das gesamte meinungsspektrum lu-wahlen.ch - Die Internet-Plattform für Wahlen und Abstimmungen im Kanton Luzern

Spenden für Verein lu-wahlen.ch

Diese Website gefällt mir! Um weitere Beiträge darauf zu ermöglichen, unterstütze ich lu-wahlen.ch gerne mit einem Betrag ab CHF 10.-

 

 

Kolumne von Pirmin Meier

28.04.2015

Zopfis Chance und Winikers Risiko mit Fernwirkung

Das Tessin und der Kanton Luzern könnten ab Mai eine «frauenlose» Regierung haben. Der Hauptunterschied der beiden Kantone aber liegt in der unterschiedlichen Wertung der Kantonalität. Ihr ist im Kanton Luzern wieder mehr Sorge zu tragen.


Dass der Kanton Tessin es drei Wochen nach den Luzerner Wahlen und eine Woche nach den Kantonsrats- und Regierungsratswahlen im Kanton Zürich immerhin auf eine Stimmbeteiligung von 62,3 Prozent brachte, im Gegensatz zu den kaum 38 Prozent bei den Luzerner Regierungsratswahlen sowie den noch mickrigeren 35 Prozent bei den Zürcher Wahlen, gibt zu denken. Die Auswahl war in allen drei Kantonen gross. Für Spannung war im Prinzip gesorgt. Aber im Tessin fühlt man sich eher noch als Schicksalsgemeinschaft, so wie bei uns im Entlebuch, wo die Stimmbeteiligung noch recht ansprechend war. Für die Agglomeration Luzern wie auch für den Grossraum Zürich gilt anscheinend, was der eben erst verstorbene Günter Grass mal über Deutschland kritisch gefragt hat: «Sind wir bloss noch ein Wirtschaftsstandort?» 

Für die kantonale Politik im Kanton Luzern gilt heute das Gegenteil wie noch vor 50 oder 60 Jahren. Zur Zeit des faktischen Zweiparteiensystems zwischen den Roten (Liberalen) und Schwarzen (Konservativen) gab es bis zur Einführung des Frauenstimmrechts Stimmbeteiligungen von bis zu 94 Prozent!

Die Wahlen hatten einen plebiszitären Charakter. Ich erinnere mich, als CVP-Vorstandsmitglied (eidgenössischer und  kantonaler Delegierter) in meiner damaligen Seetaler Wohngemeinde vor den Grossratswahlen 1983 und 1987 zu Hausbesuchen aufgeboten worden zu sein. Ausgenommen waren nur traditionell liberale Haushalte. Wichtig waren die Witwen treuer Wähler, denen man allenfalls den Wahlzettel auszufüllen hatte. Ausgeschlossen war allerdings der Stimmenkauf, bei welchem Verdacht noch vor Monatsfrist die Tessiner Staatsanwaltschaft aktiv wurde. 

Im aargauischen Freiamt galt im 19. Jahrhundert  das Bezahlen der Zeche bei politischen Versammlungen als Stimmenkauf. Heute ist nicht mehr der politische Übereifer das Problem. Eher schon eine bedenkliche Null-Bock-Stimmung bei der Bestellung kantonaler Behörden. Dies macht mir eher Sorgen als die Frage nach dem Geschlechterproporz in der Luzerner Regierung. 

Dieser Tage hatte ich ein gutes Wirtshausgespräch mit einem der erfahrensten Politiker im Kanton Luzern. Einem der wenigen in der CVP-Grossratsfraktion, der sich als ehemaliger Parteisekretär langfristig über strategische Fragen Gedanken macht. Er vermag die eigenen Leute wie auch die Politikerinnen und Politiker der SP und der SVP sowie den umstrittenen Regierungsrat Schwerzmann sachlich und stets unpolemisch einzuschätzen. Den Triumph der FDP bei den neuesten Kantonsratswahlen schreibt er weniger freisinnigen Leistungen zu, als dem sackschwachen Auftritt der sogenannten neuen Mitteparteien, welchen der politische Schnauf schnell mal ausgehe. Dies sei bei der politisch unbedarften Vorlage zu einer Energiesteuer offenkundig geworden. Aus der Sicht der CVP sei eine Regierung, welche alle Kräfte einbinde, von CVP-Regierungsräten aber dank deren Gewicht bei Parlament und Volk massgebliche Orientierungen empfange, für den Kanton Luzern am besten. Wir waren uns einig, dass beispielsweise Regierungsrätin Yvonne Schärli (SP) ihre Sache nicht nur gut gemacht habe, sondern zumal für die CVP über Jahre eine verlässliche Partnerin gewesen sei. Für diese Verlässlichkeit musste Schärli jedoch bei www.lu-wahlen.ch vom bekannt polizeikritischen Redaktor Herbert Fischer auch schon mal Kritik einstecken. 

