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Kolumne von Pirmin Meier

27.02.2017

Denkwürdiger Abschied vom Hinterländer Al Imfeld, dem notorischen Disziplinarfall und herausragenden Publizisten

Die Beerdigung von Al Imfeld in Immensee am letzten Montag (20. Februar) gehört zu den denkwürdigsten und zugleich umstrittensten Abdankungen der letzten Jahre. Kritik an der angeblichen – oder tatsächlichen – Wiedereingemeindung des einstigen Missionars und Afrika-Experten blieb nicht aus.


Für seine Luzerner Familie wie auch seine ehemaligen Mitmaturanden war Al «der Wisu», getauft nach Alois, dem Heiligen der katholischen Jungmänner. Wer ihn kannte, zum Beispiel als Autorenkollege oder wie Louis Naef als Theatermann und Weggefährten aus dem Luzerner Hinterland, wusste um die vielen Gesichter des vielseitigen Publizisten und einzigartigen Fabulierers. Etwa in «Geschichten aus Afrika und dem Luzerner Hinterland» – das war auch sein Leben. 

Gemäss dem Theologen und Journalisten Michael Meier, Träger des Herbert-Haag-Preises, waren Imfelds theologische Auffassungen «einigermassen komisch», zumindest widersprüchlich. Und laut dem in der «WoZ» gedruckten Nachruf seiner ersten Biografin Lotta Suter glaubte Al Imfeld nicht an das Leben nach dem Tode (siehe unter «Links»). Das tönt zwar auf den ersten Blick reichlich «unafrikanisch und unhinterländisch», hat jedoch einen theologischen Hintersinn. 

Sogar Thomas von Aquin, der bedeutendste katholische Theologe überhaupt, wollte den postmortalen Zustand nicht als «Leben nach dem Tode» bezeichnen.

Gemäss der «Theologischen Summe» sei der Tod vielmehr das «grösste physische Übel», in gewissem Sinn widernatürlich, weil dem geistigen Wesen des Menschen nicht entsprechend. Ähnlich stellte sich der drei Tage nach Imfeld in Bern am Donnerstag (23. Februar) beigesetzte Theologe und Schriftsteller Kurt Marti (1921 bis 2017) dieser Rätselfrage: Gott sei es zu überlassen, was danach komme, wenn überhaupt. 

Der Abschied vom Berner Theologen wurde im Berner Münster «Dankgottesdienst» genannt. In Immensee aber feierte man für Al Imfeld einen «Auferstehungsgottesdienst» – ein Begriff, der mit dem älteren katholischen Verständnis von Leben, Tod und Weltgericht eigentlich wenig zu tun hat. Für das Glaubensgeheimnis der Auferstehung ist der Jüngste Tag abzuwarten. Nach Kants Schrift «Das Ende aller Dinge» ist auf die Posaune des Engels zu horchen. In der Apokalypse wird verkündigt, «dass hinfort keine Zeit mehr sein soll.» Existenz ohne Zeit, die Ewigkeit, hat mit einem biologischen Begriff des Lebens nichts zu tun. Ein solches «Leben nach dem Tode» ist fürwahr nicht zu erwarten.

Mit Al Imfeld habe ich seit 1969 im Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein und im Umfeld gemeinsamer Lesungen auch über theologische Fragen fast noch mehr gestritten als über politische. Was immer diejenigen, die vom Katholizismus keine Ahnung haben, behaupten mögen: Jenseits herkömmlicher Rechtgläubigkeit – wie etwa bei kritischen Filmemachern wie Luis Bunuel und Federico Fellini – blieb im geweihten Priester Al Imfeld nicht wegzubringende katholische Substanz erhalten. Sowas kann man nicht einfach ausschwitzen.

