das gesamte meinungsspektrum lu-wahlen.ch - Die Internet-Plattform für Wahlen und Abstimmungen im Kanton Luzern

Spenden für Verein lu-wahlen.ch

Diese Website gefällt mir! Um weitere Beiträge darauf zu ermöglichen, unterstütze ich lu-wahlen.ch gerne mit einem Betrag ab CHF 10.-

 

 

Kolumne von Pirmin Meier

21.12.2014

Pirmin Meier schreibt über den heute verstorbenen Texter, Komponisten, Sänger und Pianisten Udo Jürgens

Udo Jürgens, eigentlich Udo Jürgen Bockelmann, geboren am 30. September 1934 im kärntischen Klagenfurt, aufgewachsen auf Schloss Ottmannach ebenfalls in Kärnten, verstorben am 21. Dezember 2014 im Spital Münsterlingen, Kanton Thurgau Schweiz, war ein österreichisch-schweizerischer Sänger, Entertainer und Unterhaltungsunternehmer, Sieger des Europäischen Song Contest 1966. Er erreichte ein Millionenpublikum und konnte dieses auch halten.


Jürgens gehörte über Generationen zu den beliebtesten und anerkanntesten Menschen im deutschen Sprachraum. Er war einer der wenigen langfristigen Superstars der Unterhaltungsindustrie, der bei allen Generationen, mit der Zeit aber mehrheitlich bei der älteren, eine hohe und höchste Resonanz erzielte.

Seine Anerkennung verdankt er wohl der Tatsache, dass seine Texte, auch Auftritte, verständlich und leichtverständlich waren und dass er über alle Jahrzehnte es glänzend verstanden hat, künstlerisch, inhaltlich, sogar auch in Sachen Lebensanschauung und Moral Mainstream zu vertreten und dabei trotzdem progressiv zu wirken. Sein Lied vom «ehrenwerten Haus», das heute noch zu den Ladenhütern der Rundfunk-Musiksender gehört, hatte als Bekenntnis zur wilden Ehe vor bald 50 Jahren eine andere Bedeutung als ihm heute noch zukommen kann. 

Als Sohn eines Schlossherrn, der zur Zeit des Nationalsozialismus in Oesterreich sieben Jahre lang Bürgermeister war (desgleichen auch später wieder), gebärdete sich Jürgen Bockelmann kompensatorisch umso stärker antinazistisch, so wie er als pauschalsteuerprivilegierter Multimillionär in der Schweiz in Liedern klagte, dass es nur Auserwählte seien, welche die Freiheit geniessen dürften. Auch das Einzäunen von Wald und Ufer durch «die Grossen», beklagte er, der in der Nähe von Christoph Blocher seinerseits eine Villa bezog. Eine von ihm auf diese Weise kritisierte Landschaft liegt zum Teil am Bodensee vor. In jener Gegend ging er am heutigen Sonntag, den 21. Dezember 2014 spazieren. Dabei ist er in Gottlieben, 1415 dem Haftort des damaligen Konzilspapstes Johannes XXIII., plötzlich zusammengebrochen, und dann nach der Einlieferung ins Spital Münsterlingen noch am späten Nachmittag desselben Tages der eingetretenen Herzattacke erlegen. Zum Schock nicht nur der Fans. Erst vor zwei Wochen hat er in Zürichs Hallenstadion noch einmal ein triumphales Konzert gehalten. 

Udo Jürgens war unglaublich beliebt, hatte einen höchst gewinnenden Auftritt, dass sein plötzliches Ableben speziell für jene grösser werdende Zahl von Menschen, deren Bezugspersonen über das Fernsehen vermittelt werden, bei vielen beinahe mit dem Tod eines Familienmitglieds gleichzusetzen ist.

Wahr bleibt, dass Udo Jürgens als Sänger und Entertainer wie auch von seiner privilegierten Herkunft her zu bestbegünstigten Menschen im deutschen Sprachraum gehörte, aber auch, dass er über sein ganzes Leben eine beeindruckende Leistung auf fast jedem Gebiet, mit dem er sich befasste, zustandebrachte. Dies wurde im allgemeinen neidlos anerkannt. 

Interessant sind die Verwandtschaftsverhältnisse von Jürgens: Sein Onkel mütterlicherseits war der berühmte Dadaist Hans Arp, dessen Frau noch heute die Fünfzigfrankennote der Schweizer Nationalbank mit ihrem Bildnis ziert. Sein Onkel väterlicherseits, Werner Bockelmann, war sieben Jahre lang SPD-Oberbürgermeister in Frankfurt am Main. In den Siebziger Jahren gehörte Jürgens bei zahlreichen Veranstaltungen zur Entourage von Bundeskanzler Willy Brandt, der auch SPD-Vorsitzender war. Im Vergleich allerdings zum Bayern-Präsidenten Uli Hoeness konnte er sich geschickt genug organisieren, um – bei aller Umstrittenheit in dieser Hinsicht – Millionen von Steuergeldern durch kluge Wohnsitzwahl vor dem überdimensionierten Zugriff des deutschen und österreichischen Fiskus legal in Sicherheit zu bringen. 

