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Kolumne von Pirmin Meier

22.02.2014

Mit seiner Absage als Gastkanton am Sechseläuten blamiert sich Luzern

Die Zürcher Zünfte haben Luzern als Gastkanton ans Sechseläuten 2015 eingeladen. Luzern sagte ab. Das berichtete zentralplus.ch (siehe unter «Links»). Dazu hat Historiker und lu-wahlen.ch-Kolumnist Pirmin Meier eine klare Meinung.


Der Bannerträger der Safranzunft Luzern führt jeweils zusammen mit drei anderen Fähnrichen hoch zu Ross die beiden Luzerner Fasnachtsumzüge am Schmutzigen Donnerstag und am Güdismontag an. In Luzern haben die Zünfte vor allem fastnächtliche und gesellschaftliche Funktionen und pflegen Bräuche aus ihrer Geschichte. In Zürich hingegen sind die Zünfte stark ständisch geprägt und spielen auch politisch eine starke, rechtsbürgerliche Rolle.

Bild: Herbert Fischer

Der Rückzug des Kantons Luzern als Gastkanton des Sechseläutens 2015 hat historische Dimensionen und erfolgt zu einem Zeitpunkt, da die meisten Texte für Fasnachtsschnitzelbänke bedauerlicherweise wohl schon gemacht sind. 

Typisch für das Luzern des 16. Jahrhunderts waren einerseits das Interesse für Japan, andererseits die noch wichtigere Beziehungspflege mit Zürich. Unsere Orientierung war seit je her lokal, eidgenössisch und global. Charakteristisch für Luzern und die Urkantone seit mindestens 1332 war der Unterschied zwischen Staat und Gesellschaft. So, wie es streng genommen sogar heute keine Fasnachtspflicht gibt, gab es im 14. Jahrhundert noch keine Dienstpflicht im modernen Sinne, wie übrigens noch viel länger keine Schulpflicht. Die spätere Dienstpflicht funktionierte lange Zeit «von selbst» und zwar aufgrund des kriegerischen Brauchtums, und sogar «Wilhelm Tell» oder wie immer er geheissen haben mag, litt bei der Anschaffung einer neuen Armbrust nicht unter öffentlichen Sparmassnahmen. Er hatte sich nämlich selber darum zu kümmern.

Zum schönsten, die Schweiz konstituierenden Brauchtum - durch keinerlei Gesetze und gesamtschweizerische oder gesamteuropäische Normen geregelt - gehören seit mindestens 600 Jahren gegenseitige Festbesuche. Absolut grossartig war das Schützenfest in Zürich von 1504 mit dem bekannten Glückshafenrodel, eine grandiose Quelle für Vor- und Familiennamenforschung, weil bei dieser Lotterie die eidgenössischen Gäste, manchmal sogar Frauen, ihren Namen angeben mussten.

Dass darunter Klosterfrauen und Beginen waren, bezeugt aus der Sicht der späteren Reformation den Missstand unverantwortlicher Lebensfreude zu vorreformatorischer Zeit. Die Neigung sogar geistlicher Personen zu Lebenslust war fast noch grösser als heute. Aber auch die weltliche Jugend Luzerns und der Innerschweiz bestand mehrheitlich nicht aus Kindern von Traurigkeit. Allerdings konnte für Disziplin nicht immer im voraus garantiert werden. Für die Teilnahme an einem Fest musste nicht notwendigerweise auf Steuergelder zurückgegriffen werden. Sogar Tanzgesetze, unter denen wir heute noch leiden, kamen erst in der Neuzeit auf und wurden dank der Aufklärung dann noch verschärft. Es war und ist zu allen Zeiten wichtig, dass das Volk vernünftig bleibt.

Vergleicht man die gesellschaftlichen, weniger die staatlichen Verhältnisse Luzerns mit denjenigen von Zürich, so fällt seit Jahrhunderten eine Gemeinsamkeit im Zunftwesen auf, nur dass dasselbe in Zürich politisch klar noch gewichtiger war als in Luzern. Nach dem Ende der politischen Dominanz des Zunftwesens ab 1798 und 1848 blieben aber die Zünfte als gesellschaftliche, klar nicht staatliche Institution (NGO) erst recht erhalten. 

Dies gilt für Stadt und Kanton Luzern mit grösstem Nachdruck zumal auch für die Fasnachtszünfte. Nicht wenige Vertreter des Establishments und der politischen Elite aller Stufen haben schon als Kuno I. oder Ueli II. oder Werner III. die Leiter nach oben erklommen. Es gab aber auch solche, die das Amt aus lauter Plausch und Freude an der Geselligkeit angenommen haben. Übrigens war auch schon mal sogar die Feuerwehr nicht eine staatlich-kommunale, sondern eine gesellschaftliche Angelegenheit, desgleichen die Vorläufer der heutigen, seit 1810 staatlichen Gebäudeversicherung. 

So, wie die Zürcher Zünfte keine amtlichen Institutionen sind, hätte es doch mit einigem Einfallsreichtum und einem Minimum an öffentlichem Geld möglich gemacht werden können, dass die Einladung Luzerns wie eh und je seit mindestens 500 Jahren nicht «privatisiert» hätte werden können (früher war das Leben nicht einfach privat, man besuchte sogar die Leiche im Nachbarhaus ganz selbstverständlich), sondern vergesellschaftet. Und zwar eben klar auf der Basis der Trennung zwischen Staat und Gesellschaft, wie sie zum Beispiel früher auch das Musikwesen charakterisierte, im Gegensatz zu den heutigen enormen Kosten ohne wirklich fundamentalen gesellschaftlichen und qualitativen Fortschritt etwa seit der Barockzeit oder der Gründungszeit der Musikgesellschaften oder Kirchen-, Männer- und Frauenchöre.