Warum sonst hat er sich insgesamt viermal, wenngleich auf problematische Weise, mit seinen Immensee-Mitbrüdern trotz allem wieder versöhnt? Dieselben bekundeten jedoch noch an der Abdankung Mühe mit dem notorischen Disziplinarfall. Es war für fast niemanden möglich, sich Al Imfeld gegenüber widerspruchsfrei zu verhalten.

Befasst man sich mit dem literarischen Werk des Verstorbenen, zumal aber mit dem von ihm eingeleiteten wunderbaren Band «Afrika im Gedicht», verlegt von Manfred Hiefner, fällt auf: Wenn es etwas gab, das Al Imfeld noch mehr bedeutete als die leider stets korrumpierbare Religion, so war es die Freiheit. Dies bedeutet nicht Irreligiosität, im Gegenteil. Für einen Hinterländer oder einen Afrikaner bedeutet die Religion über Orientierung hinaus die Fähigkeit, in seiner Existenz mehrere Wirklichkeitsebenen zu realisieren. Der banal Ungläubige mag sich darüber wundern, vielleicht schon aus Mangel an Phantasie.

Mangel an Phantasie bleibt nun aber genau das, was Imfelds afrikanischen Freunden und Freundinnen, aber nun mal auch seinen lieben Hinterländern ab Ruswil in Richtung Entlebuch und bis hinein ins Napfgebiet, kaum vorgeworfen werden kann. «Das Katholische als Religion, das Magische als Haltung, das Animistische als Versuchung», so sah es «Seppi an der Wiggere» (Josef Zihlmann) mit Bezug auf den Oberförster Karl Renner aus dem Kanton Uri.

Al Imfeld hat das Niveau von Josef Zihlmann und Karl Renner dank noch konsequenterem kritischem Denken letztlich überstiegen. Aber trotz seinem enormen Wissen war er wie Seppi und wohl auch Theatergenie Louis Naef eher eine emotionelle als intellektuelle Existenz. Eben ein Hinterländer.

Fast noch eindrücklicher als die Abdankungsgottesdienste letzte Woche in Bern und in Immensee erschien mir dieser Tage der soeben in die Kinos gekommene Film «Das Mädchen vom Napf», das wohl bisher reifste Werk der Filmemacherin Alice Schmid; nach den «Kindern vom Napf» und ihrer umstrittenen Autobiographie «Dreizehn war meine Zahl». Wie bei Afrikanerinnen gemäss dem grandiosen Band «Afrika im Gedicht» ist im Hinterland für die zwölfjährige Tochter einer Köhler- und Bergbauernfamilie ebenfalls ein kleines Stück Emanzipation möglich. Und zwar – warum eigentlich nicht? – auf dem Weg zur unsichtbaren, magischen Welt im «Änziloch». 

Wie Al Imfeld ist Alice Schmid eine leidenschaftliche Geschichtenerzählerin. Vielleicht im Gegensatz zu den Bauern, die sie ihre Versionen der Napfsage erzählen lässt, was diesen auf offensichtliche Aufforderung hin nicht so ganz gelingen will.

In dieser Hinsicht bleibt bei Alice Schmid die Vermittlung einheimischer Mythen hinter Edwin Beelers Meisterwerk «Arme Seelen» zurück. Aber Erzählen bleibt notwendig – «Narrare necesse est» – und nur über das Erzählen findet der Mensch seine Seele im Unsichtbaren und zuletzt bei sich selbst. So fand in noch breiteren Perspektiven als herkömmliche Zentralschweizer wohl auch «unser» Al Imfeld seine Vollendung. 

Für die Frommen war das Kritische am Ex-Missionar – auch dessen Unerbittlichkeit, Weltläufigkeit, sein Abschied von der Sündenangst – manchmal auch eine gewisse Gross-Sprecherei, vielleicht eine Zumutung.

