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Kolumne von Pascal Duss

01.08.2019

Ein Plädoyer für eine Zukunft von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat

Es mag schon fast paradox anmuten, bei uns in der Schweiz als freiheitliche Demokratie unter der Herrschaft der «rule of law» (Herrschaft des Rechts) für jene Werte einzustehen, ja gar zu kämpfen, welche in ihrem Grundsatz doch alle grösstenteils erreicht wurden.


Es liegt in unserem Selbstverständnis als Schweizer, dass wir auf die Grundprinzipien der persönlichen Freiheit, des Föderalismus und der Herrschaft des Volkes zählen. Ein Selbstverständnis, welches (zu) selbstverständlich wurde.

Dabei ist sie erschreckend lang, die Leidensgeschichte hin zu einem friedlichen Europa, hin zu einer westlichen Welt mit stabilen Demokratien, hin zu jenen gewachsenen Rechtsstaaten, welche der ganzen abendländischen Welt eine Epoche des Friedens ermöglichten, wie es sie über eine längere Zeitphase noch gar nie gegeben hat.

Und will man sich nun die Frage stellen, welche Bedeutung die Idee der Freiheit in 200 Jahren noch für uns haben könnte, so kann diese nicht beantwortet werden, ohne die Schweiz in den Kontext genau jenes Europas oder gar einer globalisierten Welt zu stellen. Doch dafür braucht es zuerst einen historischen Abriss.

So romantisch die Idee auch wirken mag – ganz erfunden haben wir die Grundlagen von Demokratie, Recht und Freiheit nun doch nicht; nicht als irgendwelche Berggemeinschaften, die ihre Allmenden gemeinschaftlich bestellten und im frühen Mittelalter Schwüre gegen fremde Vögte schworen. Wohl mag die damalige Gesellschaftsstruktur die Basis gewesen sein für die ersten demokratischen Entwicklungen und damit für ein Streben nach Autonomie. Der historische Glücksfall setzte viel später ein.

Zuvor nämlich waren grössere Sprünge gesellschaftlicher Entwicklungen notwendig. Diese wurden uns im Geschichtsunterricht schon fast modulartig rezitiert: Demokratie bei den alten Griechen, etwas Rechtsstaat (für wenige Bürger) in Rom, die Idee der Freiheit des Einzelnen in der Französischen Revolution sowie das Wiederentdecken republikanischer Wege im unabhängigen Amerika, der parlamentarischen Monarchie in England oder die demokratischen Gehversuche im postrevolutionären Frankreich.

Was bei dieser Dreiteilung von Recht, Demokratie und Freiheit oft verkannt wird, sind die gegenseitige Abhängigkeit und das fragile (Un-)Gleichgewicht dieser drei Elemente, welche letzten Endes ein schier utopisches Ziel verfolgen: Frieden innerhalb und ausserhalb einer gesellschaftlichen Ordnung. Haben wir diesen (sozialen) Frieden in der Schweiz nicht, mindestens weitgehend, erreicht?

Die Antwort lautet ja. Wir haben es uns zur Tugend gemacht, absehbare oder bestehende Grabenkämpfe stets basisdemokratisch und insbesondere durch dezentrale, föderalistische Lösungen (Subsidiarität) zu entschärfen.

Aus kritischen Situationen, an welchen vielerorts junge europäische Demokratien gescheitert sind, hat die Schweiz immer wieder aufs Neue Konsequenzen abgeleitet, welche – teils auf Umwegen – Einzug in den Komplex unserer staatlichen Institutionen fanden: Föderalismus, direktdemokratische Rechte, aber allem voran auch eine politische Kultur des Ausgleichs.

Der Etablierung und Präzisierung demokratischer Rechte gingen stets wirtschaftliche und politische Umbrüche voraus. Es gibt grundsätzlich drei Varianten, wie sich solche Umbrüche manifestieren: Unterdrückung, Integration oder Revolution. Auch die Schweiz musste diesen Prozess durchmachen und wir dürfen uns glücklich schätzen, dass mit der gleichermassen föderalistischen wie liberalen Verfassung von 1848 eine Grundlage gesetzt wurde, damit wir seither frei von Bürgerkriegen leben können. Im Anschluss brauchte es aber noch zwei historische Glücksfälle der Integration:

Einerseits galt es den enormen Graben zwischen den katholisch-konservativen und eher liberal ausgerichteten Kantonen zu überwinden. Dieser Prozess wurde sinnbildlich mit dem grossen Schritt hin zur Integration der ehemaligen Sonderbundkantone eingeleitet – die Entwicklung sollte aber noch Jahrzehnte andauern.

