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Gastbeitrag von Hans Widmer

Über den Autor:

Dr. phil. Hans Widmer
(9. September 1941) unterrichtete an der Kanti Alpenquai während 36 Jahren Spanisch, Religionswissenschaften und Philosophie. Er war während zweier Jahre Präsident der Philosophischen Gesellschaft der Schweiz. Von 1996 bis 2010 vertrat er die Gewerkschaften und die SP im Nationalrat. Zuvor war er auch Grossrat und Grossstadtrat.

Bild: Herbert Fischer

11.06.2019

Der Lehrermangel hat gesamtgesellschaftliche Hintergründe und Ursachen

Sie sind wahrlich nicht zu beneiden, die kantonalen Bildungsdirektionen, aber auch die operativen Schulleitungen: Sie stehen unter einem grossen Druck, denn von ihnen wird erwartet, dass sie kurzfristig die offenen Stellen besetzen können und dass es ihnen gelingt, mit den bereits teilangestellten Lehrpersonen umfangreichere Pensen zu vereinbaen.

Die «Luzerner Zeitung» hat am 31. Mai auf die landesweit prekäre Situation hingewiesen (siehe unter «Links»). Offene Stellen könnten bis jetzt zwar fast immer besetzt werden, aber nicht mit «adäquat ausgebildeten Personen», was gemäss Lehrerverband einen qualitativen Lehrermangel zur Folge habe. Zudem gingen tausende Lehrer in Pension und gleichzeitig sei in den kommenden Jahren mit gegen 120 000 zusätzlichen Schülerinnen zu rechnen.

In der Folge rechne man mit einem jährlichen Mehrbedarf an 10 000 Pädagogen.Auch sei bekannt, dass ein Fünftel der jungen Pädagoginnen sich bereits innerhalb der ersten fünf Jahre ein anderes Berufsfeld suche.

Soweit die Beschreibung des sich ankündigen Lehrermangels im Artikel von Yannick Nock mit dem Titel «Kantone in der Klemme: Lehrermangel spitzt sich zu».

Samuel Thomi vertritt gleichentags in derselben Zeitung die Auffassung, der Lehrermangel sei eine Chance für die Schulen. Er begründet seinen Optimismus mit der Möglichkeit, die Lehrpersonen auf Mindestpensen zu verpflichten wie dies der Kanton Genf bereits praktiziere (siehe ebenfalls unter «Link»).

In der Tat könnte eine solche Option im Sinne einer vorübergehenden Notlösung diskutiert werden. Damit würde die gesamtgesellschaftliche Dimension des Problems jedoch nicht genügend ernst genommen.

Wie kaum in einem anderen öffentlichen Bereich spielen in jenem der obligatorischen Schule «hautnah» verschiedene Subsysteme ineinander: Familien (Eltern und Kinder), Lehrpersonen, Erziehungsbehörden mit ihren Organisationsvorgaben und Lehrplänen, das tertiäre Bildungswesen mit den diversen «scientific communities» insbesondere der Pädagogik und der Psychologie, Verbände der Wirtschaft sowie Gewerkschaften.

Viele Influenzer tummeln sich auf dem schulpolitischen Pausenplatz, und sie versuchen sich mit ihren Wertvorstellungen vor einem – je nach demographischer Entwicklung - zahlenmässig kleineren oder grösseren direkt betroffenem Publikum.

Kommt noch dazu, dass alle erwachsenen Einwohner einmal zur Schule gegangen sind und in der Folge persönliche Schulerfahrung mitbringen: Viele von ihnen ziehen zu Recht oder zu Unrecht daraus den Schluss, sie hätten aufgrund dieser Erfahrung auch die nötige Sachkompetenz für ein persönliches oder öffentliches Urteil, das sie zum Dreinreden berechtige. Kommt weiter dazu, dass die verschiedene Generationen mit je unterschiedlichen Erfahrungen gleichzeitig ihre Wertungen in den vielstimmigen Schuldiskurs einbringen können.

Wenn wir das sich akzentuierende Problem des Lehrermangels bloss an der Pensengrösse festmachen, dann vergessen wir die Tatsache, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf insbesondere für Lehrpersonen zwischen 25 und 45 einen hohen Wert hat, der heute eine breite gesellschftliche Anerkennung geniesst.

Nehmen wir die Wertvorstellungen, an denen sich die Bildungsbürokratien orientieren: Sie richten sich nach wissenschaftlichen Kriterien und gleichzeitig nach jenen von Effizienz und Effektivität, wie sie von der Politik vorgegeben werden.

Eine laute und fordernde Stimme mit einem geradezu mantraartigen Wertebekenntnis kommt aber auch von den Wirtschaftsverbänden. Auch sie soll ihren Platz haben, denn schliesslich muss die junge Generation fit sein für das Überleben in der globalisierten Wissens- und Innovationsgesellschaft.

Dieses skizzierte Wertestimmengewirr auf dem öffentlichen Pausenplatz belastet Ohren und Nerven der aktiven Lehrergeneration. Daher kann man verstehen, dass viele trotz guter Ausbildung ihrem Beruf nicht allzulange die Treue halten. Oft beginnen sie ihre Laufbahn mit übertriebenen Erwartungen und sie möchten ihre Sache ganz besonders gut machen.

Die Pädagogischen Hochschulen sind zwar praxisorientiert, aber doch ziemlich verwissenschaftlicht. Da lernt man, wie man es besonders gut machen kann. Und das ist in Ordnung so. Aber nach der Ausbildung kommt dann kein weiteres Praktikum, sondern der reale Alltag.

Wer es dort stets perfekt und maximalistisch machen will, kommt bald mal an Grenzen. Das kann das Reservoir der inneren Berufsmotivation anzapfen. Gedanken an einen Berufswechsel kommen auf oder es bahnt sich gar ein Burn out an.

Ohne eine Reflexion auf die Wertestakeholder kann der qualitative Lehrermangel lediglich mit quantitaviven Massnahmen angegangen werden. Das wird vielleicht an der Oberfläche mittelfristig Abhilfe schaffen. Langfristig hingegen kommen wir nicht darum herum, ein gesamtgesellschaftliches Wertebekenntnis zu erarbeiten, unter dessen Label die heutigen zum Teil wirren Stimmen sich zu einem Orchester finden können.

Dann werden das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dann wird der von der Wissenschaft eingeforderte Ruf nach Professionalität, dann wird der kontrollorientierte Reportingbefehl der Verwaltung, dann wird der laute Imperativ der Wirtschaft nur eine Stimme unter vielen sein.

Die Dominante, aber auch sie integriert in ein Ganzes, wird die Gesetzmässigkeit sein, nach der «Kopf, Hand und Herz» (im Sinne Heinrich Pestalozzis) der zu bildenden Kinder sich entwickeln. Ein solches mehr oder weniger harmonisches und vielstimmiges Zusammenspiel vermag möglicherweise einen Turnaround zu schaffen bei dem seit Jahren zu beobachtenden Reputationsschwund des Lehrerberufes.   

Hans Widmer, Luzern


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