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Kolumne von Beat Bieri

05.12.2011

Tännlers Traumwohnung

Der Zuger Baudirektor Heinz Tännler, der gerne SVP-Bundesrat geworden wäre, ärgerte sich über den Titel meines TV-Filmes «Die Vertreibung aus dem Paradies – Wie Zug den Zugern allmählich abhanden kommt». Und das ein Jahr nach dessen Ausstrahlung.


Darin war ausgeführt worden, wie der Kanton Zug für den Mittelstand immer unerschwinglicher wird, wie dieser Kanton die grösste prozentuale Abwanderung in andere Kanton hat, wie Zug in einer CS-Studie über das frei verfügbare Einkommen in einem Kantonsrating innert weniger Jahre auf einen hinteren Rang abrutschte – schlicht, weil die Steuerersparnisse durch die Lebenshaltungskosten, vor allem die Mieten und Bodenpreise, aufgezehrt werden.  

Der Film, der zeigt, wie in diesem Kanton jegliches Mass verloren zu gehen droht, lief im Dezember 2010, also vor genau einem Jahr. Keine der darin genannten Zahlen oder Aussagen sind seither bestritten worden.

Doch SVP-Baudirektor Heinz Tännler wollte unbedingt beweisen, dass alles gar nicht so schlimm ist. Er bestellte eine Studie beim Beratungsunternehmen Wüest & Partner. Und nun präsentiert er also seine Erkenntnisse. Der Kernsatz von Tännlers Pressemitteilung: «Im dritten Quartal des laufenden Jahres 2011 waren im Kanton Zug für die Miete einer Vierzimmerwohnung im Mittel 2000 Franken netto aufzuwenden (Medianwert).» Das heisst: Die Hälfte aller im Kanton Zug angebotenen 4- und 4.5-Zimmer-Wohnungen kostet demnach weniger als 2000 Franken, die andere Hälfte liegt darüber. Zu diesem Resultat ist Wüest & Partner angeblich durch das Monitoring der Mietangebote in den Internetplattformen Immoscout und Homegate sowie der Inserate im Zuger Amtsblatt gelangt.

2000 Franken? Jeder, der den Zuger Wohnungsmarkt kennt, weiss, dass diese Zahl ein Witz ist. Und für jede Familie, die in der unglücklichen Lage ist, in diesem Kanton eine Vierzimmerwohnung suchen zu müssen, ist Tännlers 2000-Franken-Verlautbarung ein Ärger, ja eine Frechheit.

Ich habe an einem beliebigen Tag, am 28. November, die Probe gemacht. Immoscout bietet an diesem Tag im Kanton Zug insgesamt 54 4-Zimmer-Wohnungen an: Unter 2000 Franken gibt es keine davon, alle 54 Wohnungen kosten mehr, teils massiv mehr, bis über 5000 Franken. Homegate findet an diesem Tag total 84 offerierte 4-Zimmer-Wohnungen im Kanton Zug. Davon sind lediglich 2 unter 2000 Franken zu bekommen, der ganze Rest, 82 Wohnungen, kostet mehr. 

Selbstverständlich ändern diese Zahlen täglich, je nach aktuellem Angebot. Doch an der Grössenordnung wird sich jeweils nicht viel ändern. Allerdings ist zu beachten, dass Tännler von Netto-Mieten spricht, derweil die obigen Zahlen Brutto-Mieten meinen. Doch selbst wenn man von diesen Brutto-Zahlen 15 Prozent Nebenkosten (einen branchenüblichen Erfahrungswert) abzieht, kommt man nie zu Tännlers Traumwohnung. Mein Versuch, mit den Homegate-Zahlen annäherungsweise zu einem Medianwert zu gelangen, ergab, dass dieser über 2700 Franken liegt. Noch krasser wäre die Durchschnittsmiete einer angebotenen Zuger Vierzimmerwohnung, die wohl in der Grössenordnung von 3000 Franken liegt.

Wie kommt Tännler zu einer solchen Verzeichnung der Realität? 

Ich habe beim Beratungsunternehmen Wüest & Partner nachgefragt. Dort war man nicht gerade glücklich über meine Fragen, denn es seien schon einige andere Reklamationen wegen dieser Geschichte eingetroffen, sagte mir der Studienverfasser. Die Zuger Baudirektion habe hier etwas verkürzt orientiert, es werde in den nächsten Tagen eine Richtigstellung folgen (was allerdings bis zur Niederschrift dieses Textes nicht geschah). 

Wüest &  Partner bildet mit ihrer Studie nicht die Zuger Realität ab, sondern spricht vielmehr von einer Art Model- oder Referenz-Wohnung: Weil die angebotenen Zuger Vierzimmerwohnungen gemäss W&P grösser sind als der Schweizer Durchschnitt, hat man nämlich die Zuger Angebote runtergerechnet – mit der Folge, dass eine 2000-Franken-Vierzimmerwohnung resultiert, die es auf dem Zuger Markt gar nicht gibt. Dienlich ist das niemandem, zuletzt den Wohnungssuchenden. 

Immerhin gibt sie dem Zuger Baudirektor die Möglichkeit, ein Potekimsches Dörflein zu errichten: hübsche Fassaden in einer heilen Welt, die es so nicht gibt, zuletzt in der Zuger Mietwohnungs-Realität.  

Beat Bieri, Luzern


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Über Beat Bieri:

(*1953 in Luzern) macht seit 2000 Dokfilme für das Schweizer Fernsehen. Bieri ist Oekonom und arbeitete für die «Luzerner Neusten Nachrichten» (LNN), für das Wirtschaftsmagazin Bilanz und seit fast 20 Jahren für das Schweizer Fernsehen. Beat Bieri dreht seine Film selbst als VJ. Er arbeitet sowohl für die Sendung DOK als auch für «Reporter». Neuere «Reporter» von ihm sind «Die verschmähte Erfindung», «Die Vertreibung aus dem Paradies» (beide 2010) oder «Inmitten des Streits» (2011). Aus dem Jahre 2010  stammt sein vielbeachteter Dokfilm «Das Kinderzuchthaus Rathausen».

Mit dem Journalisten Ruedi Leuthold hat Bieri 2010 den Dokfilm «Vom Glück eines Egoisten» gedreht. Bieri und Leuthold, beide aus Luzern stammend, haben als Ko-Autoren bereits mehrere Filme zusammen realisiert. Für den Dokfilm «Neue Heimat Lindenstrasse» bekamen sie 2007 den Europäischen Filmpreise Civis. Der Film «Kampf um die Engstlenalp» erhielt 2009 den Preis der Berner Stiftung für Radio und Fernsehen.

Hier die Links auf zwei neuste Werke von Beat Bieri.

Dok «Kopf und Kragen für tausend Schafe», November 2011:
http://www.videoportal.sf.tv/video?id=c700550d-67ab-42f9-b107-ae7ad462e4d1

Reporter «Wirtschaftsflüchtling Vera Schulz», Oktober 2011:
http://www.videoportal.sf.tv/video?id=37ca33c5-e14c-490d-876a-9c2e9157677