Die zweite Hürde, an welcher fast alle europäischen Staaten im Anschluss gescheitert sind, war die Klärung der sozialen Frage, ohne dabei in den Abgrund eines entweder militaristischen, post-monarchistischen oder faschistischen Systems, beziehungsweise in eine sozialistisch-totalitäre Revolution zu geraten. Die Schweiz schaffte auch hier den Ausgleich, obwohl es 1918 mit dem Landesstreik wortwörtlich fünf vor zwölf war. Durch eine Kultur des Dialoges und den beruhigenden Effekt durch die Einführung des Proporz-Wahlrechtes (angenommen in einer Volksabstimmung im Jahr 1918) sowie der Sozialpartnerschaft zwischen Unternehmerschaft und Gewerkschaften (In Form des «Friedensabkommens» von 1937) kriegten wir auch hier durch Integration die Kurve.

Und nun stellt sich die Frage, wodurch diese Freiheiten denn heute noch bedroht werden? Die Freiheit einer Schweiz, welche seit 160 Jahren auf eine akzeptierte Verfassung zählt, seit 100 Jahren als politisch wirklich stabil bezeichnet werden kann, und die nach dem Zweiten Weltkrieg einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte. Wie sieht unser persönlicher Beitrag dafür heute aus? Stehen wir in der Tradition jener Frauen und Männer, welche in einer revolutionären Stimmung offen waren, neue gesellschaftliche und politische Wege einzuschlagen? Im Schatten jener Vorreiter, die einen gesunden Patriotismus förderten, damit die Willensnation überhaupt erst mit dem Wollen begann? Irgendwie hat das Einstehen für hart erkämpfte, aber realisierte Werte wenig Ruhm in sich. Aufgrund einer gefährlichen Selbstverständlichkeit hat die Idee der Freiheit ihren Glanz verloren.

Es entspricht dem Paradox der Freiheit, dass wir sie erst beanspruchen oder verteidigen, wenn wir sie bedroht sehen. Unabhängig von der eigens verfolgten Definition von Liberalismus ist die persönliche Freiheit im Sinne der maximalen Handlungsfähigkeit laufend in Gefahr. So steht der moderne Ökonomismus mit seiner Abwehrfunktion im Vordergrund, heute fälschlicherweise oft als «Neoliberalismus» tituliert. Dies ganz im Unterschied zum klassischen Neoliberalismus eines Walter Eucken, eines Franz Böhm (Ordoliberalismus), eines Friedrich A. von Hayek (Österreichische Schule), eines Wilhelm Röpke, eines Ludwig Erhard, eines James Buchanan (Public Choice School), und so weiter.

Nebst einem überregulierenden (Fiskal-)Staat kommen aber auch andere, ganz konkrete wissenschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen in Frage, deren Eigendynamik wir noch kaum nachvollziehen können: Wie gehen wir mit globalisierten Technologien um, welche sich nicht mal mehr staatlich kontrollieren lassen – wenn die individuelle Freiheit durch wirtschaftliche Mächte und nicht vom Staat bedroht wird? Wie sieht es mit dem Wunsch der Bestimmungsfreiheit über unsere eigenen Daten aus? Was ist mit dem gewachsenen Bedürfnis nach staatlich garantierter Sicherheit, was aber eine weitgehende Lockerung des Schutzes unserer Privatsphäre mit sich bringen kann?

Ich vertraue bei all diesen Fragen dem Erfolgsmodell Schweiz. Mit unseren direktdemokratischen Strukturen und unserer Gesprächskultur können wir es immer wieder aufs Neue schaffen, selbst derart komplexen Fragestellungen mit einem mehr oder weniger grossen Konsens zu begegnen.


Wir lösen also neue Herausforderungen mit alten und gewachsenen Strukturen. Und so drängt sich die Frage auf: Sind die patriotischen Schweizer, die liberal-radikalen Kräfte von damals, etwa zu den (Wert-)Konservativen dieser Tage verkommen? Man muss klar einsehen, dass die Studenten und die Liberal-Radikalen des jungen 19. Jahrhunderts in ihrer Zeit ein progressives, ja zeitweilen ein geradezu revolutionäres Gedankengut vertraten. Sind sie heute nur noch die Bewahrer, welche sich auf den Lorbeeren jener historischen Errungenschaften aus den Jahren um 1848 herum ausruhen?