Wie Friedrich Dürrenmatt war er der Meinung, dass das, was er verdiene, im Vergleich zu Industriellen und Bankiers nun halt mal verdientes Geld sei, welches ihm von seinen Fans übrigens gegönnt wurde. Im Vergleich zu Millionen von Gratisbürgern, desgleichen zu weiteren Millionen, welche die Öffentlichkeit ausschliesslich kosten, hat Jürgens selbst unter optimierten Verhältnissen immer noch Millionen an die Allgemeinheit abgeliefert. Auch die gescheiterten Ehen kosteten ihn mutmasslich in mehr als einem Fall ein Heidengeld. Über alles gesehen haben sehr viele Menschen von Udo Jürgens profitiert, auch beste Unterhaltung von ihm genossen, so dass sein überraschendes Ableben im Alter von «nur» 80 Jahren allgemein Bedauern und Trauer auslöst. 

Nicht vorzuwerfen ist Udo Jürgens, dass er sich als eingebürgerter Schweizer kritisch zur Masseneinwanderungsinitiative vom 9. Februar 2014 geäussert hat. Zu den Privilegien des Daseins in der Schweiz gehört nach wie vor ein überdurchschnittliches Mass an Meinungsfreiheit, für Schweizer Bürger ohnehin. Die Aussage, er «schäme sich» für das Land, hat Jürgens trotzdem noch zu Lebzeiten bedauert. Noch vor seinem Ableben konnte er mit mutmasslicher Genugtuung zur Kenntnis nehmen, dass die Einwanderung in die Schweiz in keiner Weise zurückgegangen ist. Der seitherige Zustrom entspricht immer noch dem Ausmass der Einwanderung in je hundert Jahren zur Zeit der Völkerwanderung. Mit Befriedigung wird er wohl auch die Ablehnung der Pauschalsteuer-Initiative vom 30. November 2014 konstatiert haben, zumal sein Wohnsitz- und Steuerkanton Zürich die Verhältnisse bereits vor einigen Jahren verschärft hat. Udo Jürgens wäre der letzte gewesen, der sich darüber beklagt hätte. 

Seine bedeutende Karriere macht umso mehr Eindruck, als er die Schule ein Jahr vor dem Abitur verlassen hat, danach im Mozarteum in Salzburg Musik studierte. Udo Jürgens eine musikalische Grösse zu nennen, wäre übertrieben. Er hat lediglich mit seinen Liedern Millionen von Menschen Freude gemacht, welche mit dem staatlich subventionierten Musikleben nichts anfangen können.

Trotz seines linken politischen Bekenntnisses war er einer der eindrucksvollsten freien Unternehmer des deutsch-österreichischen Musiklebens aller Zeiten. Sein Problem war nicht, dass er je auf Unterstützung angewiesen gewesen wäre, sondern eher schon die Kunst, mit dem eigenen Erfolg umzugehen ohne wie andere erfolgreiche Menschen in Deutschland und Österreich der Gefahr der Kriminalisierung ausgesetzt zu sein. 

Nicht überbewerten sollte man den manchmal moralisierenden Ton in seinen Liedern. Es ging ihm dabei wohl weniger darum, die Welt zu verbessern, als vielmehr einem verbreiteten Marktbedürfnis nach politisch korrekter Moral zu entsprechen. Bemerkenswerterweise hat Jürgens auf religiöse Glaubensbekenntnisse verzichtet und sich explizit zum Atheismus bekannt. Obwohl er in Österreich und Deutschland von weniger gut Gesinnten als Steuerflüchtling eingeschätzt wurde, musste der Ungläubige wegen dem Zürcher System, das erst vor Jahresfrist von den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern an der Urne bestätigt wurde, als Unternehmer Kirchensteuer bezahlen. Gegen diese Willkür, die auch auf legaler Basis Willkür bleibt, haben sich unter anderen Karlheinz Deschner und freigeistige Vereinigungen, dazu unabhängig denkende Gläubige, europaweit meist vergeblich aufgelehnt. 

Udo Jürgens, dem man wie Charles Aznavour den 90. Geburtstag zugetraut hätte, ruhe in Frieden. Das hier wiedergegebene Lied bleibt möglicherweise sogar dann eindrucksvoll, wenn man bedenkt, dass in diesem Fall der Ankläger und der Angeklagte in einem Zug genannt werden.

