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Kolumne von René Regenass

20.04.2013

Stadtrat Borgula über den Nutzungsdruck auf den öffentlichen Raum, den Strassenstrich und die Arbeit der Polizei

Die Ansprüche an den öffentlichen Raum in der Stadt seien enorm gestiegen, sagt der grüne Stadtrat Adrian Borgula. Da gelte es Grenzen zu setzen, weil es Menschen gebe, die unter dieser Übernutzung litten. Borgula warnt aber auch: «Zu viel Kontrolle und Repression führen zur Verlagerung der Szene.»


Adrian Borgula (links) ist seit August 2012 Stadtrat. Er löste Ruedi Meier ab, der von 2000 bis 2012 als erster Grüner der Exeku-tive angehört und die Sozialdirektion gelei-tet hatte.

Bild: Herbert Fischer

Adrian Borgula, Sie haben im Grossen Stadtrat Vorstösse zur öffentlichen Sicherheit und zur Strassenprostitution kompetent, informativ und mit einer wohltuenden Nüchternheit beantwortet. Wie machen Sie das?

Adrian Borgula: Es gehört zu meiner Art, sachlich aber beharrlich zu bleiben. Ich war 16 Jahre Mitglied des Kantonsrates und habe es schon dort so gehalten. Selbstverständlich gibt es Themen, «wos mi chutzelet»; vor allem, wenn etwas falsch gewichtet oder ungerecht dargestellt wird. 

Zum Beispiel?

Die aktuelle Diskussion um das Kartonbündeln etwa. Ich werde dauernd darauf angesprochen, auch von Personen, die sich ernsthaft um eine geordnete, umweltbewusste Abfallentsorgung bemühen. Ich verstehe ein gewisses Ärgernis, aber diese Frage hat jetzt definitiv zu viel Gewicht bekommen. Wir können froh sein, wenn dies unser grösstes Problem ist.  

Gibt es Themen im Stadtparlament, die Ihnen Mühe bereiten?

Mühe nicht, aber ich diskutiere gerne über konkrete, greifbare Forderungen. Ich denke an die Sitzung Ende März mit dem Vorstoss zur öffentlichen Sicherheit aus der FDP-Fraktion. Das war diffus und wohl eher ein Versuch zur politischen Profilierung. Ich habe in meinen eigenen Vorstössen im Kantonsrat – und es sind nicht wenige gewesen – immer versucht, konkrete Forderungen zu stellen. 

Was bewegt Sie in der Thematik Sicherheit und Strassenprostitution?

Einerseits sind es publikumswirksame Themen mit relativ hoher Beachtung. Andererseits interessiert mich sehr, wie die Gesellschaft den Umgang mit den öffentlichen Gütern und Räumen organisiert. Die Direktion Umwelt, Verkehr und Sicherheit hat sehr viel mit dem öffentlichen Raum zu tun. Ordnung und Sauberkeit, Stadtgärtnerei, Strassen, Plätze, Kanalisation. Im öffentlichen Raum besteht in der Stadt ein sehr grosser Nutzungsdruck. Die Ansprüche sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Fast alle wollen öffentlichen Raum nutzen, sofort und nicht zu knapp. Wenn wir Leitplanken setzen, heisst es schnell, wir verhinderten alles. Meine Grundhaltung ist klar: wir wollen ermöglichen, aber klare Grenzen setzen. Es gibt Menschen, die unter dieser Übernutzung leiden.

Auch hier, das Beispiel?

Es hat eine Anfrage gegeben, das Wasserflugzeug-Treffen in Zusammenarbeit mit dem Verkehrshaus von Hergiswil in die Luzerner Seebucht zu verlegen. Das hat der Stadtrat abgelehnt. Der Druck auf das Luzerner Seebecken ist gross. Dazu wären noch 120 Passagierflüge über der Stadt gekommen. Diese Belastung wäre zu gross gewesen für die Bevölkerung. Selbstverständlich gibt es Entscheide im Kleinen, die manchmal schwierig zu verstehen sind, etwa wenn ein Laden seine Auslage auf dem Trottoir ausweiten will und nicht darf. Aber wir müssen alle gleich behandeln. 

Öffentliche Sicherheit und Strassenprostitution: Ist der Aufwand noch verhältnismässig, den Verwaltung und Polizei hier leisten?

Beginnen wir beim Einfachen: Ich finde das Littering auf Strassen und Plätzen eine Schweinerei. Für diese Wegwerfmentalität habe ich kein Verständnis. Ich bin in den 70er-Jahren gross geworden. Damals gab es erstes Verpackungsmaterial, das man hätte wegwerfen können. Es war für uns klar, dass dieses Zeugs in den Abfalleimer oder wieder nach Hause  kommt. Unsere Leute müssen heute den Dreck von Leuten aufnehmen, die sich in der Öffentlichkeit verantwortungslos und respektlos verhalten.

