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Kolumne von Samuel Kneubühler

20.03.2011

Warum der öffentliche Raum so wichtig und so verletzlich ist

Alle benutzen ihn, doch vielen ist seine Bedeutung kaum bewusst. Darum ist die Politik gefordert, zum öffentlichen Raum und seiner Funktion als Schmelztiegel und Drehscheibe der Gesellschaft Sorge zu trage


Bereits, wenn junge Leute vor dem KKL am See sitzen, kann dies Andere, meist Erwachsene, ärgern.<br><br>Bild: Herbert Fischer

Bereits, wenn junge Leute vor dem KKL am See sitzen, kann dies Andere, meist Erwachsene, ärgern.

Bild: Herbert Fischer

Wenn der Vorplatz des Wohnhauses nicht zur Wohnung gehört, sich aber in privatem Eigentum besitzt, so befindet man sich bereits im öffentlichen Raum. Dem wohl typischsten Platz Luzerns begegnet, wer den Bahnhof im mittleren oder rechten Eingang verlässt. Der Bahnhofplatz ist seit Ende der 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts Busbahnhof, Erinnerungsstätte des alten Bahnhofs (Torbogen) und zentraler Treffpunkt. Will man sich an einem zentralen Ort treffen, dessen Standort beinahe im ganzen Kanton Luzern bekannt ist, so ist der Bahnhofplatz ein geeigneter Kandidat dafür.

Unvermeidliche Nutzungskonflikte

Gegen Abend und vor allem am Freitag und Samstagabend ist der Bahnhofplatz stark bevölkert. Dies führt nebst einer interessanten soziodemografischen Durchmischung zu Problemen wie Littering, Vandalismus, öffentlichem Alkoholtrinken, wildem urinieren und zum Konsum weicher Drogen. Im Frühjahr 2009 setzte sich eine sozialkonservative Mehrheit durch und eine Volksmehrheit nahm ein kantonales Gesetz an, das eine Wegweisungsnorm, Massnahmen gegen Littering und ein Verbot des wilden Plakatierens einführte. Die erste der drei genannten Massnahmen wurde von den Kantonen Bern und Zürich übernommen und beinhaltet das Wegweisen von Personen durch die Polizei, die unter «begründetem Verdacht» stehen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören; man wird für drei Monate weggewiesen. Eine Kontrolle ist schwierig. Genau diese Kontrolle wäre aber nötig, wenn der Staat den öffentlichen Raum wirklich kontrollieren wollte. Doch dies kann und darf er gar nicht: er ist nicht befugt, zu bespitzeln und er hat nicht die Ressourcen zur Omnipräsenz der Polizei. 

Mit diesem Beispiel will ich verdeutlichen, dass es zwangsläufig schnell zu Interessenkollisionen auf öffentlichem Grund kommen kann. Ein attraktiver öffentlicher Grund mit vielen Nutzungsmöglichkeiten wird schnell stark frequentiert und Menschenmengen sammeln sich an, die sich vertragen, aneinander vorbei gehen und auch die Ordnung wahren müssen. Auf rein privaten Grundstücken wirken sich unterschiedliche Nutzungen weniger stark aus, da die Grundeigentümerschaft Regeln diktieren und ungebetene Gäste wegweisen kann – theoretisch.

Wem nützt öffentlicher Raum?

Soweit er nicht durch andere Funktionen beansprucht wird, soll der öffentliche Raum vornehmlich der Bevölkerung dienen. Sie besteht aus Individuen, die sich mitunter zusammenschliessen, etwa zu Cliquen, losen Ansammlungen mit und ohne erkennbaren Zweck, zu Verbänden, Vereinen, Parteien und Interessengemeinschaften. 

Der öffentliche Raum dient auch der Werbung, für Unternehmungen oder für Gemeinden, wenn er besonders vielfältig ist, besonders oder gar besonders schön gestaltet ist oder etwa eine architektonische Bedeutung hat. Für gewisse Menschen sind auch Ordnung, Sauberkeit und der tadellose Zustand von höchster Priorität.

Viele Organisationen und Unternehmungen machen Werbung mit Ständen auf öffentlichen Plätzen und holen dafür eine Bewilligung zur Nutzung des öffentlichen Raumes ein. Diese Reglementierung ist praktisch gesehen nötig, da so einheitliche Regeln eingehalten werden. Im öffentlichen Raum kann man sich nicht total frei bewegen, auch Unternehmen können das nicht. Sie dürfen die Menschen nicht bedrängen, weil sich im öffentlichen Raum alle bewegen dürfen und man sich sonst unwohl fühlt. Dies ist jedoch nicht Sinn des öffentlichen Raumes.

