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Kolumne von Pirmin Meier

28.10.2013

«Ecopop-Initiative», «Familien-Initiative», «1:12»: Zweifel sind erlaubt und nötig

Diese Ausführungen sind in keiner Weise als Abstimmungsparole gedacht. Während indessen früher fast alle Volksinitiativen abgelehnt wurden, agieren Regierung und Parlament derzeit so wenig repräsentativ, dass die Chancen für Initiativen unverhältnismässig wachsen. Damit droht ein politischer Chaotismus. Selbst wenn man die grundsätzlichen Anliegen von Initiativen unterstützt, lohnt sich das Motto von Descartes: «Prüfe alles durch den Zweifel.»


Im Prinzip müssten bei der Einwanderungspolitik, der Familienpolitik, aber auch, wenn es um Finanzen und Steuern geht, Bundesrat und Parlament die ihnen zukommenden Führungsrollen übernehmen. Das Volk kann nicht direkt regieren, bloss «Winke mit dem Zaunpfahl» geben. Diese sollten aber in Bern wahrgenommen und nicht verwedelt werden.

Als Lehrer der Staatskunde wie auch als ehemaliger Verfassungsrat des Kantons Aargau war ich während mehr als vierzig Jahren ein leidenschaftlicher Verfechter der Volksrechte, besonders der direkten Demokratie. Ich bin es heute noch. Aus der Sicht des Historikers war zum Beispiel die sogenannte Abzocker-Initiative des Schaffhauser Kleinunternehmers und nachmaligen Ständerates Thomas Minder über alles gesehen ein Sieg der Vernunft über den Konformismus und mithin ein Beweis, dass das Volk eine herausragende Kompetenz hat in dem, was es nicht will.  

Nun aber stehen Volksbegehren vor uns mit zum Teil gravierenden Konsequenzen. Skeptisches Verständnis bringe ich für die Familieninitiative auf. Dass auf lange Sicht Vollzeit-Elternschaft und eine möglichst grosse Zahl intakter Familien ein durch nichts zu ersetzendes, belohnungsfähiges Potential für die Zukunft darstellen, leuchtet nicht nur der konservativen Wählerschaft ein. 

Trotzdem wäre es besser, im Sinne der jahrtausendealten Funktion der Nachkommenschaft, zum Beispiel eine hundertfünfzigprozentige AHV-Rente für jeden Elternteil zu entrichten, der eine festzulegende Anzahl Vollzeitjahre in die Erziehung von zwei Kindern und mehr gesteckt hat. Es gäbe wohl noch andere praktikable Vorschläge. Wie auch immer: die mit der SVP-Familieninitiative angegangenen Probleme wären besser vom Parlament gelöst worden. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind nämlich in diesem Bereich eher über die finanziellen Konsequenzen auf den umverteilenden Fiskus im Bilde. 

Auf Umverteilung geht auch die 1:12-Initiative aus. Nur wird in diesem Bereich die Wirkung für die Unterprivilegierten gleich Null sein. Die Genugtuung bei der Annahme würde ausschliesslich darin bestehen, dass man es «denen ganz oben» wieder mal gezeigt hat; davon aber wird mit Sicherheit niemand profitieren; im Gegenteil – die Steuerausfälle – ob mit oder ohne Umgehung der Initiativforderungen -  werden, wie schon bei der Familieninitiative, die sozial Schwächeren treffen und den Mittelstand zusätzlich belasten.

Zur Zeit der vor bald 45 Jahren lancierten Überfremdungsinitiative gab es in der aargauischen Gemeinde Wettingen (20 000 Einwohner) eine Ortsplanung mit einem projektierten «Endausbau» auf 80 000 Einwohner. Diesem Vervielfachungs-Wahnsinn versuchten viele mit einem Ja zur sogenannten Schwarzenbach-Initiative entgegenzuwirken. Ich ging als Student der politischen Philosophie von einem Befürworteranteil von maximal 35 Prozent aus. Sogar der persönlich in keiner Weise fremdenfeindliche Schwarzenbach (er hatte dafür andere politisch unangenehme Eigenschaften) ist über den Ja-Anteil von fast 48 Prozent beinahe erschrocken. Dass alle einstigen Sonderbundskantone, besonders Luzern, zustimmten, hätte niemand gedacht. Der Abstimmungstag wurde ein Schock für das Schweizer Establishment; ein Schock, der nur noch durch das EWR-Nein von 1992 übertroffen wurde. 