Persönlich kann ich auch das Bedürfnis für einen Strassenstrich nicht verstehen. Die Stadt hat in der Folge einen grossen Aufwand für die Reinigung des öffentlichen und privaten Raumes. Man müsste hier jene belangen können, die das Bedürfnis auslösen, die Freier. Die Prostitution verbieten ist nicht möglich. Sobald wir zuviel kontrollieren, verlagert sich die Szene an einen andern Ort.  Das Triste daran sind das Elend für die Frauen, der Menschenhandel, die Zuhälterei. Die Polizei kommt da kaum ran. Die Nachfrage stützt eine ziemlich ausbeuterische Wirklichkeit, obwohl für einzelne Frauen auch eine Verdienstmöglichkeit besteht.   

SRF2 hat kürzlich aufgezeigt, dass Luzern sich mehr oder weniger selbst zur Sexmetropole gemacht hat. Mit der Verschiebung in den Ibach ist die Strichszene jetzt direkt beim Autobahnanschluss. Die Freier kommen aus der halben Schweiz und die Frauen werden zum Teil von Verwandten zum Sex hingeführt. Sie wissen gar nicht, wo sie sich befinden. Das sind alles Aussagen aus dem Radiobeitrag. Hätte man diese Entwicklung nicht vorausahnen müssen?

Das war vor meiner Zeit im Stadtrat, deshalb kenne ich die damalige Diskussion nicht genau. Das Parlament wollte politisch eine Verlagerung weg vom Tribschenquartier. Gemäss Reglement gibt es auf Stadtgrund dann nur noch ganz wenige mögliche Orte. Die «Szene» hat sich für den Ibach entschieden. 

Man denkt also nicht daran, die Ibach-Situation aufzulösen?

Es gibt eine Projektgruppe, die andere Möglichkeiten regional klärt. Ein definierter Strichplatz wäre sicher ein Lösungsansatz, nur will den wohl niemand auf seinem Grund haben. Sobald wir die repressive Schiene fahren, drängen wir alles in die Illegalität ab, dann haben die Frauen noch weniger Schutz.

Die FDP wolle «die Spielwiese rechtlich ausnützen», um gegen den Strassenstrich vorzugehen, sagte ihr Präsident Daniel Wettstein im Grossen Stadtrat. Ist diese «Spielwiese» überhaupt vorhanden?

Ein Verbot des Strassenstrichs ist nicht möglich. Es gibt ein Gerichtsurteil, das nicht einmal eine zeitliche Einschränkung zulässt. Wenn die Frauen als Gruppe auftreten würden, wäre dies «gesteigerter Gemeingebrauch», für den eine Bewilligung mit Auflagen und Gebühren erforderlich wäre. Aber sie stehen einzeln da. Die «Spielwiese» ist nicht sehr gross. 

In einem andern Radiobeitrag sprachen Polizisten zum Thema Macht und Ohnmacht. Sie erzählten von der fast täglichen Überforderung, wenn sie in zerstrittene Familien mit gewalttätigen Männern und hilflosen Müttern gehen müssten. Und nichts ausrichten könnten, weil keine Anzeige gemacht werde. Gibt es solche Situationen auch im Raum Luzern?

Die Polizei gehört nicht mehr in meine Direktion. Aber ich weiss davon. Diese Einsätze bei Familien zu Hause gehören zum Belastendsten, was ein Polizist oder eine Polizistin erleben muss. Die häusliche Gewalt und das tägliche Elend an sich erleben zu müssen, ist ein harter Job. Es gibt immer wieder Polizistinnen und Polizisten, die nach ein paar Einsatzjahren in der Stadt aufs Land wechseln wollen.

Sind es nicht auch Politik und Medien, welche die ganze Thematik willentlich bedienen und hochschaukeln? Sie tragen damit selbst zur Unsicherheit bei.

Die statistischen Erhebungen gehören an die Öffentlichkeit. Und dass die Nordafrikaner in den letzten Jahren in der Kleinkriminalität führend waren, ist ein Faktum. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Mühe habe ich mit der medialen Verkürzung von Sachverhalten, die meistens in der Titelgebung zum Ausdruck kommt, die oft gar nicht mehr mit dem Textinhalt übereinstimmt. 

Manche Medien gehen von der Vorstellung aus, dass wir jeden Mangel sofort oder mindestens am nächsten Tag beheben können. Das ist nicht möglich. Dabei sind wir in Luzern in Sachen Sicherheitskultur gut aufgestellt. Die Gesamtstrategie stimmt. Das erfahren wir in Kontakten mit andern Städten. Wir können nicht den Zauberstab auspacken und alle Probleme zum Verschwinden bringen. Sobald wir zum Beispiel die Repression auf dem Bahnhofplatz verstärken, verschieben sich die Leute in andere, stärker bewohnte Quartiere. Das ist nicht erwünscht. Den CVP-Vorstoss im Grossen Stadtrat für ein Alkoholkonsum-Rayonverbot vor dem KKL halte ich für untauglich. Wir brauchen auf dem Bahnhofplatz und vor dem KKL ein Konzept der friedlichen Koexistenz. Das ist schwierig, muss aber machbar sein. 

Interview: René Regenass


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Über René Regenass:

René Regenass (Luzern) war während mehr als 30 Jahren Redaktor der «LNN» und nachher von «Luzern heute».