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Kolumne der Redaktion

05.04.2017

Protestant Moritz Leuenberger beichtet in der vollbesetzten Peterskapelle Lügen als Bundesrat

Heute Mittwochabend (5. April) sprach in der Peterskapelle in Luzern Altbundesrat Moritz Leuenberger als vierter und letzter Redner einer Vortragsreihe zum Thema Wahrheit. Die Kirche war vollbesetzt und das Publikum erlebte, was es erwartet hatte: einen zugleich geistreichen, witzigen und ernsthaften Redner.


Als musikalische Umrahmung wünschte sich Leuenberger einen Auftritt von Vera Kaa.

Die Peterskapelle war voll besetzt.

Mal ganz der Elder Statesman mit ernster Miene, ...

... mal der gekonnt gestikulierende, perfekte Rhetoriker, platzierte Moritz Leuenberger ...

... manchen Lacher.

Bilder: Herbert Fischer

Mit entwaffnender Offenheit eröffnete Leuenberger seine Rede mit diesem Satz: «Dass in Ihrer Reihe über die Wahrheit ausgerechnet ein Politiker das letzte Wort hat, ist erstaunlich, denn – davon sind viele überzeugt – nirgends wird so viel gelogen wie in der Politik.»

Ein Politiker suche immer das letzte Wort und wenn es ihm gar angeboten werde, ergreife er es noch so gerne. «Ich mache da keine Ausnahme. Immerhin besteige ich nicht die Kanzel, denn ex cathedra äussere ich mich nicht. Nicht nur, weil ich Protestant bin, sondern vor allem, weil ich als Politiker nicht an eine absolute Wahrheit glaube – und nicht glauben darf.»

Alle wissen laut Moritz Leuenberger: «Es gibt in der Politik den Glauben an die absolute Wahrheit. Es gibt politische Ideologien, es gibt religiöse Eiferer, in deren Köpfen brennt ein heiliger Scheiterhaufen, der ständig auf Hexen und Opfer wartet, um sie zu verbrennen. Wenn der andere ihrem Glauben nicht folgt, ist er ein Ungläubiger, ein Lügner.»

Aber: «Wir alle kennen die Folgen. Täglich müssen wir sie hilflos zur Kenntnis nehmen. Ich will mich also nicht zu einer absoluten Wahrheit versteigen. Es wäre dies nicht nur eine Hybris, es wäre auch eine Flucht in abstrakte und hilflose Theorien. Im täglichen politischen Leben geht es zwar nur um relative, aber doch sehr konkrete Wahrheiten und Unwahrheiten. Und es geht um Lügen.»

Auch er selber entdeckte inzwischen Lügen, die ihm allerdings seinerzeit im Amt als Bundesrat «gar nicht bewusst waren» sagt Leuenberger weiter. Und berichtete – zum Beispiel –, wie er das Ergebnis einer Klimakonferenz der UNO in Kopenhagen gegenüber den Schweizer Medien als vollen Erfolg dargestellt hat, obwohl sie eine einzige Katastrophe war. Er wollte so verhindern, dass das CO2-Gesetz im Parlament mit dem Argument bachab geschickt worden wäre, es gebe ja international gar keinen Druck mehr gegen die Klimaerwärmung. 

Oder er «beichtete», dass er öffentlich den umstrittenen Präsidenten des Verwaltungsrates der Post lobte, währendem er bereits seine Entlassung vorbereitete. So habe er unerbetene Einmischungen in die Wahl des Nachfolgers unterbunden. 

Genau genommen handle es sich bei diesen und weiteren Beispielen, die er aufzählte, nicht immer um wirkliche Lügen. Zum Teil habe er aber «nicht immer die ganze Wahrheit gesagt»: dies, um Schlimmes zu verhindern.

Denn, so Leuenberger wörtlich: «Die Wahrheit kann mitunter grossen Schaden anrichten». Lügen hingegen könnten als «Schmierfett im sozialen Getriebe» wirken. 

Die Grenzen zwischen klarem Wissen und unbewusstem Verdrängen seien fliessend: «Die politische Aufgabe vereinnahmt einen Politiker; er identifiziert sich mit seiner Mission. Seine Überzeugung dynamisiert sich; er beginnt zu glauben, was er sagt. Durch die Kommunikation wird die eigene Unwahrheit verbreitet.»

Leuenberger sprach etwa 40 Minuten und über weite Strecken frei. Dieser Auftritt hätte es verdient, zumindest akustisch dokumentiert zu werden, um ihn auch Leuten zugänglich zu machen, die diese Rede des früheren Bundesrats verpasst haben. 

Herbert Fischer, Redaktor lu-wahlen.ch, Luzern


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/