Selbst wenn man die allgemeine Zielrichtung der Ecopop-Initiative unterstützt, muss man heute sehen, dass ein Ja nicht mehr als Demonstration abgehakt werden könnte. Die Konsequenzen, einschliesslich der Kündigung der bilateralen Verträge, wären erheblich. Und im Gegensatz zur Zeit von Schwarzenbach rechnet niemand  mit nur 35 Prozent Ja. 

Der Ja-Anteil, wohl auch bei der Initiative der SVP gegen die Masseneinwanderung, wird in der deutschen Schweiz und im Tessin ins Gewicht fallen, ziemlich sicher über 50 Prozent; angesichts der neuesten Wahlen in Genf selbst in der Westschweiz wohl eher bei 40 als nur bei 30 Prozent. 

Die beiden Initiativen sind ein doppelter Matchball gegen Bundesrat, Parlament, Wirtschaft und meinungsmachende Mitte-Links-Eliten bis hin zu den Kirchen.

Mit anderen Worten: bei einer solchen Abstimmung wäre taktisches Verhalten, «ein Schuss vor den Bug», wie bei der hauptsächlich symbolisch bedeutsamen Minarett-Initiative praktiziert, unverantwortlich.

Besser als die Annahme der Initiativen zur Beschränkung der Einwanderung wäre es wohl, der Bundesrat würde die Personenfreizügigkeit von sich aus schrittweise aufkündigen. In einem solchen Fall erhielten auch die Gewerkschaften als Verhandlungspartner wieder mehr Gewicht. Auch würden die wenig flexiblen Initiativtexte bei einer Annahme bedeutende Knacknüsse abgeben.

Wünschbar wäre für mich ein Deal des Bundesrates mit dem Volk, welches einen Zuwanderungssaldo von 80 000 Personen jährlich nicht mehr verkraften kann und will. Dabei wäre zwar eine Bevölkerungszunahme für AHV und Renten, wie man hört, auf 13,7 Millionen Menschen angeblich optimal. Im Sinne der Mechanismen einer Brutalo-Marktwirtschaft kann man aber davon ausgehen, dass spätestens bei der Wiederverarmung der Schweiz die Bevölkerungszahl wieder «ganz von selbst» schrumpfen würde. So entspricht es dem Denken des berühmt-berüchtigten John Maynard Keynes: «In the long run we all are dead.»  Der grosse Ökonom, dessen Rezept zum grossen Schuldenmachen für die Wirtschaftskrise von 1929 gedacht war und von Hitler am konsequentesten befolgt wurde, hatte keine Kinder. Er war nämlich homosexuell. 

Eine Umkehr des Trends zu immer mehr Bevölkerungswachstum ergäbe sich auf konsequent marktwirtschaftlicher Basis erst dann, wenn in  der Schweiz eine massive Verarmung einsetzen würde. So, wie wir 1855 aufgrund unserer sozialen Situation und der damaligen Hungersnot ein Auswanderungsland wurden. Und so, wie in der Innerschweiz im 18. und frühen 19. Jahrhundert der Kanton Zug das Armenhaus der Region war. Von Natur aus ist die Schweiz, im Gegensatz etwa zu Norwegen, ein armes Land, und wir können jederzeit wieder dort ankommen. Die Frage ist, wie wir uns dieser Gegebenheit stellen. 

Genauso wie ein Ausstieg aus der Kernenergie nur mit Risiken und Opfern möglich wird, wäre auch die schrittweise Kündigung der Personenfreizügigkeit eine Massnahme zum Schutze von Land und Volk. Sogar für viele von der direkten Mitbestimmung ausgeschlossene Bürgerinnen und Bürger unserer Nachbarländer könnte es zu einem Zeichen der Ermutigung werden. Auch die Europäische Union wird irgendwann aus der Sackgasse einer unangepassten gemeinsamen Währung und aus einer unpraktikablen Grenzenlosigkeit herausfinden. 

