das gesamte meinungsspektrum lu-wahlen.ch - Die Internet-Plattform für Wahlen und Abstimmungen im Kanton Luzern

Spenden für Verein lu-wahlen.ch

Diese Website gefällt mir! Um weitere Beiträge darauf zu ermöglichen, unterstütze ich lu-wahlen.ch gerne mit einem Betrag ab CHF 10.-

 

 

Kolumne von Pirmin Meier

31.01.2014

Was der SP-Pionier Walther Bringolf nicht nur Schweizer Linken zu sagen hätte

Als politischer Publizist bin ich es schon lange leid, mich nur nach bürgerlichen oder christlichen Orientierungspunkten zu richten. Als Historiker bedeutet mir die Stimme der Toten viel.


Dass Power bei der Initiative zur Zuwanderung praktisch nur bei den Befürwortern vorhanden ist, erklärt sich im Kanton Luzern auch mit dem Ableben von Otto Ineichen. Zu denken geben mir Parallelen zur Zeit von Schwarzenbach. Wie damals die Schweizer Wirtschaftslobby der stimmberechtigten Arbeiterschaft  die Pflicht zu mehr «Dankbarkeit für den Wohlstand» an den Kopf warf, verunsicherte selbst meinen väterlichen Freund Karl Kloter (1911 – 2002). Der Arbeiterschriftsteller und Zürcher SP-Gemeinderat hatte zur Abstimmung den gastarbeiterfreundlichen Roman «Salvatrice» beim Schweizer Verlagshaus veröffentlicht. 

Der Zwiespalt der Schweizer Arbeiterschaft bei der Schwarzenbach-Initiative

Ich war damals noch nicht sein Lektor. Darum blieb in der Druckfassung eine Formulierung stehen, die der Vegetarier und Verehrer von Mahatma Gandhi nicht so gemeint hatte: «Sie kamen wie die Heuschrecken». Damit wollte Kloter die Einwanderungsverhältnisse vor 1964, als es zum Teil mehr Zuwanderer gab als heute, anschaulich machen. Obwohl es damals noch kein Antirassismusgesetz gab, kriegte Kloter mit diesem Satz nicht kleinen Ärger mit einer damals linksintellektuellen Literaturkritik.

Das unfreiwillig plumpe Formulieren, sozusagen ein «Freudscher Verschreiber», repräsentierte bei Kloter, einem wirklichen Menschenfreund, den tatsächlichen Zwiespalt der damaligen Arbeiterschaft. Insofern scheint es eben doch nicht richtig zu sein, den Volksmund, ob ernst gemeint oder humoristisch, durch politische Korrektheit zu korrigieren.

Bringolf und Bichsel als Gegner der Schwarzenbach-Initiative

Das Jahr 1970 hatte mit dem Jahr 2014 nebst dem Gefühl der «Übervölkerung» geistige Orientierungslosigkeit gemeinsam. Schwarzenbach, Verfasser von einem Dutzend Büchern und meines Wissens kein ehemaliger Fröntler (falls es Hans Stutz besser weiss, nehme ich es gerne zur Kenntnis), hätte es bei seinem kultivierten Diskurs verdient, von Intellektuellen ernst genommen zu werden. Peter Bichsel, der heute zur Abstimmung schweigt, nahm Schwarzenbach damals auf beeindruckendste Weise ernst. Er wies nach, dass das Denken Schwarzenbachs nicht «von draussen rein» kam, sondern in den Schweizer Lesebüchern  der damaligen Zeit, auch im Denken von Bichsels ehemaligen Seminarlehrern, tief verankert war. Dies war als Zeitkritik gemeint und ist heute noch eine der besten Erklärungen, warum zum Beispiel die ganze Innerschweiz die Schwarzenbach-Initiative angenommen hat. 

Für ein Ja am 9. Februar 2014 ist auch der Kanton Schaffhausen gesetzt. Mit Thomas Minder kommt einer der nachweislich glaubwürdigsten Politiker der Schweiz vom Rheinfall. 1970 war dies der Schaffhauser Stadtpräsident, Exkommunist, Musikförderer und konfessionslose Präsident der SP Schweiz, Walther Bringolf. Wie der hochgelehrte und mutige Luzerner Philipp Anton von Segesser, den man heute zum Antisemiten reduzieren will, gehörte Bringolf zu den wichtigsten Warnern vor einem nicht zur Schweiz passenden Nationalismus. Bringolf laberte nicht von «Weltoffenheit», er lebte sie. Über den Kommunismus orientierte er sich in Moskau, über Apartheid durch eine eigenen Recherchen dienende Reise nach Südafrika. Insofern empfehle ich den Zuger Alternativen die Lektüre von Bringolfs Buch über Südafrika, wenn sie jetzt – wie gestern Donnerstag im Zuger Kantonsrat – «Oppositiönlis» spielen wollen. Der Befund der Ignoranz und einer allenfalls miesen Gesinnung bei der Gegenseite sagt rein gar nichts aus über den eigenen Wissensstand .

