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Kolumne der Redaktion

09.09.2017

Nach Jahren des Kürzens, Streichens und Abbauens bestimmen Misstrauen, Neid und schlechte Laune die Finanzpolitik

Vor dem Luzerner Theater demonstrierten gestern etwa 1200 Personen gegen die Finanz- und Sparpolitik des Kantons Luzern (siehe unter «Links»). Neben anderen hielt auch die Theaterpädagogin Ursula Hildebrand eine Rede. Deren Text ist hier ungekürzt zu lesen.


Ursula Hildebrand.

Mehr über sie unter «Links».

Liebe Bürgerinnen und Bürger von Luzern,

wir müssen reden. 

Vor ein paar Tagen hat der Finanzdirektor unseres Kantons den Finanzplan bis 2021 vorgestellt. Er hat also erklärt, wie der Kanton Luzern die durch die Tiefsteuerstrategie weggebrochenen Einnahmen kompensieren will. Er will Aufgaben auf die Gemeinden abschieben, und er will Ausgaben streichen. So, wie er das schon seit vielen Jahren macht. Der Finanzdirektor versuchte die Bevölkerung zu beruhigen, er sagte: «Der Kanton Luzern bricht nicht zusammen.» 

Das ist schön, dass der Kanton Luzern nicht zusammenbricht. Aber was ist denn das, was da gerade nicht zusammenbricht? Ein Kartenhaus? Ein neoliberales Versuchslabor? Ein Territorium? Oder, der Kanton Luzern, sind das nicht in erster Linie die etwas mehr als 400 000 Menschen, die hier leben?

Wenn Letzteres zutrifft, dann stimmt es ja schon, dass alle diese Menschen nicht zusammenbrechen. Im Gegenteil, viele von ihnen haben sich heute aufgerappelt und sind vor das Theater gekommen, um gegen eine Regierung zu protestieren, die zufrieden ist mit sich, solange nur nichts zusammenbricht. 

Viele von uns sind heute hier, um dieser Regierung zu sagen: Das längt ned imfall! Wir wollen keinen Kanton, der «nicht zusammenbricht». Und wir wollen eure Worte des Bedauerns nicht über die Abbaumassnahmen, die ihr verantwortet und mit denen wir nun leben müssen. Was wir wollen, ist euch sagen, dass eure Beschlüsse unsere Budgets zusammenbrechen lassen, die Budgets von Studenten, von Künstlerinnen, von Quartierpolizisten, von Bäuerinnen. Seit unsere Regierung vor sechs Jahren die Unternehmenssteuern gesenkt hat, folgt ein Abbaupaket dem anderen. Seitdem werden wir vertröstet: Die Steuerstrategie werde irgendwann – vielleicht 2021? – schon noch aufgehen. In ein paar Jahren «beruhige» sich die «Situation», hat der Finanzdirektor gerade vor kurzem wieder geweissagt. 

Das ist schön, dass sich die Situation werweiss beruhigt. Aber, sehr geehrter Herr Finanzdirektor, wir leben heute in diesem Kanton. Wir brauchen heute die Polizei, wenn wir sie brauchen. Wir beginnen jetzt unser Studium. Wir leben hier und heute von unserem kleinen Bauernhof. Unsere Kinder gehen jetzt in die Schule. Wir möchten uns jetzt künstlerisch mit einer Welt auseinander setzen, die aus den Fugen ist. Wir brauchen heute einen Deutschkurs. Verstehen Sie das?

Wir sind nicht daran interessiert, in zwei Jahren wiedergewählt zu werden. Wir möchten keinen Staat, dessen Leistungen in vier Jahren so weit abgebaut sind, dass die Tiefsteuerstrategie doch noch aufgeht.

Wir möchten hier und heute so leben, wie wir leben möchten, und unsere Arbeit machen und unsere Träume verwirklichen. Wir möchten heute unsere Miete zahlen, wir möchten heute den Veterinär bezahlen, die Bühnentechnikerin oder die neue Software, die wir brauchen. Wir sind keine Egoisten, wir sind Ärztinnen und Pfleger, wir sind Lehrerinnen und Künstler, wir sind Studentinnen und Bauern, wir sind Strassenbauerinnen und Buschauffeure. Wir möchten in einer grosszügigen und freien Gesellschaft leben und zu dieser freien Gesellschaft unseren Beitrag leisten. 

Aber dafür brauchen wir den Staat. Wir brauchen einen Staat, der seine Aufgaben ernst und gerne wahrnimmt. Einen Staat, dessen oberstes, ja einziges Ziel nicht darin besteht, eine Gratiskultur für Unternehmen zu organisieren. Einen Staat, in dem die Politikerinnen und Politiker endlich wieder darüber sprechen, was sie wollen, und nicht darüber, was der Staat sich noch leisten kann und was leiderleider nicht mehr. Wir haben genug von vorsätzlich geschaffenen Sachzwängen, die dazu führen, dass wir nur noch über Geld reden. Es ist doch kindisch, dass wir – wir alle – die Tiefsteuerstrategie für gescheitert halten; dass wir aber nicht bereit sind, die Steuern wieder zu erhöhen oder für die Klavierstunde ein bisschen mehr zu bezahlen.

Es ist leider so: Nach Jahren des Kürzens, Streichens und Abbauens bestimmen Misstrauen, Neid und schlechte Laune die Finanzpolitik. Profiteure sind immer die Anderen, und darum sollen auch immer die Anderen bezahlen. 

Liebe Bürgerinnen und Bürger, echt jetzt, das muss aufhören. 

Interessiert es uns wirklich noch, wie es um die Chancen des Anderen steht, ein Leben zu führen, das ihn erfüllt?

Interessiert es uns noch, wie offen, grosszügig und stabil unsere Gesellschaft ist?

Interessiert es uns noch, ob die Politik den Humanismus und die Freiheit ermöglicht? (Ja, das sind grosse Worte, aber dank ihnen gibt es die Demokratie.) 

Oder reden wir nur über Geld, weil nur Geld uns interessiert? Weil es uns schon reicht, wenn der Staat «nicht zusammenbricht»?

Im Ernst? 

Und warum nehmen wir dann Klavierstunden? 

Wirklich, lieber Herr Finanzdirektor und liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger: Die Politik, die wir nun schon seit Jahren machen, ist armselig und unfrei. 

Darum und nochmals: Wir müssen darüber reden, was wir wollen. Wir müssen endlich wieder darüber reden, was wir eigentlich wollen. 

Ursula Hildebrand, Theaterschaffende, Luzern 


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/