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Kolumne von Pirmin Meier

16.05.2020

Die wechselvolle Geschichte des Auffahrtsumritts von Beromünster, der heuer wegen «Corona» ausfällt

Die Zukunft des traditionsreichen Brauches stand auch schon ganz auf der Kippe.


Der Autor dieses Beitrages, Historiker Pirmin Meier, vor der Pestsäule (aus dem Jahr 1628) in Wolhusen, entlang dem historischem Jakobsweg.

Bild: Erich Langjahr

Im Revolutionsjahr 1798 stand der Auffahrtsumritt wie nie sonst auf des Messers Schneide. Es war nicht der Weltuntergang. Aber die Herrschaft des Propstes von Münster (er meldete dann Konkurs an) war zu Ende. Im liberal gewendeten Beromünster wurde um den Freiheitsbaum getanzt. Mit der Revolution fand die Epoche der Stifte ihr vorläufiges Ende; die materielle Basis fehlte: der Zehnten, damals Staats- und Kirchensteuer. Auch waren die Geistlichen ihrer Stellung als quasi Halbgötter enthoben.

Ohne den Widerstand eines tapferen Laien, nämlich Niklaus Wolf von Rippertschwand (sein Porträt ist in der Pfarrkirche St. Stephan Beromünster zu sehen), gäbe es den Auffahrtsumritt nicht mehr. Der Brauch wäre – wie einst der von den Reformierten abgeschaffte Stadtbasler Umritt (das einstige Vorbild der Luzerner) – den Zeitumständen zum Opfer gefallen.

Dass der Umritt von Beromünster – mit Hufgetrappel, Fahnen, Blechmusik, himmlischen Messgewändern, Herumpredigen und Segnen mit barocker Pracht – dieses Jahr nicht stattfindet, ist ebenfalls kein Weltuntergang. Die Weiterführung des Brauchtums steht nicht zur Disposition.

Wenn in Moskau 2020 erstmals die alljährliche Siegesparade zum 8. Mai nicht stattfand und der Papst in Rom an Ostern vor seinem Petersplatz allein blieb, kann Beromünster (von einem Kardinal aus der Barockzeit «ein anderes Rom» genannt) gleichfalls auf Prachtentfaltung verzichten. Empfehlungen der zuständigen Behörden und des Präsidenten der Kirchgemeinde Beromünster werden von mir nicht grundsätzlich in Frage gestellt.

Warnungen aber an unentwegte Wanderer und Beter, dass «keine Sicherung durch die Polizei» bestehe, stehen für ein Hauptmerkmal der «Corona-Krise»: Vollkasko-Mentalität.

Gemäss derselben hätte auch für die oft weissbärtig dargestellten Greise Petrus und Paulus gelten müssen: Bleiben Sie zu Hause! Desgleichen für die Gläubigen, welche sich von Revolution, Kriegen und zumal «Pest und Not» vom alljährlichen Umgang nicht abhalten liessen. An fatale Dezimierung der Bevölkerung erinnern im Kanton Luzern Pestsäulen. Auf denselben werden die  Namenstag-Heiligen der Stifter zum Schutz angerufen.

Die Empfehlung des Kirchgemeindepräsidenten, «Fensteraltärchen oder die eigene private Wegkapelle zu schmücken», betrifft einen unterschätzten Bereich der verfassungsmässig garantierten Religionsfreiheit. Privatkapellen und Scheunen waren – wie im Jura nach 1870, als im Kulturkampf die Priester vertrieben wurden – schon mal eine letzte Zuflucht des Glaubens. Nicht gerade apostolisch wirkt aber die aktuelle Warnung, «auf Auffahrtskränze zu verzichten. Einerseits erfolgt kein Segen darunter. Andererseits könnten Kränze die Menschen animieren, sich trotzdem auf den Weg zu machen.»

Beromünsters Dichter des Aufbruchs, Josef Vital Kopp, mag sich im Grabe umgedreht haben. Krasser hätte man die Botschaft und zumal die Bildsprache seines Lebenswerks nicht in ihr Gegenteil verkehren können. Dass die «gegenwärtige Situation», wie in Todesanzeigen zu lesen steht, zu schmerzlichen Verzichten nötigt, bedarf keiner hysterischen Kritik.

Gesundheitsgeneral Berset als Bundesrat und der Präsident der Kirchenpflege als Gesundheitsökonom verdienen für ihre Absichten Respekt. Dass in Bersets Kanton Freiburg der monatliche Gottesdienst im Gedenken der heiligen Marguerite Bays (mit taktiler Krankensegnung) ausfällt, erscheint zwingend. Trotzdem fanden sich jeweils am 27. des Monats, dem Kult-Tag der Heiligen, eine Anzahl jüngere und ältere Betende ein, zum Teil mit Schutzmasken, am Grab der 2019 Heiliggesprochenen in der weiträumigen Kirche von Siviriez/FR. Dass diese Unentwegten den Wert des menschlichen Lebens weniger hochhalten würden als andere, war von ihrem Verhalten her nicht ersichtlich. Die brennenden Votivkerzen ersetzten das Weihwasser.