Wie wird der öffentliche Raum bedrängt?

Kameras an sehr stark frequentierten Plätzen werden als Vorwand für Sicherheit vorgeschoben, um gewisse Probleme lösen zu wollen. Dies geht meist mit der Erhöhung der Polizeipräsenz einher. Beide Massnahmen dienen der Sicherheit, wobei die Polizeipatrouillen eindeutig sinnvoller sind, da sie gleich eingreifen können. Wenn ein öffentlicher Ort als sicher gilt, erhöht dies seine Attraktivität für die gesamte Bevölkerung. Zu viel Polizeipräsenz kann hingegen als störend und belästigend empfunden werden oder es entsteht gar das Gefühl, ständig beobachtet und überwacht zu werden. Dies kann wiederum (ungewollt!) zu mehr Konflikten - vor allem mit und gegenüber der Polizei - führen.

Wenn gar nichts für die Sicherheit unternommen wird oder die soziale Durchmischung nicht stattfindet, entwickeln sich öffentliche Räume für Randgruppen jedwelcher Art. So könnte beispielsweise ein abgelegener Park zum Treffpunkt der offenen Drogenszene werden; oder Einkaufsmeilen mit teuren Läden zum Treffpunkt für sozial «besser gestellte» Leute. Beides ist im Sinne der Sozialverträglichkeit des öffentlichen Raumes nicht erwünscht, weil dies Gegenden stigmatisiert und den öffentlichen Raum segmentiert und letztlich abwertet.

Wo beginnt öffentlicher Raum?

Auch in Luzern gibt es – wie lange noch? - Gebäude mit offenen Höfen. Ein Hof ist halböffentlich, da zugänglich, aber nicht als rein öffentlicher Platz gedacht. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob Gebäude rein privat oder öffentlich genutzt werden. In Höfen finden sich oft Fahrrad- und Motorradunterstände, Abfallcontainer und natürlich Spielplätze. Diese werden aber nicht als besonders öffentlich wahrgenommen, da deren Nutzung als Recht der Bewohnenden gilt. Somit greift das Empfinden der öffentlichen Meinung in die Nutzungsfreiheit ein. 

Die SBB besitzt viele Immobilien darunter natürlich die Bahnhöfe. Diese sind öffentlicher Raum, gelten aber bei der Erteilung von Bewilligungen nicht als öffentlich, da deren Grundstück (etwa ein Vorplatz eines Bahnhofs) Eigentum der SBB ist. Dies ist eigentlich absurd, denn die SBB gehört dem Staat, wird aber abgesondert vom Staat betrieben und rechtlich auch so behandelt. Ein guter öffentlicher Raum liesse eine solche Trennung von öffentlichem Raum einer Gemeinde und einer rein staatlichen Unternehmung nicht zu, da beide Räume mit dem Geld der Bevölkerung - direkt oder zumindest indirekt - mitfinanziert werden.

Eine Darstellungsplattform für das Ich

Öffentlicher Raum ist seit langem sehr eng mit der Thematik Datenschutz verknüpft. Gerade soziale Netzwerke wie Facebook machen ein «privates» Profil zum öffentlichen Raum, da technisch alles relativ einfach einsehbar ist. So sollte man sich bewusst sein, was man veröffentlicht und was nicht. Der öffentliche Raum ist eine Darstellungsplattform des Ichs: wie man wahrgenommen wird, bestimmt das Bild einer Person und oft auch seine Berufschancen. 

So werden heute Profile auf sozialen Netzwerken, Filmplattformen (wie Youtube.com, vimeo.com, hulu.com, etcetera) und Seiten mit sogenannten «Partypictures» (usgang.ch, etcetera) von Personalveranwortlichen besucht, um sich ein, freilich meist sehr oberflächliches Bild eines Bewerbers oder einer Bewerberin zu machen. Spätestens dann wird etwas Privates komplett öffentlich. Der öffentliche Raum macht nicht mal vor der Haustüre halt.


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Über Samuel Kneubühler:

Samuel Kneubühler (* 1988 / Junge Grüne / Luzern) hat am 10. Januar 2011 als Kantonsrat kandidiert, ist aber nicht gewählt worden. Er hat im Herbst 2011 die Ausbildung an der Hochschule für Soziale Arbeit in Luzern begonnen.

Samuel Kneubühler kandidiert am 6. Mai 2012 für das Luzerner Stadtparlament.