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Kolumne von Pirmin Meier

25.10.2015

Wie in Luzern krebst die CVP auch im Aargau und verliert Köpfe und Stimmen an die SVP

Der Historiker und Publizist Pirmin Meier (1947) lehrte bis zu seiner Pensionierung am Gymnasium Beromünster. Der gebürtige Aargauer, der für lu-wahlen.ch die Luzerner Politik beobachtet und kommentiert, verfolgt auch genau, was in seiner Heimat geschieht. Dabei zeigen sich mitunter Parallelen in Geschichte und Gegenwart der beiden Kantone.


Publizist Pirmin Meier schreibt schon seit 50 Jahren für die «Botschaft», die älteste noch unter dem gleichen Namen erscheinende Zeitung des Kantons Aargau, heute Regionalblatt für das Zurzibiet und Umgebung; «Zurzi» steht für Zurzach. Die CVP Aargau, die früher für die Bezirke Zurzach, Bremgarten und Muri als dominierende Partei den Begriff «schwarzer Erdteil» prägte, ist auf unter 9 Prozent Wähleranteil gesunken. Das ist auch aus gesamtschweizerischer Perspektive für die Partei eine Katastrophe. 

Bekanntlich ist der Ausgang der Nationalratswahlen für die CVP auch im Kanton Luzern alles anderes als berauschend: So verlor sie gegenüber den letzten Nationalratswahlen (2011) 3,2 Prozent Wähleranteile, während die SVP 3,1 Prozent gewann. Die SVP ist damit zur stärksten Partei im Kanton Luzern aufgestiegen; gemessen an den Wähleranteilen bei den Nationalratwahlen 2015. 

Ebenfalls bemerkenswert: die CVP holte im Kanton Luzen ihren dritten Nationalratssitz nur dank der Listenverbindung mit FDP, BDP und EVP (siehe dazu unter «In Verbindung stehende Artikel»: Ohne Listenverbindung mit der FDP hätte die CVP einen Sitz an die SP verloren). 

Pirmin Meiers Beitrag in der Zurzacher Zeitung «Botschaft» ist auch darum lesenswert, weil er Entwicklungen bei CVP und SVP und ihren Köpfen aufzeigt, für die es im Kanton Luzern Parallelen gibt. So sind es nicht nur einzelne SVP-Kräfte, deren Wurzeln eigentlich in klassischen CVP-Milieus liegen.

Als Pirmin Meier 1974 Mitglied der CVP-Fraktion im Aargauer Verfassungsrat wurde, hatte diese Partei 54 Abgeordnete im Aargauer Parlament, die SVP deren 29. Ausserdem gab es 4 CVP-Nationalräte und einen Ständerat. Heute ist es gerade noch eine bekanntermassen magere, aber in den Dossiers tüchtige Nationalrätin (Ruth Humbel), symbolisch für den Zustand der Partei. 

Ihre Kandidatur für den Ständerat (zweiter Wahlgang) gilt als Akt der Verzweiflung und nützt nach überwiegender Einschätzung der Experten sicher nicht dem FDP-Präsidenten Philipp Müller. Pirmin Meiers Beitrag in der «Botschaft» repräsentiert seine Auffassung von politischem Lokal-Journalismus. Volksnah, aber nie ganz unkritisch. 

Hier also folgt der Original-Text, der mit dem Hinweis auf den Zurzacher Bundesrat Emil Welti (1825 – 1898) – wie immer bei Pirmin Meier – eine historische Perspektive wahrt.

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Von einem «Botschaft»-Leser aus Würenlingen wurden meine gelegentlichen Einschätzungen der politischen Situation im Bezirk Zurzach als zu SVP-freundlich eingeschätzt. Eine Leserin aus Endingen aus dem linken Spektrum verwahrte sich gegen den Ausdruck «Hexenjagd» im Zusammenhang mit dem «Aufstand der Anständigen» in Aarau. Die dortige Demonstration war zwar gut gemeint und verlief vorbildlich anständig. Aber mit der Ausgrenzung der angeblich «Unanständigen» war der Sache nicht gedient. Das Wahlresultat mit dem Rechtsruck beweist einen kontraproduktiven Effekt. Heute ist der Bezirk Kulm, die Heimat von FDP-Präsident Philipp Müller, sogar noch stärker als das Zurzibiet, eine SVP-Hochburg. 

Dass der hochumstrittene Freiämter Andreas Glarner («Maria statt Sharia») als SVP-Nationalrat Nr. 7 nach Bern fährt, verdankt er, wie der im Bezirk Zurzach gut gewählte Badener Thierry Burkart (FDP) der grossen Listenverbindung der drei bürgerlichen Parteien. «Vorgesehen» war aber das Abholen des letzten Sitzes dieser Verbindung und des neu 16. Sitzes im Kanton Aargau für die CVP. Bedingung: Nach dem schlechtesten Wahlresultat seit 1852 nicht noch mehr Wähler verlieren! 