Wollen wir die Erfolgsfaktoren Freiheit, Demokratie und Recht aufrechterhalten, braucht es aber mehr als nur ein Lippenbekenntnis zu unserer Geschichte! Diese Werte sind in der Schweiz keinesfalls in akuter Gefahr. Aber sie sind auch nicht dermassen selbstverständlich, wie wir glauben – wir, die wir in diesem Zustand gesicherter Stabilität aufgewachsen sind.

Wir müssen nicht weit über die Landesgrenzen hinausblicken, um die Fragilität der Einheit aus Demokratie, Rechtsstaat und Freiheit zu erkennen. Einerseits stellen uns Herausforderungen wie der Klimawandel, international agierende IT-Konzerne, soziale Netzwerke und deren Datenmacht oder überregionale Migrationsströme vor Probleme, auf welche der klassische Nationalstaat gar nicht mehr reagieren kann. Auf der anderen Seite führt die Überregulierung internationaler Organisationen zu einer Rückbesinnung auf den Nationalstaat, welche von gewissen Kräften da und dort auch populistisch instrumentalisiert wird.

In diesem Ungleichgewicht aus unterschiedlich gewachsenem staatlichen, beziehungsweise nationalem Selbstverständnis einerseits und der Vormachtstellung internationaler Organisationen andererseits bildete sich ein machtpolitisches Vakuum, welches zunächst dazu führte, dass sich grosse Teile breiter Bevölkerungsschichten von der politischen Diskussion abwandten, sei es aus Resignation, sei es aufgrund des Wohlstandes, der bekanntlich satt und bequem machen kann. Noch brandgefährlicher wird es, wenn dann politische Minderheiten –egal welcher politischen Couleur – beginnen, die Themenführerschaft in einer Demokratie zu übernehmen und allmählich das politische Klima vergiften. Somit ist es eine substantielle Herausforderung für den Erhalt von Freiheit und Demokratie, dass wir Wege finden, internationale Gremien so zu gestalten, damit sie einerseits breit akzeptiere Regelungen setzen können, andererseits die Souveränität der einzelnen Staaten hochhalten. Wir dürfen nicht zulassen, dass koordinierende Institutionen vollends politisch missbraucht werden. Die EU hat in Sachen Überregulierung längst bedrohliche Ausmasse angenommen. Aber auch gefestigte Institutionen wie der IMF (Internationaler Währungsfonds) werden zunehmend instrumentalisiert.

Doch es ginge auch anders: Die Schweiz hat diesbezüglich mit ihrem Föderalismus eine Vorbildfunktion für dezentrale Lösungen. Wir haben uns ein Erfolgsrezept im Kleinen erkämpft, das auch international Inputs liefern könnte. Doch dafür braucht es überall wieder eine engagiertere, echte Zivilgesellschaft.


Darum müssen wir auch morgen für eine offene und freiheitliche Schweiz einstehen. Eine Eidgenossenschaft, welche ihr nationales Verständnis immer wieder in einer breiten, basisdemokratisch geführten Diskussion finden wird.

Es gibt keine Patriae ohne Freiheit. Und nur Demokratie ermöglicht diese Freiheit. Und nur das Recht begrenzt die Freiheit des Einzelnen so, dass wir auch als Nation frei bleiben werden – eine souveräne Nation innerhalb Europas und der internationalen Staatengemeinschaft. Und damit sind wir ein Vorbild für Europa.

Pascal Duss, Entlebuch


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Über Pascal Duss

Pascal Duss (1988) ist Bürger von Entlebuch. Er ist ein Ur-Ur-Enkel von Josef Zemp, dem ersten katholisch-konservativen Bundesrat. Nach seinem Studium an der Universität Bern (M.A. Business and Law) arbeitete er als Jurist in Bern, Luzern und Zug und war als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Zürich tätig (schweizerisches Unternehmenssteuerrecht und internationales Steuerrecht). Heute arbeitet er bei der CPH Chemie + Papier Holding AG in Perlen.

Pascal Duss war 2009 bis 2019 Präsident der FDP.Die Liberalen Entlebuch. Daneben engagiert er sich in diversen ehrenamtlichen Ämtern in seiner Heimatregion, dem Entlebuch. Im Militär ist der Hauptmann Kommandant einer Infanterie-Stabskompanie.