Bringolf – Zentralfigur für das Zuger Thema «Schweiz – Südafrika»

Südafrika gehört zu den dunkeln Kapiteln der Weltgeschichte auch insofern, als der Wissensmangel im Vergleich zum Nationalsozialismus und etwa der Geschichte der DDR krass ist. Ich glaube nicht, dass die Zuger Bürgerlichen in die Literatur nur halbwegs eingearbeitet sind. Die Alternativen wiederum hoffen deswegen recht zu behalten, weil die Bürgerlichen die nötige Solidarität vermissen lassen.

Der bestinformierte Schweizer Linke über Südafrika war nicht Jean Ziegler, sondern zu seiner Zeit SP-Präsident, Fast-Bundesrat und Aussenpolitiker Walther Bringolf. Er hatte – ohne Matura! – eine ganze Bibliothek im Kopf und 1970 argumentierte er haushoch überzeugender gegen die Schwarzenbach-Initiative als heute die im Vergleich zu ihm unpolitisch wirkende  Bundesrätin Sommaruga zur Einwanderungsinitiative. Bringolfs Buch über Südafrika gehört zu den wichtigsten Quellen zum Thema. 

Als überzeugter Gegner der Apartheid reiste Bringolf Ende der Sechziger Jahre nach Südafrika, um unter anderem zur Orientierung der Sozialistischen Internationale ein Buch zu schreiben; «Gespräche in Südafrika», welches ich mir als Student der Politik 1968 gekauft habe. Bei seinen Recherchen hielt sich Bringolf fast ausschliesslich an schwarze Gesprächspartner, aber auch an weisse südafrikanische Oppositionelle und Gewerkschafter. Bringolf schloss damals nicht aus, dass die Apartheid, die er in der Struktur «kleine» und «grosse» Apartheid genau analysierte, frühestens etwa in zehn Jahren friedlich überwunden werden könnte. Seine Orientierungsfigur war der schwarze Freiheitsheld Luthuli, der weniger zur Gewalt neigte als damals Mandela, aber eigentlich zum falschen Stamm gehörte. 

Masseneinwanderung ins Apartheid-Land

Für die wirtschaftlichen Zusammenhänge ist aus der Sicht von Bringolf wichtig, dass Südafrika damals ein ähnliches Einwanderungsproblem hatte wie die Schweiz um 1962, als um die 200 000 Südländer zu uns kamen, um sich hier zum Beispiel als Saisonarbeiter ausbeuten zu lassen. Desgleichen wanderten jährlich bis zu 300 000 Schwarze aus freien Ländern Afrikas, etwa Zambia, in der Hoffnung auf Arbeit nach Südafrika ein. Bringolf, welcher die schändlichen Seiten der Apartheid mit keiner Silbe relativierte, erkannte  klar die Chancen eines freien zukünftigen Südafrika. Der einzige Vorwurf, den man ihm aus heutiger Sicht machen kann, ist, dass er sich in seinem Buch weder für den ANC noch für Nelson Mandela verwendete. Freilich wird Mandela nur von Che-Guevara-Leibchen-Trägern und Neufrömmlern mit einem braven Gutmenschen verwechselt. In seinem Kampf für ein freies Südafrika ist er am ehesten mit dem israelischen Friedensnobelpreisträger und Rechtsaussenpolitiker Menachem Begin zu vergleichen. Diesen hat natürlich auch Marc Rich noch gekannt, so wie Israel der wichtigste Partner Südafrikas war bei der Praxis der Boykottumgehung.

Walther Bringolf, jahrzehntelanger Präsident der SP Schweiz und realistischer Wirtschaftspolitiker mit Kenntnis der SIG Schaffhausen, welche auch Waffen nach Südafrika lieferte, hat die Schweizer Wirtschaftsbeziehungen zu Südafrika in seinem Buch mit keiner Silbe kritisiert. Von Boykotten hielt er nichts. Er sah auch, dass es in Südafrika ein relativ freies Wort gab, Schriftstellerinnen wie Doris Lessing kritisierten die Apartheid. Und im Gegensatz zu Kuba, dessen Boykottierung Bringolf auch ablehnte (Marc Rich hat Verdienste für die Umgehung des US-Boykotts), konnte man aus Südafrika frei ausreisen. 

