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Kolumne von Stefan Roth

01.08.2015

Die Solidarität innerhalb des Kantons müsste sich auch wieder einmal beweisen

An der 1. Augustfeier in Luthern sprach soeben Luzerns Stadtpräsident Stefan Roth (CVP). Er widmete sich dem Thema Stadt und Land. Hier ist sein Redemanuskript zu lesen.


Luzerns Stadtpräsident während seiner Ansprache heute auf dem Sonnenplatz in Luthern, wo er seine Rede zum Verhältnis Stadt und Land hielt.

Bilder: Herbert Fischer

Sehr geehrter Herr Gemeindepräsident, lieber Beat

Liebe Schulkinder, liebe Frauen und Männer aus dem Dorf und aus der Stadt 

Sehr geschätzte Festgemeinde

In der Stadt Luzern findet keine offizielle Bundesfeier mehr statt. Deshalb bin ich als Stadtpräsident sehr gerne zu Ihnen nach Luthern gekommen. Dass ich aber nicht nur einfach dabei sein kann, sondern auch zu Ihnen reden darf, ist mir eine grosse Ehre und erfüllt mich mit grösster Freude. 

Der Förderverein Luthern Bad begeht seit einigen Jahren den Nationalfeiertag wie folgt: Zuerst eine Wanderung, dann ein offizieller Teil. In diesem Jahr steht das Thema «Stadt und Land» im Zentrum. Zugespitzt könnte man meinen: Die Wanderung steht für «Land», der Redner steht für «Stadt». 

«Stadt und Land» werden gerne als Gegensätze dargestellt. Einer, der es wissen muss, nämlich Kantonsratspräsident Franz Wüest, hat die Gegensätze kürzlich wie folgt beschrieben: 

«Auf dem Land wohnen die rückständigen Bauern, in der Stadt die dekadenten Spassmenschen. Auf dem Land sind sie fleissig, in der Stadt geht die Freizeit vor. In der Stadt pulsiert das Leben, auf dem Land liegt vieles brach. Städter sind offen für Veränderungen, Bewohner der Landschaft verwehren sich gegenüber Neuerungen. Die grossen Prestigeobjekte der Stadt vereinnahmen die Kantonsfinanzen, längst überfällige Vorhaben der Landschaft werden deswegen auf die lange Bank geschoben. In der Stadt generiert eine innovative Wirtschaft Mehrwerte, auf der Landschaft kostet eine hochgradig protektionierte Landwirtschaft viel Geld.» 

Hat der Kantonsratspräsident damit die Realität beschrieben oder bloss Vorurteile aufgezählt?

Selbstverständlich hatte er damit nicht seine eigene Meinung wiedergegeben. Es sind Vorurteile, die in vielen Köpfen fest verankert sind. Denn wie immer, wenn Gegensätze bestehen, werden solche Klischees dankbar aufgenommen. Oft werden solche Vorurteile geschaffen, um vermeintliche Unterschiede zu unterstreichen.  

Es ist eine Tatsache: Die Gegensätze von Stadt und Land sind ein populäres Dauerthema. Ist der Stadt-Land-Graben somit These oder ist er Realität? Oder lässt er sogar eine wichtige Tatsache aus? 

Ich muss vorausschicken: Ich bin zwar Stadtpräsident und damit von Berufs wegen Städter. Ich bin aber in der Agglomerationsgemeinde Littau aufgewachsen. Littau ist seit fünf Jahren Teil der fusionierten Stadt Luzern. Ich bin somit Städter, aber nicht durch und durch. Ich bin auch einer aus der Agglomeration. Und das sei ja – so erklären uns Politkommentatoren – eine noch viel rätselhaftere Spezies als die aus der Stadt oder vom Land. «Agglo» ist nämlich «weder noch». Die Menschen aus der «Agglo» treten mal grossspurig städtisch auf und handeln, als lebten alle im abgeschiedenen «Heimetli»; das nächste Mal treten sie provinziell auf, benehmen sich aber ganz weltmännisch. 

Und was heisst das jetzt für unseren sogenannten Stadt-Land-Graben?  

Der vermeintliche Gegensatz von Stadt und Land übersieht etwas Wichtiges. In der Schweiz gibt es schon lange nicht mehr nur diese beiden Pole. Im Gegenteil, längst hat die Agglomeration überhandgenommen. Und das nicht nur um die grossen Zentren herum.

Im Kanton Luzern gibt es nicht bloss rund um die Leuchtenstadt Luzern eine Agglomeration. Auch die Hauptverkehrsachse entwickelt sich in dieser Richtung. Schauen Sie beispielsweise ins Luzerner Wiggertal entlang der «A2». Dagmersellen und Reiden sind längst Teil des grossen Agglomerations-Mainstreams, der über weite Teile des Mittellandes wuchert. Diese Entwicklung wird verkannt, wenn man von einem «Stadt-Land-Graben» spricht. 