Es hat nicht sollen sein. «Wir», sage ich als ehemaliger CVP-Delegierter, sind auf dem Niveau von 1848 angekommen. Damals lebte «Botschaft»-Gründer Schleuniger noch in Paris im Exil und man konnte praktisch nur freisinnig wählen. Der damals kommende Staatsmann, der 1866 auch die erste Volksabstimmung über eine einzelne Sachfrage gewann, den für die Einbürgerung der Juden wichtigen Handelsvertrag mit Frankreich, hiess Emil Welti, gebürtig aus Zurzach. 

Im Kanton Aargau ist kein Emil Welti in Sicht. In Sachen Macht, Einfluss, Bildungsformat und staatsmännischem Geschick sind weder Philipp Müller noch Hansjörg Knecht noch Bundesrätin Doris Leuthard mit diesem Giganten, privat ein Haustyrann, zu vergleichen. Der zweite Wahlgang in den Ständerat darf nicht mit einer Bundesratswahl verwechselt werden. Wer wie Toni Brunner (SVP) kein Interview im Westschweizer Fernsehen geben kann, sollte nicht kandidieren. Könnten es Müller oder Knecht? Das ist nicht die Hauptfrage.  

Meine Einschätzungen in der «Botschaft» waren nicht einseitig SVP-freundlich. Wie wenige habe ich mich für den vielseitig begabten Würenlinger Andreas Meier eingesetzt. Er bleibt ein Hoffnungsträger. Auch Pascale Bruderer fand bei mir Lob, weil sie sich gegen die pränatale Selektion verwendete und damit Abstand zu Feministinnen wahrte. Und da ich (als Lehrer) die «Knecht-Buben» Hansjörg und Heinz seit 40 Jahren kenne: warum sollte ich ihnen die Note «vertrauenswürdig» verweigern? Der Vater von Hansjörg Knecht hat mich, wohl auf ihre Empfehlung, 1983 als Bundesfeierredner aufgeboten. Armin Bürli, Vater des heutigen «Botschaft»-Verlegers, schrieb kurz vor seinem Tode darüber seinen für mich schönsten Bericht. Die Müllerfamilie Knecht von Leibstadt ist nicht wegen Blochers Erfolgen zur SVP gekommen. Sie waren gleichsam «schon immer» dabei. Objektiv hat Hansjörg Knecht  im Vergleich zum Parteipräsidenten Philipp Müller (oder in Fribourg Ständerat Levrat) mehr Distanz zur eigenen Partei. Er hat es mit im Einzelfall abweichendem Abstimmungsverhalten bewiesen.

«Heimat wird immer weniger», schrieb mal Arnold Stadler, ein Schriftsteller aus der badischen Nachbarschaft. So denken heute auch viele Wählerinnen und Wähler im Kanton Aargau und im Zurzibiet.

Hansjörg Knecht hat sich übrigens, wie Ruth Humbel, am 5. September am Zurzacher Quellenjubiläum blicken lassen. Mit seiner Gattin aus dem Hause «Schmitz-Wagner» von Würenlingen. Die beiden haben mir nicht nur «Grüezi» gesagt. An ihrer tiefen und auch kenntnisreichen Verankerung im heimatlichen Zurzibiet gibt es keinen Zweifel. In KMU-Fragen denkt Hansjörg Knecht ungefähr wie CVP-Unternehmer Andreas Meier.

Was aber machte den Unterschied? Hansjörg Knecht wurde als Ständeratskandidat von seiner Partei am meisten gefördert, wiewohl er wie Meier den Wahlkampf grösstenteils selber bezahlt. Mit dem 16.und letzten Listenplatz von Weinbaupionier Andreas Meier kam jedoch zum Ausdruck, welchen Stellenwert der Bezirk Zurzach bei der CVP noch hat.

Parteihistoriker Professor Urs Altermatt sagte diesen Herbst offen, dass die CVP im Gegensatz zur SVP heute nicht mehr konservativ sei.

Ich selber finde zwar gewisse Scharfmacher der SVP nicht konservativ. Aber ich bin mir sicher, dass der besonnene Hansjörg Knecht auch für «Botschaft»-Gründer Johann Nepomuk Schleuniger wählbar gewesen wäre. Obwohl die SVP zum Beispiel Sonntagsheiligung nicht zu ihren Prioritäten zählt. Letzteres war selbst bei der CVP unter Dr. Theo Vögtli nicht mehr der Fall. Das christliche und konservative Erbe wurde teilweise verscherbelt. Es darf nicht zu einer Konkursverwaltung kommen. Eine solche Politik genügt ein für allemal nicht.

