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Kolumne von Pirmin Meier

07.07.2014

Pirmin Meier schreibt über Eduard Schewardnadse, der heute in Tiflis gestorben ist

In Tiflis ist heute Montag (7. Juli 2014) der frühere sowjetische Aussenminister und georgische Staatspräsident Eduard Schewardnadse verstorben. Pirmin Meier beleuchtet das Wirken des gerissenen opportunistischen Machtpolitikers, der sowohl Stalin, Chruschtschow, Breschnew wie auch Gorbatschow ergeben gewesen war.


Eduard Schewardnadse – vom Namen her «Sohn des Falken» – war ein ursprünglich sowjetischer und später georgischer Politiker. Geboren am 15. Januar 1928 in der Transkaukasischen Sowjetrepublik als Sohn eines Lehrers, erlebte er in seiner Kindheit, wie sein Vater nur knapp dem stalinistischen Terror von 1937 entrann. Schewardnadse, ein intelligenter und im Sinne von Machiavelli auf gerissene Weise opportunistischer Karrierepolitiker, brachte es von der Zeit Stalins über Chruschtschow und Breschnew bis Gorbatschow zu einer imponierenden politischen Laufbahn, die ihn zur Zeit der deutschen Vereinigung sowie beim Niedergang der Sowjetunion und später im unabhängigen Georgien zu einer historischen Figur machte. Bei seiner Wendigkeit und Intelligenz, auch seinem Gespür für Aussenpolitik einerseits und angesichts einer einigermassen «mafiösen» Innenpolitik andererseits erinnert er in seiner Karriere an den italienischen Aussenpolitiker und mehrmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti (1919 bis 2013), der sich mit Gorbatschow und Schewardnadse seinerseits ausgezeichnet verstand. Schewardnadse, auch bekannt als Freund von Hans-Dietrich Genscher, starb am 7. Juli 2014 in Tiflis.

Den Deutschen bleibt Schewardnadse als einer der Wegbereiter der Wiedervereinigung unvergessen. Doch in seiner georgischen Heimat galt er als politischer Verlierer. Als Präsident der Kaukasusrepublik musste er in der Rosenrevolution 2003 gegen sein korruptes Regime aus Familienclans zurücktreten.

In Mamati nahe der Schwarzmeer-Küste geboren, machte der Historiker Schewardnadse bereits zu Zeiten seines Landsmanns Josef Stalin ab 1948 Karriere in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU). Der letzte Sowjet-Präsident Michail Gorbatschow holte ihn 1985 nach Moskau. Schewardnadse sorgte als Aussenminister an der Seite des Vaters von Glasnost und Perestroika (Offenheit und Umgestaltung) nach vier Jahrzehnten des Kalten Kriegs mit für politisches Tauwetter.

Die für Deutschland wichtigste Arbeit leistete Schewardnadse als Vertreter der Sowjetunion bei den Zwei-plus-Vier-Gesprächen. Gegen den Widerstand vieler Kommunisten und Armeegeneräle in Moskau war der Politiker dabei einer der Wegbereiter der deutschen Wiedervereinigung.

Im Januar 1992 half Schewardnadse mit, den nationalistischen Präsidenten Georgiens, Swiad Gamsachurdia, zu stürzen. Ab März 1992 amtierte Schewardnadse als Vorsitzender des Sicherheitsrates. 1995 wurde Schewardnadse zum Präsidenten Georgiens gewählt. Er versuchte, das Land zu stabilisieren und an den Westen anzubinden. Dabei konnte er nun auf die Hilfe des deutschen Aussenministers Hans-Dietrich Genscher zählen. Sein Freund Genscher habe alles getan, um ihm dabei zu helfen, Georgien vor dem Chaos zu retten, schrieb Schewardnadse in seinen Memoiren.

Schewardnadse gelang es zwar, Georgien zu stabilisieren. Die grassierende Korruption und Misswirtschaft konnte oder wollte er jedoch nicht ausrotten. Zweimal überlebte er ein Attentat. Unter dem Vorwurf der Wahlfälschung wurde Schewardnadse 2003 im Zuge der friedlichen «Rosenrevolution» gestürzt. Schewardnadse trat aufgrund der Massenproteste zurück, ohne sich mit Gewalt an die Macht zu klammern.

