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Kolumne von Pirmin Meier

12.02.2017

Kurt Marti – als Poet der letzte Reformator der Schweiz

Schriftsteller und Historiker Pirmin Meier zum Tode des Schriftsteller-Pfarrers Kurt Marti (1921 bis 2017).


Mit Kurt Marti, 1950 bis 1960 Pfarrer in Niederlenz, danach an der Nydeggkirche in Bern, verlieren die protestantische und allgemein die christliche Schweiz einen späten sprachmächtigen Reformator. Dies im Gedenkjahr der Reformation. Kurt Marti war auch der letzte überlebende bedeutende Schweizer Dichter aus der Generation von Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt, dessen Jahrgänger er war. 

Mit letzterem besuchte er das Freie Gymnasium Bern, das vor ihm auch Weltchronist J.R. von Salis absolviert hatte, der erste Träger des Aargauer Literaturpreises. Als einer der bedeutendsten Lyriker des Landes war Marti gerade ein Jahr älter als die Aargauerin Erika Burkart (1922 bis 2010), mit der er die aphoristische Tiefe und ein postmodernes Naturverständnis gemeinsam hatte. 

Von enormer Bedeutung bleibt Marti überdies als Erneuerer der Schweizer Mundartlyrik. Über das Schmucke der Muttersprache hinaus versuchte er den poetischen Gehalt der «Umgangssprooch» zu erwecken. In dieser Hinsicht wurde er ein Pionier der Gegenwartsdichtung bis hin zu Mani Matter, Ernst Eggimann und Pedro Lenz. 

Die eigentliche Bedeutung Martis liegt mutmasslich in der sprachgewaltigen Verbindung moderner Zeitkritik mit theologischem Hintergrund, einem Gesichtspunkt, den er mit Friedrich Dürrenmatt gemeinsam hat. Als wohl auch einflussreichster überlebender Schweizer Schüler des grossen protestantischen Theologen Karl Barth (1886 bis 1968) pflegte er ein politisch erschüttertes Christentum, ohne in den fundamentalistischen Irrtum einer «christlichen Politik» abzugleiten. Das Evangelium kann nicht in eine politische Meinung verkürzt werden, sondern muss als Aufruf an das Gewissen zu mehr Mut verstanden werden. So äusserte sich Kurt Marti 1987 in der alten Kirche Boswil in einem Gespräch mit Max Frisch, der damals nicht zu mehr Mut, sondern zu «mehr Wut» aufrief.

Jenseits politischer Umstrittenheit wurde der im Berner Obstbergquartier lebende Marti unter anderem mit seinem «Tagebuch mit Bäumen» auch ein Erneuerer der Naturphilosophie. Er scheute sich nicht, im Zusammenhang mit dem Kult heiliger Bäume und entsprechender Marienheiligtümer von «Weibheiligkeit“¨» zu sprechen, ganz im Gegensatz zur liberalen und sogenannt Aufgeklärten Theologie des 19. Jahrhunderts. Als Sprachkritiker war Marti insofern ein neuer Luther, wenngleich ohne dessen gewaltigen Einfluss. Als moderner Theologe räumte Marti mit Phrasen in Predigten und bei Abdankungen auf, was sich in seinem Gedichtband «Leichenreden» manifestiert.

Bekannt wurde Marti um 1968, als er sich vergleichsweise stark mit der damaligen Studentenbewegung identifizierte. Öffentlich erklärte er den Aargauer Jungjuristen Thomas Wartmann (1945 bis 2013) zu einem Hoffnungsträger seiner Generation. Mit dem religionskritischen Philosophen Robert Mächler führte er einen bedeutenden Briefwechsel («Der Mensch ist nicht für das Christentum da»), bei dem der kritische Theologe Marti nichtsdestotrotz die Rolle des Verteidigers des christlichen Glaubens zu übernehmen hatte. Wie weit Marti im herkömmlichen Sinn als gläubig einzuschätzen ist, blieb offen. Im Sinn von Karl Barth war er ethisch orientierter Jesuaner, wohl jenseits der Dogmatik der Dreifaltigkeit. 

Insofern Marti, nach Jeremias Gotthelf, Paul Haller und Josef Vital Kopp, der wohl letzte bedeutende Geistliche unter den hochbegabten Autoren der Schweizer Literatur ist, ist mit ihm vielleicht der letzte Reformator der Schweiz verstorben.