Bei Initiativen, denen die Annahme droht, sollte man sich dieses Ja zweimal überlegen. Im Zweifelsfall ablehnen würde zunächst  bestätigen, dass die Kompetenz des Volkes grösser ist in dem, was es nicht will, als in dem, was es will. Ausser bei der Ausschaffungs- und Verwahrungsinitiative ist der Volkswille nämlich häufig unklar. 

Wenn der Bundesrat und die Koryphäen der Wirtschaft dabei bleiben, die Personenfreizügigkeit als heilige Kuh zu behandeln, wird es aber wohl schon nächstes Jahr ein böses Erwachen geben. Lieber als die Annahme von Initiativen, die mit Sicherheit keine ausgewogenen Lösungen darstellen, wäre mir ein Bundesrat, der von sich aus zu einer Kehrtwende bereit wäre und damit auch endlich wieder im offensiven Sinn handlungsfähig.

Die Schweiz ist kein Schlaraffenland. Dass Grenzen gesetzt werden, war nicht nur für Bruder Klaus ein legitimes Anliegen. Der direkten Demokratie müssen aus meiner Sicht nicht stärkere Grenzen gesetzt werden als sie jetzt schon bestehen. Es müsste aber wieder so regiert werden, dass die «Direktregierung» des Volkes durch angenommene Initiativen wieder zur seltenen Ausnahme wird. Staaten haben keine Freunde. Staaten haben Interessen. Das gilt auch für die Schweiz und diejenigen, die vom Volk beauftragt sind, das Land zu regieren. 

Pirmin Meier, Rickenbach 


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Philipp Federer aus Luzern

Montag, 28.10.2013, 16:37 · Mail  Website

Der Artikel von Pirmin Meier ist wirr und voller Ideologie und Schlagworten. Er prophezeit, es «droht ein politischer Chaosimus». Seine Wortkreation «Chaoismus» exisitiert nicht und sagt in erster Linie etwas über seine Argumentationsweise aus.

Meier hat gemäss Selbstdeklaration ein skeptisches Verständnis für die Familieninitiative, insbesondere für die «Vollzeit-Elternschaft». Die SVP-Initiative reduziert die Elternschaft auf ein klassisches Rollenverständnis, die Frau hinter den Herd, der Mann bringt den Verdienst. Partnerschaftliche Familienmodelle passen sicher nicht zu seinem Bild der «intakten» Familie. Oder was meint er damit?

Meier schreibt auch nur für Konservative mit einem konservativen Familienmodell. Dies ist ihm wichtiger, auch wenn damit reiche Einverdienerfamilien belohnt und Familien, welche auf Fremdbetreuung angewiesen sind, zu Verlierern stempelt. Ich bitte Pirmin Meier den guten Artikel «Warum die Familieninitiative ihren Namen nicht verdient» von CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer zu lesen und zwar unter:

http://www.journal21.ch/warum-die-familieninitiative-ihren-namen-nicht-verdient#

Chaotisch wird Meier erst recht bei der 1:12-Initiative. Er psychologisiert, er prognostiziert ohne Belege und malt Schreckgespenste. Er bezeichnet die Initiative als eine Umverteilungsinitiative ohne Wirkung. Wäre dem so, dann verstehe ich seine Aufregung nicht. Dass die Umverteilung in den letzten 30 Jahren von 1:6 auf 1:43 zugenommen hat, erwähnt er nicht. Er hat auch kein Rezept dagegen. Wer eine sozialere Marktwirtschaft mit Regeln will, bezeichnet er in seiner chaotischen Art gleich als sozialistisch, nein sogar als «kommunistische Tradition».Vergleiche auf lu-wahlen.ch den Artikel Pirmin Meier und den Kommentar dazu unter «1:12 hält Vergleich mit Minder-Initiative nicht aus» (Anmerkung der Redaktion: Er findet sich im eingangs erwähnten, jüngsten Beitrag Pirmin Meiers unter «In Verbindung stehende Artikel»).

Eigenartiger Weise gibt es aber keinen sozialistischen und keinen kommunistischen Staat mit einem Lohnverhältnis von 1:12. Diese Oligarchen und Despoten sind viel massloser und hoffentlich kein Vorbild für uns und auch nicht für Kapitalisten.

