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Kolumne von Edwin Beeler

12.09.2014

Ein Ausflug aufs Schlachtfeld zu Marignano mit Abstecher nach Schloss Rhäzüns


Wie verlautet, will der Anführer der Schweizerischen Volkspartei im nächsten Jahr der Schweizerischen Neutralität gedenken, die seiner Überzeugung nach durch die Niederlage der Schweizer Söldnertruppen anlässlich der Schlacht bei Marignano 1515 begründet worden sei.


Bekanntlich bedient sich der Parteistratege gerne im Fundus der voraufklärerischen Altmythen des seinerzeitigen Staatenbundes, den die Kantone der vornapoleonischen Epoche bildeten. Jüngstes Beispiel ist sein Rückgriff auf den Bundesbrief, der im gleichnamigen Archiv zu Schwyz aufbewahrt wird. In der Zeit vom 13. zum 14. Jahrhundert hat in den ländlich geprägten Urkantonen wahrscheinlich tatsächlich ein Aufstand gegen die damaligen Herrscherfamilien und ihre Subalternen stattgefunden; ein Ausflug zu den Burg- und Turmruinen von Attinghausen, Amsteg-Silenen oder Küssnacht am Rigi erinnert uns bildhaft an diese Zeit und den sogenannten «Burgenbruch».

«Marignagno» soll also die Schweiz auf den Weg der immerwährenden Neutralität geführt haben. Das ist, mit Verlaub, Geschichtsklitterung und Verdrehung historisch gesicherter Tatsachen

Dass beispielsweise bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus Schweizer Offiziere in fremden Diensten Geld verdienten, lässt der bekannteste Verteter der «classe politique», dessen germanophiler Grossvater als Pfarrer im zweisprachigen Pfarramt der Fremdenlegion-Hochburg Sidi-Bel-Abbès im Nordwesten Algeriens wirkte, aussen vor (siehe unter «Links»). 

Zu nennen wäre hier auch der «Vater» der ersten Bundesverfassung von 1848, der – nach sechs Jahren abgewählte – freisinnige Bundesrat Ulrich Ochsenbein, Haudegen der Freischarenzüge während der Sonderbundszeit und Divisionär unter General Dufour im letzten Bürgerkrieg auf eidgenössischem Boden. Als Divisionsgeneral leistete Ochsenbein im deutsch-französischen Krieg unter Kaiser Napoleon III. Dienst für dessen Armee und wurde zum Ritter der Ehrenlegion befördert.

Auf dem Schlachtfeld bei Marignano kämpften Söldner der damaligen Eidgenossenschaft gegen den König von Frankreich für die weltlichen Ziele des Papstes (unter anderem ging es um das Herzogtum Mailand), befeuert vom Walliser Kardinal und Papabile Matthäus Schiner, der, so heisst es, vor der Schlacht durch das Heerlager zog und als Kriegstreiber, der er war, gerufen haben soll: «Ich will in französischem Blut baden!» 

Nun, die eidgenössischen Söldner im Dienste des Stellvertreters Christi auf Erden verloren die Schlacht und mussten in ihrem eigenen Blut baden. Rund ein Jahr später wurde die «Ewige Richtung» zwischen der Eidgenossenschaft und Frankreich unterzeichnet, der König lockte mit Geld und Eidgenossen kämpften in Frankreichs Heer in Norditalien.

Diese Geldschacher-Politik, die Gier nach Beute, die Pervertierung der christlichen Religion der Nächstenliebe unter den inzestuösen, polygamen und grössenwahnsinnigen Renaissance-Päpsten, die unrühmliche Niederlage, das Ende der Grossmachtträumereien: dieser kriegerischen Zeit mit «Mariagno» als Brennpunkt will der einst global tätige Unternehmer gedenken, um so sein Feindbild, die Europäische Union, zu bekämpfen.

Die schweizerische Neutralität, wie wir sie heute kennen, ist die Folge eines Beschlusses des Wiener Kongresses von 1815 als Resultat der Niederlage Napoleons, dreihundert Jahre nach Marignagno. Die Entstehung der Eidgenossenschaft mit ihrer gegenwärtigen Verfasstheit ist kein Resultat eines Einzelereignisses, sondern ein langwieriger Prozess, der etwelchen Einflüssen auch des sogenannten Auslandes unterworfen war und ist. Leider ist zu befürchten, dass gesicherte historische Tatsachen gegen die pekuniären und populistisch-publizistischen Mittel eines zunehmend radikal isolationistisch eingestellten Multimilliardärs und begabten Politstrategen einmal mehr nicht ankommen werden.

Der konservative Rückblick auf eine verklärte Vergangenheit hat immer etwas Defensives; der Blick in eine mögliche Zukunft ist verpönt, gilt als Sakrileg, die Entwicklung von Perspektiven gar als Landesverrat. Wer derart und wider besseres Wissen mit Versatzstücken aus alten Primarschulgeschichtsbüchern spielt, deren Kapitel aus dem Zusammenhang reisst und die historischen Quellen unterläuft, hat im Grunde genommen kaum Respekt vor den Toten unserer vergangenen Bürger- und Söldnerkriege, und angesichts der anstehenden Probleme, vor denen unser Land steht, auch kein Sorgfaltsbewusstsein mit entsprechender Achtung vor der Weitsicht der freisinnig-radikalen Gründungsväter unseres Bundesstaates. So gesehen, wird da am Ast gesägt, auf dem unser Land sitzt.

Edwin Beeler, Historiker und Filmer, Luzern


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Über Edwin Beeler:

Edwin Beeler (* 1958) schloss sein Studium in Allgemeiner Geschichte und Geschichte der Deutschen Literatur an der Universität Zürich mit dem Lizentiat ab. Seit rund 25 Jahren arbeitet er hauptsächlich als Filmemacher. 

1988 gründete er zusammen mit Marlon Heinrich und Guido Paul Denzler die Filmproduktionsfirma Calypso Film AG, welche unter anderem seine Kino-Dokumentarfilme produziert: «Arme Seelen» (2011), «Gramper und Bosse - Bahngeschichten» (2005), «Grenzgänge - Eine filmische Recherche zum Sonderbundskrieg 1847» (1998, realisiert zusammen mit Louis Naef), «Bruder Klaus» (1991), «Rothenthurm - Bei uns regiert noch das Volk» (1984). 

Die Stadt Luzern hat ihn 1992 mit einem Anerkennungspreis ausgezeichnet. Beeler arbeitet im Vorstand des Vereins Film Zentralschweiz mit. Er ist Vater von zwei Töchtern und lebt zusammen mit seiner Partnerin in Luzern.

calypsofilm.ch/Website_Calypso_26-07-2012/Index.html