Für die Kritischen blieb ein Ärgernis, dass Alois Johannes Imfeld den Hinterländer nie verleugnet hat und auf seine Weise, wiewohl in evangelischer Theologie abgeschlossen, als Disziplinarfall ein religiöser Mensch mit katholischen Wurzeln blieb; ketzerisch bis revolutionär, aber am Ende doch des Streitens müde. Die Bemerkung von Redaktor Delf Bucher auf reformiert.info (siehe unter «Links») freilich, Imfelds Mitbrüder hätten sich wegen ein paar distanzierenden Bemerkungen «unbarmherzig» verhalten, trifft es nicht. Die einzige Barmherzigkeit, auf die skeptische Christen wie Al Imfeld und Kurt Marti allenfalls angewiesen wären, ist die Barmherzigkeit Gottes. 

Pirmin Meier, Rickenbach  


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Über Pirmin Meier:

Dr. phil. Pirmin Meier (1947), aufgewachsen in Würenlingen AG und wohnhaft in Aesch, langjähriger Gymnasiallehrer in Beromünster, war zunächst als Journalist und Herausgeber von Büchern (unter anderem bei Suhrkamp-Insel) tätig, später mehrere Jahrzehnte als Gymnasiallehrer (Beromünster) und Lehrerfortbildner. 

Seine Biographien über Paracelsus (6. Auflage im Jahr 2013), Bruder Klaus (3. Auflage in Vorbereitung) sowie Heinrich Federer und Micheli du Crest gelten als epochal und wurden unter anderem mit dem Innerschweizer und dem Aargauer Literaturpreis ausgezeichnet. Zu den Themen, die mit der Innerschweiz zu tun haben, gehören bei Pirmin Meier das Buch «Landschaft der Pilger», unter anderem mit der Beschreibung der Schattigen Fasnacht in Erstfeld und einer ersten Studie über den heiligen Gotthard. Ausserdem setzte er sich mit der Biographie von Pater Alberich Zwyssig – von ihm stammt der Text des «Schweizerpsalms», der Schweizer Nationalhymne – auseinander, eingegangen in das Buch über Wettingen «Eduard Spörri, ein alter Meister aus dem Aargau».  

Stark beachtet, mit rund drei Dutzend öffentlicher Lesungen seit dem Erscheinen, etwa in Altdorf und im Bahnhofbuffet Göschenen, wurde die mit grossem Aufwand betriebene Neufassung des berühmten Jugendbuches «Der Schmied von Göschenen», welche Neubearbeitung erstmals die Bedeutung der Walser für die ältere Schweizer Geschichte unterstreicht.  

Pirmin Meier gehörte auch zu den geistigen Promotoren des Films «Arme Seelen» von Edwin Beeler, zu welchem Thema er sich im Sommer 2012 in einer ganzstündigen Sendung «Sternstunde Religion» auf SRF ausgelassen hat. Er lebt in Rickenbach bei Beromünster, arbeitet derzeit an einem Grossprojekt über Schweizer Mystik und schrieb auch den Text für das Oratorium Vesper von Heiligkreuz mit Musik von Carl Rütti.

Am 7. September 2013 hielt Dr. Pirmin Meier auf der Rigi die Jubiläumsansprache zum Jubiläum 70 Jahre Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein ISSV. Für sein Buch «St. Gotthard und der Schmied von Göschenen» machte er bedeutende, für die Geschichte der alten Wege einmalige Recherchen über die alten Wege vor 1231, auch zusammen mit dem Historiker Dr. Hans Stadler-Planzer.

In beratender Funktion ist Pirmin Meier tätig für das Filmprojekt «Paracelsus - Ein Landschaftsessay» des in Root (LU) wirkenden Filmunternehmers und Regisseurs Erich Langjahr, wie Pirmin Meier Innerschweizer Kulturpreisträger.

Mehr über Pirmin Meier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pirmin_Meier

Pirmin Meier erhält Innerschweizer Kulturpreis 2008:
https://kultur.lu.ch/-/media/Kultur/Dokumente/preise_auszeichnungen/meier2008.pdf