Dass und wie Theologie grosse Literatur wird, darüber hinaus ein Appell an die Gesellschaft und ein Beitrag zur Erneuerung der Dichtung, hat Kurt Marti als einer der bedeutendsten Schweizer des Jahrhunderts mit seinem Leben und Schaffen bezeugt. 

Der Verfasser dieses Nachrufs, mit Marti via Robert Mächler und den Berner Nonkonformisten Franz Keller auch persönlich verbunden, möchte hier bekennen: Es reicht nicht aus, Marti auf einen «linken» Theologen und Autor zu reduzieren. Dazu war sein Horizont, man denke da durchaus an seinen Klassenkameraden Friedrich Dürrenmatt schlicht zu weit. Als Gesprächs- und Briefpartner kannte Marti im besten Sinne keine Scheuklappen. Seine Gattin Hanni Marti-Morgenthaler, die sich auch für Volksreligiosität interessierte, ist ihm 2007 im Tode vorausgegangen.

In seinem bedeutendsten Roman «Im Trubschachen« (1973) hat der Berner Autor E. Y. Meyer sowohl Kurt Marti als auch Friedrich Dürrenmatt eine bemerkenswerte Reverenz erwiesen. 

Pirmin Meier, Rickenbach

Von Pirmin Meier ist (zusammen mit Josef Lang) soeben das Buch «Kulturkampf 1841 - 2016» im Verlag hier+jetzt, Baden, erschienen.   


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Über Pirmin Meier:

Dr. phil. Pirmin Meier (1947), aufgewachsen in Würenlingen AG und wohnhaft in Aesch, langjähriger Gymnasiallehrer in Beromünster, war zunächst als Journalist und Herausgeber von Büchern (unter anderem bei Suhrkamp-Insel) tätig, später mehrere Jahrzehnte als Gymnasiallehrer (Beromünster) und Lehrerfortbildner. 

Seine Biographien über Paracelsus (6. Auflage im Jahr 2013), Bruder Klaus (3. Auflage in Vorbereitung) sowie Heinrich Federer und Micheli du Crest gelten als epochal und wurden unter anderem mit dem Innerschweizer und dem Aargauer Literaturpreis ausgezeichnet. Zu den Themen, die mit der Innerschweiz zu tun haben, gehören bei Pirmin Meier das Buch «Landschaft der Pilger», unter anderem mit der Beschreibung der Schattigen Fasnacht in Erstfeld und einer ersten Studie über den heiligen Gotthard. Ausserdem setzte er sich mit der Biographie von Pater Alberich Zwyssig – von ihm stammt der Text des «Schweizerpsalms», der Schweizer Nationalhymne – auseinander, eingegangen in das Buch über Wettingen «Eduard Spörri, ein alter Meister aus dem Aargau».  

Stark beachtet, mit rund drei Dutzend öffentlicher Lesungen seit dem Erscheinen, etwa in Altdorf und im Bahnhofbuffet Göschenen, wurde die mit grossem Aufwand betriebene Neufassung des berühmten Jugendbuches «Der Schmied von Göschenen», welche Neubearbeitung erstmals die Bedeutung der Walser für die ältere Schweizer Geschichte unterstreicht.  

Pirmin Meier gehörte auch zu den geistigen Promotoren des Films «Arme Seelen» von Edwin Beeler, zu welchem Thema er sich im Sommer 2012 in einer ganzstündigen Sendung «Sternstunde Religion» auf SRF ausgelassen hat. Er lebt in Rickenbach bei Beromünster, arbeitet derzeit an einem Grossprojekt über Schweizer Mystik und schrieb auch den Text für das Oratorium Vesper von Heiligkreuz mit Musik von Carl Rütti.

Am 7. September 2013 hielt Dr. Pirmin Meier auf der Rigi die Jubiläumsansprache zum Jubiläum 70 Jahre Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein ISSV. Für sein Buch «St. Gotthard und der Schmied von Göschenen» machte er bedeutende, für die Geschichte der alten Wege einmalige Recherchen über die alten Wege vor 1231, auch zusammen mit dem Historiker Dr. Hans Stadler-Planzer.

In beratender Funktion ist Pirmin Meier tätig für das Filmprojekt «Paracelsus - Ein Landschaftsessay» des in Root (LU) wirkenden Filmunternehmers und Regisseurs Erich Langjahr, wie Pirmin Meier Innerschweizer Kulturpreisträger.

Mehr über Pirmin Meier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pirmin_Meier

Pirmin Meier erhält Innerschweizer Kulturpreis 2008:
https://kultur.lu.ch/-/media/Kultur/Dokumente/preise_auszeichnungen/meier2008.pdf