Am 10. Mai geht es nun nicht um die Wiederwahl von Frau Schärli, die ich bei politisch-kulturellen Anlässen als gute Rednerin mit Substanz kennenlernen durfte. Aus meiner Sicht wäre  sie auch als christlichsoziale Regierungsrätin durchgegangen. Die Frage, ob Felicitas Zopfi «linker» sei als Schärli, kann man bei den bisher unterschiedlichen Funktionen der beiden Frauen nicht beantworten.

So wertkonservativ wie indes der frühere SP-Regierungsrat und Altgewerkschafter Hans-Ernst Balsiger (1926 – 2009) , ein «goldiger» und  hochbelesener Mensch mit Sinn für religiöse Kultur, waren in der Luzerner Regierung in den vergangenen Jahren vielleicht gerade noch meine Gesinnungsfreunde Toni Schwingruber und Klaus Fellmann. Der vergleichsweise «linkste» Luzerner Regierungsrat war Paul Huber, noch mit 68-er Erfahrungen, mit dem ich mich dann bei der Fusion von Schwarzenbach und Beromünster nichtsdestotrotz ausgezeichnet verstanden habe. Letzteres darf ich auch Marcel Schwerzmann attestieren, der vor einigen Jahren in Beromünster bei seiner Maturaansprache besser vorbereitet war als mein lieber Weggefährte Otto Ineichen selig, dem zwar zu Lebzeiten immer etwas einfiel. 

Wen soll man wählen, wenn man mit jedem der Vorgeschlagenen leben könnte? Mein Gesprächspartner, der ehemalige Sekretär der CVP, verwies auf eine interessante Konstellation: Wenn alle werweissen, ob Marcel Schwerzmann oder Felicitas Zopfi gewählt werden, könnte SVP-Winiker leicht vergessen gehen! Analog gab es mal im Aargau den Zweikampf zwischen den CVP-Rivalen Roland Brogli und Rainer Huber, die sich im Wahlkampf gegenseitig hochschaukelten, so dass zuletzt eine bisherige FDP-Regierungsrätin, Stefanie Mörikofer, wegen mangelnder Beachtung sozusagen zufällig abgewählt wurde. So könnte es bei dieser Konstellation Paul Winiker passieren, gerade, weil er eigentlich wenig umstritten ist. Aus CVP-Sicht wurde indes klar: Man will Felicitas Zopfi weder aus Liebe zu den Frauen, noch weil man die vor allem im öffentlichen Dienst stark lobbyierende SP als Partei des durchschnittlichen Arbeitnehmers anerkennen würde: Ein Hauptgrund für die Einbindung ist und bleibt, dass man den Anteil der Linkswähler wenn immer möglich bei 20 Prozent «unten» halten möchte. Eine linke Dynamik bei der SP wie die rechte bei der SVP könnte abermals auf Kosten der CVP gehen. Zugleich erspart eine SP-Frau in der Regierung bis 2019/23 anderen männlichen bürgerlichen Kandidaten das Dilemma, allenfalls zugunsten einer Frau zurückstecken zu müssen.

Dass der SVP-Favorit Paul Winiker noch längst nicht gewählt ist, ergibt sich aus Erfahrungswerten: In den Kantonen Luzern, St. Gallen, Bern, Aargau und Zürich erwiesen sich zweite Wahlgänge für die SVP regelmässig als Spiessrutenlauf.

Man will diese Partei, deren dritter Sitz im Nationalrat zum Greifen nahe liegt und die jederzeit mit Initiativen erfolgreich sein kann, nicht zu stark werden lassen. Kommt dazu, dass auch bürgerliche Wähler mit Neigung zum Konservativismus beim sogenannten Service public und Kritiker des Sparkurses mit einem sozialdemokratischen Anteil in der Regierung sehr wohl leben können. Dabei war es allerdings eine abgefeimte Dummheit des Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, bei den Kantonsratswahlen nur linksgrüne Kandidaten zu empfehlen, wiewohl es bei CVP und FDP tüchtige und vertrauenswürdige Lehrkräfte auf den Listen gab. Trotzdem: Eine SP-Regierungsrätin kann den Leuten vom öffentlichen Dienst Sparmassnahmen glaubwürdiger erklären als ein SVP-Mann, der sich damit nur verhasst machen kann. Im Falle einer Abwahl von Schwerzmann könnte sich also die Übernahme des Finanzdepartmentes durch Paul Winiker für die SVP als ein zweischneidiges Schwert erweisen.