Die Schweiz und der Kanton Luzern profitierten von March Rich

Objektiv wäre ohne die Aufbauarbeit in der Zeit vor Mandela die Durchführung der Fussballweltmeisterschaft 2010 wohl nicht möglich gewesen. Das Hauptproblem des heutigen Südafrika ist, dass dieses noch immer vielversprechendste Land Afrikas nicht durch Korruption vor die Hunde geht. Bei allen schillernden und fragwürdigen Seiten bleibt es wohl dabei, dass Marc Rich die historisch machtvollste Persönlichkeit war, die in den letzten 50 Jahren in Zug und in Meggen gelebt hat. Als Luzerner Kantonsangestellter wusste ich bei jeder Lohnauszahlung, dass ich jetzt auch Geld von Marc Rich bekomme. Mein schlechtes Gewissen dabei hielt sich in Grenzen. Vielleicht leide auch ich, wie meine linken Freunde, unter flächendeckendem Wissensmangel über Südafrika. Meine einzige diesbezügliche Forschungstätigkeit betrifft die Schweizer Presse vor 115  Jahren zum damaligen Burenkrieg, welcher die traditionelle Sympathie der Schweiz zum weissen Südafrika begründete.

Für den 9. Februar würde ich 49 Prozent Ja für einen Glücksfall einschätzen. Bei unter 49 Prozent geschieht nichts, was auch bei über 50 Prozent nicht ganz ausgeschlossen ist. Damit ist nicht nur mein Dilemma beschrieben.  

Pirmin Meier, Rickenbach


Teilen & empfehlen:
Share    
Kommentare:

Keine Einträge

Kommentar verfassen:

Ins Gästebuch eintragen
CAPTCHA-Bild zum Spam-Schutz  

Über Pirmin Meier:

Dr. phil. Pirmin Meier (1947), aufgewachsen in Würenlingen AG und wohnhaft in Aesch, langjähriger Gymnasiallehrer in Beromünster, war zunächst als Journalist und Herausgeber von Büchern (unter anderem bei Suhrkamp-Insel) tätig, später mehrere Jahrzehnte als Gymnasiallehrer (Beromünster) und Lehrerfortbildner. 

Seine Biographien über Paracelsus (6. Auflage im Jahr 2013), Bruder Klaus (3. Auflage in Vorbereitung) sowie Heinrich Federer und Micheli du Crest gelten als epochal und wurden unter anderem mit dem Innerschweizer und dem Aargauer Literaturpreis ausgezeichnet. Zu den Themen, die mit der Innerschweiz zu tun haben, gehören bei Pirmin Meier das Buch «Landschaft der Pilger», unter anderem mit der Beschreibung der Schattigen Fasnacht in Erstfeld und einer ersten Studie über den heiligen Gotthard. Ausserdem setzte er sich mit der Biographie von Pater Alberich Zwyssig – von ihm stammt der Text des «Schweizerpsalms», der Schweizer Nationalhymne – auseinander, eingegangen in das Buch über Wettingen «Eduard Spörri, ein alter Meister aus dem Aargau».  

Stark beachtet, mit rund drei Dutzend öffentlicher Lesungen seit dem Erscheinen, etwa in Altdorf und im Bahnhofbuffet Göschenen, wurde die mit grossem Aufwand betriebene Neufassung des berühmten Jugendbuches «Der Schmied von Göschenen», welche Neubearbeitung erstmals die Bedeutung der Walser für die ältere Schweizer Geschichte unterstreicht.  

Pirmin Meier gehörte auch zu den geistigen Promotoren des Films «Arme Seelen» von Edwin Beeler, zu welchem Thema er sich im Sommer 2012 in einer ganzstündigen Sendung «Sternstunde Religion» auf SRF ausgelassen hat. Er lebt in Rickenbach bei Beromünster, arbeitet derzeit an einem Grossprojekt über Schweizer Mystik und schrieb auch den Text für das Oratorium Vesper von Heiligkreuz mit Musik von Carl Rütti.

Am 7. September 2013 hielt Dr. Pirmin Meier auf der Rigi die Jubiläumsansprache zum Jubiläum 70 Jahre Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein ISSV. Für sein Buch «St. Gotthard und der Schmied von Göschenen» machte er bedeutende, für die Geschichte der alten Wege einmalige Recherchen über die alten Wege vor 1231, auch zusammen mit dem Historiker Dr. Hans Stadler-Planzer.

In beratender Funktion ist Pirmin Meier tätig für das Filmprojekt «Paracelsus - Ein Landschaftsessay» des in Root (LU) wirkenden Filmunternehmers und Regisseurs Erich Langjahr, wie Pirmin Meier Innerschweizer Kulturpreisträger.

Mehr über Pirmin Meier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pirmin_Meier

Pirmin Meier erhält Innerschweizer Kulturpreis 2008:
https://kultur.lu.ch/-/media/Kultur/Dokumente/preise_auszeichnungen/meier2008.pdf