Gegenwärtig bäumt sich Ruth Humbel tapfer gegen das Debakel auf. Obwohl sie neben Ida Glanzmann-Hunkeler (CVP Luzern) die einzige Frau vom gewerblichen und rechten Flügel der CVP in Bern ist (deshalb nicht im Parteivorstand), wird sie jetzt von der SP als Ständeratskandidatin unterstützt. 

Anmerkung der Redaktion lu-wahlen.ch: Im Kanton Luzern unterstützt die SP im zweiten Wahlgang ebenfalls die CVP-Kandidatur, also jene von Konrad Graber. 

Falls das Zurzibiet aber wieder mal in Bern vertreten sein will, wird es wohl einigermassen geschlossen Hansjörg Knecht wählen. Als ehemaliger Lehrer an der Bezirksschule Leuggern möchte ich bestätigen: Er hat sich in fast jeder Hinsicht als lernfähig erwiesen, ist ein kooperativer Charakter und artikuliert sich heute als reifer Politiker.

Ähnlich dem Luzerner Franz Grüter, der noch dazu auch über Leader-Fähigkeiten verfügt, verfangen bei ihm die herkömmlichen Vorwürfe an SVP-Politiker nicht.

Will es FDP-Präsident Philipp Müller in den Ständerat schaffen, muss er sich für den 22. November, den Wahltag, warm anziehen.

Pirmin Meier, Rickenbach


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Über Pirmin Meier:

Dr. phil. Pirmin Meier (1947), aufgewachsen in Würenlingen AG und wohnhaft in Aesch, langjähriger Gymnasiallehrer in Beromünster, war zunächst als Journalist und Herausgeber von Büchern (unter anderem bei Suhrkamp-Insel) tätig, später mehrere Jahrzehnte als Gymnasiallehrer (Beromünster) und Lehrerfortbildner. 

Seine Biographien über Paracelsus (6. Auflage im Jahr 2013), Bruder Klaus (3. Auflage in Vorbereitung) sowie Heinrich Federer und Micheli du Crest gelten als epochal und wurden unter anderem mit dem Innerschweizer und dem Aargauer Literaturpreis ausgezeichnet. Zu den Themen, die mit der Innerschweiz zu tun haben, gehören bei Pirmin Meier das Buch «Landschaft der Pilger», unter anderem mit der Beschreibung der Schattigen Fasnacht in Erstfeld und einer ersten Studie über den heiligen Gotthard. Ausserdem setzte er sich mit der Biographie von Pater Alberich Zwyssig – von ihm stammt der Text des «Schweizerpsalms», der Schweizer Nationalhymne – auseinander, eingegangen in das Buch über Wettingen «Eduard Spörri, ein alter Meister aus dem Aargau».  

Stark beachtet, mit rund drei Dutzend öffentlicher Lesungen seit dem Erscheinen, etwa in Altdorf und im Bahnhofbuffet Göschenen, wurde die mit grossem Aufwand betriebene Neufassung des berühmten Jugendbuches «Der Schmied von Göschenen», welche Neubearbeitung erstmals die Bedeutung der Walser für die ältere Schweizer Geschichte unterstreicht.  

Pirmin Meier gehörte auch zu den geistigen Promotoren des Films «Arme Seelen» von Edwin Beeler, zu welchem Thema er sich im Sommer 2012 in einer ganzstündigen Sendung «Sternstunde Religion» auf SRF ausgelassen hat. Er lebt in Rickenbach bei Beromünster, arbeitet derzeit an einem Grossprojekt über Schweizer Mystik und schrieb auch den Text für das Oratorium Vesper von Heiligkreuz mit Musik von Carl Rütti.

Am 7. September 2013 hielt Dr. Pirmin Meier auf der Rigi die Jubiläumsansprache zum Jubiläum 70 Jahre Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein ISSV. Für sein Buch «St. Gotthard und der Schmied von Göschenen» machte er bedeutende, für die Geschichte der alten Wege einmalige Recherchen über die alten Wege vor 1231, auch zusammen mit dem Historiker Dr. Hans Stadler-Planzer.

In beratender Funktion ist Pirmin Meier tätig für das Filmprojekt «Paracelsus - Ein Landschaftsessay» des in Root (LU) wirkenden Filmunternehmers und Regisseurs Erich Langjahr, wie Pirmin Meier Innerschweizer Kulturpreisträger.

Mehr über Pirmin Meier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pirmin_Meier

Pirmin Meier erhält Innerschweizer Kulturpreis 2008:
https://kultur.lu.ch/-/media/Kultur/Dokumente/preise_auszeichnungen/meier2008.pdf