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Kolumne von Pirmin Meier

21.09.2022

Die Schweizergarde war und ist für das Land ein politischer Trumpf

Historiker Pirmin Meier – als Verfassungsrat im Aargau vor 45 Jahren Antragssteller «Trennung Kirche u. Staat» – studierte über Jahre Akten über schwarzberockte Pädo-Sünder und Zölibats-Betrüger. Zu einem bischöflichen Archiv erhielt er zweimal keinen Zutritt. Bei der Abstimmung über die Schweizergarde-Kaserne sieht er trotzdem keinen Grund ein «Denkzettel-Nein» einzulegen.


Zu den Geheimnissen der direkten Demokratie gehört es, dass Projekte für 100 Millionen und mehr – auch für solche, die Milliarden kosten – oft diskussionslos durchgewinkt werden. Andererseits konnten einst 2000 Franken (im Jahr 1985) für einen Gedichtband (mit einer dreckigen blasphemischen Bemerkung über Jesus Christus) einen Skandal auslösen. Der damaligen Luzerner Literaturförderung ging es beinahe an den Kragen.

Was mit Religion und Kirche zu tun hat, berührte schon zu Zeiten des Kulturkampfes die Emotionen massiv. Einen halben bis ganzen «Kulturkampf» gibt’s auch um Gender-Toiletten und dergleichen. Darüber wird aber nicht abgestimmt. Ihre Einrichtung an den Schulen und Hochschulen der Schweiz dürfte das Mehrfache der 400 000 Franken «Solidaritätsbeitrag» für die Kaserne der Schweizergarde ausmachen.

Das mit dem ordnungspolitischen «Sündenfall» (O-Ton Grünliberale) ist im Vergleich zu den gewaltig anwachsenden Staatskompetenzen betreffend den «Klimaschutz» Symbolpolitik. Allerdings hatte auch dies einst mit Religion zu tun. Es gab Wallfahrten in Uri und Wallis gegen Gletscher-Ausdehnung.

Auf Unwetterkatastrophen und Pandemien wurde in der Zentralschweiz (Obwalden 1629) mit Hexenprozessen reagiert. Unter Druck ergreifen Regierungen diejenigen Massnahmen, die ihnen zur Verfügung stehen. Das war und ist Politik.

Kommen wir zurück auf die Schweizergarde. Von der historischen Tradition erinnert sie an das Löwendenkmal in Erinnerung an die gefallenen Beschützer des Königs von Frankreich. Von Kulturkämpfern und Pazifisten und Pazifistinnen auch schon als Schandmal des Verkaufs einheimischer Söhne für Mord und Totschlag auf dem Schlachtfeld bezeichnet. Dass indes die Vermessungstechnik, das Strassenbauwesen im Kanton Luzern –
als meteorologisches und technisches Wissen notabene auch ein Stück Globalisierung und internationale Beziehungen – mit diesen Geschichten zusammenhingen, wurde mir bei Forschungen über die verschiedenen Familien Pfyffer und auch über den Landesvermesser Micheli du Crest klar.

Ich bin wohl nebst meinem Kollegen Angelo Garovi, alt Staatsarchivar Obwalden, fast der einzige, der sich mit den Einflüssen der Solddienste auf die Entwicklung der Demokratie in der Schweiz befasst hat. Was man kennt, sind die unter anderem in Schwyz und Sarnen aufbewahrten «Julius-Panner»: Schmuckstücke für die Museen. Aber deswegen wäre ein Ulrich Zwingli gewiss nicht nach Italien ins Feld gezogen. Über seine einst guten Gründe hat er nach der Schlacht bei Marignano (1515) geschwiegen. Ab dann war er als Reformator der Stadtkantone gegen diese Kriegsdienste.

Vor mir liegt des Rätsels Lösung: die päpstliche Bulle vom 8. Januar 1508. Keine Rede von Menschenhandel oder Blutgeld. Umso mehr von politischen Vorteilen, die sich die Eidgenossen für sich selber vom Papst für ihre Dienste erhofften. So wollten sie, wofür schon Hauptmann Klaus von Flüe 1457 engagiert war, keine ihnen nicht passenden Pfarrer! Das heisst: diese selber wählen. Man nannte es  «Präsentieren», weil der Bischof eigentlich das letzte Wort hatte. Erfüllte er aber ihren Willen nicht, waren er oder seine Vertreter, wie ich aus der Bruderklaus-Forschung erkundet habe, seines Lebens nicht mehr sicher!

Mit höchstem Missvergnügen, nur ganz ausnahmsweise und ohne Anerkennung, dass es «dieses von euch behauptete Recht» gäbe, wurde von Papst Julius II. «auf Zusehen hin», an jenem 9. Januar 1508 das faktische Recht der Pfarrwahl bewilligt. Natürlich mit den stillschweigend erwarteten Gegenleistungen auf dem Feld. In Glarus wurde Zwingli schon von der Gemeinde gewählt; der Papst hatte den «vorauseilenden Gehorsam» zu bestätigen.

Zurück zu Schweizergarde und Luzern: Kein Kanton hat mehr Kommandanten gestellt, unter anderem den Vater des grossen liberalen Politikers Kasimir Pfyffer. Der bedeutendste Gardekommandant war aber Oberst Nünlist. Er führte die Garde von 1957 bis 1972.