Als vor zwei Jahren bei seiner Ansprache in der Stephanskirche (2018) der behördliche Redner den Auffahrtsumritt mit einer «Huldigung an die Natur» verwechselte, lag er ähnlich daneben wie viele mit dessen Herabwürdigung zur Folklore.

Zumal der Rosenkranz, der substanzielle Beitrag der Pilger, hat mit derlei nichts zu tun. Das betrachtende Gebet bleibt dem vermissten Segen gleichwertig. Für die liebevoll gemachten Kränze – nicht subventionierte Hochkultur! – würde das Wort des heiligen Thomas von Aquin gelten: «Ohne eine gewisse Schönheit würde das Leben des Menschen nicht lange währen.»

Auf dem Spiel steht die qualitative Lebenszeit von uns allen.

Wer sich am Auffahrtstag «trotzdem auf den Weg» macht, tut dies wie beim Entscheid für Glauben oder Unglauben, nun mal ungesichert: «Betreten des Geländes auf eigene Gefahr». Wandern, Beten und Betrachten im gebührenden Abstand ist auch keine verbotene Versammlung: nur Wahrnehmung eines elementarsten Grundrechts. In Beromünster und allenthalben ist allen, auch den zu Hause Bleibenden, «e schöni Uffert!» zu wünschen. 

Pirmin Meier, Aesch

Dieser Beitrag von Historiker Dr. Pirmin Meier, während vieler Jahre Lehrer am Gymnasium Beromünster, ist zuerst im «Anzeiger vom Michelsamt» («Mechusämter») erschienen.


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Über Pirmin Meier:

Dr. phil. Pirmin Meier (1947), aufgewachsen in Würenlingen AG und wohnhaft in Aesch, langjähriger Gymnasiallehrer in Beromünster, war zunächst als Journalist und Herausgeber von Büchern (unter anderem bei Suhrkamp-Insel) tätig, später mehrere Jahrzehnte als Gymnasiallehrer (Beromünster) und Lehrerfortbildner. 

Seine Biographien über Paracelsus (6. Auflage im Jahr 2013), Bruder Klaus (3. Auflage in Vorbereitung) sowie Heinrich Federer und Micheli du Crest gelten als epochal und wurden unter anderem mit dem Innerschweizer und dem Aargauer Literaturpreis ausgezeichnet. Zu den Themen, die mit der Innerschweiz zu tun haben, gehören bei Pirmin Meier das Buch «Landschaft der Pilger», unter anderem mit der Beschreibung der Schattigen Fasnacht in Erstfeld und einer ersten Studie über den heiligen Gotthard. Ausserdem setzte er sich mit der Biographie von Pater Alberich Zwyssig – von ihm stammt der Text des «Schweizerpsalms», der Schweizer Nationalhymne – auseinander, eingegangen in das Buch über Wettingen «Eduard Spörri, ein alter Meister aus dem Aargau».  

Stark beachtet, mit rund drei Dutzend öffentlicher Lesungen seit dem Erscheinen, etwa in Altdorf und im Bahnhofbuffet Göschenen, wurde die mit grossem Aufwand betriebene Neufassung des berühmten Jugendbuches «Der Schmied von Göschenen», welche Neubearbeitung erstmals die Bedeutung der Walser für die ältere Schweizer Geschichte unterstreicht.  

Pirmin Meier gehörte auch zu den geistigen Promotoren des Films «Arme Seelen» von Edwin Beeler, zu welchem Thema er sich im Sommer 2012 in einer ganzstündigen Sendung «Sternstunde Religion» auf SRF ausgelassen hat. Er lebt in Rickenbach bei Beromünster, arbeitet derzeit an einem Grossprojekt über Schweizer Mystik und schrieb auch den Text für das Oratorium Vesper von Heiligkreuz mit Musik von Carl Rütti.

Am 7. September 2013 hielt Dr. Pirmin Meier auf der Rigi die Jubiläumsansprache zum Jubiläum 70 Jahre Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein ISSV. Für sein Buch «St. Gotthard und der Schmied von Göschenen» machte er bedeutende, für die Geschichte der alten Wege einmalige Recherchen über die alten Wege vor 1231, auch zusammen mit dem Historiker Dr. Hans Stadler-Planzer.

In beratender Funktion ist Pirmin Meier tätig für das Filmprojekt «Paracelsus - Ein Landschaftsessay» des in Root (LU) wirkenden Filmunternehmers und Regisseurs Erich Langjahr, wie Pirmin Meier Innerschweizer Kulturpreisträger.

Mehr über Pirmin Meier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pirmin_Meier

Pirmin Meier erhält Innerschweizer Kulturpreis 2008:
https://kultur.lu.ch/-/media/Kultur/Dokumente/preise_auszeichnungen/meier2008.pdf