Wie auch immer: das Nichtannehmenkönnen der Einladung des Kantons Luzerns als Gastkanton des Sechseläutens ist für mich ein Symptom dafür, dass der Kanton Luzern trotz der grössten Bildungsausgaben aller Zeiten in Sachen Bildung über sich selber einen qualitativen Rückschritt gemacht haben könnte. In Sachen Entwicklung nichtbürokratischer Ideen sind wir offensichtlich kein Kandidat für den Alternativen Nobelpreis.

Gewiss ist das Problem viel komplizierter als ich es hier darstelle. Ich bin überzeugt, dass mehr als ein Chefbeamter mir einigermassen glaubwürdig erklären kann, warum es halt einfach leider nicht ging. 

Vielleicht würde ich mich von den Erläuterungen «teilweise befriedigt» erklären und vor allem feierlich beteuern, dass ich niemanden persönlich kritisieren will. Die Verantwortlichen von heute werden in 500 Jahren genau so vergessen sein wie die Luzerner Namen im Glückshafenrodel von 1501. Immerhin hat damals das Fest,  nachweisbar der schönste Anlass vor der Reformationszeit, stattgefunden, und zwar mit uns. Übrigens auch mit Aargauern aus Würenlingen, wo damals meine direkten Vorfahren lebten, unter anderem eine Waldschwester namens Gritli. Dass sie 1501 ein Los kaufte am Zürcher Schützenfest ist ein Indiz, warum solche Schwestern aus der Sicht der Reformation dann als Huren galten. Auch in Luzern, etwa in «St. Anna im Bruch», sind die lebenslustigen Waldschwestern mit der Zeit «abgegangen».

Rennward Cysat, der im 16. Jahrhundert neben der Organisation schöner Feste auch noch ein Buch über Japan herausgab, aufgrund jesuitischer Quellen, muss sich wohl im historischen Andenken vor Bundespräsident  Burkhalter nicht verstecken. Der Neuenburger Magistrat war eine Woche vor der wichtigsten Abstimmung dieses Jahrhunderts Gast des japanischen Kaiserpaars. Er war auch der bisher humorvollste und profilierteste Gegenredner, schon je zweimal auf dem Albisgüetli, welcher Besuch über hundertmal billiger kam als der in Japan.

Für Luzern, Stadt und Kanton, die Gesamtheit der einst lebensfreudigsten Republik der Welt, scheint zu gelten: Jeder blamiert sich, so gut er kann.

Pirmin Meier, Rickenbach


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Über Pirmin Meier:

Dr. phil. Pirmin Meier (1947), aufgewachsen in Würenlingen AG und wohnhaft in Aesch, langjähriger Gymnasiallehrer in Beromünster, war zunächst als Journalist und Herausgeber von Büchern (unter anderem bei Suhrkamp-Insel) tätig, später mehrere Jahrzehnte als Gymnasiallehrer (Beromünster) und Lehrerfortbildner. 

Seine Biographien über Paracelsus (6. Auflage im Jahr 2013), Bruder Klaus (3. Auflage in Vorbereitung) sowie Heinrich Federer und Micheli du Crest gelten als epochal und wurden unter anderem mit dem Innerschweizer und dem Aargauer Literaturpreis ausgezeichnet. Zu den Themen, die mit der Innerschweiz zu tun haben, gehören bei Pirmin Meier das Buch «Landschaft der Pilger», unter anderem mit der Beschreibung der Schattigen Fasnacht in Erstfeld und einer ersten Studie über den heiligen Gotthard. Ausserdem setzte er sich mit der Biographie von Pater Alberich Zwyssig – von ihm stammt der Text des «Schweizerpsalms», der Schweizer Nationalhymne – auseinander, eingegangen in das Buch über Wettingen «Eduard Spörri, ein alter Meister aus dem Aargau».  

Stark beachtet, mit rund drei Dutzend öffentlicher Lesungen seit dem Erscheinen, etwa in Altdorf und im Bahnhofbuffet Göschenen, wurde die mit grossem Aufwand betriebene Neufassung des berühmten Jugendbuches «Der Schmied von Göschenen», welche Neubearbeitung erstmals die Bedeutung der Walser für die ältere Schweizer Geschichte unterstreicht.  

Pirmin Meier gehörte auch zu den geistigen Promotoren des Films «Arme Seelen» von Edwin Beeler, zu welchem Thema er sich im Sommer 2012 in einer ganzstündigen Sendung «Sternstunde Religion» auf SRF ausgelassen hat. Er lebt in Rickenbach bei Beromünster, arbeitet derzeit an einem Grossprojekt über Schweizer Mystik und schrieb auch den Text für das Oratorium Vesper von Heiligkreuz mit Musik von Carl Rütti.

Am 7. September 2013 hielt Dr. Pirmin Meier auf der Rigi die Jubiläumsansprache zum Jubiläum 70 Jahre Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein ISSV. Für sein Buch «St. Gotthard und der Schmied von Göschenen» machte er bedeutende, für die Geschichte der alten Wege einmalige Recherchen über die alten Wege vor 1231, auch zusammen mit dem Historiker Dr. Hans Stadler-Planzer.

In beratender Funktion ist Pirmin Meier tätig für das Filmprojekt «Paracelsus - Ein Landschaftsessay» des in Root (LU) wirkenden Filmunternehmers und Regisseurs Erich Langjahr, wie Pirmin Meier Innerschweizer Kulturpreisträger.

Mehr über Pirmin Meier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pirmin_Meier

Pirmin Meier erhält Innerschweizer Kulturpreis 2008:
https://kultur.lu.ch/-/media/Kultur/Dokumente/preise_auszeichnungen/meier2008.pdf