Zur Zeit von Papst Paul VI., der diverse Garden abschaffte, bestätigte er sich als deren Retter. Wie später auf den Beromünsterer Alois Estermann wurde auch schon mal auf ihn geschossen, doch überlebte er das Attentat. Nünlist gilt als Pionier für die Schweizer Neutralität. Bei der Gründung der Nato 1949 war er Schweizer Militärattaché. Seine Doktorarbeit über «Das Recht der Einmischung» (1937) gilt als Pionierleistung. Noch beeindruckend sind die Erinnerungen meines einstigen Parteifreundes in der CVP, Pius Segmüller, «Verwandlung». Er kommandierte die Garde von 1998 bis 2002. Selber lehnte ich das Ersuchen eines deutschen Verlages ab, über den ermordeten Alois Estermann (Beromünster) ein Buch zu schreiben. Wie schon zweimal in Chur, wegen Priester-Verfehlungen, wäre es für mich im Vatikan erst recht unmöglich gewesen, Sperrfristen zu unterlaufen.

Die 400 000 Franken, ungefähre Kosten für eine längerfristig in der Schweiz anwesende Flüchtlingsfamilie ohne Perspektive auf Beschäftigung, wären auch deshalb angebracht, weil mit diesem Symbolbatzen allfällige Wünsche der Schweizergardisten von ihrer Heimbasis aus besser unterstützt werden könnten, Wer dagegen stimmt, sollte zugeben, dass er es aus emotionalen Gründen tut. Eine Medaille an Olympischen Spielen kostet die Schweizer Sporthilfe im Durchschnitt weit mehr. Wer wegen Missbrauchsfällen in der Kirche oder anderen «Gründen» Nein stimmen will, mag sich bei mir über Hintergründe erkunden, die nun mal mit der 500-jährigen Gardetradition direkt nichts zu tun haben.

Pirmin Meier, Historiker, Aesch


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Über Pirmin Meier:

Dr. phil. Pirmin Meier (1947), aufgewachsen in Würenlingen AG und wohnhaft in Aesch, langjähriger Gymnasiallehrer in Beromünster, war zunächst als Journalist und Herausgeber von Büchern (unter anderem bei Suhrkamp-Insel) tätig, später mehrere Jahrzehnte als Gymnasiallehrer (Beromünster) und Lehrerfortbildner. 

Seine Biographien über Paracelsus (6. Auflage im Jahr 2013), Bruder Klaus (3. Auflage in Vorbereitung) sowie Heinrich Federer und Micheli du Crest gelten als epochal und wurden unter anderem mit dem Innerschweizer und dem Aargauer Literaturpreis ausgezeichnet. Zu den Themen, die mit der Innerschweiz zu tun haben, gehören bei Pirmin Meier das Buch «Landschaft der Pilger», unter anderem mit der Beschreibung der Schattigen Fasnacht in Erstfeld und einer ersten Studie über den heiligen Gotthard. Ausserdem setzte er sich mit der Biographie von Pater Alberich Zwyssig – von ihm stammt der Text des «Schweizerpsalms», der Schweizer Nationalhymne – auseinander, eingegangen in das Buch über Wettingen «Eduard Spörri, ein alter Meister aus dem Aargau».  

Stark beachtet, mit rund drei Dutzend öffentlicher Lesungen seit dem Erscheinen, etwa in Altdorf und im Bahnhofbuffet Göschenen, wurde die mit grossem Aufwand betriebene Neufassung des berühmten Jugendbuches «Der Schmied von Göschenen», welche Neubearbeitung erstmals die Bedeutung der Walser für die ältere Schweizer Geschichte unterstreicht.  

Pirmin Meier gehörte auch zu den geistigen Promotoren des Films «Arme Seelen» von Edwin Beeler, zu welchem Thema er sich im Sommer 2012 in einer ganzstündigen Sendung «Sternstunde Religion» auf SRF ausgelassen hat. Er lebt in Rickenbach bei Beromünster, arbeitet derzeit an einem Grossprojekt über Schweizer Mystik und schrieb auch den Text für das Oratorium Vesper von Heiligkreuz mit Musik von Carl Rütti.

Am 7. September 2013 hielt Dr. Pirmin Meier auf der Rigi die Jubiläumsansprache zum Jubiläum 70 Jahre Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein ISSV. Für sein Buch «St. Gotthard und der Schmied von Göschenen» machte er bedeutende, für die Geschichte der alten Wege einmalige Recherchen über die alten Wege vor 1231, auch zusammen mit dem Historiker Dr. Hans Stadler-Planzer.

In beratender Funktion ist Pirmin Meier tätig für das Filmprojekt «Paracelsus - Ein Landschaftsessay» des in Root (LU) wirkenden Filmunternehmers und Regisseurs Erich Langjahr, wie Pirmin Meier Innerschweizer Kulturpreisträger.

Mehr über Pirmin Meier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pirmin_Meier

Pirmin Meier erhält Innerschweizer Kulturpreis 2008:
https://kultur.lu.ch/-/media/Kultur/Dokumente/preise_auszeichnungen/meier2008.pdf