Bevölkerungswachstum und Polizeidichte liegt nicht mehr im Gleichgewicht. Die Zitrone ist mittlerweile bei vielen Polizeikorps ausgepresst. Die Belastung der einzelnen Polizisten hat derart zugenommen, dass vollständig freie Wochenenden kaum noch zu beziehen sind.

Zudem werden immer mehr Überstunden geleistet, deren Kompensation sich aufgrund des Personalmangels immer schwieriger gestaltet.

Nochmals: Wo setzen sie an?

Senad Sakic: Um dem entgegenzuwirken, braucht es als Sofortmassnahmen ganz einfach mehr Personal. Erschwerend kommt jedoch der angespannte Arbeitsmarkt hinzu. Um konkurrenzfähig zu bleiben, brauchen wir attraktive Arbeitsbedingungen. Damit die Polizei ihre Aufgabe weiterhin in einer entsprechenden Qualität sicherstellen kann, braucht es entsprechende Rahmenbedingungen und Ressourcen.

Viele sicherheitspolitische Problemstellungen lassen sich wohl kaum auf den Ebenen der Kantone sinn- und wirkungsvoll verändern.

Senad Sakic: Die Polizeiarbeit ist tatsächlich stark vom Föderalismus geprägt, denn sie liegt in der Verantwortung der Kantone. Die kleinen und mittleren Korps haben zunehmend Mühe, die polizeilichen Aufgaben in ihrer gesamten Bandbreite autonom zu erfüllen, weil die steigende Komplexität auch mehr Personal und Infrastruktur erfordert. Deshalb können gewisse Problemstellungen wohl nur noch gemeinsam mit anderen Kantonen im Verbund erfüllt werden.

Unsere Rechtsgrundlagen sind darauf aber nicht ausgerichtet. Entsprechend ist hier auch die Politik in Bund und Kantonen gefordert, für Lösungen wie etwa interkantonale Kompetenzzentren zur Bekämpfung spezialisierter Tatbestände, auch entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen und die Bereitschaft zu zeigen, solche gemeinsam zu finanzieren und zu betreiben.

Für eine effizientere Bekämpfung von organisierter Schwerstkriminalität muss sogar vermehrt eine nationale Zusammenarbeit in der ganzen Schweiz ermöglicht werden.

Secondos und Secondas haben erfahrungsgemäss bei der SP oder den Grünen bessere Chancen, gewählt zu werden als in einer bürgerlichen Partei. Warum haben sie sich für Die Mitte entschieden?

Senad Sakic: Ich glaube, diesbezüglich findet eine Veränderung statt. Zwischenzeitlich gehören viele Menschen mit Migrationshintergrund dem Mittelstand an. Wir haben viele Secondos und Secondas, die sehr erfolgreich Unternehmen leiten oder führende Positionen in Politik und Wirtschaft einnehmen. Zudem bin ich als Mensch und Polizist immer unparteiisch und höre mir gerne zuerst die Sachlage an, mache fundierte Abklärungen dazu und treffe erst dann eine entsprechende Entscheidung. Das heisst aber nicht, dass ich keine Meinung habe. Aber ich bin ein lösungsorientierter und konsensfähiger Mensch. Und Menschen, die ihre Meinung nicht ändern können, können überhaupt nichts verändern. Aufgrund dieser Charaktereigenschaften denke ich, dass ich aus der Mitte sehr gut zwischen links und rechts zu vermitteln kann.

Können sie ihren eigenen Slogan erklären?

Senad Sakic: Mein Slogan heisst «mit Sicherheit durch den Wandel». Mit Wandel beziehe ich mich unter anderem auf die Herausforderungen aufgrund der Digitalisierung, der Globalisierung, der Individualisierung der Gesellschaft und der demographischen Veränderung. Gerade in Bezug auf den letzten Punkt ist zu sagen, dass ältere Menschen heute freier sind als je zuvor und ihr Leben nach eigenen Wünschen gestalten. Gleichzeitig wachsen aber auch die Ungleichheiten. Viele Rentnerinnen und Rentner haben Mühe, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und ihre Miete zu bezahlen. Ausserdem ist Einsamkeit ein wachsendes Problem der älteren Generation. Diese demographische Entwicklung wirkt sich auch auf das Gesundheitswesen aus.

Wie denn?

Senad Sakic: Wir haben überfüllte Spitäler, fehlende Medikamente und zu wenig Personal. Ein grosses Problem ist auch die Entmenschlichung im Gesundheitswesen. Sie drückt sich darin aus, dass immer weniger Zeit für Patienten vorhanden ist. Die Menschen werden wie auf einem Fliessband durch Krankenhäuser geschleust. Auch Ärzte und das Pflegepersonal müssen – eben: wie Fliessbandarbeiter – ihre Leistungen vollbringen, und zwar quasi im Akkord. Das ungute Gefühl auf beiden Seiten wird immer grösser.

Auch die erwähnte Digitalisierung ist eine grosse gesellschaftliche Herausforderung. Im Bereich der Sozialpolitik haben wir aktuell das Problem in Bezug auf die Generationenthematik. Zum Teil besteht eine fehlende Solidarität zwischen den Generationen.