Dies hat auch mit der zunehmenden Mobilität von uns Menschen zu tun. Immer mehr Menschen wird ermöglicht, am einen Ort zu leben und an einem anderen zu arbeiten. Dadurch sind viele ländliche Gebiete zu Vororten von Städten geworden. Die Agglomeration hat sich ausgebreitet. Man spricht heute von der Verstädterung des Mittellandes. Vom Siedlungsbrei. Das sogenannte, ehemalige «Land» wird zu einer einzigen, grossen Stadt. Heute leben gemäss Bundesamt für Raumplanung bereits drei Viertel der Bevölkerung in Städten und ihren Agglomerationen. Luthern wird zur Rarität!

Die drei Viertel besuchen dann den letzten Viertel, kommen hierher und staunen wie im Museum: «Hei, so sieht also unverbaute Landschaft aus!» Das letzte Viertel wird zur Sensation. 

Das «Land» also als Volkspark der Schweizer Bevölkerung? Wir hören es doch so oft: auf dem Land suchen wir Erholung, verbringen wir die Freizeit, erleben wir Natur. In die Stadt kommt man zum Arbeiten, für die Ausbildung, um einzukaufen, um Kultur zu geniessen. Ist das die Wahrheit oder ist das bloss Vorurteil? 

Sie und ich, wir kennen mittlerweile die Vorurteile:

. In der Stadt gibt es hochstehende Kultur, auf dem Land bestenfalls Bauernschwänke. 

. In der Stadt pulsiert das Leben, auf dem Land ist um acht Uhr Lichterlöschen. 

. Auf dem Land halten die Leute noch zusammen, in der Stadt vereinsamt man unweigerlich.

. Die Stadt ist links, das Land konservativ. 

Und was ist nun die Wahrheit?

Der letzte Punkt – «die Stadt links, das Land konservativ» – enthält zumindest viel Wahres.  

Schauen wir ein paar Abstimmungsresultate an:

. Die SVP-Initiative «Gegen den Bau von Minaretten»: 80 Prozent Ja in Luthern, 60 Prozent Nein in Luzern. Rechts-konservatives Land, links-liberale Stadt.

. Die «Masseneinwanderungs-Initiative», seit diesem Resultat ist der Stadt-Land-Graben ja in aller Munde: 75 Prozent Zustimmung in Luthern, 60 Prozent Ablehnung in Luzern. Rechts-konservatives Land, links-liberale Stadt.

. Oder im Juni: Verfassungsartikel zur Fortpflanzungsmedizin: 60 Prozent Nein in Luthern, 60 Prozent Ja in Luzern. Rechts-konservatives Land, links-liberale Stadt.

Da ist er also doch, der «Stadt-Land-Graben»! Der Politologe Claude Longchamp hat ihn als «grösste innenpolitische Konfliktlinie der Schweiz» bezeichnet. Der Güllengraben sei tiefer als der Röstigraben.

Die These von der «linken Stadt» und dem «rechtsbürgerlichen Land» lässt sich aber genauso gut widerlegen: 

. Nehmen wir die JUSO-Initiative «1:12»: 69 Prozent Ablehnung in Luthern, 65 Prozent Ablehnung in Luzern. Was ist jetzt mit «links-rechts»?

. Ebenfalls bei der Initiative «Gegen Abzockerei»: 66 Prozent Ja in Luthern, 67 Prozent Ja in Luzern. Wo bleibt denn da der «Güllengraben»?

Ist der 1. August, der Bundesfeiertag, der richtige Moment, um über politische Gräben zu reden? Das Thema lautet doch «Hand in Hand»!

Wir stellen fest: die Wanderung ist ein Erlebnis gewesen. Die wenigsten sind tatsächlich Hand in Hand marschiert. Aber ein schönes Erlebnis ist die Wanderung gewesen. Für Männer und Frauen aus der Stadt, aus der Agglomeration, aus dem Luzerner Hinterland. Es haben Gespräche stattgefunden. Man ist sich unkompliziert näher gekommen. Kinder sind herumgerannt; ich hätte nicht unterscheiden können, woher sie denn kamen.

Wir haben auch sonst in vielerlei Hinsicht Mühe, die Trennlinie zwischen Menschen aus der Stadt und vom Land zu ziehen. Wirtschaftlich, kulturell und soziodemografisch unterscheiden sich viele Landgemeinden nicht mehr gross von jenen in der Agglomeration oder der Stadt. Wir tragen die selben Jeans, wir wohnen mit den gleichen IKEA-Möbeln, träumen alle von einer Lotto-Million, schauen denselben Mist am Fernsehen, hören die selbe Musik. 