Wenden wir uns doch wieder der sozialen Marktwirtschaft zu, der selbst Konservative nachtrauern. Sie gilt es zu stärken. Dazu sind nationale und internationale Regeln nötig. Der von Ihnen, Pirmin Meier, aufgeführte Marc Rich sehen sie als Segen für die Wenig-Verdienenden. Sie denken da aber nur an den Kanton Luzern und nicht an die Geprellten, die ausgebeuteten Rohstoffländer, die mit Steuern hinterzogenen Länder wie die USA und die ehrlichen Staaten und Konkurrenzhändler, die sich an die internationalen Gesetze hielten.

Wer noch für das Allgemeinwohl, und nicht nur für sein Gärtchen denkt, dem ist das Beispiel Marc Rich ein Fluch und kein Segen.

Philipp Federer, Luzern

 
 
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Über Pirmin Meier:

Dr. phil. Pirmin Meier (1947), aufgewachsen in Würenlingen AG und wohnhaft in Aesch, langjähriger Gymnasiallehrer in Beromünster, war zunächst als Journalist und Herausgeber von Büchern (unter anderem bei Suhrkamp-Insel) tätig, später mehrere Jahrzehnte als Gymnasiallehrer (Beromünster) und Lehrerfortbildner. 

Seine Biographien über Paracelsus (6. Auflage im Jahr 2013), Bruder Klaus (3. Auflage in Vorbereitung) sowie Heinrich Federer und Micheli du Crest gelten als epochal und wurden unter anderem mit dem Innerschweizer und dem Aargauer Literaturpreis ausgezeichnet. Zu den Themen, die mit der Innerschweiz zu tun haben, gehören bei Pirmin Meier das Buch «Landschaft der Pilger», unter anderem mit der Beschreibung der Schattigen Fasnacht in Erstfeld und einer ersten Studie über den heiligen Gotthard. Ausserdem setzte er sich mit der Biographie von Pater Alberich Zwyssig – von ihm stammt der Text des «Schweizerpsalms», der Schweizer Nationalhymne – auseinander, eingegangen in das Buch über Wettingen «Eduard Spörri, ein alter Meister aus dem Aargau».  

Stark beachtet, mit rund drei Dutzend öffentlicher Lesungen seit dem Erscheinen, etwa in Altdorf und im Bahnhofbuffet Göschenen, wurde die mit grossem Aufwand betriebene Neufassung des berühmten Jugendbuches «Der Schmied von Göschenen», welche Neubearbeitung erstmals die Bedeutung der Walser für die ältere Schweizer Geschichte unterstreicht.  

Pirmin Meier gehörte auch zu den geistigen Promotoren des Films «Arme Seelen» von Edwin Beeler, zu welchem Thema er sich im Sommer 2012 in einer ganzstündigen Sendung «Sternstunde Religion» auf SRF ausgelassen hat. Er lebt in Rickenbach bei Beromünster, arbeitet derzeit an einem Grossprojekt über Schweizer Mystik und schrieb auch den Text für das Oratorium Vesper von Heiligkreuz mit Musik von Carl Rütti.

Am 7. September 2013 hielt Dr. Pirmin Meier auf der Rigi die Jubiläumsansprache zum Jubiläum 70 Jahre Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein ISSV. Für sein Buch «St. Gotthard und der Schmied von Göschenen» machte er bedeutende, für die Geschichte der alten Wege einmalige Recherchen über die alten Wege vor 1231, auch zusammen mit dem Historiker Dr. Hans Stadler-Planzer.

In beratender Funktion ist Pirmin Meier tätig für das Filmprojekt «Paracelsus - Ein Landschaftsessay» des in Root (LU) wirkenden Filmunternehmers und Regisseurs Erich Langjahr, wie Pirmin Meier Innerschweizer Kulturpreisträger.

Mehr über Pirmin Meier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pirmin_Meier

Pirmin Meier erhält Innerschweizer Kulturpreis 2008:
https://kultur.lu.ch/-/media/Kultur/Dokumente/preise_auszeichnungen/meier2008.pdf