Lieb Vaterland, du hast nach bösen Stunden
aus dunkler Tiefe einen neuen Weg gefunden.
Ich liebe dich, das heißt ich hab' dich gern,
wie einen würdevollen, etwas müden, alten Herrn.

Ich kann dich nicht aus heißem Herzen lieben,
Zuviel bist du noch schuldig uns geblieben.
Die Freiheit, die du allen gleich verhießen,
die dürfen Auserwählte nur genießen.

Lieb Vaterland, magst' ruhig sein,
die Großen zäunen Wald und Ufer ein.
Und Kinder spielen am Straßenrand,
lieb Vaterland!

Lieb Vaterland, wofür soll ich dich preisen?
Es kommt ein Tag, da zählt ein Mann zum alten Eisen.
Wenn er noch schaffen will, du stellst ihn kalt,
doch für die Aufsichtsräte sind auch Greise nicht zu alt.

Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
doch schlafe nicht auf deinen Lorbeeren ein.
Die Jugend wartet auf deine Hand,
lieb Vaterland!

(Von Udo Jürgens, nach einem Songtext von 1970)

Pirmin Meier, Rickenbach


Teilen & empfehlen:
Share    
Kommentare:

Keine Einträge

Kommentar verfassen:

Ins Gästebuch eintragen
CAPTCHA-Bild zum Spam-Schutz  

Über Pirmin Meier:

Dr. phil. Pirmin Meier (1947), aufgewachsen in Würenlingen AG und wohnhaft in Aesch, langjähriger Gymnasiallehrer in Beromünster, war zunächst als Journalist und Herausgeber von Büchern (unter anderem bei Suhrkamp-Insel) tätig, später mehrere Jahrzehnte als Gymnasiallehrer (Beromünster) und Lehrerfortbildner. 

Seine Biographien über Paracelsus (6. Auflage im Jahr 2013), Bruder Klaus (3. Auflage in Vorbereitung) sowie Heinrich Federer und Micheli du Crest gelten als epochal und wurden unter anderem mit dem Innerschweizer und dem Aargauer Literaturpreis ausgezeichnet. Zu den Themen, die mit der Innerschweiz zu tun haben, gehören bei Pirmin Meier das Buch «Landschaft der Pilger», unter anderem mit der Beschreibung der Schattigen Fasnacht in Erstfeld und einer ersten Studie über den heiligen Gotthard. Ausserdem setzte er sich mit der Biographie von Pater Alberich Zwyssig – von ihm stammt der Text des «Schweizerpsalms», der Schweizer Nationalhymne – auseinander, eingegangen in das Buch über Wettingen «Eduard Spörri, ein alter Meister aus dem Aargau».  

Stark beachtet, mit rund drei Dutzend öffentlicher Lesungen seit dem Erscheinen, etwa in Altdorf und im Bahnhofbuffet Göschenen, wurde die mit grossem Aufwand betriebene Neufassung des berühmten Jugendbuches «Der Schmied von Göschenen», welche Neubearbeitung erstmals die Bedeutung der Walser für die ältere Schweizer Geschichte unterstreicht.  

Pirmin Meier gehörte auch zu den geistigen Promotoren des Films «Arme Seelen» von Edwin Beeler, zu welchem Thema er sich im Sommer 2012 in einer ganzstündigen Sendung «Sternstunde Religion» auf SRF ausgelassen hat. Er lebt in Rickenbach bei Beromünster, arbeitet derzeit an einem Grossprojekt über Schweizer Mystik und schrieb auch den Text für das Oratorium Vesper von Heiligkreuz mit Musik von Carl Rütti.

Am 7. September 2013 hielt Dr. Pirmin Meier auf der Rigi die Jubiläumsansprache zum Jubiläum 70 Jahre Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein ISSV. Für sein Buch «St. Gotthard und der Schmied von Göschenen» machte er bedeutende, für die Geschichte der alten Wege einmalige Recherchen über die alten Wege vor 1231, auch zusammen mit dem Historiker Dr. Hans Stadler-Planzer.

In beratender Funktion ist Pirmin Meier tätig für das Filmprojekt «Paracelsus - Ein Landschaftsessay» des in Root (LU) wirkenden Filmunternehmers und Regisseurs Erich Langjahr, wie Pirmin Meier Innerschweizer Kulturpreisträger.

Mehr über Pirmin Meier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pirmin_Meier

Pirmin Meier erhält Innerschweizer Kulturpreis 2008:
https://kultur.lu.ch/-/media/Kultur/Dokumente/preise_auszeichnungen/meier2008.pdf