Ich vermute, dass Schwerzmann und vor allem Frau Zopfi mehr Stimmen machen werden als allgemein erwartet wird. In den Regierungsrat gewählt werden mutmasslich das ungleiche Duo Zopfi/Winiker oder dann Zopfi/Schwerzmann. Sollte die SVP einmal mehr den Regierungsratswahlkampf verlieren, wird sie dafür bei den Herbstwahlen in die Vereinigte Bundesversammlung umso stärker «geladen» sein. Die Wiedereroberung des dritten Sitzes im Nationalrat wird wohl dank der Kandidatur ihres stärksten kommenden Mannes, des Unternehmers Franz Grüter, wahrscheinlich sein. Grüter, in ITC-Fragen kompetenter als europaweit jeder «Piraten»-Politiker, spielt meines Erachtens in einer anderen Liga als die bisherigen Luzerner SVP-Nationalräte und zumal der FDP-Ständeratskandidat Damian Müller. Die Herbstwahlen werden klar interessanter als die Regierungsrats-Ersatzwahlen im Mai. Sollte es auch für den Ständerat einen zweiten Wahlgang geben, muss dann wohl Kantonalparteipräsident Peter Schilliger (FDP) in die Hosen. Die Regierungsratswahlen sind, wie die späteren in den Ständerat, zwei der Blüten luzernischer Kantonalität. Eine anständige Stimmbeteiligung tut not.

Pirmin Meier, Rickenbach


Teilen & empfehlen:
Share    
Kommentare:

Keine Einträge

Kommentar verfassen:

Ins Gästebuch eintragen
CAPTCHA-Bild zum Spam-Schutz  

Über Pirmin Meier:

Dr. phil. Pirmin Meier (1947), aufgewachsen in Würenlingen AG und wohnhaft in Aesch, langjähriger Gymnasiallehrer in Beromünster, war zunächst als Journalist und Herausgeber von Büchern (unter anderem bei Suhrkamp-Insel) tätig, später mehrere Jahrzehnte als Gymnasiallehrer (Beromünster) und Lehrerfortbildner. 

Seine Biographien über Paracelsus (6. Auflage im Jahr 2013), Bruder Klaus (3. Auflage in Vorbereitung) sowie Heinrich Federer und Micheli du Crest gelten als epochal und wurden unter anderem mit dem Innerschweizer und dem Aargauer Literaturpreis ausgezeichnet. Zu den Themen, die mit der Innerschweiz zu tun haben, gehören bei Pirmin Meier das Buch «Landschaft der Pilger», unter anderem mit der Beschreibung der Schattigen Fasnacht in Erstfeld und einer ersten Studie über den heiligen Gotthard. Ausserdem setzte er sich mit der Biographie von Pater Alberich Zwyssig – von ihm stammt der Text des «Schweizerpsalms», der Schweizer Nationalhymne – auseinander, eingegangen in das Buch über Wettingen «Eduard Spörri, ein alter Meister aus dem Aargau».  

Stark beachtet, mit rund drei Dutzend öffentlicher Lesungen seit dem Erscheinen, etwa in Altdorf und im Bahnhofbuffet Göschenen, wurde die mit grossem Aufwand betriebene Neufassung des berühmten Jugendbuches «Der Schmied von Göschenen», welche Neubearbeitung erstmals die Bedeutung der Walser für die ältere Schweizer Geschichte unterstreicht.  

Pirmin Meier gehörte auch zu den geistigen Promotoren des Films «Arme Seelen» von Edwin Beeler, zu welchem Thema er sich im Sommer 2012 in einer ganzstündigen Sendung «Sternstunde Religion» auf SRF ausgelassen hat. Er lebt in Rickenbach bei Beromünster, arbeitet derzeit an einem Grossprojekt über Schweizer Mystik und schrieb auch den Text für das Oratorium Vesper von Heiligkreuz mit Musik von Carl Rütti.

Am 7. September 2013 hielt Dr. Pirmin Meier auf der Rigi die Jubiläumsansprache zum Jubiläum 70 Jahre Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein ISSV. Für sein Buch «St. Gotthard und der Schmied von Göschenen» machte er bedeutende, für die Geschichte der alten Wege einmalige Recherchen über die alten Wege vor 1231, auch zusammen mit dem Historiker Dr. Hans Stadler-Planzer.

In beratender Funktion ist Pirmin Meier tätig für das Filmprojekt «Paracelsus - Ein Landschaftsessay» des in Root (LU) wirkenden Filmunternehmers und Regisseurs Erich Langjahr, wie Pirmin Meier Innerschweizer Kulturpreisträger.

Mehr über Pirmin Meier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pirmin_Meier

Pirmin Meier erhält Innerschweizer Kulturpreis 2008:
https://kultur.lu.ch/-/media/Kultur/Dokumente/preise_auszeichnungen/meier2008.pdf