Auf der Wanderung haben Sie vielleicht festgestellt: Es gibt hier Menschen, die fiebern für den FCL, so wie ich. Oder Sie haben gemerkt, andere machen sich aus Fussball genauso wenig, so wie Sie selbst. Es hat überzeugte Bahnfahrer und überzeugte Automobilisten auf beiden Seiten vom «Güllengraben». Es hat Tätowierte in der Stadt und auf dem Land. Und Übergewichtige. Und Linkshänderinnen. Und Gescheite. Und, und.

Es sind bestimmt nicht die äusserlichen Unterschiede, die uns unterscheiden. Was wir täglich um uns herum sehen und hören, das prägt uns. Und wir prägen unser Umfeld. Ich erlebe es, wenn im Frühling die Quartiervereine ihre Generalversammlungen abhalten. 

21 Quartiervereine sind es in der Stadt Luzern. Der ganze Stadtrat schwärmt aus, die Generalversammlungen zu besuchen. Und wir alle stellen fest, die Quartiervereine ticken jeweils anders. Jedes Quartier ist einzigartig. Die Menschen in den verschiedenen Quartieren haben verschiedene Bedürfnisse.

Und doch: Die Menschen in den verschiedenen Quartieren stehen solidarisch zu einander. Alle verstehen sich als Stadtluzernerinnen, respektive Stadtluzerner.

Die Solidarität innerhalb der städtischen Quartiere und zwischen den Quartieren funktioniert gut. Das liegt nicht daran, dass Städter so besonders solidarisch sind. Das liegt daran, dass wir alle im gleichen Boot sitzen.  

Diesen Eindruck habe ich im ganzen Land nicht immer. Zu oft rennen wir Partikularinteressen nach. Im Finanzausgleich geht es nur noch darum, möglichst wenig zahlen zu müssen, resprktive möglichst viel zu erhalten. Die Solidarität zwischen wohlhabenden und weniger reichen Kantonen bröckelt bedenklich.

Die Solidarität innerhalb des Kantons müsste sich auch wieder einmal beweisen. 

Mir ist es egal, ob Gräben zwischen Romandie und Deutschschweiz, zwischen links und rechts, zwischen Stadt und Land verlaufen. Die Gräben stören mich aber in jedem Fall. Sie müssen mit einer Brücke überwunden werden. Oder noch besser zugeschüttet werden. 

Der Dialog, der Austausch baut Brücken. Er bringt Menschen aus verschiedenen Regionen, mit konkurrierenden Ansichten und Interessen, mit unterschiedlicher Herkunft zusammen.

Auf der politischen Ebene sucht der Stadtrat immer wieder bewusst den Dialog mit den Landgemeinden. Deshalb findet zum Beispiel die dreitägige Sommerklausur des Stadtrates immer an einem anderen Ort auf dem Land statt. Und immer laden wir dabei die örtliche Gemeindebehörde und Vertreter des regionalen Entwicklungsträgers in unsere Klausur ein. 

Der Stadtrat von Luzern interessiert sich für die Herausforderungen und Anliegen des ländlichen Teils unseres wunderschönen Kantons. Der Stadtrat will das Land verstehen! Wir machen einen Schritt hin zum Land! Wir suchen Begegnungen!  

Weniger formell haben heute die Wanderung und das Mittagessen hier auf dem Platz «Begegnungen» ermöglicht. Ich sage es nochmals: Begegnungen, das ist das Entscheidende, das gibt den «Kitt». «Kitt» zwischen Stadtmenschen und Landbewohnern.

«Stadt-Land» ist verschieden. Deshalb braucht es den respektvollen Umgang miteinander! Hier und heute in Luthern geht man respektvoll um! Ich bin dankbar für den heutigen Austausch. 

Begegnungen fördern nämlich den Austausch zwischen Polen und helfen, die Meinung der anderen Seite besser zu verstehen. Vor allem aber lernt man an Veranstaltungen wie der heutigen die Menschen kennen, die sich hinter der zuvor anonymen, anderen Meinung verbergen. Durch solche Begegnungen ist es möglich, Brücken zu bauen und in Zukunft vermehrt zwischen Stadt und Land «Hand in Hand» zu gehen! 

Ich danke dem Förderverein Luthern Bad, dass er diesen Anlass durchführt und so Menschen zusammenführt. 

In dem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen weiterhin alles Gute, viel Erfolg und persönliches Wohlergehen. Ich freue mich sehr, Ihnen bei anderer Gelegenheit in unserer Stadt Luzern zu begegnen.   

CVP-Kantonsrat Stefan Roth, Stadtpräsident von Luzern


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Über Stefan Roth:

Stefan Roth (CVP) ist seit anfangs 2010 Finanzdirektor und seit Sommer 2012 zugleich Stadtpräsident von Luzern.