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01.07.2016

«Kulturmagazin» - In Luzern hat ein Linksrutsch stattgefunden, nur ist er nicht richtig sichtbar

Die Stadt Luzern hat erstmals einen linken Stadtpräsidenten. Das macht sie aber noch lange nicht zur linken Stadt.


Fast könnte man denken, der Bürgerblock von CVP bis SVP freue sich, die Gemeindewahlen in der Stadt Luzern verloren zu haben. Endlich kann er, nachdem Stefan Roth von der CVP das Stadtpräsidium an Beat Züsli und die SP abgeben muss, auch hier seine Angstlust über eine «links-grüne Mehrheit» kultivieren. Nun ist die Wahl von Züsli selbstverständlich ein Symbol für die gegenwärtige Stärke der Linken in der Stadt Luzern.

So deutlich, wie er Roth geschlagen hat, ist es aber mindestens genauso sehr ein Symbol für die Schwäche dieses blassen CVP-lers, der in Luzern nie als «Stapi» wahrgenommen worden ist. 

Was ist also passiert? Auf den ersten Blick: nichts. Die parteipolitische Zusammensetzung der Stadtregierung ist die gleiche wie in den letzten vier Jahren, und selbst wenn man weiter zurückblickt, zeigt sich das gleiche Bild eines zwischen links und rechts mittig austarierten Gremiums: Manuela Jost hat im Zentrum den parteilosen Urs W. Studer ersetzt, eine Grünliberale einen Sozialliberalen. Weder ist die Stadt Luzern links-grün regiert, noch hat die Linke im Stadtparlament eine Mehrheit – auch wenn sie neuerdings gemeinsam mit der GLP zumindest in ökologischen Fragen tatsächlich knappe Mehrheiten erreichen kann. Was die Gemeindewahlen gebracht haben, ist ein leichter Linksruck, aber eben keine linke Mehrheit. 

Der Aufstieg der Linken in der Stadt ist viel älter. Noch 1971 erreichte die SP bei den Kantonswahlen in der Stadt Luzern gerade mal 15,2 Prozent der Stimmen; eine grüne Partei gab es noch nicht. Dann begann das Wachstum: 1975 erreichten die linken Parteien schon 19,9 Prozent, vier Jahre später 26,3 und 1983 bereits 30,5 Prozent aller Stimmen. Dann stagnierte die Linke, bis sie um die Jahrtausendwende nochmals zulegte: 2003 kam sie in der Stadt auf 38,9 Prozent, 2007 auf 40 Prozent. Seither ist ihr Stimmenanteil wieder leicht auf 38,6 Prozent (2015) gesunken. Dasselbe Bild einer fünfzehnjährigen Stagnation zeigt sich in den Gemeindewahlen. Seit 2000 legten die linken Parteien in der Stadt Luzern von 39,1 auf 41 Prozent (2016) nur leicht zu. 2004 hatte es mit 43,9 Prozent ein noch besseres Resultat gegeben. 

Dass die Stadt Luzern bei weitem noch nicht so links wählt und stimmt wie andere Schweizer Städte, hat sich auch in aktuellen Abstimmungen gezeigt.

Die Durchsetzungsinitiative wurde hier im Februar mit 71 Prozent abgelehnt, ziemlich genau gleich stark wie in St. Gallen, Winterthur und Basel. Zürich und Bern aber, wo tatsächlich links-grüne Mehrheiten regieren, lehnten die SVP-Initiative mit 78 respektive fast 83 Prozent ab. Dasselbe Bild bei der Abstimmung zum bedingungslosen Grundeinkommen: In Luzern befürworteten 28,8 Prozent die Initiative, fast gleich viele wie in St. Gallen und Winterthur. In Basel, Bern und Zürich kam sie dagegen auf eine Zustimmung um die 40 Prozent. Das Fazit auch hier: Luzern ist keine linke Stadt, aber eine Kleinstadt mit einer soliden Mittepolitik, die im Einzelfall, bei guter Mobilisierung, gute Aussichten bietet auf linke Erfolge – siehe etwa Industriestrasse. 

Soweit die statistischen Fakten. Sie widerlegen die Schimäre von der linken Mehrheit deutlich.

Dass die SP erstmals das Stadtpräsidium erringen konnte, war das Resultat einer Personenwahl, bei der sich eine grosse Mehrheit für einen Hoffnungsträger entschieden hat, nachdem sich der bisherige Amtsinhaber als zu profillos erwiesen hatte. So weit, so unrevolutionär. Was die jüngsten, wenn auch kleinen Erfolge der SP trotzdem bemerkenswert macht, ist etwas anderes: 2010 hat Luzern mit Littau fusioniert, einer zutiefst bürgerlichen Gemeinde. Heute kann man sehen, dass die rund 17 000 neuen Einwohner die Stadt nicht konservativer gemacht haben. Im Gegenteil. Mit anderen Worten: Der Linksrutsch hat stattgefunden, man kann ihn nur nicht richtig sehen. 

Christoph Fellmann

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Dieser Text von Christoph Fellmann ist in der Juli-/August-Doppelnummer des «Kulturmagazins» erschienen. Fellmann arbeitet hauptberuflich als Redaktor im Ressort Kultur des «Tagi» und gehört der Redaktion des «Kulturmagazins» an. Bekannt ist er auch als Theaterregisseur und Schauspieler.