All diese Herausforderungen, die in einem noch nie da gewesenen Tempo an Jung und Alt herangetragen werden, beschreiben diesen Wandel und machen die Bürgerinnen und Bürger unsicher. Und gerade in Zeiten des Umbruchs und des Wandels ist die Politik ganz besonders gefordert, Verlässlichkeit und Sicherheit zu bieten.

Polizisten gelten gemeinhin politisch als «stramm rechts» eingestellt. Stimmt dieses Bild?

Senad Sakic: Es ist unbestritten, dass Berufe, in denen Uniformen und Waffen getragen werden, oft auch Menschen anziehen, die einen autoritären Charakter haben und eher konservativ denken. Durch den häufigen beruflichen Kontakt zu Personen, die Straftaten begangen und auch einen Migrationshintergrund haben, kann es auch sein, dass sich Vorurteile entwickeln und diese untereinander noch verstärkt werden. Wenn ich die Polizeikorps aber heute anschaue, hat sich im Vergleich zu früher jedoch viel geändert.

In welche Richtung?

Senad Sakic: Wir haben mittlerweile in vielen Korps auch Mitarbeitende mit Migrationshintergrund, die sehr gut integriert und akzeptiert sind. Ich selber hatte damals vor über 20 Jahren noch eine Vorreiterrolle und musste gewisse Äusserungen ertragen – auch wenn ich sie nie vergessen habe. Heute wird die Thematik aber schon in der Ausbildung aufgegriffen und die jungen Polizistinnen und Polizisten werden entsprechend sensibilisiert. Entsprechend würde ich sagen, dass sich auch bei der Polizei ein breites Spektrum politischer Einstellungen findet.

In einem Interview mit zentralplus.ch (siehe unter «Links») haben sie gesagt, Kollegen hätten sie gewarnt: «Die Rechten wählen dich nicht, weil du ein Jugo bist – die Linken wählen dich nicht, weil du ein Polizist bist.» Das tönt nicht gerade hoffnungsvoll. Dennoch kandidieren sie. Besondere Herausforderungen scheinen sie besonders zu motivieren. Ist das so?

Senad Sakic: Ich schmunzle nur bei solchen Sprüchen. Ich denke es ist eine veraltete Denkweise. Ich als Person habe durch meine Wurzeln und meinen Beruf gute Chancen, sowohl von links wie von rechts Stimmen zu erhalten.

Gleichwohl wird es nicht leicht sein, am 2. April in der Stadt einen Sitz zu erringen als Mitte-Vertreter. Die Mitte hat zurzeit 3 von insgesamt 24 Sitzen, wobei alle Bisherigen wieder kandidieren und die Partei eine auffällig starke Liste vorlegt.

Senad Sakic: Es wird sicher keine leichte Angelegenheit. Ich bin zwar optimistisch, kann aber auch mit Niederlagen sehr gut umgehen. Jeder scheitert mal in seinem Leben. Ich denke jedoch, dass ich mit meiner Kandidatur der Mitte sicherlich ein paar Stimmen einbringen und somit meinen Beitrag an die Partei leisten kann. Selbstverständlich erhoffe ich mir ein gutes Resultat. Für mich habe ich mit meiner Kandidatur bereits jetzt Erfolg erlebt.

Wie denn?

Senad Sakic: Ich erlebte bereits bis jetzt viele spannende Begegnungen und durfte zahlreiche interessante Diskussionen führen. Man kann aus jeder Situation etwas Positives herausnehmen. Ich denke, für die Bewältigung aktueller und künftiger Sicherheitsherausforderungen braucht es einen Profi. Daher bin ich überzeugt, dass ich für den Kantonsrat Luzern ein Mehrwert wäre.

Ist das Thema Politik für sie dann erledigt?

Senad Sakic: Ich bin sehr hartnäckig und ehrgeizig und nicht gut darin, meine Vorhaben schnell aufzugeben. Darum kann ich mit grosser Wahrscheinlichkeit sagen, dass ich mich im Falle einer Nichtwahl bei den Kantonsratswahlen vom 2. April 2023 im Jahr 2024 für die Grossstadtrats-Wahlen zur Verfügung stellen würde. Sicherlich wird aber das Wahlergebnis vom 2. April meine Entscheidung noch beeinflussen.

Interview: Herbert Fischer, Redaktor lu-wahlen.ch, Luzern


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Über Senad Sakic:

Senad Sakic-Fanger (1979) hat nach einer kaufmännischen Lehre in der Hotellerie in Sempach die Polizeiausbildung absolviert. Neben mehreren Weiterausbildungen und zwei Mastertiteln wurde er anfangs 2022 Chef der Kriminalabteilung der Kantonspolizei Nidwalden und ein Jahr später deren stellvertretender Kommandant. Er ist verheiratet, Vater zweier kleiner Kinder und lebt im Luzerner Neustadtquartier.

Senad Sakic kandidiert am 2. April 2023 auf der Liste Luzern-Stadt von Die Mitte für den Kantonsrat.

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