Eduard Schewardnadse ist ein für die ehemalige Sowjetunion nicht untypisches Beispiel für einen Politiker, der jenseits demokratischer Anwandlungen über alles gesehen auf einen vergleichsweise komfortablen Platz im Geschichtsbuch Anspruch erheben kann, zumindest aus deutscher und westeuropäischer Sicht. In dieser Hinsicht scheint er seinem langjährigen Weggefährten Michail Gorbatschow geistesverwandt. Seine politische Fähigkeit lag zumal in der Kunst, den Geist der Stunde – Machiavellis «qualità dei tempi» – richtig zu erfassen und auf ihn zu reagieren. Menschen dieser Art wird politisches Talent nachgesagt. Dass man in Georgien und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, nicht zuletzt in Russland selbst, für den politischen Erfolg den Erfolg des eigenen Clans mit beansprucht, gehört offensichtlich zu den dauerhaften, schwer zu beseitigenden Eigenschaften postsowjetischen politischen Lebens. Bei genauerer Lektüre von Machiavelli hätte sich Schewardnadse dabei allerdings klar machen dürfen, dass man sich auf diese Weise trotz historischer Verdienste bei einem nicht kleinen Teil des Volkes verhasst macht. In Deutschland behält der Name Schewardnadse trotzdem einen guten, an das «Revolutionsjahr» 1989 erinnernden Klang. 

Pirmin Meier, Rickenbach


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Über Pirmin Meier:

Dr. phil. Pirmin Meier (1947), aufgewachsen in Würenlingen AG und wohnhaft in Aesch, langjähriger Gymnasiallehrer in Beromünster, war zunächst als Journalist und Herausgeber von Büchern (unter anderem bei Suhrkamp-Insel) tätig, später mehrere Jahrzehnte als Gymnasiallehrer (Beromünster) und Lehrerfortbildner. 

Seine Biographien über Paracelsus (6. Auflage im Jahr 2013), Bruder Klaus (3. Auflage in Vorbereitung) sowie Heinrich Federer und Micheli du Crest gelten als epochal und wurden unter anderem mit dem Innerschweizer und dem Aargauer Literaturpreis ausgezeichnet. Zu den Themen, die mit der Innerschweiz zu tun haben, gehören bei Pirmin Meier das Buch «Landschaft der Pilger», unter anderem mit der Beschreibung der Schattigen Fasnacht in Erstfeld und einer ersten Studie über den heiligen Gotthard. Ausserdem setzte er sich mit der Biographie von Pater Alberich Zwyssig – von ihm stammt der Text des «Schweizerpsalms», der Schweizer Nationalhymne – auseinander, eingegangen in das Buch über Wettingen «Eduard Spörri, ein alter Meister aus dem Aargau».  

Stark beachtet, mit rund drei Dutzend öffentlicher Lesungen seit dem Erscheinen, etwa in Altdorf und im Bahnhofbuffet Göschenen, wurde die mit grossem Aufwand betriebene Neufassung des berühmten Jugendbuches «Der Schmied von Göschenen», welche Neubearbeitung erstmals die Bedeutung der Walser für die ältere Schweizer Geschichte unterstreicht.  

Pirmin Meier gehörte auch zu den geistigen Promotoren des Films «Arme Seelen» von Edwin Beeler, zu welchem Thema er sich im Sommer 2012 in einer ganzstündigen Sendung «Sternstunde Religion» auf SRF ausgelassen hat. Er lebt in Rickenbach bei Beromünster, arbeitet derzeit an einem Grossprojekt über Schweizer Mystik und schrieb auch den Text für das Oratorium Vesper von Heiligkreuz mit Musik von Carl Rütti.

Am 7. September 2013 hielt Dr. Pirmin Meier auf der Rigi die Jubiläumsansprache zum Jubiläum 70 Jahre Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein ISSV. Für sein Buch «St. Gotthard und der Schmied von Göschenen» machte er bedeutende, für die Geschichte der alten Wege einmalige Recherchen über die alten Wege vor 1231, auch zusammen mit dem Historiker Dr. Hans Stadler-Planzer.

In beratender Funktion ist Pirmin Meier tätig für das Filmprojekt «Paracelsus - Ein Landschaftsessay» des in Root (LU) wirkenden Filmunternehmers und Regisseurs Erich Langjahr, wie Pirmin Meier Innerschweizer Kulturpreisträger.

Mehr über Pirmin Meier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pirmin_Meier

Pirmin Meier erhält Innerschweizer Kulturpreis 2008:
https://kultur.lu.ch/-/media/Kultur/Dokumente/preise_auszeichnungen/meier2008.pdf